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Verteidiger der Kultur gegen Obskurantismus und Aktivismus

Published On: 24. Oktober 2021 19:30

Selten wurde der Moment der Selbsterkenntnis schöner und beeindruckender beschrieben als in den Worten Finkielkrauts: „Die verführerische Vorstellung von einer globalen Lösung für die Probleme der Menschheit verlor ihren Zauber, als ich allmählich entdeckte, was es konkret bedeutete, ein Mensch unter Menschen zu sein.“

Im Langen Müller Verlag erscheint in diesen Tagen die intellektuelle Biographie des bedeutenden französischen Philosophen Alain Finkielkraut – und, um es gleich vornweg zu sagen, dieses nur vom Umfange her schmale Buch lohnt die Lektüre im hohen Maße, denn Alain Finkielkraut schreibt mit aller Klugheit dagegen an, dass die Zeit unserer Kultur endet, dass wir unsere Identität gegen fragwürdige Werte eintauschen. Die autobiographischen Reminiszenzen und Sentenzen formulieren sich unter der Hand zu einem Plädoyer für den „guten braven Familienvater“ und für die „ewige Liebe“.

Was man im deutschen Denken vermisst, die Liebe zur Kultur, die hierzulande durch den Hass auf das Eigene und durch eine Gesinnung moralischer Selbstermächtigung ersetzt wird, diese Liebe zur Kultur durchzieht leitmotivisch das Leben und Denken Alain Finkielkrauts. Im Buch zitiert der Philosoph den Schriftsteller Leon Werth, der am 21. Oktober 1940 in sein Tagebuch schrieb: „Mir liegt an einer Zivilisation, an Frankreich. Ich habe nichts anderes, um mich anzuziehen. Ich kann nicht nackt ausgehen.“ Wir sind inzwischen nackt, nur fehlt das Kind, das nicht nur auf den nackten Kaiser weist, sondern das auch gehört wird. Denn das Kind soll nicht mehr sprechen dürfen. So wollen es die neuen Mandarine.

Kritik am linken Neusprech als Denkaufgabe

Kultur ist in dem Sinne etwas Selbstverständliches, als dass sie sich durch uns selbst versteht. Ohne Kultur verstehen wir uns selbst nicht mehr, geht das Selbst verloren, wird vergessen. Finkielkraut beschreibt freundlich, elegant, doch deutlich, den Selbstverlust unserer Kultur. Vielleicht bemerkt man die Bedeutung von Kultur als die Art und Weise, wie wir mit miteinander leben, als Prägung, Herkunft, Tradition und Werte erst, wenn sie in Gefahr gerät, ausgelöscht zu werden. „Unversehens“, schreibt Finkielkraut mit Blick auf den Brand von Notre Dame, „schleicht sich das Gefühl von der Zerbrechlichkeit der Dinge in ihre Vorstellung von Geschichte ein.“

Als Sohn eines polnischen Juden, der Auschwitz überlebt hatte, wurde Alain Finkielkraut 1949 in Paris geboren, wuchs in der französischen Kultur auf, lernte am berühmten Pariser Lycée Henri IV, um danach die Elite-Hochschule École normale supérieure (ENS) zu besuchen, an der viele Größen der modernen französischen Geisteswissenschaften wie Michel Foucault oder Pierre Bourdieu studiert hatten. Jacques Derrida arbeitete zudem als Dozent an der ENS.

Finkielkrauts Biographie wirkt so auf den ersten Blick typisch für einen französischen Star-Intellektuellen. Er lehrt an der ENS, schreibt Bücher, moderiert eine Radiosendung und wird am 10. April 2014 sogar in die Académie française gewählt, freilich begleitet von heftigen Polemiken, denn der Philosoph hat längst die geistige Öde des Mainstreams hinter sich gelassen, die intellektuelle Bequemlichkeit des Linksliberalismus, die Gefahrlosigkeit der ganz und gar nicht beeindruckenden Kämpfer gegen rechts, die in der eigenen Kultur nur noch eine Ansammlung von Verbrechen und in jedem Weißen einen Rassisten sehen wollen.  Über diese Gratismutigen, die heute die öffentliche Meinung beherrschen, schreibt Finkielkraut treffend: „Sie blasen zur Attacke gegen einen dahingeschiedenen Konformismus und ersetzen ihn tollkühn durch den nagelneuen Herdentrieb… Unterhaltungskünstler, Kommentatoren oder Denker, alle beanspruchen sie, die Dissidenz in Person zu sein, während sie selbst es sind, die in unserer Gesellschaft den Ton angeben.“

Und es sind nicht nur Linke und Linksliberale, sondern in Deutschland auch die ideologischen Falschmünzer, die behaupten, Konservative zu sein, obwohl sie stramm linksliberale Ansichten vertreten, in der Absicht, die wahren Konservativen an den rechten Rand zu drängen, einen rechten Rand übrigens, den sie so weit nach links verschieben, dass er inzwischen schon rechts von Rotgrün auszumachen ist.

Doch Finkielkraut polemisiert nicht, schon gar nicht mit Schaum vor dem Mund, er beschreibt, nüchtern, sachlich, menschlich und hochherzig, indem er vom Werden und sich Bilden seiner philosophischen Ansichten erzählt, von seinen Erfahrungen. Schwerpunkte bilden die Jugend, geprägt von den 68ger Ereignissen, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Judentum, Begegnungen mit den mitteleuropäischen Denkern, das Erlebnis von Heideggers Philosophie, schließlich die Verteidigung unserer Kultur gegen einen neuen Obskurantismus und rabiaten Aktivismus.

Das Jahr 1968 hatte Alain Finkielkraut wie die meisten Studenten ergriffen. Das revolutionäre Pathos steckte den jungen Mann an, die Hochherzigkeit, die Menschheit zu befreien, das Talmi einer emanzipatorischen Ideologie ergriff ihn. „Ich stellte mich gerade dadurch in den Dienst der Zeit, dass ich gegen die verschiedenen Formen von Autorität rebellierte, ich verwarf die Modelle der alten Welt, um es meinen Altersgenossen gleichzutun; ich brach mit der Tradition und wählte, wohlgeborgen in der Menge, den Widerstand.“ Finkielkraut engagierte sich mit all dem Ungestüm der Jugend, mit der Leidenschaft, die Jugend doch so verführbar macht. Aber sein „Dogmatismus lief leck“, wie er kurz und bündig schreibt, denn der großen Geste fehlte es immer mehr an der Bestätigung durch die persönliche Erfahrung.

Selten habe ich den Moment der Selbsterkenntnis schöner und beeindruckender gelesen als in den Worten Finkielkrauts: „Die verführerische Vorstellung von einer globalen Lösung für die Probleme der Menschheit verlor ihren Zauber, als ich allmählich entdeckte, was es konkret bedeutete, ein Mensch unter Menschen zu sein.“ Das ist es, wovor all unsere Weltbeglücker, die Woken in Heerscharen fliehen: Mensch unter Menschen zu sein. Denn der Mensch existiert für sie nicht. Für sie existiert nur der Diskriminierer und der Diskriminierte, der Schuldige und das Opfer, der Weiße und die People of Color, der heterodominante Mann und die Vielzahl aller möglichen und unmöglichen Geschlechter. Es ist das alte und erbarmungslose Klassenkampfmodell, das man bereits im Kommunistischen Manifest nachlesen kann. An die Stelle der Klassen werden Ethnie und Geschlecht gesetzt.

Es ist berührend, wenn Finkielkraut beschreibt, wie er die „Angst des Heranwachsenden“ „gegen den Strom zu denken“, überwand und sein „Schweigen brach“. Diese Passagen wünschte ich mir zur Schullektüre für eine Jugend, die von Lehrern, von einer Bundeskanzlerin und von Medien gelobte Fridays-for-Future-Demonstrationen für den Gipfel des Widerstandes und der Zivilcourage halten.

Der Schulterschluss von Politik und Kapital

Zu erfahren, wie Finkielkraut ausgerechnet Rousseau dazu verhilft, dem er in bewunderungswürdiger Weise Gerechtigkeit widerfahren lässt, soll dem Leser überlasen bleiben. Man kann Finkielkraut als Intellektueller nur dankbar sein, für die läuternden Worte: „Ich versuchte seitdem nicht mehr, mit meinem Verstand hausieren zu gehen, sondern im Verstehen der Dinge Fortschritte zu machen.“

Zu einem geradezu kathartischen Erlebnis wird für ihn die Begegnung mit mitteleuropäischen Intellektuellen.  „An erster Stelle Milan Kundera, der mich durch seine Verbindung von Tiefe und Schlichtheit von der französischen Raffinesse geheilt hat und mir eine andere Definition der Modernität offenbart hat als die des nouveau roman und des Strukturalismus, mit der ich aufgewachsen war. ‚Modern sein bedeutet, auf dem ererbten Weg zu neuen Entdeckungen voranzuschreiten.‘“

Wichtig ist Finkielkrauts Auseinandersetzung mit dem eigenen Judentum und dem Islamo-Gauchisme, also dem Bündnis der Linken mit den Islamisten, gerade in einer Zeit, in der ein neuer und verstärkter Antisemitismus als Folge einer verfehlten Migrationspolitik auftritt.

Für sein Eintreten für unsere europäische Kultur, unsere Identität, unsere Art zu leben und zu denken, sah und sieht er sich immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. So steckt viel persönliche Erfahrung in den Worten: „Es ist das Merkmal der heutigen Zeit, dass man nicht etwa friedfertig oder ängstlich Auseinandersetzungen zu vermeiden sucht, sondern stattdessen erbarmungslos exkommuniziert… Der Pranger ersetzt die Polemik.“

Alain Finkielkrauts Buch „Ich schweige nicht. Philosophische Anmerkungen zur Zeit“ versüßt nicht in wohliger Melancholie den komfortablen Weltschmerz des konservativen Herzens, sondern verbindet eine luzide Analyse der Zeit mit dem Beharrungsvermögen der Kultur, die solange existieren wird, solange wir uns ihrer aktiv vergewissern.


Alain Finkielkraut, Ich schweige nicht. Philosophische Anmerkungen zur Zeit, LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 144 Seiten, 20,00 Euro.


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