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Der tiefe Fall der taz: Zensierte Kollegen werden nicht verteidigt

Published On: 4. Oktober 2021 12:20

Auf die Solidarität der taz-Redaktion sollten Journalisten in Deutschland, die von Zensur durch US-Unternehmen bedrängt werden, nicht zählen: In einem Gastbeitrag werden nicht nur die RT-Löschungen gerechtfertigt, sondern auch die Kritiker daran diffamiert. Ein Armutszeugnis – und weite Teile der Medienlandschaft reagieren ähnlich. Ein Kommentar von Tobias Riegel.



Wenn irgendwo auf der Welt aus politischen Gründen ein Medium bei der Verbreitung eingeschränkt wird, dann ist die taz ganz vorne vertreten bei der Verteidigung der Meinungsfreiheit – solange diese Verteidigung zur eigenen geopolitischen Ausrichtung passt. Eigentlich müsste die taz-Redaktion (wie viele andere deutsche Redaktionen) im Moment laut Alarm schlagen: dazu, dass nun hierzulande ganz offen Andersdenkende von Netzwerken, die für die politische Meinungsbildung zentral sind, gelöscht werden. Und dazu, dass die Löschungen nicht auf dem Spruch eines deutschen Richters wegen Beleidigung oder Volksverhetzung etc. beruhen, sondern dass sie wegen abweichender Meinungen und aufgrund willkürlicher Entscheidungen eines US-Konzerns vollzogen werden.

Keine Solidarität von der taz

Doch was macht die taz als Reaktion auf die Löschung der deutschsprachigen YouTube-Kanäle von RT? Die Redaktion lädt einen Gastautoren ein, der nicht nur versucht, den Gründer und Herausgeber der NachDenkSeiten, Albrecht Müller, zu diffamieren, sondern im Artikel auch die politische Zensur durch YouTube rechtfertigt:

„War die Löschung der Kanäle deshalb falsch? Natürlich nicht.“

Der Artikel fährt noch eine ganze Palette an Diffamierungen auf: gegen die russische Sichtweise und gegen die deutschen Kritiker der Löschungen. Näheres folgt weiter unten. Der Beitrag ist politisch-intellektuell also eigentlich nicht auf dem Niveau, dass man sich näher mit ihm befassen müsste. Es soll hier dennoch darauf eingegangen werden – denn zum einen steht der Artikel stellvertretend für die Position von Teilen der deutschen Medienlandschaft. Und zum anderen geht es bei dem Lösch-Vorgang um ein sehr wichtiges Prinzip: Wenn nun die Löschung der RT-Kanäle schweigend hingenommen oder gar beklatscht wird, dann akzeptiert man einen Präzedenzfall für ein Vorgehen, das einen bei Bedarf auch selber treffen kann.

Allein aus Selbstschutz (wenn schon nicht für die Meinungsfreiheit oder aus Solidarität mit den RT-Kollegen) müssten deutsche Journalisten einen Aufschrei veranstalten. Doch der bleibt aus. Es gibt – im Gegenteil – Beispiele dafür, wie durch den „Beweis“ von durch RT verbreiteten „Falschinformationen“ die Zensur durch YouTube gerechtfertigt werden soll. Das ZDF ist mit so einem Versuch aber kürzlich gescheitert, wie RT in diesem Artikel nachvollziehbar schildert.

Vielleicht bin ich naiv – aber mich schockiert diese (im besten Fall) ausbleibende Solidarität durch weite Teile der deutschen Medienlandschaft: Ich finde es politisch riskant und menschlich kühl. Als eine der ganz wenigen Ausnahmen in der deutschen Medienlandschaft geht „Telepolis“ auch kritisch auf die Löschungen und auf die befremdlichen Reaktionen deutscher Medien ein:

„Ich hoffe zur Ehrenrettung der journalistischen Zunft, dass das Schweigen oder gar Bejubeln der Zensur-Maßnahme an purer Angst liegt und nicht etwa an Einfältigkeit.“

Keine Solidarität vom Deutschen Journalistenverband

Zum fragwürdigen Inhalt des hier thematisierten taz-Beitrags kommt hinzu, dass der Autor, Steffen Grimberg, kürzlich zum Vorsitzenden des Journalistenverbands Berlin-Brandenburg (Teil des DJV) gewählt worden ist. Grimberg tritt bei dem Gastartikel in der taz als freier Autor auf – und nicht in seiner Funktion als DJV-Funktionär. Natürlich bleibt sein Recht unangetastet, sich als freier Autor (und nicht als Funktionär) zu äußern – auch in der aktuellen, fragwürdigen Form: Die russischen Reaktionen sind laut Grimberg Teil von „Putins Zersetzungsstrategie“, die Bezeichnung „Zensur“ für den Lösch-Vorgang sei „Tinnef“, und der aktuelle deutsch-russische „Informationskrieg“ sei ein „RT-Mythos“.

Hat Grimberg aber durch seine Gewerkschafts-Funktion nicht dennoch eine besondere Verantwortung, gegen Zensur und für die Kollegen-Solidarität einzutreten? Wirft der Beitrag auch ein Licht auf den Gewerkschafter Grimberg? Seine Gewerkschaft DJV äußert sich aktuell so zu den Vorgängen:

„Das Wirken von RT hat mit seriösem Journalismus nichts zu tun“, so DJV-Vorsitzender Überall. „Dieser Kanal verbreitet Desinformation und russische Propaganda. Die Löschung durch YouTube war längst überfällig. Aber von einem Medienkrieg zu sprechen, ist absurd. Hier braucht es dringend rhetorische Abrüstung von russischer Seite.“ Zudem sei ohnehin nicht zu erklären, was die Entscheidung des US-Konzerns mit Deutschland zu tun habe.

Dass sich führende Personen aus dem Journalistenverband DJV schon früher durch Angriffe auf RT DE und unterlassene Hilfeleistung für die dortigen (zum Teil deutschen) Journalisten hervorgetan haben, das haben die NachDenkSeiten etwa im Artikel „Große Medien-Koalition gegen RT-Deutsch“ beschrieben:

„Der Deutsche Journalistenverband (DJV) genießt aber nicht diese Tendenzfreiheit der hier genannten Privatmedien. Darum sind seine „politischen“ Äußerungen noch kritischer zu hinterfragen. Zudem hat er sich vor seine Klientel zu stellen, und das sind deutsche Journalisten – ohne Ansehen der produzierten Inhalte. Würde Überall denn auch die Kollegen der „Bild“-Zeitung öffentlich diffamieren, weil ihm bestimmte Inhalte gegen den Strich gehen?

Aber der DJV und sein Vorsitzender Frank Überall sowie der Pressesprecher Hendrik Zörner haben sich schon lange von einer überparteilichen Position entfernt. Das haben die NachDenkSeiten bereits hier, hier oder hier thematisiert.“

Es soll nochmals betont werden, was in diesem zitierten Absatz anklingt: Die Verteidigung des Prinzips der Meinungsvielfalt hat nichts mit den politischen Inhalten des jeweiligen Mediums zu tun. Mit der Verurteilung der Zensur macht man sich nicht mit allen Inhalten von RT gemein. Ich würde auch protestieren, wenn YouTube, Facebook oder Twitter die taz zensieren würden. Wo soll das schließlich enden, wenn wir eine solche Willkür eines US-Konzerns im politischen Diskurs in Deutschland akzeptieren?

Keine Fragen zu Zensur und zur Rolle der Regierung

Wäre es nicht Aufgabe des taz-Autors, zumal als Journalisten-Funktionär, zur Klärung der Fragen rund um den Vorgang beizutragen? Denn es sind Fragen, die in Zukunft potenziell alle Medien treffen können. Und das umso mehr, da mit der Schikane gegen KenFM, gegen die Facebook-Kanäle der „Querdenker“ und nun gegen RT DE gefährliche Präzedenzfälle zugelassen wurden. Die Fragen lauten: Wie sollte das Verhältnis von Staat und Tech-Konzern gestaltet sein? Dürfen die US-Konzerne über ihr „Hausrecht“ weiterhin in den politischen Diskurs in Deutschland eingreifen? Wie kann die öffentlich-private Arbeitsteilung bei der Zensur im Internet beendet werden? Auch hätte Grimberg mit dem Missverständnis aufräumen können, Zensur sei generell nur von staatlicher Seite möglich. Dass einerseits diese Sicht überholt ist und dass andererseits die deutsche Regierung wegen Untätigkeit eine Mitverantwortung an den Löschungen durch YouTube trägt, haben wir gerade im Artikel „RT, YouTube und der Info-Krieg“ näher thematisiert.

Was soll es bedeuten, wie es im Artikel heißt, dass Kritiker bei dem Vorgang (im Sinne Moskaus) „brav von Zensur“ sprechen würden? Sind die Löschungen für die taz denn keine Zensur? Man kann angesichts der Löschungen ja (wie die taz) den fragwürdigen Standpunkt einnehmen, diese Zensur sei gerechtfertigt. Aber den Charakter des Vorgangs kann man nicht leugnen: Es ist ganz offene politische Zensur. Und sehen die taz und Grimberg tatsächlich keine Mitverantwortung der deutschen Regierung an den politischen Löschungen durch US-Netzwerke? Ist das Dulden der Zensur durch den deutschen Gesetzgeber keine Mitwirkung durch planvolle Untätigkeit?

Keine Alternative zum wackeren Kampf gegen (Gedanken-)Verbrechen

Die Folgen der YouTube-Aktion in Form von russischen Reaktionen seien „zu verschmerzen“, schreibt Grimberg, „selbst wenn der Kreml Ernst macht mit seinen Drohungen, nun die Arbeit deutscher und anderer westlicher Medien in Russland einzuschränken“. Das ist eine doppelt merkwürdige Haltung für einen gewerkschaftlich engagierten Journalisten: Zum einen rechtfertigt er die Zensur eines Teils der Kollegen. Zum anderen hängt er die eventuell gravierenden Folgen für den anderen Teil der Kollegen (und das deutsch-russische Verhältnis allgemein) tief. Diese Folgen erscheinen nach dieser Sicht der taz und ihres Gastautors fast wie der „nötige“ Preis für ein unbequemes, aber alternativloses Vorgehen durch den US-Konzern gegen die (Gedanken-)Verbrechen der RT-Journalisten.

Titelbild: Hadrian / Shutterstock

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Herzlichen Dank!

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