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Druschba bedeutet im Chemie-Dreieck nicht mehr Freundschaft

Published On: 26. März 2022 9:50

Der französische Energiekonzern Total will in Mitteldeutschland den Hahn für russisches Rohöl zudrehen. Seine Raffinerie in Leuna – eine der fünf großen in Deutschland – soll bis Ende des Jahres auf Tankerversorgung umgestellt werden. Experten bezweifeln, ob das gelingt. Tankstellen, Betriebe und Tausende Arbeitsplätze sind in Gefahr.

IMAGO / Olaf Döring

Total Raffinerie Mitteldeutschland GmbH im Chemie-Park Leuna

Weitab von der Bundespolitik fallen für Mitteldeutschland riskante Entscheidungen mit wohl dramatischen Folgen. Erdöl aus Russland soll wegen Putins Krieg in der Ukraine nicht mehr nach Ostdeutschland fließen. Die französische Regierung übte Druck auf seinen Energieriesen Total aus. Nach Protesten von Umweltaktivisten vor der Zentrale, gibt Total diese Woche Forderungen nach, der Konzern solle seine Russlandgeschäfte stoppen. Bislang hatte sich das Management trotz aller Krisen zwischen Russland und der Ukraine geweigert, die Geschäftsbeziehungen zu kappen. Total sieht sich in den vergangenen Wochen von Vorwürfen getroffen, man sei mit den Ölgeschäften Komplize der Kriegsverbrechen Russlands.

Die radikale Entscheidung könnte jedoch gravierende Auswirkungen für viele Unternehmen mit Tausenden von Arbeitsplätzen im ostdeutschen Chemie-Dreieck haben, selbst wenn Total „in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung“ handle, wie der Konzern verbreitet. Widerspruch von Sachsen-Anhalts CDU-geführter Landesregierung kommt jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kann die Entscheidung des französischen Mineralölkonzerns Total, künftig kein Rohöl mehr aus Russland zu beziehen, sogar nachvollziehen, verkündete er im Morgenfunk von MDR Aktuell. Es sei ja die einheitliche Position von EU und Bundesregierung, dass man auf den Ukraine-Krieg reagieren müsse. Das Putin-Regime müsse unter Druck gesetzt werden, den Krieg zu stoppen.

Dafür riskiert Sachsen-Anhalts Regierungschef offensichtlich auch die Zukunft des Chemie-Dreiecks im Mitteldeutschland. „Es geht ja nicht darum Leuna abzustellen, sondern es geht darum, dass man woanders Ölmengen für sich ordert und versucht sie durchzuleiten“, beschwichtigt Haseloff mögliche schlimme Folgen.

Im Gegensatz dazu sind jedoch notwendige Öl-Alternativen und ausreichende Kapazitäten derzeit oft nur theoretisch denkbar. Für Wirtschaft und Gesellschaft stellen sich jetzt ganz existenzielle Fragen: Wie wird die Kraftstoffversorgung in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und sogar bis ins Grenzgebiet nach Polen gesichert? Was wird aus der Belieferung der Betriebe, die Leuna-Produkte weiter verarbeiten?

Total geht volles Risiko – Druschba-Leitung wird abgedreht

Trotzdem kündigt der französische Energiekonzern Total der Erdölleitung „Druschba“ zum Jahresende die Freundschaft auf. Der Hahn wird zugedreht. Es soll kein russisches Öl mehr für die Versorgung einer der größten Raffinerien nach Mitteldeutschland fließen. Einst hat diese Leitung die sozialistischen Bruderländer mit schwarzem Gold aus der Sowjetunion versorgt.

Seit fast 60 Jahren leitet die über 5.000 Kilometer lange Pipeline zuverlässig ihr Öl über Weißrussland und Polen nach Ostdeutschland – zu den großen Raffinerien PCK in Schwedt an der Oder und Leuna in Sachsen-Anhalt, die daraus Benzin und Diesel, Heizöl, Kerosin und weitere Produkte herstellen. Die Total-Raffinerie von Leuna ist beispielsweise bundesweit größter Hersteller von Methanol, einem wichtigen Grundstoff für die chemische Industrie. Zudem verarbeitet die riesige Anlage jährlich bis zu zwölf Millionen Tonnen Erdöl zu vielen chemischen Produkten, die Leuna wiederum an viele andere große Werke im mitteldeutschen Chemie-Dreieck von Sachsen-Anhalt und Sachsen weiter liefert.

Total raffiniert in Leuna vor allem jährlich drei Millionen Tonnen Öl zu Sprit und versorgt damit mehr als 1.300 Tankstellen sogar bis nach Polen hinein. Die Raffinerie besitzt obendrein noch ein großes Tanklager für strategische Vorräte. Total ist der drittgrößte Tankstellenbetreiber Deutschlands.

Dennoch kündigt Total diese Woche an, dass der Konzern „so bald wie möglich“ kein Rohöl mehr aus Russland bis Jahresende kaufen werde: Dann liefen die letzten Lieferverträge aus, so Total. Neue sollen nicht mehr hinzukommen, bestehende würden ab jetzt nicht verlängert. Im vergangenen Jahr kommen laut Wirtschaftsverband Fuels & Energie 34,2 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Rohöls aus Russland und vom russischen Importrohöl wiederum zwei Drittel über die bewährte Druschba-Pipeline, der Rest über den Seeweg. Ostdeutschland wird fast ausschließlich über die Druschba-Leitung mit russischem Öl versorgt.

Stattdessen versucht Total sein Werk in Leuna – immerhin eine der fünf größten Raffinerien Deutschlands – fortan mit teurerem Rohöl über den polnischen Hafen Danzig zu versorgen. Dort könnten grundsätzlich Tanker aus der ganzen Welt anlanden. Das Öl flösse dann ebenfalls per Pipeline nach Ostdeutschland, so der Konzern.

Nur 50 Prozent des Rohölbedarfs über den Seeweg möglich

Doch es wird bestenfalls die Hälfte der heute nötigen Rohölversorgung abdecken. Obendrein ist die Umstellung auf andere Ölsorten kurzfristig höchst schwierig, warnt der Wirtschaftsverband Fuels & Energie. Denn der Transportweg über Danzig biete nur etwa die Hälfte der Kapazität der „Druschba“-Leitung.

Schlimmer noch: Der Vizechef des Ifo-Instituts Joachim Ragnitz sieht zudem Probleme, die Lieferung von Rohöl auf den Seeweg umzustellen. „So viele Öltanker wird es nicht geben, um das in ausreichender Menge zu liefern“, warnt auch er. „Und eine neue Pipeline kann man nicht von heute auf morgen bauen.“ Ragnitz mahnte schon am 1. März im MDR Radio: „Die Raffinerie in Leuna wird ausschließlich mit Öl aus Russland beliefert. Wenn das Öl wegfallen würde, dann können sie auch die Produktion dicht machen. Das bedeutet dann auch, dass die Benzinversorgung in Mitteldeutschland – auch in Sachsen-Anhalt – gefährdet ist.“

Es drohen also trotz alternativer, aber wesentlich geringerer Rohöllieferungen demnächst massive Ausfälle bei der Versorgung von Treibstoff an Tankstellen für Kraftfahrer wie Transportbranche. Obendrein gerät die Belieferung mit raffinierten Leuna-Produkten für viele andere Weiterverarbeitungsbetriebe im mitteldeutschen Chemie-Dreieck in höchste Gefahr. Laut Branchenverband arbeiten hier rund 54.500 Menschen in 160 Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Produktionsstandorte liegen in Leuna, Schkopau, Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt und Böhlen in Sachsen. Die nach 1990 mit EU-Beihilfen in Höhe von 1,4 Milliarden D-Mark neu gebaute Raffinerie Leuna gilt als das Herz des gesamtem 1.300 Hektar großen Industriestandorts Leuna. Nachts leuchtet die Gasfackel weit ins Land. Allein am Chemiestandort Leuna gibt es 100 Firmen mit 12.000 Beschäftigten.

All das scheint den zuständigen Ministerpräsidenten nicht sehr groß zu beunruhigen. Sollten Raffinerien wirklich zeitweise vom Netz gehen müssen, greife nach Angaben von Sachsen-Anhalts CDU-Regierungschef Reiner Haseloff im Morgenfunk von MDR Aktuell eine klare Rangfolge: Zuerst wird die Bevölkerung versorgt und erst in zweiter Linie dann die Wirtschaft. Produktionsausfälle und massiver Verlust von Arbeitsplätzen jedoch könnten die Folge sein. Doch an solche Konsequenzen mag die Politik nicht denken und die Medien erst recht nicht danach fragen. Die Ampel hat doch gerade erst ein Entlastungspaket geschnürt. – Alles klar?

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