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Die Ampel-Koalitionäre geben sich das Image von Fortschrittlichkeit. Ist das wirklich berechtigt?

Published On: 20. Oktober 2021 16:59

Ein interessantes Interview von Noam Chomsky im Infosperber reizt dazu, noch einmal auf das Ergebnis der Sondierungsgespräche zurückzukommen. Die erste Seite dieses 12-seitigen Papiers ist eine Art von Präambel und soll offensichtlich den Charakter des angestrebten Bündnisses beschreiben. Da ist viel von Aufbruch, von Fortschritt, von Chancen in der Veränderung, von einem innovativen Bündnis, von neuer politischer Kreativität, von auf der Höhe der Zeit, von Fortschrittskoalition, von einem Jahrzehnt der sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen, digitalen und gesellschaftlichen Erneuerung die Rede. – Konfrontieren wir diese wörtlich übernommenen „Sprüche“ einfach mal mit dem Interview des US-amerikanischen Denkers Noam Chomsky. Er beschreibt die Notwendigkeit, sich vom US-Imperium und vom Imperialismus insgesamt zu verabschieden. Albrecht Müller.

  1. Unsere „Aufbruchs- und Erneuerungskoalition“ hat noch nicht einmal die Grunderkenntnis Chomskys geschafft: Das US-Imperium ändert sich nicht. – Im Sondierungspapier der Ampel steht kein einziger Satz über die Notwendigkeit, künftig nicht mehr der Idee und Praxis der US-amerikanischen Weltherrschaft zu folgen. Das Imperium soll europäischer werden. Die europäischen Armeen sollen besser zusammenarbeiten, meinen die Koalitionäre. Soll das Aufbruch sein? Das freut die Rüstungswirtschaft. Aber insgesamt geht es weiter wie bisher: Das transatlantische Bündnis ist der zentrale Pfeiler der „Allianz der Demokratien“ und die „NATO unverzichtbarer Teil unserer Sicherheit“. Soll das Fortschritt sein? Fortschritt und Aufbruch wäre es, wenn die Ampel-Koalition sich der großen Fortschritte erinnern würde, die mit der Entspannungs- und Friedenspolitik geschafft worden sind. Zufall: Heute vor 50 Jahren wurde Willy Brandt der Friedensnobelpreis zuerkannt. Das war wirklicher Fortschritt und Aufbruch. Dazu nichts im Sondierungspapier. Stattdessen noch ein besonderer „Fortschritt“, der Abklatsch von Merkel: „Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson.“ So steht es im Sondierungspapier wörtlich. Siehe dazu in den NachDenkSeiten am 12. Oktober 2021 um 9:00 „Staatsräson – was ist das denn?“

An ein paar weiteren Beispielen soll gezeigt werden, dass die Koalitionäre nicht auf der Höhe der Zeit sind, wie wenig fortschrittlich die kommende Ampel ist, wie sehr sie von Vorurteilen zehrt, wie sehr sie auf der Straße aufliest, was gerade Mode zu sein scheint, wie sehr sie von ganz großen Interessen inspiriert – genauer: vermutlich gesteuert – ist:

  1. Fortschrittlich wäre es, wenn die neue Koalition begreifen würde, dass es auch im Umgang mit anderen Völkern wichtig ist, sich in ihre Lage zu versetzen. Wenn wir die weitere Eskalation der Feindseligkeiten zwischen dem EU-Europa und Russland vermeiden wollen, wenn wir eine neue und möglicherweise lebensgefährliche Konfrontation mit China vermeiden wollen, dann müssen wir uns endlich bemühen, uns in die Lage dieser Völker zu versetzen.
  2. Es ist ja richtig, dass unser Land Nachholbedarf bei der Digitalisierung hat. Es fehlen in vielen Regionen leistungsfähige Anschlüsse ans Internet. Und es ist richtig, dieses Defizit aufzuarbeiten. Aber der Text des Papiers der Koalitionäre lässt erkennen, dass sie viel zu wenig differenziert denken. Da wird ohne Wenn und Aber die Digitalisierung des Bildungswesens unterstützt. Fortschritt und Aufbruch wäre es, wenn die Nebenwirkungen beachtet würden. Davon ist nicht die Rede. Von Technikfolgenabschätzung haben die neuen Machthaber vermutlich wenig gehört.
  3. Die Privatisierung sozialer Einrichtungen und sozialer Leistungen treibt Blüten. Wenn eine politische Formation „auf der Höhe der Zeit“ sein will, dann sollte sie sich dieser Fehlentwicklung widmen. Im Sondierungspapier Fehlanzeige. Die Privatisierung müsste gestoppt werden und teilweise umgekehrt werden. Die Koalitionäre könnten sogar von Zeitungen lernen, die sonst nicht als besonders fortschrittlich gelten. Im Wirtschaftsteil meiner Regionalzeitung, in „Die Rheinpfalz“, im Flaggschiff des Medienkonzerns Schaub, steht heute zu lesen:


    Renditeobjekt Pflegeheim

    Trickreich ziehen Finanzinvestoren aus Pflegeheimen viel Geld ab – auf dem Rücken von Patienten und Pflegepersonal, wie eine Studie der Verbraucherschutzorganisation Finanzwende kritisiert. Vor allem Binnendarlehen und Immobilienverkäufe dienen dabei als Instrumente.

    Der begleitende Kommentar ist so überschrieben:

    Spekulanten die Zügel anlegen.

    Pflegeheime dürfen keine Spielwiese für Finanzinvestoren sein.

    Spekulanten die Zügel anlegen – das wäre ein Zeichen von Fortschritt und Aufbruch. Aber der Aufbruch der Koalitionäre ist vermutlich von jenen Interessenten gesteuert, die von der Privatisierung öffentlicher und sozialer Einrichtungen profitieren und auch dort spekulieren.

  4. Stattdessen soll nach den Vorstellungen der ach so fortschrittlichen Koalitionäre auch die Gesetzliche Rente teilweise den Spekulanten überantwortet werden. Jens Berger hat in seinem Beitrag gestern schon auf diese Tendenz hingewiesen. Siehe hier: Ampel-Sondierungsergebnisse – wo bleibt die „linke“ Handschrift?
  5. Im Renten-Kapitel (Ziffer 4. des Sondierungspapiers) wird auch sichtbar, für wen die Ampel arbeitet: für die Interessen der Finanzwirtschaft.
  6. Und es wird sichtbar, dass die Koalitionäre nicht einmal wahrnehmen, was man sich an Erkenntnissen in den letzten Jahrzehnten auf den Fußsohlen abgelaufen hat: der demographische Wandel ist nichts Neues. Es gibt ihn schon seit mehr als einem Jahrhundert. Und es ist überhaupt nicht neu, dass tendenziell eine geringere Zahl von arbeitsfähigen Personen für die Rentner- und Kindergeneration arbeiten und aufkommen muss. Die steigende Arbeitsproduktivität hilft dabei, den Generationenvertrag zu erfüllen
  7. Die Koalitionäre haben offensichtlich auch noch nichts davon gehört, dass es sinnvoll ist, beim Nachdenken über Systeme der Altersvorsorge von einem einfachen Prinzip der Ökonomie auszugehen – nicht in Finanzgrößen, sondern gelegentlich auch güterwirtschaftlich, in sogenannten real terms, zu denken und auf dieser Basis Vorstellungen für die Gestaltung der Altersvorsorge zu entwickeln. Wenn man das einmal kapiert hat, dann weiß man, dass der frühere Ökonom Mackenroth mit seinem Theorem recht hatte und hat: Immer muss die lebende arbeitsfähige Generation für die Alten und die Jungen sorgen. Da wir das im Seminar des Hans Möller Instituts der LMU im Jahre 1961 gelernt haben, fällt es schwer, diese neue Koalition als fortschrittlich zu betrachten. Da ist mehr Ignoranz als Aufbruch.

Das sind nur einige wenige Anmerkungen. Es wäre noch sehr viel mehr Kritisches zum vorliegenden Ergebnis der Sondierungen zu sagen. Leider überwiegen die kritisch zu betrachtenden Feststellungen. Sie überlagern die richtigen Ankündigungen. Leider.

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Herzlichen Dank!

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