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Frieden in Europa – oder Flächenbrand

Published On: 6. Dezember 2021 9:00

Vor dem Gespräch zwischen Wladimir Putin und Joe Biden übt sich die Nato in Desinformation: In der aktuellen Krise warnen transatlantische Kräfte aufgrund einer Truppenkonzentration in Westrussland vor einem Überfall Russlands auf die Ukraine. Das Säbelrasseln gegen Russland weckt auch böse historische Erinnerungen. Von Bernhard Trautvetter.



Das virtuelle Aufeinandertreffen von Wladimir Putin und Joe Biden an diesem Dienstag findet in einem Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden statt. Ende Oktober hatte die Nato ihren neuen sogenannten Masterplan zur “Abschreckung Russlands” beschlossen [1]. Ende November legte sie nach und man warnte vor einer ‘erneuten’ Aggression Russlands [2].

Auf einer Pressekonferenz zu einem Nato-Außenministertreffen am 30. November in der lettischen Hauptstadt Riga warf der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Russland Desinformation vor, um diese dann selber zu praktizieren. So warf er Russland vor, militärische Fähigkeiten in und um die Ukraine herum ohne Grund zu konzentrieren (‘build up’). Als Beweis diente ein Foto von Militärfahrzeugen in Russland – der Beleg für den Vorwurf eines Aufmarsches innerhalb der Ukraine blieb gänzlich aus.

Wie schnell gefährliche Missverständnisse in Spannungssituationen brisant werden können, das zeigte sich am Wochenende vor dem Gespräch der beiden Staatsmänner, als ein russisches Zivilflugzeug mit circa 140 Passagieren seine Flughöhe über dem Schwarzen Meer abrupt um 1800 Meter reduzierte, um einem Nato-Aufklärungsflugzeug auszuweichen [3]. Wie schnell kann aus solchen Situationen in einer derartigen Spannungsdynamik ein Flächenbrand werden!

Krim-Krise: Desinformation der Nato

Die Warnung des Nato-Generalsekretärs, Russland werde einen hohen Preis für eventuelle ‘weitere’ (‘further’) Aggressionen bezahlen, hatte das Nato-Narrativ zur Grundlage, Russland habe die Ukraine mit der Aufnahme der Krim in sein Territorium einseitig angegriffen. Dies ist eine brandgefährliche Desinformation. Seit sieben Jahren ist die Krim-Krise die Legitimation für alle Eskalationsschritte der Nato gegen Russland, inklusive der Aufstellung neuartiger und ‘gebrauchsfreudiger’ [4] nuklearer Arsenale in Europa, die allerdings schon auf dem Chicago-Gipfel 2012 beschlossen worden waren. Die Legitimation für die Eskalation gegen Russland aufgrund der Krim-Krise ist genau die Desinformation, die die Nato Russland vorwirft: Die Krim-Krise war nicht der Ausgangspunkt, oder in den Worten des heutigen Bundespräsidenten Steinmeier die ‘Büchse der Pandora’ [5], sondern eine Reaktion auf einen vorausgehenden massiven Rechtsbruch des Westens in der Ukraine: Monate vor der Krim-Krise ersetzte eine sogenannte pro-westliche ‘Übergangsregierung’ die Vorgängerregierung Janukowitsch und führte das große Land vor der russischen Westgrenze Schritt für Schritt in die Orientierung auf die Nato, wobei auch noch Neonazis halfen [6]. Das verfassungsgemäße Quorum einer Dreiviertel-Mehrheit für diesen Regierungswechsel wurde verfehlt, somit erfüllt er die Kriterien eines Staatsstreichs [7].

In der aktuellen Krise warnen transatlantische Kräfte aufgrund einer Truppenkonzentration in Westrussland vor einem Überfall Russlands auf die Ukraine. Das erinnert an eine ähnliche Situation im April dieses Jahres, als Annalena Baerbock vor der Bedrohung der Ukraine wegen eines Militäraufmarsches Russlands nahe seiner Grenze mit der Ukraine warnte – die Bedrohung der Ukraine sei groß; Zitat A. Baerbock: “Das Wichtigste ist derzeit, den Druck auf Russland zu erhöhen…” [8]. Jetzt, über ein halbes Jahr später wirft der US-Außenminister Blinken Russland vor, eine Invasion der Ukraine zu planen [9].

Nato-Eskalation: In einer brisanten Tradition

Das Säbelrasseln aller transatlantischen Kräfte gegen Russland weckt böse Erinnerungen an die Zeit vor etwas mehr als einhundert Jahren: Kaiser Wilhelm rechtfertigte den Angriffskrieg gegen Russland zu Beginn des 1. Weltkrieges mit einem Aufmarsch der russischen Armee hinter ihrer Westgrenze. Damit taumelte die Welt des 20. Jahrhunderts in ihre Urkatastrophe:

Nach dem Mord am Habsburger Thronfolger in Sajarewo 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, das Deutsche Kaiserreich stellte sich an seine Seite – und Russland gab Serbien Beistand. Die Deutsche Reichswehr überfiel Russland unter Verweis auf eine Mobilmachung seiner Armee im Westen seines Territoriums. So eröffnete ein vom Deutschen Reich ausgehender Angriff auf russisches Gebiet den Ersten Weltkrieg [10].

Russland, beziehungsweise die Sowjetunion, hat im zurückliegenden Jahrhundert der zwei Weltkriege noch einen weit verheerenderen Überfall vom Westen her auf sein Territorium erlitten.

Der Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion eröffnete einen Vernichtungskrieg, der als das blutigste Ereignis der Menschheitsgeschichte zu werten ist: Diesem ‘Unternehmen Barbarossa’ genannten Feldzug fielen nach dem Prinzip der ‘verbrannten Erde’ mit circa 27 Millionen Kriegstoten so viele Menschen zum Opfer wie in keinem Land der Erde zuvor und seither – es sind ungefähr die Hälfte aller kriegsbedingt zwischen 1939 und 1945 ums Leben gekommenen Menschen weltweit [11].

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges überzogen die Staaten, die sich am 4.4.1949 in der Nato zusammenfanden, die Welt ihres Einzugsbereiches mit dem Narrativ der Gefahr aus dem Osten, obwohl die massivsten und häufigsten Völkerrechtsverletzungen im auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Kalten Krieg von Staaten des Nato-Gebiets ausgingen [12].

Ampel färbt Gewalt schön

Der Koalitionsvertrag bezeichnet die Nato allen aktuellen und historischen Tatsachen zum Trotz als Garanten für die Sicherheit und den Frieden in Westeuropa [13]. Gleiches liest man in den Programmen der Regierungs- und der weiteren Bundestagsparteien außer der LINKEN. Die Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Die Militärs und ihre Lobby legitimieren ihre Politik der Abschreckung und der Hoch- sowie Atomrüstung mit der vom Osten ausgehenden Gefahr, sie legitimieren die Nuklearrüstung als Sicherheitsschirm für das Nato-Europa. Schon die Zahlen offenbaren die Desinformation: Die Nato verantwortet laut dem renommierten Friedensforschungsinstitut SIPRI über 1000 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Rüstung. Die Zahl Russlands liegt bei etwas über 60 [14]. Schon diese Zahlen verdeutlichen: Die Verteidiger der Nato greifen auf Fake News zurück, um die Öffentlichkeit zu manipulieren. Der Zweck dieser Propaganda ist nicht nur ein Dienst an den Konzernen der Nuklearrüstung und Zulieferung – allen voran Lockheed Martin (USA), auch Thales (Frankreich) und Rolls Royce (Großbritannien) – sondern die Militärs lenken die Öffentlichkeit mit dieser Manipulation von ihren gefährlichen Plänen ab.

Kürzlich warf die Nato Russland ein gefährliches Manöver im erdnahen Weltraum vor, als es mit einem Satellitenversuch den Weltraumschrott im Orbit vermehrte. Russland zeigte seine Space-Fähigkeiten in Reaktion auf Nato-Aktivitäten im Bereich der kombinierten Weltraum- und Atomrüstung [15] .

Die Militärstrategie der Nato-Staaten verträgt sich nicht mit dem Anspruch des Ampel-Koalitionsvertrages, “für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit” zu stehen [16]. In einer Zeit, in der die Menschheit möglicherweise nur noch wenige Jahre vom ökologischen Kipp-Punkt entfernt ist, ab dem es keinen Weg zurück in eine lebenswerte Zukunft mehr gibt, eine solche Militärpolitik zu vereinbaren und zu betreiben, das verträgt sich nicht einmal mit den Lebensinteressen derer, die dieses Himmelfahrtskommando vertreten und betreiben. Oder sollte man besser Höllenfahrt-Kommando sagen? Selbst wenn wir am Rand des Abgrunds nur entlang-schrammen sollten: Darauf kann sich keiner verlassen.

Frieden mit Russland!

Ohne Frieden keine Zukunft. Und ohne eine Friedenspolitik der Abrüstung und Entspannung keine Ökologie. In Europa wird es keinen Frieden ohne Russland geben. Die Nato – und damit auch die Ampel – verletzt den Vertrag, auf dessen Grundlage Deutschland besteht: Im Vertrag zur Deutschen Einheit heißt es in der Präambel:

„In der “Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen, EINGEDENK der Prinzipien der in Helsinki unterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, IN ANERKENNUNG, dass diese Prinzipien feste Grundlagen für den Aufbau einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa geschaffen haben, ENTSCHLOSSEN, die Sicherheitsinteressen eines jeden zu berücksichtigen …” [17] wird die Einheit Deutschlands vollzogen.“

Vor den Kräften, die sich für die Zukunft einsetzen, steht die Aufgabe, mit ihrem Engagement auf die gemeinsame Zukunft hinzuarbeiten: in einem ganzheitlichen friedensökologischen Ansatz, global und lokal auf allen Ebenen des Seins. Entschieden, solidarisch, beharrlich und beherzt.

Titelbild: Alexandros Michailidis / Shutterstuck

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