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10 Jahre NSU-VS-Komplex. 10 Jahre offizielle Verschwörungsmythen – Teil II

Published On: 14. November 2021 11:45

Über elf Jahre wurden die neun Morde an Menschen, die nicht deutsch genug waren, von Behörden, politisch Verantwortlichen und Medien als „Döner-Morde“ ausgewiesen. Mit der Selbstenttarnung des NSU, als Antwort auf die beiden toten NSU-Mitglieder in Eisenach 2011, bettete man die Mordopfer um und versprach „lückenlose Aufklärung“. Es folgte eine weitere Legende: Die Pannentheorie, die man als „komplettes Behördenversagen“ aufhübscht. Von Wolf Wetzel.



Lesen Sie hier den ersten Teil.

Wir haben auf den NachDenkSeiten ausführlich und kontinuierlich berichtet. Die hier vorgestellten Thesen stützen sich unter anderem auf folgende Beiträge:

Der NSU ist keine Erfindung des Geheimdienstes, wie es die ‚Neue Rechte’ um Elsässer (Herausgeber von Compact) und Fatalist/nsu-leaks Glauben machen wollen.

Klar und unbestritten ist hoffentlich, dass es für Neonazismus und Neofaschismus keiner staatlichen Geburtshelferdienste bedarf. Den Nährboden hat die nicht begonnene politische und gesellschaftliche Entnazifizierung geschaffen, aber auch das skrupellos optionale Verhältnis der politischen Klasse zu neofaschistischen Ideologien und Praxen. Sie waren und sind ihnen willkommen, wenn es um Antikommunismus ging und geht, den sich beide verbissen teilen. Und sie sind sich einig darin, dass die (außer-)parlamentarische Linke ihr gemeinsamer Feind ist. Von daher ist die neo-rechte These von Elsässer & Co vor allem ein Versuch, ihre reaktionären und gruseligen nationalistischen Ideologien (vom besetzten Deutschland, von nationaler Souveränität etc.) von ihrer terroristischen Logik abzukoppeln.

Ist der NSU eine staatliche Terrororganisation?

Ich halte diese These, die auch von einigen Linken geteilt wird, für falsch und politisch irreführend. Sie suggeriert, dass man neonazistische Terrorgruppen wie eine Drohne steuern könne, dass sie quasi der illegale Arm des Geheimdienstes wären. Auch wenn es die Analyse und die Antworten schwieriger macht: Neonazistische Terrorgruppen und Geheimdienst sind nicht interessenidentisch. Ich möchte das ganz eng am NSU-Fall erklären: Wie anfangs ausgeführt, kann man sehr genau belegen, dass die neonazistische Gruppierung THS in der Tat von Geheimdienstseite für den Untergrund ‚aktiviert‘ wurde. Was mit Haftbefehlen und Anklagen 1998 erst gar nicht begonnen hätte, konnte dreizehn Jahre unerkannt morden. Lassen wir die vielen Schritte des Nicht-Verhinderns dazwischen beiseite, so gibt es einen zweiten finalen Einschnitt im NSU-Fall: Das als Selbstmord deklarierte Ende des NSU in Eisenach 2011. Wer den Fakten und ihrer Plausibilität folgt, der kommt zu dem Schluss, dass der Selbstmord eine sehr unwahrscheinliche, ein Mordgeschehen die viel wahrscheinlichere Variante ist. Wer sich ausschließlich von den Fakten leiten lässt, muss sich dann die Frage stellen: Warum tat man alles, um ein Mordgeschehen auszuschließen? Wären die Täter andere Neonazis gewesen oder das Ergebnis einer kriminellen Abrechnung, wäre ein solches Ende doch kein Problem? Es wird nur dann ein ernsthaftes Problem, wenn die Ermittlungen in Richtung Mord … ein Staatsgeheimnis berühren würden, von dem Vize-Chef Fritsche sprach, das unbedingt gewahrt werden müsse.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an zwei weitere, sehr zentrale Ereignisse erinnern, die die These vom NSU als Staatsdrohne wenig glaubhaft machen.

Das eine Ereignis betrifft den Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007. Wenn es tatsächlich zuträfe, dass Mitglieder des NSU auf irgendeine Weise an diesem Mord beteiligt waren, dann wäre sicherlich eine „rote Linie“ überschritten, was die Duldung von neonazistischen Mordstrategien angeht. Tatsächlich kam es zu einem hörbaren Rumoren innerhalb von Polizeikreisen, das recht deutlich klarmachte, dass etwas mit dem Aufklärungswillen nicht stimmte und dass hier „höhere“ Interessen im Spiel waren.

Ein sicher ganz eindeutiges Beispiel dafür, dass der NSU kein verdecktes Staatsorgan ist, ist der Mord an Walter Lübcke 2019 – wieder in Kassel. Dieselben neonazistischen Gruppierungen, Strukturen und Personen, die bereits beim Mord an Halit Yozgat 2006 eine Rolle spielten (und gezielt ausgeblendet wurden), führen zu dem Mordanschlag auf Walter Lübcke. Wären NSU und neonazistische Zellen ein Staatskonstrukt, wäre Walter Lübcke nicht ermordet worden.

Es gibt also sehr viel, was ähnlich gelaufen ist, in dem NSU- und in dem Lübcke-Prozess. Aber – und das ist auch sehr wichtig zu betonen – es gibt einen gravierenden Unterschied. Auch wenn im Lübcke-Prozess die Einzeltäter-These bis zum Abwinken wiederholt wurde, so hat dies dennoch wenig mit dem zu tun, was außerhalb des Gerichtssaales passiert ist. Denn natürlich wissen Leute beim BKA oder im Bundeskanzleramt, dass der Lübcke-Mord aus vielen Gründen kein Zufall war und auch nicht der wirren Gedankenwelt eines Einzeltäters entsprungen ist. Wenn Faschisten einen Mann aus der politischen Mitte ermorden, dann ist das kein Ausrutscher, sondern folgt vielmehr der faschistischen Strategie der 1920er und 1930er Jahre. Damals galt der faschistische Terror vor allem der Linken, aber eben nicht nur ihr. Sie haben auch Repräsentanten der politischen Mitte ermordet, vor allem jene, die in ihren Augen einer faschistischen Kollaboration im Weg gestanden haben. Deshalb haben sie damals den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (1921) und den bürgerlichen Reichsaußenminister Walther Rathenau (1922) umgebracht.

Im Gericht wurde, koste was wolle, an der Einzeltäter-/Einzelgänger-These festgehalten. Außerhalb des Gerichts passierte etwas Anderes: Combat 18 wurde verboten, eine klandestin operierende Gruppierung, in der der „Einzeltäter“ Stephan Ernst sein politisches Zuhause hatte. Und damit nicht genug: All die Gruppierungen und Strukturen, die man im NSU-Kontext geleugnet hat, stehen seitdem ‚plötzlich‘ im Mittelpunkt des öffentlich erwünschten Interesses. Man deckt neofaschistische Strukturen in der Polizei auf (NSU 2.0), man zieht den Mantel des Schweigens und der Vertuschung beiseite, als die Verteidigungsministerin dem KSK (die Eliteeinheit der Bundeswehr) mit dem eisernen Besen drohte. Und man lässt eine neonazistische Gruppierung namens ‚Gruppe S.‘ auffliegen: Deren Ziele waren nicht nur Migranten, sondern auch Politiker. So standen dort die Grünen-Politiker Anton Hofreiter und Robert Habeck mit auf der Todesliste. Dass man diese Gruppe S. schon lange ‚begleitet‘ hat, ist dem Umstand zu entnehmen, dass in ihr ein V-Mann des Geheimdienstes aktiv war. Und ganz plötzlich feiert die Polizei Fahndungserfolge – auch länderübergreifend: Im Dezember 2020 hatten deutsche und österreichische Ermittler ein riesiges Waffenarsenal sichergestellt: Laut dem österreichischen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sollte mit den Waffen „möglicherweise eine rechtsradikale Miliz“ in Deutschland aufgebaut werden.

Es gilt also, die Frage zu beantworten: Hat man im Lübcke-Prozess die Vertuschungsstrategie fortgesetzt, obwohl es dieses Mal jemanden getroffen hat, den man nicht einfach so – höheren Staatsinteressen bzw. der berühmten Staatsraison – opfert?

Die Antwort ist ja und nein: Das eindeutige ‚ja‘ bezieht sich auf die Aufklärungsarbeit. Der Schaden bei einer lückenlosen Aufklärung wäre für alle (also auch für die Lübcke-Familie, die nicht am Staat zweifelt) so groß, dass selbst die Familie Lübcke mit diesem unsäglichen Urteil, also dem Freispruch für Markus Hartmann, leben wird. Man muss also notgedrungen mit der Vertuschung weitermachen. Man könnt auch ganz flott sagen: Mitgehangen – mitgefangen.

Eine lückenlose Aufklärung würde unweigerlich auf die Mordumstände in Kassel 2006 stoßen, auf die Rolle des Verfassungsschutzes, auf die Vertuschungen, die alles betrafen, was mögliche Mittäter, was mögliche Beihilfe-Straftatbestände anbelangt. Man wäre unweigerlich u.a. auf Stephan Ernst und Markus Hartmann gestoßen, die bereits damals, 2006, im Zuge der polizeilichen Ermittlungen ‚auffielen‘.

Die Familie Lübcke hat die Enttäuschung über den Freispruch für Markus Hartmann klar zum Ausdruck gebracht. Weder die Fakten noch die strafrechtlichen Möglichkeiten, Beihilfe im Zuge eines 129a-Verfahrens zu verfolgen, erklären dieses Urteil. Wenn man – und dazu gehöre ich – dem Gericht keine neonazistische Gesinnung unterstellt, dann gibt es für dieses Urteil nur eine vernünftige und plausible Erklärung: Markus Hartmann ist mehr als ein Neonazi, dem man Beihilfe nicht nachweisen konnte.

Der Umgang mit Markus Hartmann vor Gericht in Frankfurt deckt sich 1:1 mit dem Umgang von André Eminger im Prozess in München: Man verurteilt ihn nicht als Neonazi, sondern als jemanden, für dessen Mit-Wissen, also Schweigen, man bezahlen muss.

Die Antwort ist aber auch: nein. Neonazis haben dieses Mal jemanden aus der politischen Klasse ermordet. Das verbucht man ungern unter Kollateralschaden. Man braucht nicht viel Fantasie, um davon auszugehen, dass es massiven internen Druck gegeben hat und gibt, dass es zu keinem zweiten Lübcke-Mord kommt. Es ist einfach etwas anderes, ob Neonazis MigrantInnen oder Linken Angst machen oder ob die politische Klasse um ihr Leben fürchten muss. Während man im Prozess so tut/tat, als wäre all das ein Problem eines „Einzeltäters“, handelt man außerhalb des Gerichtssaales deutlich anders.

Es wäre eine eigene Recherche wert, die politischen Gründe dieser „Eindämmungspolitik“ auszuleuchten: Aber natürlich weiß man auch im Sicherheitsapparat, dass die politischen Herrschaftsverhältnisse recht wacklig sind und dass sich niemand sicher sein kann, dass in Deutschland in fünf Jahren nicht etwas Ähnliches passiert wie in Frankreich, Österreich, Polen, Ungarn oder Italien, wo man zwischen Präsidial- und Ausnahme-Regime und Einbindung profaschistischer Kräfte (Lega Nord, FPÖ …) hin- und herpendelt oder experimentiert.

Der (institutionelle) Rassismus spielt eine wichtige Rolle im NSU-VS-Komplex, aber er erklärt nicht alles.

Der Rassismus ist das eigentliche Problem“. Ein Teil der Antifabewegung und viele Gruppierungen aus dem antirassistischen Bereich machen den alltäglichen und institutionellen Rassismus für das „Versagen“ des Staates verantwortlich: „Der NSU-Komplex wird dabei gedacht als ein Kristallisationspunkt strukturellen Rassismus.“ (Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“) Keine Frage: Rassismus als Leitplanke, als unsichtbarer Lotse für staatliches Tun und gesellschaftliche Akzeptanz auszumachen, ist allemal begründeter, als von einer Aneinanderreihung von Pannen auszugehen. Aber diese Ursachenbeschreibung unterschlägt, dass auch Rassismus Herrschafts-, Klassen- und Staatsinteressen transportiert und transformiert, dass der Rassismus oben ein anderer ist als unten.

Mittlerweile gehört dieses Eingeständnis auch zur offiziellen Sprachregelung, wenn man die elf Jahre lang währende Weigerung auf allen institutionellen und staatstragenden Ebenen konstatieren muss, massiven Hinweisen auf einen rassistischen Tathintergrund für unbedeutend (und nicht „zielführend“) erklärt zu haben. Keine Frage, ist der weithin verankerte Rassismus ein ausgezeichnetes Gleitmittel, um Ermittlungen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Doch tatsächlich reicht das nicht aus, um das Versagen zu erklären.

Das kann man sehr gut am Beispiel der polizeilichen Ermittlungsarbeit im Fall Kassel 2006 erklären. Die Polizei, die SOKO Café, hatte damals hervorragende Arbeit gemacht. Sie hat alles dafür getan, die BesucherInnen ausfindig zu machen, die zur Tatzeit in dem Internetcafé waren, um sie als mögliche Zeugen oder gar Tatverdächtige zu vernehmen. Als sie dabei auf den Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme stießen, haben sie ihre Ermittlungsarbeit nicht abgebrochen, sondern beharrlich und sehr gründlich fortgeführt. Sie haben seine Telefonanschlüsse abgehört, sie haben ihn observiert, als er sich mit Dienstvorgesetzten und anderen Geheimdienstmitarbeitern traf. Sie haben etwa 200 Stunden an abgehörten Telefonaten dokumentiert – die es in sich haben.

Dass dieser „Spur“ nicht weiter gefolgt werden konnte und durfte, lag nicht an rassistischen Polizeibeamten, sondern an anderen Gründen, die sich sehr bald als alles überragende herausstellen sollten. Die Ermittlungen wurden sabotiert, behindert und eingestellt, weil von allerhöchster Stelle Gründe des Staatswohls genannt wurden, die es gebieten, in diese Richtung nicht weiter zu ermitteln. Was es mit dem gefährdeten „Staatswohl“ auf sich hat, liegt im Großen und Ganzen im Dunkeln. Fest steht nur, dass das tatsächliche Tun des Geheimdienstagenten und V-Mann-Führers Andreas Temme verdunkelt werden sollte. Fakt ist auch, dass weitere Ermittlungen, die die Fragen hätten klären können, welche Nazis er als V-Mann-Führer geführt hat, welche Rolle diese beim Mord(-plan) an Halit Yozgat spielen, welche tatbegünstigende Rolle Andreas Temme selbst einnimmt, genau jenes „Staatswohl“ berührt hätten, das unbedingt gewahrt werden sollte.

Dass Rassismus einiges, aber nicht alles erklären kann, lässt sich auch sehr gut am Beispiel Thüringen erklären.

In diesem Bundesland hatte der NSU sein Homeoffice. Dort begingen sie nach offizieller Darstellung Selbstmord, dort war/ist ein ‚Verfassungsschutz‘ (VS) aktiv, den man durchaus als Paten (in der Figur eines VS-Chefs namens Helmut Roewer von 1994-2000) bezeichnen kann. Dort ist seit 2014 die Partei die LINKE an der Regierung und stellt den Ministerpräsidenten.

Man könnte also annehmen, dass dort die Aufklärung der neonazistischen Morde, die politischen und institutionellen Konsequenzen daraus in guten und antirassistischen Händen liegen. Hat die Partei DIE LINKE diese Chance ab 2014 genutzt?

Oder ist sie als Regierungspartei mit an der Vertuschung dessen beteiligt, was ohne ihre politische Beteiligung zwischen 1998 und 2013 in Thüringen geschehen war?

Noch 2013 hatte Bodo Ramelow als Fraktionsvorsitzender DER LINKEN in Thüringen eine klare Haltung zu dem, was den „einvernehmlichen Selbstmord“ der beiden NSU-Mitglieder in Eisenach 2011 anbelangt.

Es stelle sich die Frage „nach einer ‚ordnenden Hand‘ in den Behörden, die Frage nach dem ‚tiefen Staat‘. Dabei tauchen die Stichworte ‚Stay behind‘ und ‚Gladio‘ auf. Schnell landet man bei Verschwörungstheorien. Doch seriöse Recherche bringt Erstaunliches ans Licht. Dazu gehört die Behauptung eines Zuträgers, während der Hinrichtung von Kiesewetter sei ein US-Geheimdienst in der Nähe gewesen. (…) Zum Ende des NSU gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Die Generalbundesanwaltschaft hat Polizeiprotokolle, Ermittlungsstände und Obduktionsberichte zum 4. November 2011 unter Verschluß genommen. Jetzt tröpfeln Informationen über die Medien, anderes kennen wir vom Hörensagen. Mir wurde nach dem 4. November durch Polizisten mitgeteilt, daß ihnen in Gotha und Eisenach Leute von MAD und Bundesnachrichtendienst (BND) auf den Füßen herumtrampelten. (…) Es gibt weitere Fragen. Warum war der Leiter der Polizeidirektion Gotha sehr früh der Meinung, daß alle Beteiligten noch sehr lange an den Erkenntnissen kauen würden? Warum hatte die Polizei Gotha Informationen zu allen heute vom NSU-Ermittlungsverfahren Betroffenen schon am Tag nach dem Wohnmobilbrand an die Whiteboards pinnen können? Warum sind alle Bombenspuren, alle Sprengstofffunde, alle Asservaten – sowohl in Köln als auch in Thüringen – nicht mehr existent? Die Herkunft von Sprengstoff kann man prüfen. Hätte das Ergebnis auf staatliche Stellen hingewiesen?“

Das ist wirklich harter Tobak. Wenn das ein verschwörungstheoretischer LSD-Trip eines zukünftigen Ministerpräsidenten gewesen wäre, wäre längst ein Dementi erfolgt. Ist es aber nicht.

Was hat also die Partei DIE LINKE gemacht, seitdem sie die Regierung in Thüringen anführt? Ich möchte es knapp machen. Sie hintergeht alles, was sie als Oppositionspartei geleistet, was sie in dieser Zeit an Kenntnisstand hatte.

Bis heute sitzt der Leiter der Polizeidirektion Gotha und spätere SOKO-Chef Michael Menzel gut belohnt in einem hoch dotierten Amt im Thüringer Innenminsterium und ist – das ist kein Witz – dort als Referatsleiter für Grundsatzangelegenheiten der Polizei zuständig.

Das war der Mann, der die Ermittlungen in Eisenach 2011 leitete und zu allererst der Feuerwehr die Fotos abnahm, die diese vom Inneren des Campingwagens gemacht hatte.

Man könnte natürlich ganz pragmatisch mit dieser Belobigung umgehen und sie als Preis für eine Regierungskoalition ausgeben. Man könnte auch das Schweigen zu dem, was Bodo Ramelow 2013 gewusst hat und was jetzt nur noch als „Verschwörungstheorie“ ausgepreist wird, ebenfalls als Deal verbuchen. Unabhängig davon, ob man dies für Realpolitik und vertretbar hält, steht jedoch fest, dass es also auch ganz andere Gründe gibt, den NSU-VS-Komplex nicht aufzuklären. Zu diesen Gründen gehört der gemeinsame Schutz von möglichen Staatsverbrechen, also das, was die Partei DIE GRÜNEN in den 1990er Jahren ministrabel gemacht hatte, als man ihr vertraute, „Gladio“ still und kollegial mit zu entsorgen.

Der NSU ist eine neonazistische Terrororganisation und ein Staatsgeheimnis

Ich würde im Verhältnis von neonazistischen Organisationen zu Geheimdiensten (und Polizei) von einem Amalgam sprechen. Neonazistische Organisationen gibt es ohne staatliches Zutun. Andererseits belegt das Gewährenlassen solcher Gruppierungen, dass ihre Existenz einen operativen und politischen Nutzen bringt.

Ob das nur passiv zu verstehen ist, indem man mit ihrem Tun die Linke einschüchtert oder gar paralysiert, muss man in Zweifel ziehen. Schließlich ist bis heute nicht offengelegt, was es mit dem Amalgam „Stay behind“ auf sich hatte/hat: Eine staatliche Terrororganisation, die Tausende von Neonazis für einen Kampf hinter den „feindlichen“ Linien rekrutierte und ausbildete und die bis Anfang der 1990er Jahre existierte und dann „offiziell“ für aufgelöst erklärt wurde.

Ob das Gewährenlassen des NSU nur dem Terror galt, mit dem man dann politisch operieren kann (Verschärfung von sogenannten Sicherheitsgesetzen, die scheinbare Bestätigung der „Ausländerkriminalität“), oder auch auf die Opfer zielte, ist ein sehr dunkles Feld.

2012 wurde Klaus-Dieter Fritsche, der von Oktober 1996 bis November 2005 Vize-Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) war, als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin vernommen.

Er sollte Auskunft darüber geben, was der Geheimdienst über den NSU wusste, welche „Quellen“, also V-Leute, er im Nahbereich des NSU führte. Obwohl er eigentlich nur dem PUA erklären wollte, warum ihn das nichts anginge, verriet er in seinen Ausführungen genau das, was er damit verdecken wollte.

Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. (…) Es gilt der Grundsatz ‚Kenntnis nur, wenn nötig‘. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.“

Bis dato galt die Aussage, dass das BfV nichts über das Abtauchen, über den Aufbau eines neonazistischen Untergrundes, über den Aufenthaltsort und die Mordpläne des NSU gewusst haben will. Wenn dies so wäre, dann wäre die Offenlegung aller V-Mann-Akten kein Staatsgeheimnis, sondern der Beweis für diese Behauptung. Wenn er hingegen Staatsgeheimnisse schützen will, dann sagt er nichts anderes, als dass man mit der Aufdeckung des Wissens von V-Männern den Staatsanteil am neonazistischen Terror preisgeben müsste.

Titelbild: Mehaniq/shutterstock.com

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