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Klaus von Dohnanyi: Sind wir an einer „Weltmacht“ USA interessiert?

Published On: 18. Februar 2022 13:00

Mit seinem Buch „Nationale Interessen“ liefert Klaus von Dohnanyi eine „Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“, die bisherige westliche Dogmen infrage stellt. Von Irmtraud Gutschke.



Der Titel berührt eine Wunde. Es liegt an deutscher Vergangenheit, dass man beim Begriff „Nationale Interessen“ zusammenzuckt. Nicht nur im Osten, wo viele mit Brechts Kinderhymne großgeworden sind. „Und nicht über und nicht unter andern Völkern woll’n wir sein“ als Gegengesang zu „Deutschland, Deutschland über alles“ – für uns war‘s Entschluss, für die Welt nur schöner Traum. Auseinandersetzungen um geopolitische Einflusssphären gab es immer. Und Nationalismus ist bis heute ein probates Mittel auch interner Machtpolitik.

Klaus von Dohnanyi, Jahrgang 1928, hat die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg noch erlebt und war sich, wie er schreibt, bezüglich des Titels „möglicher Missverständnisse sehr bewusst“. Nationale Interessen zu vertreten, sei kein „neuer deutscher Nationalismus“, betont er, zumal dies voraussetzen muss, auch die Interessen anderer Nationen ernst zu nehmen. Mit der Arbeit am Text hat er Ende Juni 2021 begonnen, als es auf die Bundestagswahl zuging. Den Koalitionsvertrag „dreier so verschieden ausgerichteter Parteien“ sah er kritisch (wobei er wohl vor allem die Grünen meint). So sei sein Buch zwar nicht als Streitschrift entworfen, unter der Hand aber zu einer solchen geworden.

Europas Interesse ist Kooperation mit Russland

Seinen Ausführungen stellt er ein Zitat von Gottfried Benn aus „Der Glasbläser“ voran: „Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.“ Ein Plädoyer für Pragmatismus in Zeiten, da tatsächlich oft Parolen in den Vordergrund drängen, die zu Zuspitzungen führen statt zu Verständigung. „Europas Interesse ist Kooperation mit Russland, nicht Feindschaft.“ Dies ist ein Kernsatz im Buch. Polemisch gefragt: „Sollen die politischen Wege von Alexei Nawalny auch die Wege unserer Sicherheitspolitik bestimmen?“

Da erinnert man sich beim Lesen an eigenes Befremden. Bevor die Corona-Zahlen die täglichen Abendnachrichten bestimmten, ist es ja der Fall dieses angeblich in Russland vergifteten Oppositionellen gewesen, der Medienempörung hochkochen und seitens der USA wie auch der EU ein Sanktionsgewitter losbrechen ließ. Ob deutsche Politiker wirklich so naiv waren, ob sie tatsächlich glaubten, was sie sagten? Sie mussten doch begriffen haben, zu welchem Zweck sie instrumentalisiert wurden – und erfüllten diesen Zweck: Druck auf Russland auszuüben.

Wer von den Fernsehzuschauern und Zeitungslesern nicht völlig ideologieblind ist, hört die „Nachtigall“ doch ständig „trapsen“ und steckt oft fest in ohnmächtigem Groll. Dass publikumswirksam ausgesprochen wird, was man selber denkt, wird für viele Leser befriedigend sein. Wobei Klaus von Dohnanyi natürlich nicht der Einzige ist, der sich verbreitetem Russland-Bashing entgegenstellt. Es gibt zahlreiche Publikationen dazu, im Buchhandel und nicht zuletzt auf den NachDenkSeiten. Aber bezüglich dieses Autors ist es insofern bemerkenswert, weil da ein Umdenken deutlich wird, das man sich überhaupt in jener politischen Kaste wünschen würde, zu der er gehört.

Ein gewisses Elitebewusstsein ist dem Buch wohl eingeschrieben. Auf Seite 19 ruft der Autor „die politischen Klassen aller Länder“ zu innenpolitscher Kraft auf, die wichtiger sei als der „Ausbau militärischer Stärke“. Und sein Plädoyer im Nachwort für eine Verlängerung der Wahlperiode des Deutschen Bundestags auf fünf Jahre und ein Wahlrecht, das nicht „zu immer weiterer Aufsplitterung der Parteienlandschaft“ führt, entspricht dem Interesse stabiler Herrschaft. Wobei auch weite Teile der Bevölkerung Systemstabilität wünschen, solange es ihnen gut geht. Klaus von Dohnanyi (SPD), in der Brandt-Regierung von 1972 bis 1974 Minister für Bildung und Wissenschaft und von 1981 bis 1988 Hamburger Bürgermeister, ist ein Politiker mit Erfahrung und nüchternem Urteilsvermögen. Er hat nicht nur in den USA Jura studiert und in einem Anwaltsbüro in New York City gearbeitet, sondern überhaupt lange in der Selbstverständlichkeit von fragwürdigen transatlantischen Bindungen gelebt, die in der Bundesrepublik zum guten Ton gehören. Mitglied der Atlantik-Brücke und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zu sein, ist nur ein kleiner Teil davon. Umso mehr lässt aufhorchen, wie er hier mit dem Hegemon ins Gericht geht.

Die Ansprüche einer „exceptional nation“

Deutliche Worte: „Wir Europäer sind Objekt US-amerikanischen geopolitischen Interesses und waren niemals wirklich Verbündete, denn wir hatten nie ein Recht auf Mitsprache.“ Schon lange wurde Europa als „Brückenkopf“ US-amerikanischer Weltmacht angesehen. Dass eine neue weltbeherrschende Macht entstehen könnte, wenn Deutschland und Russland sich annähern würden, stand als Warnung bereits vor dem Ersten Weltkrieg im Raum und wirkt bis heute. Was manchen indes nicht bewusst war: Zwischen den USA und dem Zarenreich gab es durchaus freundliche Beziehungen, ehe Russland 1862 Alaska für sieben Millionen Dollar an die USA verkaufte. Gäbe es diese gemeinsame Grenze noch, wäre manches anders gekommen. Bis auf den Bürgerkrieg haben die USA ihre Kriege nur auf fremdem Territorium geführt. 6000 Kilometer weit weg von Europa, kann man in Washington über den Atlantik hinweg ruhig zusehen, wenn es hier brenzlig wird.

Die Vereinigten Staaten „sind immer hart geopolitisch, ökonomisch und tief verwurzelt in ihrem Selbstverständnis als ‚exceptional nation‘, also als einzigartige Nation“, so Klaus von Dohnanyi. Seit ihrer Gründung haben sie sich mit einer Aura umgeben: Als „ruhmreiche Erneuerer der Welt“ folgten sie strikt eigenen Interessen. „Die negative Einschätzung Russlands durch die USA hat eine fast 150 Jahre alte Tradition.“ Sie kulminierte im Kalten Krieg. Dabei habe die Sowjetunion niemals vorgehabt, den westlichen Teil Europas militärisch anzugreifen. Und auch heute gäbe es keine glaubwürdigen Belege für einen vorbereiteten russischen Angriff „auf das Territorium des Westens“. Der allerdings, so sei hinzugefügt, gerade jetzt von US-amerikanischer Seite immer wieder beschworen wurde, um Druck auf Europa auszuüben.

Reizthema Nato-Osterweiterung

Dohnanyi zitiert zahlreiche Autorinnen und Autoren, was das heutige Reizthema betrifft: die Nato-Osterweiterung. Gorbatschow hatte einer mündlichen Zusage vertraut, dass dies nicht geschehen würde. Wobei hinzuzufügen ist: In diesem Vertrauen (und wirtschaftlichen Schwierigkeiten im eigenen Land) stimmte er der Währungsunion und der deutschen Vereinigung zu, als der Warschauer Pakt, wohlgemerkt, noch bestand. 1985 war der Vertrag um 20 Jahre verlängert worden. Für seine offizielle Auflösung am 1. Juni 1991 gab die deutsche Vereinigung den Startschuss. Der Abzug der in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn stationierten sowjetischen Truppen hatte mit der Hoffnung auf ein Ende der Blockkonfrontation zu tun: Frieden in einem „gemeinsamen europäischen Haus“.

Heute vielfach vergessen: Während des KSZE-Gipfeltreffens vom 19. bis 21. November 1990 in Paris haben die Staaten des Warschauer Vertrags und der NATO eine Gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie ihre frühere Verpflichtung zum Nichtangriff bekräftigten. Sie wollten einander fortan nicht mehr als Gegner, sondern als Partner sehen, einander die Hand zur Freundschaft reichen. Diese „Charta von Paris“ ist für Russland ein gebrochenes Versprechen. „Zur Hölle damit. Wir haben uns durchgesetzt, sie nicht“, wird George H.W. Bush im Buch zitiert, „Wir können den Sowjets nicht erlauben, sich den Sieg aus den Klauen der Niederlage zu holen und so in letzter Minute eine Niederlage in einen Sieg zu verwandeln.“

„Russland muss sich beim Vorrücken der Nato an seine Grenzen so fühlen wie die USA, wenn Russland heute einen militärischen Verteidigungspakt mit Kuba vereinbaren würde“, so Klaus von Dohnanyi. Wegen solcher Äußerungen als „Putin-Versteher“ beschimpft zu werden, würde er von sich abprallen lassen, weil es aus seiner Überzeugung die Voraussetzung für gelungene Verhandlungen ist, die andere Seite zu verstehen.

Wobei er für sich nicht wirklich in Anspruch nehmen könnte, ein Russland-Kenner zu sein. Dafür ist er diesem riesigen Land viel zu weit entfernt, es bleibt ihm fremd, er öffnet ihm nicht sein Herz. Im Kalten Krieg habe man die „expansive ideologische kommunistische Weltsicht Moskaus in Betracht ziehen müssen“, schreibt er. Für sozialistische Bestrebungen hat er keine Sympathie. Von der DDR bleibt ihm lediglich der „Schrott der wirtschaftlichen Zustände“, wie er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte. Er beriet die Treuhandanstalt, legt aber Wert darauf, dass er nicht in deren Auftrag die Privatisierung des Leipziger TAKRAF-Kombinates in die Wege leitete, sondern noch zu Zeiten der Modrow-Regierung in den Aufsichtsrat kam. Wenn er es sich als Verdienst anrechnet, dass „wir“ dort „dreißig Prozent der Arbeitsplätze erhalten haben, was im Maschinenbau sonst, glaube ich, niemand erreicht hat“, klingt das zynisch nicht nur in meinen Ohren.

Als Kurator der im Jahr 2000 gegründeten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft stand er für wirtschaftsliberale Reformen. Ich bin nicht sicher, was er genau meint, wenn er im letzten Kapitel dieses Buches einen „wettbewerbsfähigen Sozialstaat“ als nationales Interesse bezeichnet. Das Verhältnis von Profitinteresse der Oberschicht und sozialer Sicherheit für alle wäre erst zu klären. Dass wir in vielen Fragen auf unterschiedlicher Wellenlänge sind, merke ich auch im Kapitel über China, wo er von einem Staat nach Orwell’schem Muster spricht.

Absage an „wertebasierte“ Außenpolitik

Allerdings warnt er Europa davor, sich in den „Wirtschaftskrieg“ der USA mit der asiatischen Konkurrenz hineinziehen zu lassen. „Die bedrohliche Konfrontation zwischen den USA und China macht Entspannungspolitik in Europa noch dringlicher.“ Da kritisiert er nicht nur Bidens China-Doktrin, sondern überhaupt die vielfachen Versuche der USA, „ihr Modell der Demokratie anderen Völkern notfalls auch mit Gewalt einzupflanzen“.

In diesem Sinne ist das Buch eine klare Absage auch an deutsche „wertebasierte“ Außenpolitik, die man als US-Import erkennen sollte. Als giftigen Apfel, würde ich sogar sagen, damit wir ja nicht über den Kopf des Hegemons hinweg eine eigene Politik betreiben. Das hat übrigens auch die Sowjetunion bezüglich der DDR nicht gewollt.

Russland ist eine Großmacht und verhält sich auch so. Westeuropäische Gesten der Herablassung werden dort zuweilen gar schmerzhafter empfunden als die Sanktionen, mit denen wir uns letztlich ins eigene Bein schießen. Dass Putin zunächst einmal mit Biden über „rote Linien“ russischer Sicherheitsinteressen sprach, entspricht der Tatsache, dass Washington in Europa weitgehend das Sagen hat. Nun versuchen europäische Politikerinnen und Politiker in einem Verhandlungsmarathon, etwas zu bewegen, was aber die Voraussetzung hat, Kiew die Vorteile friedlicher Lösungen vor Augen zu führen. Die Ausführungen zum Ukraine-Thema mit dem Verweis auf das Minsker Abkommen im Buch sind überzeugend. Zitiert wird Willy Brandt: „Die Ostpolitik beginnt im Westen.“ Die neue Regierung in Berlin „sollte den USA dabei vermitteln, dass ihr ‚Brückenkopf‘ auf dem europäischen Kontinent erst recht willkommen sein wird, wenn die USA eine Entspannung im Verhältnis zu Russland vorantreiben“.

Die EU ist kein Bundesstaat

Prononciert formuliert und materialreich widmet sich das Buch indes nicht nur der Außenpolitik, auch wenn diese in den aktuellen Debatten natürlich ins Zentrum rückt. Was die Probleme innerhalb der EU betrifft, steht der Autor nicht auf der Seite derjenigen, die zu mehr Integration drängen, sondern kritisiert die Brüsseler Administration, dass sie „den Freiraum der Mitgliedsstaaten in entscheidenden Voraussetzungen für deren globale Wettbewerbsfähigkeit“ einschränkt. „Rechthaberei aufseiten Brüsseler Institutionen“ würde „zulasten des Zusammenhalts“ der EU gehen. Angesichts der Unterschiede zwischen den 27 Mitgliedsstaaten müsse man „die Beständigkeit nationaler Interessen auch innerhalb der EU erkennen, verstehen und respektieren“. Die Souveränität der europäischen Nationalstaaten müsse erhalten bleiben, sonst drohe diesen im Inneren ein „Legitimationsproblem“.

Das bedeutet konkret: kein Druck auf Polen. Und in der Konsequenz: Abschied von der Idee, dass die EU auch eine Werteunion sein könne. „Die EU ist ein Staatenbund, kein Bundesstaat.“ Aber braucht es nicht im Gegenteil mehr europäische Geschlossenheit, um in geopolitischen Auseinandersetzungen zu bestehen? „Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus“, könnte Klaus von Dohnanyi da zusammen mit Gottfried Benn antworten.

Für Europa sieht der Autor in einer allianzneutralen Position das Ziel. Nur als Wirtschaftsmacht könne Europa bestehen. Eine eigenständige Verteidigungsorganisation stellt er sich schwierig vor, allein schon was die gemeinsame Finanzierung betrifft. Auch die Höhe der Nato-Finanzierung stellt er infrage angesichts vordringlicher Aufgaben: langfristige Begrenzung des Klimawandels und aktueller Schutz vor dessen Folgen. „Es ist im Interesse Deutschlands, dass sich die transatlantische Allianz und die Nato endlich von der Dominanz militärischer Sicherheitsüberlegungen lösen“ und „eine aktive Entspannungspolitik gegenüber der russischen Föderation einleiten“.

Ganz in den Traditionen der alten Bundesrepublik setzt er zu Recht auf die deutsch-französischen Beziehungen. „Insbesondere im Bereich der Sicherheitspolitik“ möchte er Frankreich „im deutschen Interesse“ sogar den „Vortritt“ lassen. „Wir müssen dann gemeinsam die Aufmerksamkeit darauf richten, die Vorbehalte der osteuropäischen Staaten gegenüber einer Entspannungspolitik in den Beziehungen des Westens zu Russland zu überwinden.“ Die koordinierten Verhandlungen von Emmanuel Macron und Olaf Scholz in Moskau und Minsk in diesen Tagen sind in diesem Sinne.

Was wir Deutschen wollen

Dass Frieden und Sicherheit – Wohlstand eingeschlossen – für deutsche Bürger Priorität haben, dafür bedarf es keiner Meinungsumfragen. „Sind wir an einer ‚Weltmacht‘ USA interessiert?“ Bei einer Nato-Übung Ende der 1970er Jahre hat Klaus von Dohnanyi selbst erlebt, wie zur „Verteidigung Europas“ gegen einen „simulierten sowjetischen Angriff kleinere ‚taktische‘ nukleare Sprengsätze über Deutschland abgeworfen“ wurden, um einen Cordon Sanitaire, einen Sicherheitsgürtel, gegen den weiteren russischen Vormarsch zu schaffen“. Ohne Abstimmung mit der Bundesrepublik. Ihm sei diese Strategie der Nato bekannt, hatte Kanzler Helmut Schmidt ihm damals im Gespräch gesagt. Er würde Deutschland für neutral erklären, sobald kriegsähnliche Entwicklungen in Europa erkennbar würden. „Dann, Helmut, ist es allerdings zu spät“, hatte Klaus von Dohnanyi erwidert.

Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche. Siedler, 238 S., geb., 22 €.

QUELLEN:

Titelbild: Markus Wissmann / Shutterstock

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