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Die große Transformation in die schlechtere Zukunft

Published On: 27. Oktober 2021 9:34

Warum stürzen bestimmte Politiker trotz Affären und Lügen nicht? Weil sich die meisten Medien nicht mehr als Gegenspieler der Politik verstehen – und zwar freiwillig. Wohin das führt, lässt sich in dem neuen brillanten Roman von Dave Eggers studieren.

Angela Dorothee Merkel nippt an ihrem Weißwein im Wintergarten ihrer Ruhestandswohnung. Das geht schon seit 2018 so; ein bisschen leer fühlt sich das Leben nach dem Amt an, vor allem wegen der unkommoden Umstände ihres Abgangs. In der erstbesten Welt säße sie immer noch abwechselnd im Kanzleramt oder Am Kupfergraben in Berlin. In der zweitbesten könnte sie Ruprecht Polenz sagen: „Wenn du mich das nächste Mal besuchst, sind deine Urenkel hoffentlich alle mit dem Studium durch.“ In der drittbesten Variante, in der sie sich und ihm im Wintergarten gerade einen Schluck Warnig Auslese nachschenkt, darf sie in ihren Sozialkontakten nicht zu wählerisch sein.

Bei Ursula von der Leyen, Privatfrau und Pferdezüchterin bei Hannover, gibt es immerhin nach dem Abgang aus dem Bundesverteidigungsministerium ein Tier- und Familienleben. Franziska Giffey hätte sich nach ihrem Rücktritt als Ministerin aus mehreren Posten bei Organisationen des Landes Berlin etwas Passendes aussuchen können, zog es dann aber doch vor, in den Aufsichtsrat der Gute Erdgas-Agentur mit Doppelsitz in Moskau und Rostock zu wechseln.

Olaf Scholz joggt im Hamburger Stadtpark; er sagt sich in seiner vernünftigen Art, dass es zum Postpolitik-Syndrom gehört, wenn es ihm so vorkommt, als würden seine Laufschuhe bei jedem Schritt in den Matsch Kumm-Ex und War-Burg quietschen. Und dass sich so ein Syndrom irgendwann auch wieder legt.

Die Frage, warum Angela Merkel nicht schon längst solo oder in angemessener Gesellschaft im Wintergarten ihres Missvergnügens sitzt, Olaf Scholz nicht exklusiv an seinem Laufstil arbeitet, UvdL nicht an einem Pferdefell und Jens Spahn nicht an seinem Silberbesteck in Dahlem, diese Frage führt zu dem Zustand der Medien in Deutschland.

„Sie können uns nicht viel nutzen, wir Ihnen aber sehr schaden“ – Dialog aus der goldenen Medien-Ära

In den siebziger Jahren fand in Bonn ein legendäres Gespräch zwischen einem hochrangigen Politiker und einem Journalisten über das Machtgefälle zwischen Politik und Medien statt. Es gebe es doch fast keines, meinte der Politiker, man sei doch fast auf Augenhöhe. Worauf der Pressemann antwortete: „Nein, sind wir nicht. Sie können uns nicht viel nützen. Aber wir können Ihnen viel schaden.“

Was seitdem auch immer geschehen ist zwischen Politikern und Medienschaffenden, es herrschen heute rundum andere Verhältnisse. Die nachdrücklichsten Rücktrittsforderungen seit Langem sowohl in Zahl als auch Tonlage stellten Journalisten jetzt gerade an die Adresse eines anderen Journalisten, den Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, der ihrer Meinung nach zumindest als Präsident des Verlegerverbandes gehen sollte, weil er sich despektierlich über die mangelnde Bereitschaft der meisten Pressevertreter zur Regierungskritik geäußert hatte. Erst dann, wenn die wohlmeinenden Medienleute über die Maskengeschäfte von Jens Spahn ähnlich schreiben würden wie über einen durchgesickerten Satz Döpfners aus einer privaten Korrespondenz, müsste der Unionspolitiker sich Sorgen um sein weiteres Fortkommen machen. Vorher eher nicht.

In der Geschichte der deutschen Medien von diesem Gespräch bis heute gibt es einen makroanalytischen Teil: das Netz, in das viele Leser abwandern, die angebliche Unlust des Publikums, für Journalismus zu bezahlen, die zurückgehenden Werbeeinnahmen und den sich aus allen drei Faktoren ergebenden Zwang, wenig und im Vergleich zu goldenen Zeiten schlecht bezahltes Schreibpersonal zu beschäftigen, oder gleich Schreibprogramme, die übrigens dank KI schon besser arbeiten als das Autorenkollektiv des Annalena-Baerbock-Buchs.

Screenprint: nzz.ch

Dazu kommt noch die Existenz von Medienberatern, ein Phänomen, über das Sie in den allermeisten Medien nie etwas lesen werden. Irgendjemand sollte einmal erforschen, ob es eigentlich die gleichen Berater oder mehrere Generationen waren, die erst den Pressehäusern geraten hatten, ihre Inhalte im Netz zu verschenken, dann die geschrumpften Redaktionen hinundherstrukturierten und den Verlegern wiederum ein paar Jahre später erklärten, auf nichts wäre die angeblich allesentscheidende Gruppe der jungen Leser so scharf wie auf einen gut durchgequirlten Mix aus marxistischem Oberseminar, Tipps für Nahrungsneurotiker und hochwertigen Schultoilettenwandtexten. Jedenfalls kamen genau diese Mischungen unter Namen wie bento, ze.tt und noizz tatsächlich für kurze Zeit auf den Markt, um dort so schnell wieder zu verschwinden, dass der eine oder andere von Ihnen vielleicht die vorbeizischenden Kondensstreifen verpasst hatte.

Das alles gehört wie gesagt zur Makrogeschichte der Medien. In diesem Text soll es vor allem um die Mikrobetrachtung gehen, für die der Autor eine ganz brauchbare Voraussetzung mitbringt: Ich war fast 30 Jahre lang Mitglied in Redaktionen, die alle noch aus der goldenen Medienära stammten, und von dort aus durch das silberne und eiserne Zeitalter und noch ein bisschen weiter rutschten. Dabei veränderten sie sich zwangsläufig. Die oben schon erwähnten Berater würden jederzeit bestätigen, dass die Pressehäuser in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ziemlich viel Ballast loswerden konnten. Allerdings auch die Fähigkeit, einem Politiker so zu antworten wie der oben erwähnte Journalist.

Wer schon einmal einen Blick nach vorn werfen will, weiter, kühner und schärfer als jeder Berater, der tut das am besten, indem er den frisch ins Deutsche übersetzten Roman „Every“ von Dave Eggers liest. In dessen nicht genau definierten, aber jedenfalls nahen Zukunft („nach der zweiten Pandemie“) kommt es zu einer Fusion von Facebook und Amazon; der auf diese Weise entstandene Universalkonzern mit dem titelgebenden Namen „Every“ übernimmt praktisch auch die Rolle der Regierung, gleichzeitig prägt er die Gesellschaft so tief wie früher nur die kommunistischen Parteien des Ostblocks.

Der Roman des Amerikaners ist das wichtigste politische Buch seit Langem, in seinem Gewicht am ehesten vergleichbar mit Michel Hoellebecqs „Unterwerfung“ (eine ausführliche Besprechung von „Every“ folgt in Kürze).

Eggers dystopische Welt lässt nur noch schmale und übel beleumdete Bereiche übrig, in denen Everys Produkte nicht alles vernetzen, überwachen und durchstrukturieren. Selbstverständlich tun sie das mit dem Anspruch, das Leben der Menschheit gesünder, sicherer und planbarer zu gestalten. Die Firmenzentrale, der sogenannte Campus, befindet sich auf einer Insel in der San Francisco Bay. Die Besonderheit dieser Schatzinsel besteht darin, dass dort ein striktes Reinheitsgebot herrscht. Keine nach Every-Maßstäben moralisch fragwürdige Person darf den Campus betreten, kein Gegenstand kommt durch die Sicherheitskontrollen, falls es Zweifel an dessen ethischer Qualität gibt. In der neuen Ordnung formuliert jeder, der dazugehören möchte, seine gesprochenen und getippten Sätze in einer zertifizierten Sprache, in der es nichts Anstößiges und erst recht kein Wort mehr gibt, das irgendjemand als diskriminierend empfinden könnte. Bei den „Everyones“ – den Mitarbeitern des Universalregierungsunternehmens – handelt es sich weder um schlechte noch um besonders machtgierige oder charakterlose Personen. Die meisten arbeiten in der Überzeugung, dass ihre Produkte das Leben der Menschen verbessern.

Ach ja: Journalismus im traditionellen Sinn gibt es in der „Every“-Gesellschaft nicht mehr. Die Überreste der früheren Medien leben in einer der vielen Nischen in der äußeren Schicht des Everyversums weiter.

Eggers Roman bietet wie gesagt einen Blick in eine möglicherweise nicht allzu weit entfernte Zukunft. Aus der Geschichte ergibt sich auch eine nützliche Anwendung für die Gegenwart: Für die meisten schlechten Entwicklungen sind keine individuell schlechten Menschen verantwortlich. Auch in den Medien nicht. Im Gegenteil, viele wirken im Umgang nicht unangenehm, einige sogar sympathisch. Bösartige persönliche Absichten verfolgt so gut wie niemand.

Journalisten mit illiberaler Agenda verfolgen keine bösen Ziele. Im Gegenteil – sie sprechen von Wertegemeinschaft

In der Transformation des Journalismus von der goldenen Ära bis in die Jetztzeit spielen drei große Gruppen die Hauptrollen: die Vertreter der neuen Innerlichkeit, die Ahnungslosen und die Medienmitarbeiter mit einer Agenda. Es gibt noch andere Gruppen, Untergruppen und Überschneidungen. Aber von dem oben genannten Trio bezieht der Kulturwandel, der change process seinen hauptsächlichen Schwung. (Kleiner Hinweis, ehe es mir ein Leser vorhält: die allermeisten Namen stehen in diesem Text als Chiffren für gesellschaftliche Vorgänge, nicht wegen des Eigengewichts der Personen).

Die neue Innerlichkeit gehört zu den Richtungen, die Chefredakteure und Medienberater vor ungefähr zehn Jahren als Mittel zur Anwerbung der ominösen neuen Leser und überhaupt zur Auflockerung entdeckten. Oft, aber nicht immer waren und sind es jüngere Frauen, die radikal subjektiv über ihre Vorlieben und Abneigungen schreiben, ohne sich die Frage zu stellen, was sich daraus für die Gesellschaft jenseits der Bürotür ableiten lässt. Medienkonsumenten konnten dann beispielsweise ein Pamphlet gegen den Muttertag lesen, den die Autorin für patriarchalisch hält, und mit dem sie nicht rundum positive Kindheitserinnerungen verbindet, und der deshalb für alle abgeschafft gehört (Julia Schaaf in der FAZ); ein Pamphlet gegen Altbauwohnungen, die der Autorin nicht gefallen, das Klima schädigen und sowieso „die Geister der Vergangenheit“ beherbergen (Claudia Schumacher in der ZEIT), weiterhin eine Aufforderung, Männeranzüge zu verbannen („Männer, schafft eure Anzüge ab“, Magdalena Pulz in „jetzt“), weil: steht für „Männer in Machtposition“; außerdem bringt die Autorin das überhaupt letztgültige Argument aller Innerlichen an: „Ich finde es so daneben.“

Zu jeder Spargelsaison gibt es bei Spiegel Online einen Text von Margarete Stokowski beziehungsweise dem Bot gleichen Namens mit dem Appell, Spargel abzuschaffen (phallisch, toxisch männlich). Praktisch immer geht es in den Innerlichen darum, irgendetwas Traditionelles und Reaktionäres auszujäten, von dem Frau oder gelegentlich auch Mann sich persönlich ennuyiert fühlt. In dem Magazin, für das ich lange arbeitete, kam diese Praxis wie alles Journalismusinnovative spät an. Aber irgendwann war es so weit, dass eine junge Kollegin darüber schrieb, was sie beim Anblick eines Fotos von Donald Trump und Greta Thunberg („so mutig“) auf irgendeiner Konferenz empfand. Die Besonderheit der Innerlichkeitstexte liegt darin, dass sie medienübergreifend völlig identisch wie von ein und demselben KI-Programm zusammengestoppelt klingen, das dem strikten Befehl folgt, selbst Mikrospuren von Humor und Eleganz zu vermeiden.

Der Bereich der Ahnungslosen nimmt vermutlich mehr Raum in den schrumpfenden Redaktionen ein. Im Gegensatz zu den Innerlichen geht es hier unterhaltsam zu. Ich hatte erlebt, dass jemand in der Redaktion – das Geschlecht lasse ich aus Anonymisierungsgründen weg – meinte, die Autoindustrie sei für die deutsche Wirtschaft eigentlich verzichtbar (komischerweise die Medienindustrie nicht), und genügend grundlastfähiger Strom für das Land ließe sich nach der Abschaffung von Kern- und Kohlemeilern auch prima mit kleinen Blockkraftwerken auf Pelletbasis erzeugen. Ein Mitglied der Chefredaktion meinte, der Gebrauch von Executive Orders durch Donald Trump zeige, dass in den USA eigentlich schon Ausnahmezustand und keine Demokratie mehr herrschen würde. In einer Redaktionssitzung stellte sich heraus, dass eine Person, die viel über Politik schrieb, praktisch nichts über die innere Verfasstheit des Islam wusste. Den Islam hielt er für eine Art EKD mit Halbmond statt Kreuz, und er/sie – ich lasse es wieder mal offen – machte auch keinen Hehl daraus, sich für das ganze Schiiten-Sunniten-Imam-Hadithenzeugs, das neuerdings auch in Deutschland eine Rolle spielt, nicht die Bohne zu interessieren.

Unter „Osteuropa“ verstanden die meisten Redaktionsmitglieder einen amorphen Landklumpen jenseits der Oder, in dem dumpfe Bauernreaktionäre alles Regenbogenfarbene knechten. Wobei die wenigsten Kollegen auch nur die Hälfte dieser komischen Länder auf einer Karte ohne eindeutige Beschriftung gefunden hätten.

Bei der ZEIT gab es ein Journalistinnenduo, das einen langen begeisterten Text über den Klimaforscher und Erfinder der Hockeystickkurve Michael Mann ablieferte, und hartnäckig schrieb, Mann hätte Temperaturdaten aus Baumrinden gelesen (statt aus Baumringen), woraus folgt, dass sie noch nicht einmal einen flüchtigen Blick in dessen Texte geworfen haben können. Im Archiv des öffentlich-rechtlichen Funks finden sich mittlerweile Preziosen wie die Erklärung beim ARD/ZDF-Jugendangebot funk, warum Inflation gut ist („wenn du weißt, dass Döner mit der Zeit immer teurer werden, wartest du nicht so lange, dir einen zu kaufen“).

Das alles erinnert ein bisschen an den Kreuzfahrtbericht von David Foster Wallace „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, in dem es heißt: „Ich habe erwachsene Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, die am Infocounter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, ob Skeetschießen im Freien stattfindet, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft oder um welche Uhrzeit das Midnight-Buffet eröffnet wird.“

Wer mit Journalistenausbildern spricht, der bekommt ein Gefühl dafür, dass diese ohnehin schon überproportionale Medienschaffendengruppe in Zukunft fast automatisch weiter wächst.

Die dritte Gruppe – diejenigen mit einer illiberalen Agenda – bildet die kleinste und wirkungsvollste Kohorte im Journalismus. Zu ihr gehört beispielsweise der Journalist der „Süddeutschen“, der 2015 alle, die sich nicht restlos über die Massenmigration begeistert zeigten, „wunderliche Nichtneger“ und „heimatliebende Zustandsbewahrer“ nannte: „Es ist 2015. Und ihr kommt aus euren Löchern ans Licht gekrochen.“ Es gehört Walter Wüllenweber vom „Stern“ dazu, der empfiehlt, zur Klimarettung, wie er sie sich vorstellt, die Demokratie zu suspendieren („aber wir müssen solche zivilisatorischen Rückschritte in Kauf nehmen, um die Zivilisation zu retten“). Ein Peter von Becker, der im „Tagesspiegel“ einen militärischen Angriff Deutschlands und anderer wohlmeinender Staaten auf Brasilien durchspielt, wenn dort unter Bolsonaro weiter Urwald gerodet würde (nicht mehr übrigens als unter dessen linkem Vorgänger Lula): „Dann beginnen mit Blick auf Interventionen auch andere Gedankenspiele. Nicht nur für Alarmisten und Bellizisten. Zukunftsmusik? Mancher hört schon das Stimmen der Instrumente.“

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