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Was der Bundespräsident über die scheidende Kanzlerin zu sagen versäumte

Published On: 27. Oktober 2021 17:02

Nach 16 Jahren kann Angela Merkel zufrieden gehen, das Feld ist schlecht bestellt, ihre Saat geht auf. Das reichlich vom Bundespräsidenten gespendete Lob ist unverdient. Vor allem muss das erwähnt werden, was in der Rede von Frank-Walter Steinmeier nicht vorkam: die Realität.

Viele haben lange auf diesen Tag gewartet, auf den Tag, an dem Angela Merkel vom Bundespräsidenten als Bundeskanzlerin mit ihrer Regierung entlassen wird. Freude stellt sich nur halb ein, da Angela Merkel nun in Gestalt von Olaf Scholz wieder Bundeskanzler wird. Die Ampel wird Merkels Politik fortsetzen, nur rabiater und rasanter, weil die Mehrheitsverhältnisse sie nicht zu bestimmten Rücksichtnahmen zwingt. Das heißt: Was uns erwartet, ist die Fortsetzung von Merkels Politik – nur rücksichtsloser.

Nach 16 Jahren kann Angela Merkel zufrieden gehen, das Feld ist schlecht bestellt, ihre Saat geht auf. Aber, um im Bild zu bleiben, es wächst nicht der Weizen, sondern die Quecke. Was hinterlässt Angela Merkel, was verdient das reichlich vom Bundespräsidenten gespendete Lob? Ist Lob überhaupt angebracht, wäre nicht dem Tadel der Vorzug zu geben? Vor allem muss das erwähnt werden, was in der Rede des Bundespräsidenten nicht vorkam: die Realität.

Deutschland steht bereits – auch wenn es in der Konsequenz nicht sichtbar ist – in der schlimmsten, und zwar zu einem Großteil politisch verursachten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik, weil Merkels Regierung im Sinne der Großen Transformation nachhaltig gearbeitet hat. Dabei wird das größte Problem der großen Krise noch nicht in den einzelnen Parametern zu finden sein, sondern in dem fatalen Zusammenspiel der Parameter, beispielsweise in der gegenseitigen Befeuerung von Verschuldungspolitik, Staatsfinanzierung, Nullzinspolitik, Inflation, Massenmigration, Energieverknappung und Energieunsicherheit, Abwanderung von Wirtschaft und von Fachkräften. Vielleicht besteht die härteste Kritik an Merkels Regierung darin, nicht einen Blick darauf zu werfen, wer in das Land kommt, sondern sich anzuschauen, wer das Land verlässt, nämlich hochausgebildete und leistungsfähige Fachkräfte. Sie stimmen mit den Füßen ab, seit Jahren – gegen Angela Merkel. Wer kann, verlässt Deutschland, dem letzten geht von ganz allein das Licht aus.

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht und von der Leyens „Reformen“ wurde die Bundeswehr zerstört und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands geschrotet, denn Angela Merkel vermeinte, dass wir – umgeben von Freunden – keine Bundeswehr mehr bräuchten. Ministerinnen an der Spitze der Truppe haben dafür gesorgt, dass es Uniformen für schwangere Soldatinnen und verbesserte Karrierechancen für bekennende Diverse in der Truppe gibt. Aber nicht dafür, dass sich die Bundeswehr, wie man in Kabul studieren durfte, selbst verteidigen kann – geschweige denn das Land.

Die Energiewende vertreibt immer mehr Industriezweige ins Ausland und hat den Deutschen die höchsten Energiepreise Europas beschert. Um das zu kaschieren, will man jetzt das machen, was man seit geraumer Zeit am liebsten unternimmt: tricksen. Noch unter Merkel entstand die Idee, steigende Energiepreise vor der Bevölkerung zu verheimlichen, indem sie nicht mehr direkt vom Bürger über das EEG beglichen werden, sondern der progressierende Anstieg indirekt vom Bürger unbemerkt aus dem Steuersäckel entrichtet wird. Der Bürger wird zwar nicht mehr auf der Energierechnung den Kostenanstieg bemerken. Dafür aber wird er über die CO2-Steuer, die man noch erhöhen will, in weit höherem Maße die explodierenden Kosten tragen müssen, denn die CO2-Steuer treibt die Inflation, erhöht die Kosten für Nahrungsmittel, für alle Güter – und der Staat verdient außerdem kräftig über die Mehrwertsteuer mit. Ehrliche Politik sieht anders aus.

Seit der Griechenlandrettung haben Merkels Regierungen die Bundesbank als Hüterin der Geldwertstabilität entmachtet, den Euro zur Weichwährung werden lassen, das Placet zur Ausplünderung der deutschen Sparer und der Versicherungsnehmer, begonnen bei den Sozialversicherungen (Rente, Gesundheit, Pflege) bis zu allen anderen Versicherungsarten gegeben, die Staatsfinanzierung salonfähig gemacht und das Königsrecht des Parlaments, die Budgethoheit, an Brüssel weitgehend abgetreten. Sie haben durch die Massenmigration die Sozialkassen existenziell gefährdet, die innere Sicherheit und den inneren Frieden zerstört. Der Irrsinn, aus allen steuerbaren Energiearten auszusteigen und sich dem puren Zufall zu überlassen, der übrigens selbst im günstigsten Fall, also wenn ständig der Wind weht und auch in der Nacht die Sonne scheint, nicht annähernd genügend Energie bereitstellt, hat das Niveau von Schildbürgerstreichen.

Der Irrweg der E-Mobilität wird in den Tod der deutschen Autoindustrie führen, VW hat bereits die Streichung von 32.000 Stellen ins Spiel gebracht. Über die Zulieferer reden wir nicht. Wir reden hier auch nicht über Marktentwicklungen, über Kreativität, sondern allein über politische Entscheidungen aus ideologischen Gründen, über planwirtschaftliche Selbstermächtigung.

Mit dem tyrannischen Gebot der Alternativlosigkeit, mit der Forderung, dass eine demokratische Wahl rückgängig gemacht werden muss, was auch tatsächlich geschah, mit ihrem Durchregieren in der Pandemie, in der vor allem zwei Dinge missachtet worden sind, die Freiheitsrechte und die Meinungsfreiheit, hinterlässt Angela Merkel ein inzwischen unversöhnlich in sich verfeindetes, tief gespaltenes Land, vor allem dadurch, dass sie der machtpolitischen Technik des „divide et impera“ gefolgt ist.

In den letzten Jahren wurde Angela Merkels bevorzugtes Mittel das Schüren von Angst. Die Medien, die ihr hierin nicht nur gefolgt sind, sondern sich zu willigen Agitatoren der Angst gemacht haben, haben viele Deutsche mit dem Verbreiten von Hysterien traumatisiert, vor allem Kinder und Jugendliche. Statt Freiheit und Atem wurde ihnen nur Homeschooling oder Maske geboten. Es scheint so zu sein, dass die Politik gegen das Virus zum Virus der Politik geworden ist, dass der Kampf gegen die Pandemie zum Kampf gegen die „Rechten“, gegen die „Schwurbler“ oder die „Verschwörungstheoretiker“ oder die „Coronaleugner“, die „Rassisten“, die „Familisten“, die „Heterodominanten“, die „alten weiße Männer“, die „Kartoffeln“ usw. usf., zum Kampf gegen die Kritiker der Merkelschen Politik wurde.

Unter der Drohung des permanent vor der Tür stehenden Weltuntergangs ging es in Wahrheit nicht allein um die Einschränkung der Pandemie oder um den „Klimaschutz“, sondern um den Umbau der Gesellschaft, um die Große Transformation. Die Pandemie und der „Klimaschutz“ werden politisch benutzt zur Umsetzung politischer Ziele, die weder etwas mit „Klimaschutz“ noch mit der Pandemie zu tun haben. Das ist keine Verschwörungstheorie, Klaus Schwab hat es in seinem Buch bestätigt und der scheidende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble auch: „Die Coronakrise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen …“.

Das Deutschland, das Angela Merkel nach 16 Jahren hinterlässt, ist tief und mit sich selbst verfeindet. Der gesittete Meinungsstreit, der nicht gegen den Menschen, sondern gegen das Argument geführt wird, wurde zerstört – auch von einer Bundeskanzlerin, deren Stärke nicht im Argumentieren besteht. Anschaulich wird dies, wenn man einen Blick auf die imposant lange Liste von Beschimpfungen, von Markierungen wirft, die in der Ära Merkel von den Medien und auch von der Kanzlerin und auch vom Bundespräsidenten benutzt und verbreitet worden sind für alle jene, die Merkels Politik kritisierten und dem rotgrünen Mainstream, deren Kanzlerin sie war, nicht folgten.

Es ist die Idee des Grundgesetzes, dass der Bundespräsident über den Parteien steht, nicht parteiisch, und die Integrationsfigur aller Deutschen ist. Es wundert nicht, dass auch diese große Idee unter der Bundekanzlerin Merkel Schaden nahm, so wie auch die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts unter Merkels Parteifreund Harbarth in Zweifel gerät, wie auch der Föderalismus unter Merkel seinen „Tiefpunkt“ (Reiner Haseloff) erreichte und schließlich sich Angela Merkel unter Ignoranz des Bundestages ein eigenes Verfassungsorgan ersann, nämlich einen Rat der Ministerpräsidenten.

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Es verwundert nicht, dass ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier sie für all das lobt. Doch wie glaubwürdig ist der Satz, dass Angela Merkel „den Spaltungstendenzen in der Gesellschaft, der Verrohung und dem Hass nicht nur guten Willen entgegengesetzt“ hat, „sondern konkrete Politik“, aus dem Munde eines Mannes, der ein Konzert bewarb, auf dem, was vorher zu wissen war, so humanistische und liebevolle Liedzeilen zu hören waren, wie: „Ich ramm die Messerklinge in die Journalistenfresse“ oder: „Ich mach mich warm, weil der Dunkelheitseinbruch sich nähert/Die nächste Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt// Und der Hass, der steigt/Und unsere Wut, sie treibt/Unsere Herzen brennen/Unsere Herzen brennen“? Hatte damit nicht der Bundespräsident den Hass beworben, den er selbst verurteilt?

Frank-Walter Steinmeier formulierte den kuriosen Satz: „Und wenn, wie mir glaubwürdig berichtet wurde, heute ein elfjähriges Kind fragt, ob denn auch ein Mann „Kanzlerin“ werden könne, dann zeugt das von einer neuen Selbstverständlichkeit, die es vor der ersten Frau im Kanzleramt nicht gab…“ Man muss nicht einmal ein Semester Germanistik studiert haben, um zu der Analyse zu kommen, dass dieses Kind sich einen Mann nicht mehr in einer Führungsposition vorstellen kann.

Und da Frank-Walter Steinmeier Angela Merkel als „Ostdeutsche“ ansprach, sei mir folgende, persönliche Bemerkung gestattet. Angela Merkel mag für Westdeutsche eine Ostdeutsche sein; für viele Ostdeutsche, vor allem für die, die die DDR noch erlebt haben, ist sie es nicht. Wenn ich ihr zuhöre, frage ich mich, wo sie vor 1989 gelebt hat. In einem anderen Land, zu einer anderen Zeit? Es ist kein Zufall, dass sie wenig über ihre Biographie in der DDR erzählt. Vielleicht nicht einmal weil sie etwas zu verbergen hätte, wie gern – bis ins Verschwörungstheoretische hinein – gemutmaßt wird, sondern im Gegenteil: vielleicht eben nur deshalb, weil sei einfach nichts zu erzählen hat. In einer Familie, die aus dem Westen kam, mit einem Vater, den einige den „roten Kasner“ nannten, weil dessen Wirken gut für die SED, aber nicht gut für die Kirche war, wuchs sie doch, wenn ich das richtig sehe, in einer begrenzten, insularen, abgeschotteten Welt auf.

Und nach der Wende? Wechselte sie sofort in die neue, insulare, begrenzte, abgeschottete Welt der Spitzenfunktionäre und Spitzenpolitiker. Sie musste sich nicht in der CDU von der Basis in die Spitzenpositionen kämpfen, sie war von Anfang an dort oben. Das neue, wiedervereinigte Deutschland lernte sie nicht zu Fuß, sondern im Dienstwagen kennen. Vielleicht aber liegt darin, abseits aller Mutmaßungen und auch Verschwörungstheorien ein Schlüssel zum Verständnis, in dem Fehlen von Wirklichkeit, das durch Macht ersetzt wird. Realität ist für Angela Merkel vielleicht nicht wirklich, sie ist für sie machbar: Wir schaffen das. Wir schaffen Realität, wie wir das Klima retten und die Große Transformation einleiten.

Doch es gibt keine Macht, die auf Dauer die Realität ignorieren kann. Dieser eine Satz hätte für eine große Rede genügt. Der Bundespräsident hat sie wie immer auch hier nicht gehalten. Zur Größe befähigt nur die Größe der Erkenntnis der Wirklichkeit.


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