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Novak Djokovic: Der Staatsfeind Nr. 1 der Weltrangliste

Published On: 20. Januar 2022 18:38

Die Ausweisung von Novak Djokovic aus Australien wurde zum Politikum. Es ging nicht um Gesundheit, sondern um die Sorge vor einer unerwünschten Vorbildwirkung des Tennisstars. Ein Präzedenzfall, der auch hierzulande Begehrlichkeiten wecken könnte. Von David Boos

Novak Djokovic ist nicht der einzige ungeimpfte Spitzensportler der Welt. Aber die Farce um seine Einreise in Australien hat wieder einmal verdeutlicht, dass er als der wohl polarisierendste Ungeimpfte des weltweiten Sportzirkus der Regierung Australiens (und mittlerweile auch vielen anderen Ländern) ein Dorn im Auge ist.

Was dem „DJoker” in seiner Heimat und unter seinen Anhängern Heldenstatus verleiht (die Jesus-Vergleiche seines Vaters sind nicht nur völlig überzogen, sondern wohl auch dem serbischen Lokalkolorit geschuldet), gereicht aber auch der Regierung in Australien zum Vorteil. Denn die Begründung zur endgültigen Ausweisung von Djokovic schafft einen Präzedenzfall, der nicht nur im ohnehin schon rekordverdächtig restriktiven Australien den nächsten Schritt in der Beschneidung der Grundrechte darstellt, sondern auch in Europa begierig vom Feuilleton und der Politik beäugt wird.

Die Rolle des Opfers ist Djokovic und seinen serbischen Landsleuten nicht fremd. In einer westlichen Welt, die mittlerweile fast mehrheitlich von unterschiedlichsten Opfern bevölkert ist, gehören die Serben tatsächlich zu jenen, die mit Fug und Recht darüber klagen können, dass ihnen in der Vergangenheit manches Unrecht zuteil wurde. Die brüderliche Beziehung zu Russland und der Status als äußerster westlicher Vorposten der Orthodoxie waren im Laufe von Jahrhunderten eine Reibefläche zwischen den Serben und ihren Nachbarn. Es ist nichts Neues, dass auch dieser Opferkult naturwüchsig das Maß verliert und eigene Verfehlungen dabei großzügig übersieht. Aber es hilft beim Verständnis und der Relativierung der Rhetorik des Djokovic-Clans.

Vom Philanthropen zum Buhmann

Wie viele echte und unechte Opfer schwankt auch Djokovic in seiner Rolle zwischen ewig Benachteiligtem und einem fast schon forcierten Versuch, von allen geliebt zu werden. Im Laufe seiner Karriere engagierte sich Djokovic vielfältig neben dem Tennisplatz, investierte große Summen in seine eigene Stiftung zur Unterstützung benachteiligter Kinder und ist, wie sich nach dem Eklat in Australien herausstellte, Teilhaber an einer dänischen Firma, die an der Entwicklung eines Medikaments zur Behandlung von Corona forscht.

Auf dem Tennisplatz wünschte er sich nichts sehnlicher als seine populäreren Hauptkonkurrenten Roger Federer und Rafael Nadal in Sachen Beliebtheit zu übertrumpfen. Seine „Mätzchen” während der Matches, in denen man einen fast schon klischeehaften „Straßenkämpfer vom Balkan” erkennen konnte, offenbarten die zielstrebige und kompromisslose Seite seiner Persönlichkeit, gewannen ihm aber nicht immer die Herzen des Publikums.

Man kommt nicht umhin, Djokovic als mittlerweile wohl besten Tennisspieler aller Zeiten anzuerkennen. Doch bereits 2020 geriet der Serbe ins Kreuzfeuer der Kritik im Umgang mit Corona. Bei der von ihm im Juni 2020 organisierten Adria Tour kam es zu Ansteckungen mehrerer Teilnehmer, und es hagelte aufgrund des lockeren Umgangs mit Abstandsregeln Kritik. Eine direkte Konsequenz dafür gab es nicht, es sei denn, man interpretiert den durchaus als hart zu bewertenden Ausschluss von den US Open wenige Monate später als verspätete und versteckte Rache der ATP.

Blickt man auf die Erfolge von Djokovic im Jahr 2021, so ließe sich darüber spekulieren, ob Djokovic ohne diesen Ausschluss bereits alleiniger Rekordhalter an Grand-Slam-Siegen wäre. Der Ausschluss von den diesjährigen Australian Open sowie womöglich auch von anderen Grand-Slam-Turnieren befeuert solche Gedankenexperimente nur noch mehr. Mit der harten Ausgrenzung von Djokovic zimmert der Tenniszirkus gleichzeitig an dessen Monument und Opferstatus.

Vereinzelte sind leicht beherrschbar

Darum kann der Ausschluss des „DJokers” auch nicht als sportlicher Triumph seiner Widersacher verstanden werden, denn dem Mythos Djokovic tut dies keinen Abbruch. Doch mit dem Einreiseverbot hat die australische Regierung (und mit ihr viele Veranstalter in vorauseilendem Gehorsam) das Thema auf eine politische Ebene verlagert, sodass diese Entscheidung zum Präzedenzfall für weitere Restriktionen werden könnte. Was auf rein sportlicher Ebene zum Gesichtsverlust geführt hätte, wird auf politischer Ebene zum nächsten Schritt in Richtung Entzug der Freiheitsrechte. Ein Schritt, der in den meisten westlichen Ländern von einer Mehrheit der Medien und der Bevölkerung begrüßt wird.

Ein ungeimpfter Tennisspieler als Gefahr für die nationale Sicherheit

Die Begründungen für die Abschiebung von Novak Djokovic sprechen Bände über die mittlerweile verschobenen Grenzen des Sagbaren. Der australische Premier Scott Morrison berief sich auf das „öffentliche Interesse” an „Gesundheit, Sicherheit und Ordnung”. In Anlehnung an den Jargon des Kalten Krieges wurde somit ein ungeimpfter Tennisspieler zur Gefahr für die nationale Sicherheit. Was das konkret bedeutet, geht aus den Worten des Regierungsanwalts Stephen Lloyd hervor. Dieser bezeichnete Djokovic als „Ikone der Anti-Impf-Bewegung” und insinuierte, dass die Anwesenheit des serbischen Tennisstars eventuelle Proteste gegen die Gesundheitspolitik in Australien anheizen könnte. Wohlgemerkt: diese Argumentation fand sich in der ursprünglichen Rechtfertigung zum Entzug von Djokovics Visum noch nicht, damals war nur die Rede von „Gesundheit”, „guter Ordnung” und der Umsetzung des Migrationsgesetzes.

Apropros Migrationsgesetz: Dasselbe Australien, das bei vielen europäischen Regierungen und Medienvertretern mit seiner restriktiven Pandemie-Politik als leuchtendes Vorbild für den Kampf gegen Corona gilt, wurde noch vor wenigen Jahren, als sich Kanzlerin Angela Merkel dazu entschloss, dass Grenzen und deren Schutz Relikte vergangener Jahrhunderte sind, heftigst von Vertretern der EU und der Medien für seine restriktive Migrationspolitik kritisiert. „Kein Mensch ist illegal”, heißt es spätestens seit 2015 in progressiven Kreisen, aber man muss wohl nun auch das Kleingedruckte lesen: „Gilt nicht, wenn der Betreffende ungeimpft ist und mit seiner bloßen Anwesenheit andere Menschen aufwiegeln könnte.”

Protest gegen Corona-Impfzwang

Dieselben Kreise, die damals die Migrationspolitik Australiens kritisierten, spenden nun der Ausweisung von Djokovic Beifall. Ein Land habe immerhin das Recht, sich und seine Interessen zu schützen. Woraus folgerichtig abgeleitet werden muss, dass es letztlich niemals darum ging, diese Grundprinzipien des Nationalstaates abzuschaffen, sondern lediglich darum, den Paradigmenwechsel durch die scheinbare und temporäre Aushebelung der entsprechenden Gesetze zu verschleiern. „Jetzt sind sie halt da” wurde somit zum symbolischen Mantra für die sich häufenden postfaktischen Erkenntnisse.

Präventive Bekämpfung von Falschdenk direkt aus der Dystopie

So weit, so bekannt. Doch die entscheidende Grenzüberschreitung in diesem Fall leistete sich eben nicht Djokovic, sondern der australische Staat. Denn es ging letztendlich eben nicht mehr um gesundheitliche Argumente, sondern darum, dass Djokovics Anwesenheit einerseits Widerstand gegen die australische Gesundheitspolitik anfachen könnte und andererseits, wie das Gericht am Donnerstag enthüllte, eine unerwünschte Vorbildwirkung für die „Unentschlossenen” und die „beeinflussbare Jugend” haben könnte. Einer tiefergehenden Begründung für diese Annahme bedarf es laut Gericht nicht, die Einschätzung basierte auf „gesundem Menschenverstand und Menschenkenntnis”.

Diese Entscheidung stellt tatsächlich eine neue Qualität im Abbau freiheitlicher Grundrechte dar. Nicht nur, dass damit die demokratische Partizipation abseits des Stimmzettels prinzipiell infrage gestellt wird, es wird zusätzlich eine „Präventivstrafe” über Djokovic verhängt, die anmutet, als wäre sie direkt dem Film „Minority Report” entnommen. Djokovic mag ein Typ mit Ecken und Kanten sein, doch hatte er sich bis dato nie außerhalb des gesellschaftlich-akzeptablen Konsens bewegt. Seine wohltätigen Aktivitäten erweckten im Gegenteil eher den Eindruck des Bemühens um gesamtgesellschaftliche Anerkennung.

Novak Djokovic ist kein politischer Aktivist, in seiner Vita gibt es nicht einmal den Ansatz zur öffentlichen Unruhestiftung. Trotzdem wird ihm die Einreise verweigert, und so ist es nur naheliegend, dass nach diesem Entschluss jede Privatperson, wenn sie nicht der offiziellen Regierungslinie Australiens entsprechen könnte bzw. eine unerwünschte Vorbildwirkung haben könnte, in Zukunft des Landes verwiesen werden kann. Dystopische Begriffe wie „Gedankenverbrechen“ und „Falschdenk“ lassen grüßen.

Es erübrigt sich beinahe, darauf hinzuweisen, dass solche Methoden nicht dem Anspruch einer der vermeintlich vorbildlichsten Demokratien der Welt genügen sollten; sie erinnern im Gegenteil eher an die dubiosen Machenschaften in despotischen Oligarchien. Trotzdem – oder gerade deshalb? – schielen wohl viele dieser Tage begierig nach Australien, um zu sehen, ob diese Entscheidung der australischen Regierung klaglos durchkommt. Wer die Nachrichten der letzten Jahre mit etwas Aufmerksamkeit verfolgt hat, wird diese Frage bereits jetzt bejahen können. Und wie ebenfalls in den letzten Jahren deutlich wurde, haben schlechte Ideen die Tendenz, sich zu verbreiten.

Die Entscheidung Australiens stellt einen Tabubruch dar, einen Tabubruch für den die australische Regierung Djokovic eigentlich dankbar sein müsste, denn nur er konnte aufgrund seines kontroversen Auftretens den Auslöser für diesen Schritt bieten. Die Frage ist nicht „ob“, sondern lediglich „wann” diese Entscheidung in Europa Nachahmer finden wird. Die immer aggressiver werdenden Aufrufe, mit aller Härte gegen Montagsdemonstranten vorzugehen, werden wohl bald in diesem Präzedenzfall eine Möglichkeit sehen, um einerseits Protest zu kriminalisieren und andererseits mehr oder weniger selektiv Unruhestifter des Landes zu verweisen. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis man sich glücklich wird schätzen dürfen, des Landes verwiesen – und nicht darin festgesetzt – zu werden.

David Boos ist Organist, Dokumentarfilmer und Journalist für den European Conservative und andere Magazine.

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