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Die Waffen sprechen wieder

Published On: 7. April 2022 16:00

Dass es in der Ostukraine seit April 2014 einen Krieg gibt, darüber hatten die großen Medien in Deutschland die letzten Jahre nur spärlich berichtet. So war die Öffentlichkeit in Deutschland schockiert, als Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den Beginn einer „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine bekannt gab. Das Ziel dieser Operation sei — so der Kremlchef — „der Schutz der Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ und die „Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“.

Diese Begründung war nach Meinung der deutschen Medien hanebüchen. Im Grunde gehe es Wladimir Putin nur um den Wiederaufbau eines russischen Imperiums. Auch andere osteuropäische Länder könnten jetzt Opfer russischer Aggression werden. Dass Russland monatelang erfolglos mit Vertretern der USA, Frankreich, Deutschland und der NATO über Sicherheitsgarantien und eine Absage bezüglich eines NATO-Beitritts der Ukraine verhandelt hatten, war plötzlich vergessen. Ob es richtig war, Russland Sicherheitsgarantien zu verweigern, stand weder vor noch nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine zur Debatte.

Die Öffentlichkeit im Westen hatte nicht mit dem russischen Einmarsch gerechnet. Zwar hatte die Bild-Zeitung schon 4. Dezember 2021 getitelt „Putins geheimer Angriffsplan für die Ukraine“ (1) und eine Grafik veröffentlicht, die faktisch das zeigte, was dann am 24. Februar 2022 wirklich begann, aber die Drohungen des US-Präsidenten mit „nie dagewesenen Sanktionen“ gegen Russland im Falle eines Angriffes auf die Ukraine, hatten wohl viele Menschen glauben lassen, dass der Kreml dieses Risiko nicht eingehen werde.

Wladimir Putin, sein Sprecher Dmitri Peskow und der russische Außenminister Sergej Lawrow hatten in den Monaten vor dem 24. Februar 2022 immer wieder erklärt, Russland werde nicht — wie von westlichen Geheimdiensten und Medien behauptet — in die Ukraine einmarschieren.

Als dann der Kremlchef am 24. Februar 2022 die „Spezialoperation“ bekannt gab, fühlten sich nicht wenige Russlandfreunde in Deutschland getäuscht und ratlos. Sie erklärten, sie müssten jetzt ihr Verhältnis zur russischen Politik überprüfen oder sie zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Doch war es wirklich eine Täuschung? Der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung Dmitri Kosak hatte bereits am 8. April 2021 erklärt, dass wenn Kiew Kriegshandlungen im Donbass aufnehme, sei das „der Anfang vom Ende“ für die Ukraine. Russland sei in diesem Fall gezwungen, seine Bürger zu schützen. 600.000 Bewohner des Donbass hatten zu diesem Zeitpunkt bereits einen russischen Pass.

Am 21. April 2021 erklärte Wladimir Putin in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung, dass wenn in Ukraine „eine rote Linie überschritten wird, die wir selbst festlegen, wird die Antwort asymmetrisch, schnell und hart sein“.

Am 21. Dezember 2021 erklärte der Kremlchef, „natürlich, werden wir, wie ich schon bemerkt habe, in dem Fall, dass die westlichen Kollegen eine klare aggressive Linie fortsetzen, adäquate militär-technische Maßnahmen ergreifen, auf unfreundliche Schritte werden wir hart reagieren“ (2).

Dass die Russlandfreunde in Deutschland in Debatten ausschließlich Russlands friedliche Absichten hervorhoben, war angesichts der antirussischen Kriegshysterie in den deutschen Medien verständlich, aber nicht weitsichtig.

Russland hatte schon 1999 im Tschetschenienkrieg gezeigt, dass es bei Gefahr für seine staatliche Souveränität — damals ging es um von arabischen Staaten finanzierten islamischen Fundamentalismus in Tschetschenien und eine Ausbreitung des Separatismus in Russland — militärisch zuschlägt.

Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine spielten die großen Medien in Deutschland keine gute Rolle. Sie heizten die Stimmung gegen Russland weiter auf, indem sie unterstellten, Russland werde möglicherweise weitere osteuropäische Länder überfallen. Von Diplomatie war keine Rede mehr, nur noch von Aufrüstung. In Deutschland lebende Russen waren das erste Mal seit dem Kalten Krieg wieder mit verächtlichen Äußerungen im Alltag konfrontiert.

Die Situation wurde von den Medien auch falsch gewichtet. Es wurde behauptet, in der Ukraine habe der „erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg“ begonnen. Tatsächlich war es die NATO — unter Beteiligung der deutschen Luftwaffe —, die 1999 im Kosovokrieg Ziele in Serbien bombardierte. Das war der erste Krieg in Europa seit 1945.

Auch verschwiegen die deutschen Politiker und großen Medien, dass der Krieg in der Ukraine nicht 2022 begann, sondern bereits 2014. Im Februar 2014 fand in Kiew — angeführt von rechtsradikalen, militanten Gruppen — ein Staatsstreich statt. Der amtierende Präsident Viktor Janukowitsch wurde unter Morddrohungen aus Kiew verjagt.

Zwei Monate später, am 14. April 2014, schickte der geschäftsführende nicht-gewählte ukrainische Präsident Aleksandr Turtschinow Truppen in den Donbass. Sie sollten im Rahmen einer „Antiterroristischen Operation“ die Separatisten aus Regierungsgebäuden in Donezk und Lugansk vertreiben.

Diese „Operation“ kostete bis heute 14.000 Menschen das Leben. 5.000 Menschen starben in der Volksrepublik Donezk, 4.000 in der Volksrepublik Lugansk und 5.000 Menschen in dem von Kiew kontrollierten Teil des Donbass (3).

Dieses Buch handelt von dem nun schon acht Jahre andauernden Krieg im Donbass. Es handelt von Menschen, deren Dörfer und Städte von der ukrainischen Armee und rechtsradikalen Freiwilligenbataillonen beschossen wurden, von Kindern, die am Geräusch erkennen, um was für eine Granate oder Rakete es sich handelt und woher geschossen wird, von freiwilligen Kämpfern, die sich an der „Kontaktlinie“ zur Zentralukraine tief in die Erde eingegraben haben und gelegentlich auch zurückschießen. Mein Buch handelt auch von Ärzten, die direkt an der Demarkationslinie in einem Krankenhaus arbeiten, ungeachtet des Geschützdonners, der immer wieder von der ukrainischen Seite herüberhallt.

Ich habe den Bewohnern der Volksrepubliken zugehört, wo sie sich auch gerade befanden, in Schulen und Kindergärten, auf Straßen, in von Geschossen zerlöcherten Häusern, an den Grenzübergängen zur Ukraine oder in den Amtsstuben von Lugansk und Donezk.

Warum ich dieses Buch geschrieben habe? Weil die großen deutschen Medien über den Krieg im Donbass nur aus der Sichtweise Kiews berichten.

Im vorliegenden Buch habe ich meine Reportagen, Interviews und Analysen aus dem Donbass zusammengefasst. Einige davon sind bereits bei Telepolis, den NachDenkSeiten, Der Freitag, Rubikon, Neues Deutschland, Die Wochenzeitung und RT DE veröffentlicht. Einiges liegt das erste Mal in gedruckter Form vor. Die schon veröffentlichten Texte wurden vom Autor zum Teil gekürzt.

In Deutschland ist es seit 2014 aufgrund einer einseitigen Medienberichterstattung nicht mehr möglich, sich eine auf Fakten beruhende, eigene Meinung über den Konflikt im Donbass zu bilden. Es fehlt die Faktenbasis.

Die deutschen Chefredakteure schicken seit 2014 keine Journalisten mehr in die Volksrepubliken. Nur bei den Wahlen im November 2018 waren deutsche Fernsehjournalisten in Donezk und Lugansk. Deutsche Journalisten und Politiker besuchten im Donbass immer nur die ukrainische Seite vor der „Kontaktlinie“. Von dort schauten sie hinüber in „feindliches Gebiet“, in das Gebiet „der von Russland unterstützten Separatisten“. Das erinnert an die Zeit der deutschen Teilung, wo man von Aussichtsplattformen in Westberlin nach Ostberlin schauen konnte.

Man schaut, versteht aber nichts. Denn man weiß nicht, wie die Menschen in den Volksrepubliken leben. Bis auf die beiden Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko sowie Gunnar Lindemann von der AfD hat kein einziger deutscher Politiker der großen deutschen Parteien jemals die Volksrepubliken besucht und dort mit den Menschen gesprochen.

Die Menschen in den Volksrepubliken scheinen so etwas wie Aussätzige zu sein. Denn es ist vonseiten des Auswärtigen Amtes noch nicht mal erwünscht, dass humanitäre Hilfe aus Deutschland über Russland an die Volksrepubliken geliefert wird. Durch die Ukraine wollen deutsche Bürgerinitiativen wie „Zukunft Donbass“ und „Friedensbrücke e. V.“ ihre humanitäre Hilfe mit Lastwagen nicht schicken. Das ist ihnen wegen der ukrainischen Nationalisten, die schon mal Transporte anhalten, zu gefährlich.

Als die Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, im Februar 2015 mit einem Kleinbus und vier Kleinlastern humanitäre Hilfe für Krankenhäuser in die Volksrepublik Donezk brachten (4), verurteilte der Berliner Tagesspiegel die Reise in scharfem Ton (5). Die Abgeordneten, so das Blatt, hätten sich mit dem „Warlord“ Aleksandr Sachartschenko — damals Leiter der Volksrepublik Donezk — fotografieren lassen. Sachartschenko habe sich schlecht über Juden geäußert, behauptete der Tagesspiegel ohne stichhaltigen Beweis.

Während viele Menschen in den Volksrepubliken in von ukrainischen Geschossen beschädigten Häusern leben, hatten deutsche Intellektuelle, die sich der Post-Maidan-Regierung verbunden fühlen, seit 2014 nichts Besseres zu tun, als jeden Deutschen, der aus den Volksrepubliken berichtete, Hilfe dorthin organisierte oder die Kiewer Regierung kritisierte, im Internet und in den Medien als „Putinfreund“, „Nationalisten“ und „Antisemiten“ zu brandmarken.

Die „Beweise“ für diese Behauptungen hatten die Anhänger der ukrainischen Regierung mühsam aus zum Teil viele Jahre alten Internetbeiträgen zusammengeklaubt. Richtigstellungen und ein Fehlereingeständnis von Seiten des wegen „Antisemitismus“ beschuldigten ukrainischen Journalisten Ruslan Kotsaba wurden von den Anhängern der Kiewer Regierung in Deutschland ins Lächerliche gezogen. Es wurde schnell klar: Linksgrüne Ukrainefreunde in Deutschland versuchten die Kritiker der Kiewer Regierung in Deutschland mit einem lebenslangen Bann zu belegen.

Ein Lichtblick in dieser aufgeheizten Stimmung war eine am 11. Juni 2018 von der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke in Berlin organisierte Konferenz mit dem Titel „Menschenrechte und Medienfreiheit in der Ukraine“. Auf dieser Konferenz wurde sachlich und anhand von Fakten diskutiert. Die fast vier Stunden dauernde Konferenz tagte mit mehr als hundert Teilnehmern im Paul-Löbe-Haus, einem Nebengebäude des Bundestages.

Es sprachen die Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, Andrej Hunko, Heike Hänsel, Zaklin Nastic und Stefan Liebich, die ukrainische Aktivistin Jelena Bondarenko, der ukrainische Journalist Ruslan Kotsaba, der Kiewer Menschenrechtsanwalt Walentin Rybin und viele andere. Sie berichteten mit konkreten Beispielen über die Repressionen gegen Andersdenkende in der Ukraine. Ich hielt einen Beitrag zur Verfolgung von Journalisten in der Ukraine (6).

Die großen deutschen Medien berichteten trotz hochkarätiger Besetzung nicht über die Veranstaltung. Berichte gab es aber bei RT DE, Telepolis (7) und der Verdi-Journalisten-Zeitung „Menschen machen Medien“ (8). Die junge Welt interviewte den Konferenzteilnehmer Leonid Koschara (9), der bis zum Staatsstreich 2014 Außenminister der Ukraine war.

Eine komplette Video-Aufzeichnung der Konferenz ist bis heute im Internet abrufbar (10). Aber leider gibt es keine schriftliche Broschüre mit den Konferenzbeiträgen. Und es gibt auch bis heute keine deutschsprachige Dokumentation über alle Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Medienfreiheit in der Ukraine. So ist es für Menschen, die weder Russisch noch Ukrainisch können, enorm schwer, sich ein Bild von den wirklichen Zuständen in der Ukraine zu machen und sich mit Faktenwissen an Diskussionen zu beteiligen.

Man muss kein Anhänger von Wladimir Putin sein, um festzustellen, dass Rechtsextremismus und Ultranationalismus in der Ukraine von staatlichen Stellen gefördert werden und einen starken Einfluss auf die Gesellschaft haben.

Es gibt viele Beispiele, mit denen man diese These belegen kann. Die für mich eindeutigsten Beispiele sind der bis heute nicht von staatlichen ukrainischen Stellen geahndete Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014 und die schon acht Jahre dauernde „Anti-Terror-Operation“ im Donbass.

Erschwert wird der Informationszugang auch dadurch, dass die ukrainische Regierung 2014 eine Informationssperre über die Volksrepubliken verhängte. Man kann von der Ukraine aus zwar in die Volksrepubliken fahren, muss sich dann aber darauf gefasst machen, dass man auf der ukrainischen Website Mirotworets (Friedensstifter) gelistet wird.

Die Website Mirotworets wurde auf Initiative von Anton Geraschenko — seit 2019 stellvertretender Innenminister der Ukraine — geschaffen, um Journalisten, denen man eine Nähe zu den Separatisten unterstellt, als „Feinde der Ukraine“ an den Pranger zu stellen. Auf Mirotworets sind Tausende Journalisten, Politiker und einfache Bürger mit Adressen gelistet.

Ich war seit 2014 oft in den Volksrepubliken. Bei meinen Reisen in den Donbass habe ich nicht nach russischen Panzern und russischen Militärberatern gesucht. Aber natürlich habe ich immer dann, wenn ich einen Panzer oder anderes militärisches Gerät sah, meine Begleiter gefragt, woher das Gerät ist. Und sie sagten immer: „Das ist von den Ukrainern erbeutet.“ Ich hatte keinen Grund an dieser Aussage zu zweifeln. Dass es im Donbass russische Militärberater gibt, ist vorstellbar, lässt sich aber nicht beweisen.

Dass 2014/15 viele Russen als Freiwillige mit der Waffe in der Hand die Volksrepubliken mit verteidigten, hat selbst der russische Präsident Wladimir Putin nicht bestritten. Diese Freiwilligen seien „dem Ruf ihres Herzens gefolgt“, so der Kremlchef. Es handele sich nicht um russische Truppen. Nichtsdestotrotz behaupteten deutsche Medien und Politiker seit 2014 immer wieder ohne Belege, in den Volksrepubliken seien offizielle russische Truppen stationiert.

Die wichtigsten Falschdarstellungen über die Ukraine in den deutschen Medien sind meiner Meinung nach Folgende:

Von den deutschen Medien wird konsequent verschwiegen, dass die Ukraine ein multinationaler Staat ist. Bei der Volkszählung 2001 nannten 67 Prozent Ukrainisch und 29 Prozent der Befragten Russisch ihre Muttersprache (11).

Verschwiegen wird auch die Zwangsukrainisierung der russischen Bevölkerung in der Ukraine nach 2014. Seit Januar 2021 darf in der Ukraine im öffentlichen Raum nur noch Ukrainisch gesprochen werden. Russischunterricht gibt es nur noch bis zur vierten Klasse.

Die deutschen Medien und Politiker übernehmen immer mehr die neue ukrainische Geschichtsschreibung, nach der die Hungersnot (ukrainisch: Holodomor) in der Ukraine Anfang der 1930er-Jahre ein Mittel von Stalin war, die ukrainische Bevölkerung wie bei einem Völkermord zu vernichten. Im Februar 2022 legte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Blumen am Holodomor-Denkmal in Kiew ab. Dabei ist in der Geschichtswissenschaft allgemein bekannt, dass es in der Zeit nach der Zwangskollektivierung schwere Hungersnöte nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Südrussland und im sowjetischen Kasachstan gab.

Warum, so frage ich, hat bis heute kein einziger deutscher Politiker Blumen am Gewerkschaftshaus von Odessa niedergelegt, wo am 2. Mai 2014, nachdem ukrainische Ultranationalisten Feuer gelegt hatten, 42 Regierungskritiker starben?

Der einzige Bundestagsabgeordnete, der in Odessa mit Angehörigen der im Gewerkschaftshaus Umgekommenen gesprochen hat, war Andrej Hunko von der Partei Die Linke, der Odessa 2014 mehrmals besuchte (12). Warum wurde er von keinem deutschen Fernsehsender eingeladen, um als Augenzeuge über seine Gespräche mit den Angehörigen und die schleppenden Untersuchungen zum Brand zu berichten?

Frank-Walter Steinmeier, der Odessa Ende Mai 2014 — damals als Außenminister — besuchte und angeblich einen Kranz am Gewerkschaftshaus niederlegen wollte (13), nahm von seinem Vorhaben Abstand, nachdem Igor Paliza, der Vorsitzende der Gebietsverwaltung von Odessa, ihm davon abgeraten hatte. Eine Kranzniederlegung könne neue Unruhen auslösen, hatte Paliza gewarnt.

Deutsche Medien und Politiker verschwiegen, dass der Ukraine, die bis zur Oktoberrevolution zum Russischen Kaiserreich gehörte, von sowjetischen Führern Territorien angegliedert wurden. 1922 wurden vom sowjetischen Russland auf Initiative von Lenin der Sowjetischen Ukrainischen Republik Teile des Donbass abgetreten, die früher zum russischen Zarenreich gehörten.

Im Westen bekam die Ukraine 1939 durch den Hitler-Stalin-Pakt von Polen die Gebiete Lwiv, Iwano-Frankiwsk und Ternopil. Im Süden bekam die Ukraine 1954 — auf Anweisung von Sowjetführer Nikita Chruschtschow — die Krim geschenkt.

Als die Post-Maidan-Regierung im Februar 2014, einen Tag nach dem Staatsstreich, der russischen Sprache — in den Gebieten mit hohem russischen Bevölkerungsanteil — den Status einer zweiten offiziellen Sprache — neben dem Ukrainischen — entzog, war das der Auslöser für den „russischen Frühling“ in der Südostukraine.

Im russischsprachigen Südosten der Ukraine hatte sich schon seit der Orangenen Revolution 2005 und den Zwangsukrainisierungsmaßnahmen unter Präsident Viktor Juschtschenko Unzufriedenheit unter den russischsprachigen Ukrainern angestaut. Während des „russischen Frühlings“ wurden dann in Charkow, Donezk und Lugansk offizielle Gebäude besetzt. Doch den Grund für diese Besetzungen verschwiegen die großen deutschen Medien.

Dass es am 7. April 2014 zur Gründung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk kam, hatte nicht nur aktuelle politische Gründe, sondern auch historische Wurzeln. Der Donbass war seit Beginn des 17. Jahrhunderts das zentrale russische Industrie- und Bergbaugebiet. Aus ganz Russland — und später der Sowjetunion — kamen Arbeitskräfte verschiedener Nationalitäten in den Donbass. Russisch war die Sprache, welche die verschiedenen Nationalitäten im Donbass — Russen, Ukrainer, Tataren, Griechen und Moldauer — verband.

Die Ukraine — beziehungsweise ihre politische Führung — wollte sich nach der Oktoberrevolution 1917 aus dem russischen Staat lösen und schloss mit Deutschland und Österreich-Ungarn am 9. Februar 1918 einen Separatfrieden ab, den sogenannten „Brotfrieden“. Deutschland und Österreich hofften, dass man in der Ukraine dringend benötigte Lebensmittel eintreiben könne.

Eine Woche nach Abschluss des Separatfriedens zogen deutsche und österreichische Truppen — insgesamt 500.000 Mann— in die Ukraine ein. Doch wegen der politisch und wirtschaftlich chaotischen Zustände in der Ukraine konnte nur ein Teil der erhofften Lebensmittellieferungen eingetrieben werden. Ende 1918 zogen die deutschen Truppen aus der Ukraine wieder ab.

Bereits vor dem deutschen Einmarsch wurde am 28. Januar 1918 in der ostukrainischen Stadt Charkow als Gegengewicht gegen eine antisowjetische Ukraine die sowjetische „Donezk-Kriworosch-Republik“ gegründet. Das Gebiet dieser Republik umfasste große Teile der Ost-Ukraine, wie Charkow, Donezk, Lugansk und Cherson.

Im Februar 1919 wurde die Donezk-Kriworosch-Republik auf Initiative Lenins aufgelöst. Die Sowjetmacht in der Ukraine werde — so offenbar das Kalkül von Lenin — nur auf sicheren Beinen stehen, wenn das Industriezentrum Donbass, dass sprachlich und wirtschaftlich mit Russland eng verbunden war, zur „Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ gehört. Der proletarische-prorussische Donbass sollte — so offenbar der Plan von Lenin — Bindeglied zwischen der bäuerlichen Ukraine und Sowjetrussland werden.

Bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde überdeutlich: Deutschland ist im ukrainischen Bürgerkrieg Konfliktpartei. Die großen deutschen Medien und die deutsche Politik schweigen zur Verfolgung der Opposition in der Ukraine, zum Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa, zu den Morden an Oppositionellen und zur Abschaltung von vier oppositionellen ukrainischen Fernsehkanälen 2021.

Berlin schickte massiv Finanzhilfe in die Ukraine, ohne diese an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen. Seit 2014 wurden von Deutschland 1,8 Milliarden US-Dollar an Wirtschaftshilfen bereitgestellt und „Programme zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit und zur Korruptionsbekämpfung in der Ukraine unterstützt“, wie es in einer Stellungnahme der Bundesregierung heißt. „Als Mitglied der Europäischen Union und als deren größter Beitragszahler hat Deutschland die ukrainische Regierung seit 2014 mit 17 Milliarden Euro finanziell unterstützt.“

Weit fortgeschritten ist die Verzahnung zwischen der Bundeswehr und dem ukrainischen Militär.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrej Melnik erklärte am 6. Februar 2022 in der ARD-Sendung Anne Will überraschend: „Das deutsche Verteidigungsministerium hat seine strategischen Berater in unserem Verteidigungsministerium seit Jahren sitzen und arbeiten und die deutsche Seite ist bestens informiert, was wir brauchen und was wir nicht brauchen.”

Mit seiner Äußerung wollte Melnik klarstellen, dass Deutschland sehr genau wisse, was die Ukraine außer Helmen an militärischem Gerät brauche. Melnik zeigte mit seiner provokativen Äußerung, dass er nicht nur als Diplomat unterwegs ist, sondern auch als Antreiber, welcher der Bundesregierung Nachhilfeunterricht in antirussischer Politik gibt.

Bisher galt es als offenes Geheimnis, dass Berater aus den USA und Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdiensts CIA in den ukrainischen Regierungsinstitutionen sitzen. Dass aber die Bundeswehr „strategische Berater“ im ukrainischen Verteidigungsministerium sitzen hat, ist eine Neuigkeit, welche die Bundesregierung wohl gerne unter den Teppich gekehrt hätte.

Wie weit die militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr und der ukrainischen Streitkräfte bis zum Einmarsch der russischen Truppen schon gediehen war, konnte man auf der Website der Bundesregierung nachlesen:

„Innerhalb der militärischen Unterstützung leistet auch die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zur militärischen Ausbildung und Beratung in der Ukraine. Diese Form der Unterstützung ermöglicht einen intensiven Erfahrungsaustausch. Bisher konnten insgesamt 551 ukrainische Soldaten und Soldatinnen ihre Ausbildung in Deutschland erfolgreich beenden“ (14).

Von dem intensiven Erfahrungsaustausch profitiert auch die strategische Planung der Bundeswehr. Die Erfahrungen der ukrainischen Soldaten, die gegen Separatisten kämpfen, die vermutlich russische Berater haben, sind für die Strategen der Bundeswehr und der NATO von höchstem Wert.

Weiter heißt es in einer Mitteilung der Bundesregierung: „Weitere militärische Unterstützung leistet Deutschland in Form von Sanitätsleistungen.“ Exakte Zahlen nannte das Internetportal ntv: „Seit 2019 unterstützt Deutschland daneben den Ausbau des ukrainischen Sanitätsdienstes. Derzeit finanziert Berlin ein Feldlazarett im Wert von 5,3 Millionen Euro. Zudem wurden seit 2014 insgesamt 149 verletzte Sicherheitskräfte aus der Ukraine in deutschen Krankenhäusern behandelt“ (15).

Die aufwendige Verlegung von ukrainischen Soldaten mit einem hochmodernen Lazarettflugzeug der Bundeswehr nach Deutschland und die Weiterverteilung der verwundeten Ukrainer auf deutsche Krankenhäuser stieß 2018 zu Recht auf Kritik des Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, Alexander Neu, damals Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages.

Neu fragte 2018 in einem Gespräch mit der Deutschen Welle, ob die Hilfe für die ukrainischen Soldaten unparteiisch ist „oder stellt sie eine Solidarmaßnahme für das Putsch-Regime in Kiew dar? Warum werden keine verletzten ostukrainischen Zivilisten, die es zu Tausenden gibt, behandelt?“

Neu wollte in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung unter anderem wissen, welche der nach Deutschland ausgeflogenen Ukrainer, „in den offiziellen Streitkräften“ dienten und „wie viele in den paramilitärischen Bataillonen wie dem faschistischen Asow-Bataillon“. Nach Recherchen des Fernsehmagazins Fakt waren in den vergangenen Jahren unter den ausgeflogenen Verletzten auch Kämpfer des rechtsradikalen Regiments Asow (16).

Auch finanzielle Hilfen für die Infrastruktur im Donbass strich die Bundesregierung vor dem russischen Einmarsch gerne groß heraus. Doch es wird verschwiegen, dass diese Hilfen nur dem von der Ukraine kontrollierten Nordteil des Donbass zu Gute kam.

Im Dezember 2017 meldeten deutsche Medien, Deutschland unterstütze die Ostukraine mit 2,5 Millionen Euro „Weihnachtshilfe“. Die deutsche Botschaft in Kiew teilte auf ihrer Website mit, dass das Geld an die „Caritas Ukraine“ gehen soll, die dann „in den Gebieten Donezk und Lugansk“ humanitäre Hilfe leisten soll. Doch damit war nur der Nordteil der Gebiete Donezk und Lugansk gemeint, die unter Kontrolle von Kiew stehen.

Keine der großen deutschen Hilfsorganisation — weder der deutsche Caritasverband noch das Deutsche Rote Kreuz — sind in Donezk und Lugansk tätig. Die Menschen in dem Teil der „Ostukraine“, der nicht unter Kontrolle von Kiew steht, bekommen auch keinerlei humanitäre Hilfe vom deutschen Staat. Nur einige deutsche privat organisierte Hilfsorganisationen, wie die Berliner „Friedensbrücke Kriegsopferhilfe e. V.“ und das Thüringer Aktionsbündnis „Zukunft Donbass“ organisieren seit 2014 humanitäre Hilfslieferungen in die Volksrepubliken.

Das deutsche Außenministerium sieht diese mit deutschen Spendengeldern finanzierten Hilfslieferungen äußerst kritisch. Raissa Steinigk vom Aktionsbündnis „Zukunft Donbass“ berichtete mir im Jahr 2017, sie sei vom deutschen Außenministerium angerufen worden. Man habe ihr gesagt, dass sich die ukrainische Botschaft beim deutschen Außenministerium beschwert hat. Das, was „Zukunft Donbass“ tue, sei „illegal“, so die Anruferin aus dem deutschen Außenministerium.

Jeder Transport mit einem Zwanzigtonner, der, organisiert von der Initiative „Zukunft Donbass“, ausrangierte Krankenhausausrüstung aus Deutschland nach Lugansk bringt, kostet 4.000 Euro.

Um die humanitäre Aktion bekannter zu machen und mehr Spender zu gewinnen, hatte Raissa Steinigk 2017 Thüringer Bundestagsabgeordnete angeschrieben. Doch keiner der Angeschriebenen machte eine Hilfszusage. Einige Bundestagsabgeordnete hätten ihr ungeschminkt erklärt, sie würden die Hilfsaktion nach Lugansk nicht unterstützen, da Russland der Urheber des Krieges im Donbass sei. Andere Abgeordnete reagierten mit Ausflüchten.

In ihrem Brief an den Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Weiler bat Raissa Steinigk nicht nur um Unterstützung. Sie äußerte auch Kritik: „Wir, das Aktionsbündnis ‚Zukunft Donbass‘ und die Mitstreiter sind satt über Lippenbekenntnisse und die ‚Unmacht‘ der deutschen Politiker und freuen uns über die wachsenden Aktivitäten der Kirche in Deutschland.“

Weiler reagierte verärgert. Er antwortete Steinigk: „In Ihrem Schreiben vom 23. Januar 2017 treffen Sie widersprüchliche Aussagen. Auf der einen Seite üben Sie scharfe Kritik an den politisch Verantwortlichen. Andererseits stellen Sie mit Nachdruck Forderungen an mich und meine Kollegen. Ich möchte Sie daher darauf hinweisen, dass ich in dieser Region nicht untätig bin. Ich leiste einen Beitrag zum Friedenserhalt im Baltikum und Osteuropa und werde mich auch in Zukunft weiter stark für die Verbesserung der dortigen Situation einsetzen.“

Worin dieser „Beitrag zum Friedenserhalt in Osteuropa“ besteht, schrieb Weiler nicht.

Christian Hirte, ebenfalls CDU-Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, antwortete auf die Unterstützungsanfrage der Initiative „Zukunft Donbass“:

„Leider kann ich nicht überall — auch wenn ich die Arbeit und das Ansinnen mit großem Respekt betrachte — eingreifen.“

Der Abgeordnete versprach die Anfrage an den Kollegen Karl-Georg Wellmann, Leiter der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, weiterzugeben.

Doch von Wellmann hat Raissa Steinigk seitdem nichts gehört. Wellmann ist gegenüber Russland als Hardliner bekannt und vermutlich ist ihm die Initiative „Zukunft Donbass“ aus Thüringen suspekt. Im ZDF-Morgenmagazin hatte der Abgeordnete die „Separatisten“ in Lugansk und Donezk im Februar 2015 als „Werkzeuge der Russen“ bezeichnet. Es gäbe einen „permanenten Zufluss von Munition, von Waffen, von Kämpfern, von Logistik aus Russland.“

Am 24. April 2017 schrieb Raissa Steinigk alle Abgeordneten des Thüringer Landtags, auch Ministerpräsident Bodo Ramelow an. Keiner der Abgeordneten habe geantwortet.

Schon 2014 zeichnete sich ab: Je mehr sich die Macht der Separatisten im Donbass festigte, desto weniger waren die Chefredakteure großer deutscher Medien daran interessiert, den faktischen Sieg der Separatisten auch noch durch eigene Berichte zu bestätigen. So verlegte man sich auf das Totschweigen des Donbass. Man wollte offenbar vermeiden, dass es Mitleid für die Menschen in den Volksrepubliken gibt, die unter dem Beschuss ukrainischer Artillerie leiden.

Ein deutscher Mainstream-Journalist hatte immerhin den Mut, die Abwesenheit deutscher Korrespondenten im Donbass öffentlich zu problematisieren. Im Juni 2014 schrieb der damalige Spiegel-Reporter Moritz Gathmann — heute Ressortchef beim Magazin Cicero — im Internet-Portal Ostpol, dass die deutschen Korrespondenten das Kriegsgebiet Donbass verlassen hätten. „Nachrichten aus der Ostukraine sind auf die hinteren Zeitungsseiten gerückt, deutsche Korrespondenten sind abgereist.“

Doch lassen wir den Reporter selbst zu Wort kommen:

„Ein lauer Sommerabend auf der Veranda des „Ramada Donezk“ unweit der seit Monaten von Separatisten besetzten Gebietsverwaltung. Man speist T-Bone-Steaks und trinkt Cocktails, aus den Lautsprechern kommt Lounge-Musik.

Auf der Terrasse sitzen polnische Journalisten, Franzosen, Amerikaner und Spanier. Bemerkenswert abwesend sind die deutschen Journalisten: Neben mir sitzt dort Ende vergangener Woche nur noch Stefan Scholl, langjähriger Moskau-Korrespondent für deutsche Regionalzeitungen. (…)

Es ist wenige Tage her, da lieferten sich ukrainische und russische Kämpfer heftige Kämpfe um den Flughafen der Stadt, auch rund um den Bahnhof starben Menschen bei Feuergefechten. Daraufhin gaben ARD und ZDF bekannt, dass sie aus Sicherheitsgründen ihre Teams aus Donezk abziehen. (…)

Wer erfahren will, was im Osten des Landes passiert, der muss momentan auf russischsprachige, englische oder französische Medien ausweichen“ (17).

Die Gefahr für deutsche Journalisten schätzte Gathmann als gering ein. „Grundsätzlich gilt: Als deutscher Journalist muss man davon ausgehen, sich endlose Tiraden über die falsche Politik Angela Merkels anhören zu müssen. Die Gefahr, im Keller eines selbst ernannten ‚Volksbürgermeisters‘ zu landen, ist dagegen gering.“

Ist ein Buch über die Volksrepubliken Donezk und Lugansk nicht zwangsläufig einseitig, wird sich der Leser vielleicht fragen? Ich glaube, ich habe ein ganz gutes Bild von der Ukraine. Ich kenne das Land seit 1983, als ich das erste Mal mit einem Privatauto in der Ukraine — damals als Tourist — unterwegs war. 1992 lebte ich in Kiew zwei Monate in einer ukrainischen Familie. Von da an habe ich die Ukraine regelmäßig besucht. Im Juli 2014 drehte ich in Odessa das erste Material für den Film „Lauffeuer“ über den Brand im Gewerkschaftshaus (18).

Doch mit diesem Film habe ich es mir mit der Regierung in Kiew verscherzt. Im April 2016 bekam ich im Flughafen von Odessa ein Einreiseverbot für fünf Jahre in meinen deutschen Pass gestempelt.

Der Grund sei, so teilte es mir das deutsche Auswärtige Amt mit, dass ich 2015 Donezk von Russland — und nicht wie vorgeschrieben — von der Ukraine aus besucht hatte.

Seit meinem Einreiseverbot habe ich mich weiter intensiv mit der Entwicklung in der Ukraine beschäftigt und immer, wenn es mir möglich war, habe ich in Russland oder Deutschland Interviews mit Bürgern aus der Ukraine geführt. Meist waren es Menschen aus dem Lager der russlandfreundlichen ukrainischen Opposition.

In der Volksrepublik Donezk war ich in den Jahren 2014, 2015, 2017, 2018 und 2020. Immer reiste ich von Russland aus ein. Dabei war ich mir bewusst, dass ich mit meinen Reisen in die „Volksrepubliken“ ein Einreiseverbot in die Ukraine riskiere. Ich habe dieses Risiko auf mich genommen, weil ich fürchtete, dass die ukrainischen Behörden mich wegen meiner kritischen Artikel über den Maidan und meinen Film „Lauffeuer“ nicht in die Volksrepubliken weiterfahren lassen.

Auch fürchtete ich, dass mich ukrainische Nationalisten und Faschisten in der Ukraine auf der Straße anfallen, wie es seit 2014 zahlreichen Oppositionellen in der Ukraine passiert ist. Mehrere ukrainische Oppositionelle wurden seit 2014 ermordet, 2015 der Russland-freundliche Schriftsteller Oles Busina und 2016 der westlich-orientierte, liberale Journalist Pawel Scheremet.

Der mit dem Berliner Dokumentarfilmer Marco Benson, der Video-Gruppe „Leftvision“ und mir gemeinsam produzierte Film „Lauffeuer“ hatte im Internet hohe Zugriffszahlen. Der Film wurde auf zahlreichen Diskussionsveranstaltungen zur Ukraine im deutschsprachigen Raum gezeigt. Die großen deutschen Medien verschwiegen „Lauffeuer“ allerdings. Im deutschen Fernsehen wurde unser Film nicht gezeigt.

Doch das war noch eine geringe Strafe für eine wahrheitsgemäße Berichterstattung. Schlimmer erging es dem deutschen Dokumentarfilmer Mark Bartalmai, der zwei Jahre in Donezk gelebt, das Kriegsgeschehen per Video dokumentiert und zwei Dokumentarfilme gemacht hatte, „Ukrainian Agony — Der verschwiegene Krieg“ (19) und „Frontstadt Donezk — Die unerwünschte Republik“ (20).

Nach seinem ersten Dokumentarfilm über den Krieg in der Ostukraine wurde Bartalmai in den Fernsehsendungen Fakt (MDR) und Frontal (ZDF) zur besten Sendezeit „Propaganda für Russland“ vorgeworfen. Bartalmai, der bei den Dreharbeiten sein Leben riskiert hatte, wurde dem deutschen Fernsehpublikum abfällig als „selbst ernannter Kriegsreporter“ vorgestellt. Er habe den Beruf des Journalisten gar nicht erlernt, warfen ihm die Journalisten der öffentlich-rechtlichen Kanäle vor. Man fragt sich, warum diese Journalisten die Präsidenten der USA und der Post-Maidan-Ukraine — die zuvor Schauspieler, Oligarchen oder Komiker waren — noch nie wegen mangelnder fachlicher Reife kritisiert haben.

Ein Mittel, Kritik an der ukrainischen Regierung in Deutschland zu unterdrücken, war auch, dass man Journalisten und Aktivisten Kontakte mit Reichsbürgern oder russischen Nationalisten vorwarf.

Als Oleg Muzyka — Überlebender des Brandes im Gewerkschaftshaus von Odessa und anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland — im Dezember 2015 ein Filmfestival mit Filmen zur Odessa-Tragödie und zum Krieg im Donbass veranstalten wollte, wurde das verhindert (21).

Das Berliner Kino „Babylon“ und das Berliner „Haus der Demokratie“ zogen anfängliche Zusagen für das Filmfestival zurück. Die Leitung des „Hauses der Demokratie“ erklärte in einem Schreiben, das geplante Filmfestival widerspreche den Grundsätzen des Hauses. Festivalorganisator Oleg Muzyka habe Kontakte zu rechtspopulistischen und nationalistischen Gruppen wie den „Reichsbürgern“. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Der Grundansatz der von Ihnen geplanten Veranstaltung erscheint uns eher als eine Fortführung des Bürgerkrieges mit diskursiven Mitteln. Damit ist es Teil des Problems und kein Ansatz zur Lösung des Konfliktes im zivilgesellschaftlichen Sinne.“

Eigene Untersuchungen, Analysen und Filme zu den Ereignissen im Odessa und im Donbass hat der deutsche Mainstream seit 2014 nicht vorgelegt. Offenbar ist es ihm ganz recht, dass die Verbrechen der Staatsstreichregierung in Kiew größeren Teilen der deutschen Bevölkerung nie bekannt wurden.


Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Der längste Krieg in Europa seit 1945“ von Ulrich Heyden.


(1) Julian Röpcke, Twitter-Meldung, 4. Dezember 2021.

(2) Wladimir Putin, 21. Dezember 2021, https://ria.ru/20211221/putin-1764715185.html

(3) Interview DNR-Menschenrechtsbeauftragte Darja Morosowa, 26. Februar 2022, https://lenta.ru/articles/2022/02/26/morozovadnr/

(4) Andrej Hunko, Reisebericht, 19. Februar 2015, https://www.andrej-hunko.de/7-beitrag/2497-auf-humanitaerer-mission-bericht-ueber-eine-skandaloese-reise-in-die-ostukraine

(5) „Linken-Abgeordnete auf Abenteuertour im Kriegsgebiet“, Tagesspiegel, 20. Februar 2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/wolfgang-gehrcke-und-andrej-hunko-in-der-ostukraine-linken-abgeordnete-auf-abenteuertour-im-kriegsgebiet/11400156.html

(6) Ulrich Heyden, 11. Juni 2018, https://ulrich-heyden.de/article/meine-rede-im-bundestag-deutsche-medien-haben-angst-vor-der-wahrheit-der-ukraine

(7) Peter Nowak, 13. Juni 2018, https://www.heise.de/tp/features/Fuer-Oppositionelle-gibt-es-in-der-Ukraine-keine-Menschenrechte-4077292.html?seite=all

(8) Günter Herkel, 12. Juni 2018, https://mmm.verdi.de/internationales/ukraine-leerstellen-bei-berichterstattung-51493

(9) Interview von Saadi Isakov und Wladimir Sergijenko, 14. Juni 2018, https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/334099.zerst%C3%B6rung-der-vielfalt-kann-zum-kollaps-f%C3%BChren.html

(10) Fraktion Die Linke im Bundestag, Videos Teil 1 https://www.youtube.com/watch?v=Fj_jm1Ky8-8&t=10s; Teil 2 https://www.youtube.com/watch?v=EA6iYgu6t9s&t=1490s; Teil 3 https://www.youtube.com/watch?v=BOt_qGaoRd8&t=1822s

(11) Michail Tulski, Die Ergebnisse der Volkszählung in der Ukraine 2001, 19. Mai 2003, http://www.demoscope.ru/weekly/2003/0113/analit03.php

(12) Andrej Hunko, 29.Oktober 2014, https://weltnetz.tv/video/593-opfer-des-odessa-massakers-klagen

(13) Ein Kranz aus Berlin für Odessa, Süddeutsche Zeitung, 13. Mai 2014, https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-analyse-ein-kranz-aus-berlin-fuer-odessa-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-140513-99-03934

(14) Unterstützung der Ukraine, Bericht der Bundesregierung, 18. Februar 2022, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/buerokratieabbau/unterstuetzung-ukraine-2003926

(15) Wie Deutschland die Ukraine unterstützt, ntv, 14. Februar 2022.

(16) Magazin Fakt, 1. April 2015, https://www.youtube.com/watch?v=kRxRYedhBHQ

(17) Moritz Gathmann, „Ukraine — Das Thema ist tot“, Ostpol, 6. Juni 2014, https://www.ostpol.de/beitrag/3996-ukraine_das_thema_ist_tot

(18) Ulrich Heyden/Marco Benson, Video-Dokumentation „Lauffeuer“, 13. März 2015, https://www.youtube.com/watch?v=LXRIuVNGmds

(19) Mark Bartalmai, Dok. Ukrainian Agony — Der verschwiegene Krieg, 17. Dezember 2015, https://www.youtube.com/watch?v=sy759dlJWYE

(20) Mark Bartalmai, Dok. Frontstadt Donbass — Die unerwünschte Republik, 1. Oktober 2017, https://www.youtube.com/watch?v=w5-JPEcMHfg

(21) Ulrich Heyden, Ostukrainische Frauen: „Womit haben wir das verdient?“

21. Dezember 2015, Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Ostukrainische-Frauen-Womit-haben-wir-das-verdient-3377367.html

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