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Oskar Lafontaine: „Die SPD muss wieder sozialdemokratische Politik machen“

Published On: 9. November 2021 12:23

Deutschland brauche wieder eine Volkspartei, die die sozialen Interessen der Mehrheit vertritt, sagt Lafontaine im RND-Interview.

Oskar Lafontaine (78) war Ministerpräsident im Saarland, Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzender. Später war er mit Gregor Gysi Fraktionschef der Linken im Bundestag und auch Co-Vorsitzender der Partei. Heute ist er Fraktionschef der Linken im Saarländischen Landtag. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit ihm über die Wahlschlappe der Linken, die Positionen der SPD und seine eigene Bilanz.

Herr Lafontaine, die Linke hat bei der Bundestagswahl 1,1 Millionen Stimmen an SPD und Grüne abgegeben. Kann man diese Wähler noch zurückgewinnen?

Ja, das kann man, wenn die Linke wieder zu der Politik zurückkehrt, mit der sie gute Wahlergebnisse erzielt hat. Das heißt, sie muss die Interessen der Lohnempfänger, der Rentnerinnen und Rentner und der sozial Bedürftigen in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. Zudem muss sie eine glaubwürdige Umweltpolitik machen. Das geht nur, wenn man die jetzige Wirtschaftsordnung, die auf Gewinnsteigerung, Umsatzsteigerung und Mehrverbrauch orientiert ist, grundsätzlich infrage stellt, und nicht, wenn man bei der gegenwärtigen Preisexplosion auf dem Energiesektor den Grünen hinterherläuft und trotz der niedrigen Renten, Löhne und Sozialleistungen noch höhere Preise fordert. Auch neue Themen müssen her, zum Beispiel die Enteignung des Privatlebens durch Amazon, Google, Facebook und Co. Diese Enteignung untergräbt die Demokratie. Dass Facebook und Youtube beispielsweise Zensur ausüben und kritische Stimmen willkürlich abschalten, ist ein Skandal.

Welche Art der Oppositionsarbeit sollte denn die Linke jetzt im Bundestag und im Land machen?

In den ersten Jahren nach unserer Gründung haben wir im Bund eine klare Oppositionsarbeit gemacht. Wir forderten die Einführung eines Mindestlohns, eine bessere Rentenformel, die Rückkehr zu einer soliden Arbeitslosenversicherung und den Rückzug aus Afghanistan. Damit erreichten wir nach der ersten Legislaturperiode eine Wählerzustimmung von fast 12 Prozent. Überdurchschnittlich wählten uns Arbeiter und Arbeitslose.

Das war aber auch eine andere Zeit.

Als wir starteten, gab es eine große Leerstelle im Parteiensystem. Arbeitnehmer, Rentner und sozial Bedürftige fühlten sich von keiner der etablierten Parteien ausreichend vertreten. Diese Lücke haben wir geschlossen. In den letzten Jahren hat sich die Parteienlandschaft aber wieder stark verändert. Das Bundestagswahlergebnis zeigt, dass sich Arbeitnehmer, Rentner und sozial Benachteiligte wieder von keiner Partei ausreichend vertreten fühlen. Die Linke erreichte bei Arbeitern mit 5 Prozent weniger Zustimmung als die FDP, weil sie die falschen Themen in den Vordergrund stellte.

Opposition wurde allerdings schon gewählt, nämlich in Gestalt der AfD, an die ja die Linke auch Stimmen abgegeben hat.

Das sind Proteststimmen. Es kann niemand behaupten, dass die AfD die Lebensbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern will. Sie ist eine durch und durch neoliberale Partei. Dem großen Teil der Bevölkerung würde es schlechter gehen, wenn die AfD an die Regierung käme.

Wer trägt die Hauptschuld für die innerparteilichen Streitigkeiten – ist die Linke eine Partei großer Individualisten geworden?

Das kann man so sehen. Entscheidend ist: Die Partei wird seit Jahren nicht mehr richtig geführt. Als ehemaliger Vorsitzender muss ich darauf hinweisen, dass Parteivorsitzende die Aufgabe haben, die verschiedenen Strömungen in der Partei zu integrieren und zusammenzuführen. Wenn sich die Vorsitzenden aber – und das beobachte ich seit Jahren bis zum heutigen Tag – in internen Grabenkämpfen verschleißen, wird es weiter bergab gehen. Wenn sie wie jetzt im Saarland tatenlos zusehen, wie der erfolgreichste Landesverband im Westen durch Manipulation der Mitgliederlisten und Betrug ruiniert wird, werden sie ihrer Verantwortung nicht gerecht.

Was ist das für ein Gefühl für Sie, wenn jetzt mit Olaf Scholz aller Voraussicht nach wieder ein Sozialdemokrat Kanzler wird?

Die SPD hat dadurch eine neue Chance. Aber man darf nicht übersehen, dass Olaf Scholz für den Sozialabbau, der mit der Agenda 2010 verbunden war, Mitverantwortung trägt. Er hat sich bisher auch nicht von dieser Fehlentwicklung distanziert. Der Mindestlohn von 12 Euro ist heute zu niedrig und kommt viel zu spät und mit dem Bürgergeld wird Hartz IV nur umgetauft. Noch schlimmer: Olaf Scholz will weiter aufrüsten und die Bundeswehr auch zukünftig an Kriegseinsätzen beteiligen. Der SPD-Kanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt warb für Abrüstung und Entspannung. Seine Maxime war: Krieg ist kein Mittel der Politik.

Was erwarten Sie denn von einem Sozialdemokraten im Kanzleramt?

Dass er wieder sozialdemokratische Politik macht. Das Bundestagswahl-Ergebnis, das Olaf Scholz erreicht hat, ist das gleiche, welches 2013 der SPD-Kandidat Peer Steinbrück erzielte. Damals war das eine große Niederlage, heute sind die 25,7 Prozent ein großer Sieg. Wenn die SPD sagt, die Renten werden stabil bleiben, dann heißt das, dass Armutsrenten stabil bleiben werden. Ein Durchschnittsrentner in Österreich hat im Monat 800 Euro mehr als ein Durchschnittsrentner in Deutschland. Das ist ein Riesenskandal.

Wenn Sie heute Bilanz ziehen: War es das wert, den Schritt von der SPD zur Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) und letztlich zur Linken zu gehen?

Das Ziel war es, im Bundestag eine Regierung zu bilden, um die Lebensbedingungen der Arbeitnehmer, Arbeitslosen und Rentner zu verbessern. Die SPD hat sich aber 2005 und 2013 geweigert, diese Mehrheit zu nutzen. Und bei der letzten Bundestagswahl wurde diese Mehrheit auch nicht mehr erreicht, nicht zuletzt durch die Fehler der Linken. In den ersten Jahren nach ihrer Gründung hat Die Linke die politische Debatte bestimmt. Dadurch wurde der Mindestlohn eingeführt, die Arbeitslosenversicherung etwas verbessert und weiterer Sozialabbau verhindert. Das eigentliche Ziel aber, den Sozialstaat, der durch Niedriglohnsektor, Rentenkürzungen und Hartz IV ramponiert wurde, wiederherzustellen, haben wir verfehlt – vor allem durch die Weigerung der SPD.

Hätten Sie nicht mehr Einfluss auf die deutsche Politik gehabt, wenn Sie in der SPD geblieben wären?

Das ist eine Frage, die man nach vielen Jahren nicht beantworten kann. Die SPD hat sich leider zu einer neoliberalen Partei entwickelt. Die FAZ nannte die unter Kanzler Gerhard Schröder beschlossene Agenda 2010 den größten Sozialabbau nach dem Krieg. Und die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen, in Jugoslawien, Afghanistan oder Syrien ist eine totale Abkehr von dem, was zu meiner Zeit unter sozialdemokratischer Politik verstanden wurde. Die Partei, von der ich rede, war eine Partei, die 40 Prozent der Bevölkerung für sich gewinnen konnte. Heute ist die SPD stolz, wenn sie 25,7 Prozent erreicht.

Hat das nicht auch etwas mit einem generell veränderten Wahlverhalten zu tun? Die CDU holt ja auch keine Ergebnisse mehr in diesen Größenordnungen.

Ja, weil die CDU eine ähnliche Entwicklung hinter sich hat. Auch sie wurde zu einer neoliberalen Partei und vertritt nicht mehr die Interessen der Mehrheit. Die letzten einflussreichen CDU-Politiker, die die christliche Soziallehre vertraten, waren Heiner Geißler und Norbert Blüm. Das ist lange her. Heute hat die CDU die Wahl zwischen Friedrich Merz, der bisher die Finanzkrake BlackRock vertrat, und Norbert Röttgen, der bedingungslos die Konfrontationspolitik der USA gegen Russland und China unterstützt. Die ehemalige Volkspartei CDU vertritt, wie viele Wahlumfragen zeigen, ebenso wenig wie die ehemalige Volkspartei SPD die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung.

Ist auf lange Sicht in Deutschland noch Platz für drei linke Parteien?

Wir brauchen wieder eine Volkspartei, die die sozialen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertritt. Im Gegensatz zur SPD muss sie für den Wiederaufbau des Sozialstaats kämpfen und eine gerechte Verteilung des gemeinsam erarbeiteten Wohlstands herbeiführen. Diese Partei muss auch aus sozialen Gründen den Klimawandel bekämpfen. Das geht aber nur, wenn sie, im Gegensatz zu den Grünen, für eine nachhaltige und am Gemeinwohl orientierte Wirtschaft eintritt und von der jetzigen Wirtschaftsweise, die auf ständige Umsatz- und Gewinnsteigerung und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch orientiert ist, abrückt. Die grüne Kompromissformel vom Green New Deal ist eine Mogelpackung. Und die Linke hat sich zu sehr auf die Nachahmung der Grünen versteift. Aber zwei grüne Parteien braucht keiner, wie die Bundestagswahl gezeigt hat.

Was sagen Sie zur Debatte um die Langfristfolgen des Impfens gegen Corona?

Leute wie Karl Lauterbach behaupten im Fernsehen, es gäbe keine Langfristfolgen. Sie stehen damit im Gegensatz zur Bundesregierung und zum Robert Koch-Institut (RKI). In der RKI-Broschüre „Das Impfbuch für alle“ vom Mai 2021 steht auf Seite 37: „Noch länger dauert die Beobachtung möglicher Spätfolgen. Denn natürlich kann man bei einer Impfung, die erst seit ein paar Monaten verabreicht wird, noch nicht wissen, ob und welche Spätfolgen nach ein paar Jahren auftauchen.“ Die Argumentation des RKI entspricht dem gesunden Menschenverstand. „Experten“, die wie Karl Lauterbach zu wissen glauben, dass Impfungen keine Spätfolgen haben, kann man nicht ernst nehmen.

Das Interview führte Jan Emendörfer

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