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Konservativer Philosoph dekonstruiert die Lieblingstheorien der Linken

Published On: 8. August 2021 19:10

In einem soeben auf Deutsch erschienenen provokanten, fesselnden und höchst unterhaltsamen Werk erklärt Roger Scruton, warum leere Rhetorik und himmelschreiender Nonsens es geschafft haben, sorgfältige Analyse und seriöse Logik abzulösen – eine erschütternde Abrechnung mit einigen der angesagtesten Philosophen der Gegenwart.

Als Fools, Frauds and Firebrands (so lautet der Originaltitel von „Narren, Schwindler, Unruhestifter – Anm. d. Red.) 2015 im Vereinigten Königreich erschienen war, fragten viele Kritiker, was der Sinn eines solchen Werkes heute noch sei. Schließlich sei die Sowjetunion und mit ihr die Vorstellung von der kommunistischen Gesellschaft schon vor 25 Jahren zusammengebrochen, und den Linken sei es danach nicht mehr gelungen, eine ähnlich umfassende totale und totalitäre Utopie wie den Kommunismus zu entwickeln. Die Welt sei heute eine andere, die primitiven Versuche egalitärer Gesellschaften hätten wir – mit wenigen Ausnahmen wie Nordkorea, Kuba oder Venezuela – hinter uns gelassen. Der britische Guardian (für den viele der im Buch kritisierten Autoren geschrieben hatten) sah in Scrutons Werk gar den Versuch, den kalten Krieg fortzuführen, und kritisierte den obsolet gewordenen Antikommunismus eines ewig gestrigen Reaktionärs.

Zweifler und Kritiker lagen falsch. Denn das utopische Denken, das die Gesellschaft der Gegenwart in finstersten Farben malt und auf den Trümmern des historisch Gewachsenen und Verbindenden eine neue Gesellschaft der totalen Emanzipation und der allgemeinen unvermittelten Gleichheit erträumt, hat nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums nur kurz innegehalten. Alsbald entstanden neue, der westlichen Wohlstandsgesellschaft angepasste Versionen des totalitären, ökologischen und kollektivistischen Utopismus. Die nannten sich zwar (meistens) nicht mehr Sozialismus oder Kommunismus, aber es musste weiter gekämpft werden: gegen neue Formen der »strukturellen« Unterdrückung, von denen behauptet wird, sie seien in allen Lebensbereichen präsent, für noch mehr Gleichberechtigung und schließlich für die neue, nebulös gehaltene Utopie einer grenzenlosen, ökologischen und von jeder Tradition und Hierarchie befreiten Weltgesellschaft.

Warum fällt der Groschen nicht?

Ideen haben ein Eigenleben, sie sind wie Gewässer, die mit kleinen, oft unterirdischen Rinnsalen beginnen, irgendwann aber zu einem mächtigen Strom anschwellen und zur vorherrschenden Auffassung von Wirklichkeit werden. Die heute das akademische und das öffentliche Leben dominierenden linken Theorien sind bereits nach dem Ersten Weltkrieg in dessen Folge entstanden, sie überlebten die beiden totalitären Katastrophen zunächst als Stimmen einzelner Intellektueller und gelangten erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt dank der 68er-Bewegung, zu voller Blüte.

Noch 1976 konnte der Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer zu Recht behaupten, die im akademischen Milieu kursierenden und mancherorts dominierenden linken Theorien, insbesondere die kritische Theorie der Frankfurter Schule, hätten keine relevante Auswirkung auf das politische Leben Westdeutschlands, da dessen Institutionen von ihnen im Wesentlichen unberührt seien. Doch die »Demokratisierung« der akademischen Bildung und der Machtgewinn der Medien und ihre Eroberung durch Linke änderten diese Lage alsbald. Die jungen Akademiker strebten in den Staatsapparat, denn ihre sozialen Visionen sollte ja der Staat verwirklichen, und so geschah genau das, was für Sontheimer seinerzeit noch schwer vorstellbar war: Extreme akademische Theorien wurden mit Macht in die Öffentlichkeit getragen, und bald konnte und wollte sich keine Partei und keine Institution mehr diesem mächtigen Strom der linken Ideen verschließen. Diesen Ideen, ihren heutigen Folgen und deren wichtigen Vertretern ist dieses Buch gewidmet.

Woher stammen die Überzeugungen, die heute im Westen den »Mainstream« des öffentlichen Denkens und meistens auch des politischen Handelns bilden? Woher kommt die Auffassung, dass Geschichte eine Richtung habe, und die führe unweigerlich zu noch mehr Gleichheit, noch mehr Fortschritt und noch vollständigerer Emanzipation? Warum glauben wir, dass die Menschheit leichtfertig und nur um des Profits willen ihre Ressourcen verschwende und der Mensch ein Schädling des Planeten sei? Warum sind die meisten davon überzeugt, dass die westliche Gesellschaft systemisch ungerecht und unser Wohlstand immer nur auf Kosten anderer aufrechtzuerhalten sei?

Woher stammt die Idee, dass unschuldig geborene Menschen in vorgefertigte repressive Strukturen der Gesellschaft gezwungen werden, die zu dekonstruieren ein Akt der Befreiung sei? Woher kommt die Auffassung, dass der Staat allein für die gerechte Verteilung der Güter der Gesellschaft und für das Glück der Allgemeinheit verantwortlich sei? Wieso verachten wir unsere eigene, einmalige europäische Kultur, beschuldigen sie, ein Instrument der Unterdrückung und Ausbeutung zu sein, und huldigen stattdessen primitiven, vorzivilisatorischen Kulturen? Warum sind wir besessen von der Idee der Gleichheit und glauben, dass ihre immer weitere Ausdehnung, die Abschaffung von Autorität, Hierarchien und Bindungen, der einzig richtige Weg und das Unterpfand des Glücks sei?

Identitätslinke Läuterungsagenda

Die im Buch behandelten Denker waren entweder Pioniere dieser Ideen oder gehörten zu denjenigen, denen es gelungen war, sie durch Wortgewalt und »existenzielles Posieren« ins öffentliche Bewusstsein zu heben und damit schließlich für die dominierende westliche Politik von heute das ideologische Fundament zu erschaffen.

Scruton stellt englische, amerikanische, deutsche und französische Philosophen, Historiker, Rechts- und Sozialwissenschaftler vor, die zu den hochgeschätzten Denkern, den »öffentlichen Intellektuellen« ihrer jeweiligen Länder gehören und mit ihren Arbeiten unser heutiges Bild von der Welt entscheidend geformt haben. Er nennt sie links, weil sie sich selbst so bezeichnet haben und weil ihr Denken in der linken Denktradition wurzelt. Sie alle rühmten sich, kritisch der »Gesellschaft« gegenüberzustehen, auch wenn sie von deren Institutionen mit akademischen Titeln und üppigen Salären belohnt und vom Establishment gefeiert wurden. Sie erheben im Wesentlichen zwei Anklagen gegen die im Westen vorherrschenden Gesellschaftssysteme: Sie sollen auf Unterdrückung und Herrschaft beruhen und durch Entfremdung und Verdinglichung Menschen ihrer Würde berauben und sie zu Dingen reduzieren.

Zugleich sehen sie sich in der Pflicht, dies zu enthüllen, denn seinen bedauerlichen Zustand zu erkennen, ist dem einfachen Menschen nicht gegeben. Das, was er als Wirklichkeit versteht, ist nur eine schillernde, irreführende Oberfläche, unter der die wahren Kräfte und Zusammenhänge verborgen liegen, die irgendwann – dank der unermüdlichen Dekonstruktionsarbeit der Intellektuellen – zum Vorschein kommen. Schon Marx war der Überzeugung, dass hinter der bunten Welt der Waren, Märkte und zwischenmenschlichen Beziehungen die wahre Natur der kapitalistischen Produktionsweise verborgen liege: die Abpressung des Mehrwerts durch die besitzende Klasse.

Geschichte werde durch die unterirdischen Ströme der Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte und die aus ihren Widersprüchen resultierenden Klassenkämpfe vorangetrieben, bis endlich die im Schoße des Kapitalismus entstandene revolutionäre Klasse, das bis dahin seiner selbst unbewusste Proletariat, zur Klasse für sich werde und der Verschleierung der wahren Verhältnisse ein Ende bereite, indem es endlich die Realität der direkten Wahrheit erschaffe, die zugleich die Gesellschaft der allgemeinen Gleichheit sei.

Dieser Vorstellung einer unter Scheinverhältnissen verborgenen Realität begegnen wir bei den neueren Denkern der Linken wieder, und diesem Aspekt, dem Verlust der Wirklichkeit durch Dekonstruktion und der Erschaffung einer dafür geeigneten Sprache, dem Orwell’schen »Neusprech«, gilt die besondere Aufmerksamkeit Scrutons. Auch wenn das Proletariat nunmehr als revolutionäre Klasse ausgedient hat, bleibt die Unterdrückung und die bewusste Verschleierung der Wirklichkeit durch die »Bourgeoisie« bestehen, sie hat unter Linken nur neue Namen bekommen: die »Industriegesellschaft« (Galbraith), »Herrschaftsstrukturen« (Foucault), und immer wieder das »Andere« (Sartre, Lacan), »Verdinglichung«, »Entfremdung« und »Warenfetischismus« (Lukács), »instrumentelle Vernunft« (die Frankfurter Schule).

„Who controls the past, controls the future.“

Während die »Bourgeoisie« bewusst durch ihre Ideologie das falsche Bewusstsein der Unterdrückten von der Realität verfestigt, kommt in dieser Weltsicht dem Intellektuellen nach eigener Definition die Aufgabe zu, die wahre Natur der Gesellschaft zu zeigen. Während es bei Marx und seinen frühen Adepten zunächst noch um den Widerspruch zwischen scheinbarer Realität und der verborgenen Wahrheit des Klassenkampfes ging, ist die Wirklichkeit bei den jüngeren Denkern der Linken – angestoßen von Sartre und später zur Perfektion entwickelt von den auf ihn folgenden französischen Denkern – zunächst zu einer feindseligen und zuletzt zu einer gar nicht mehr existierenden Größe geworden, zum »Nichts«. Während Sartre und Foucault noch an der Existenz einer Realität, einer zwar abstoßenden, strukturell versklavenden, festhielten, verschwindet sie bei Lacan, Deleuze und Badiou schließlich vollständig; was übrigbleibt, sind aus abstrakten Begriffen aufgetürmte Gedankengebäude, in sich geschlossene Systeme, die undurchdringlich und nicht mehr hinterfragbar sind.

Aber nicht nur die Sprache dient der Loslösung von der Realität: Die europäische Denktradition, das Streben nach Verständnis der Wirklichkeit, ihre Methoden der Analyse und Deduktion werden verworfen, zugunsten eines assoziativen »rhizomatischen« Denkens (Deleuze). »Anstelle des Denkmodells des vertikal wachsenden Baumes – nach oben/nach unten, Ursache/Wirkung, Wurzel/Zweig –, das bisher in der westlichen Zivilisation dominiert hat, schlagen Deleuze und Guattari ein rhizomatisches Modell vor: Das Denken sollte sich seitwärts bewegen, sich verbinden, einschließen und wachsen, während es an den Rändern immer wieder anderen Rhizomen begegnet«, schreibt Scruton.

Den besonderen Zorn der Bewunderer der zu Popstars avancierten französischen Denker rief Scruton mit seinem Urteil hervor, diese hätten die unendliche Macht des Sinnlosen entdeckt, ihre Theorien seien purer, nicht interpretierbarer Nonsens, dem das Publikum umso begeisterter huldige, je unbegreiflicher sie sind.

Die »Nonsens-Maschine«, wie sie Scruton nennt, hat schwerwiegende Folgen für die Standards der akademischen Welt gehabt. Jeder, der heute auch nur versucht hat, eine geisteswissenschaftliche Arbeit zu lesen, wird sofort wissen, was mit der »Nonsens-Maschine« gemeint ist. Sie half, eine Sprache zu etablieren, deren wichtigste Aufgabe ist, »die Beschreibung der Realität durch den rivalisierenden Zweck der Machtausübung über die Wirklichkeit« zu ersetzen. So entstehen Sätze, deren Syntax zwar die der normalen Sprache ist, deren Begriffe jedoch keiner Wirklichkeit, keinem konkreten Gegenstand oder keiner Beziehung entsprechen und so die Existenz einer anderen, von der realen unabhängigen Wirklichkeit beschwören.

»Ideologie«, »Strukturen«, das »kleine« und das »große Andere«, »Deterritorialisierung« und »Reterritorialisierung«, das »EREIGNIS« und der »Wahrheitsprozess«, noch ergänzt durch undurchdringliche und mathematisch nicht interpretierbare »Matheme« sind die Elemente, die eine entfremdete, nach Veränderung schreiende gesellschaftliche Wirklichkeit beschreiben sollen – ohne mit ihr jemals in Berührung zu kommen.

Als hätte Scruton die Zukunft erahnt: Seit dem Erscheinen von Fools, Frauds and Firebrands 2015 haben Neusprech und Nonsens ihren Siegeszug durch Kultur, Parteiprogramme und Politik der westlichen Länder fortgesetzt. Die politische Sprache hat sich von der Wirklichkeit inzwischen fast vollständig gelöst, jede noch so absurde Behauptung kann öffentlich und mit allem Ernst aufgestellt werden, ohne dass ein Aufschrei der Entrüstung folgte: Der Nonsens ist zu unserer Realität geworden.

Eine Anleitung für Gegenwart und Zukunft

Scrutons Kritik ist nicht nur die eines Konservativen an linken Gedankengebäuden, ebenso wichtig ist ihm, auf die schwindende Qualität des philosophischen, soziologischen und historischen Denkens hinzuweisen, eine Folge des Verlustes der Sprache unserer Realität. Während Hobsbawm und Thompson noch echte Historiker waren, Adorno, Sartre und Foucault ernstzunehmende Werke schufen, schwindet bei ihren Nachfolgern in zunehmendem Maße die wissenschaftliche Sorgfalt. Das Bürokratische, Improvisierte, Emotionale und rein Assoziative nehmen überhand.

Während die Alternative zur westlichen Gesellschaft der Gegenwart, die große Utopie, das EREIGNIS (Badiou) oder die »gleichberechtigte Gesprächssituation« (Habermas), in den Werken aller Autoren nebulös bleibt, haben sich diese im realen Leben für eine ganz eindeutige Alternative entschieden: Sie fanden sie im Schoße oder im Dunstkreis kommunistischer Parteien. Entweder waren sie selbst Mitglieder oder sie unterstützten sie in Wort und Tat. Hobsbawm und Sartre haben nicht einmal die Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956 und das Bekanntwerden der stalinistischen Gräueltaten in der Sowjetunion in ihrer Treue erschüttern können.

Die 68er-Revolte begeisterte sie alle, viele unter ihnen waren aktiv daran beteiligt und ließen sich wie Foucault von der chinesischen Kulturrevolution mitreißen. Den Unterschied zwischen der kommunistischen und der kapitalistischen Welt haben sie – wie Galbraith oder Habermas – heruntergespielt. Die heute noch lebenden unter ihnen, Badiou und Žižek, beschwören weiterhin das große Ziel, die Revolution (was immer auch diese sein mag), die die »verdorbene Welt« des Westens hinwegfegen soll.

Scruton ist trotz seiner scharfzüngigen, mitunter gnadenlosen Kritik geblieben, der er immer war: ein großzügiger und verständnisvoller Mensch. Er hebt überall, wo es möglich ist, die positiven Leistungen der behandelten Denker hervor: Er lobt die Forschungsarbeit der Historiker Hobsbawm und Thompson, auch wenn er ihr Geschichtsbild ablehnt, spricht mit Verständnis über die Qualen Sartres, mit viel Anerkennung und Wärme über den späten Foucault und würdigt sogar die gekonnt weltmännische Hochstapelei eines Kenneth Galbraith. Zornig machen ihn dagegen menschliche Verfehlungen, der Opportunismus und die politischen Verbrechen des Georg Lukács, der aggressive Dogmatismus Althussers oder die zynische Hemmungslosigkeit des Slavoj Žižek.

Auf die Frage, warum die westlichen Gesellschaften trotz vieler erschreckender Erfahrungen – nicht zuletzt des zwanzigsten Jahrhunderts – weiterhin von der Idee der Gleichheit und eines zerstörerischen Neuanfangs besessen sind, gibt es keine alles erklärende Antwort. Dazu gehört gewiss, dass die Argumente der Konservativen nicht die unwiderstehliche Anziehungskraft linker Ideen besitzen, denn Konservative empfehlen keine erlösenden Utopien und malen keine romantischen Bilder des Sturms auf das Bestehende. Sie raten stattdessen zu Vorsicht und empfehlen Misstrauen all den »totalen« Theorien gegenüber, die unsere Gesellschaft mit den abstrakten Begriffen von Macht, Klassen, Kräften, Strömungen und Kämpfen beschreiben und die vielfältige Realität der großen und kleinen Institutionen, die das Leben der Bürger lebenswert machen, zu Instrumenten »bourgeoiser« Unterdrückung erklären.

Roger Scruton, Narren, Schwindler, Unruhestifter. Linke Denker des 20. Jahrhunderts. Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Krisztina Koenen. Edition Tichys Einblick im FBV, Hardcover, 368 Seiten, 25,00 €.


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