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Zur Lage in der Ukraine: Patt-Situation mit nachlassender Tendenz für Russland

Published On: 9. Mai 2022 13:27

Nicht weit von uns entfernt tobt ein fürchterlicher Krieg. Russland greift sein Nachbarland Ukraine an und zerstört Städte, will das Land dem Erdboden gleichmachen. Aus dem Mund von Politgeistern, die noch vor Kurzem von Frieden sprachen, kommen Sätze über »Sanktionen, die Russland derart schädigen sollen, dass es volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt«. Sie übersehen, dass die sogenannten Sanktionen erst einmal das eigene Land treffen, während Russland noch besser als zuvor am Öl- und Gasverkauf verdient.

Von fehlenden Karotten und Stöckchen (»carrots and sticks«, sozusagen Zuckerbrot und Peitsche) spricht Sicherheitsexperte und Oberst a.D. Ralph Thiele in seiner aktuellen Analyse mit Tichys Einblick. Für Thiele, der Schlüsselpositionen beim Nato-Oberbefehlshaber und im deutschen Verteidigungsministerium innehatte, sieht die Lage in der Ukraine »ein bisschen nach einem Patt aus mit einer nachlassenden Tendenz für Russland«.

Am Anfang schien es ziemlich aussichtslos, dass sich die Ukraine erfolgreich dagegen wehren kann. »Wir waren überrascht im Grunde von den handwerklichen Problemen der Russen, die inzwischen auch einen enormen Aderlass an Menschen haben. Das werden wohl 20.000 oder mehr sein, die getötet wurden. Hinzu kommt ja dann ein Vielfaches von denen, die verwundet oder gefangen wurden«, führt Thiele im Gespräch mit TE weiter aus. »Auch materiell ist es einfach unfassbar, dass den Russen über 3000 gepanzerte Fahrzeuge inzwischen verloren gegangen sind. Was mich wirklich verwundert und überrascht, ist, dass davon knapp die Hälfte unbeschädigt in die Hände der Ukraine gelangt ist, sodass sich die Ukrainer im Grunde aus dem russischen Material und der russischen Logistik verstärken, während Russland einen enormen Aderlass hat.«

»Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass Russland vormarschiert und Geländegewinne erzielt und die Opfer im Wesentlichen aufseiten der ukrainischen Bevölkerung liegen.« Auf die Frage: »Hätten Sie sich das vorstellen können, dass solche Szenen, solche brutalen Szenen in Europa noch mal möglich sein werden?«, antwortet Militärfachmann Thiele: »Leider ja. Das ist ja dieser euphemistische Ruf nach dem Ende der Geschichte von Francis Fukuyama. Dass er bei uns auch echot, war ein Thema, das uns als Soldaten immer Sorgen gemacht hat … wir Soldaten waren uns immer bewusst, dass Krieg wiederkommen kann.«

Als Serbien über seine Nachbarn herzog, war dies »sicherlich eine Bestätigung, dass Krieg auch in Europa weiter möglich ist. Die Militärs waren sich eigentlich immer einig, dass man auch Richtung Russland durchaus mit Vorsicht gucken muss. Von daher sind wir aus meiner Sicht sehenden Auges in eine schwierige Situation geraten, die leider jetzt dieser Tage immer gerne in Vergessenheit gerät.« Thiele weist auf die extrem dezimierten Fähigkeiten Deutschlands hin, (»wir können ja noch nicht einmal einen Flugplatz bauen«) – ein Umstand, der sofort dazu führen müsste, dass eine entsprechende Debatte darüber beginnen müsste. »Was ist denn in der Bundeswehr bislang geschehen, um die ganzen Defizite in Munition, Waffensystem und so weiter auszugleichen?«

Thiele: »Ich bin nicht überrascht – leider – von der Entwicklung, wie sie insgesamt stattfindet. Und nach wie vor scheint mir, dass die Verantwortlichen noch zu überrascht sind, um konkrete Schritte zu unternehmen.« Von daher sei diese Diskussion der letzten Wochen ja eine abenteuerliche, »wonach wir im Grunde nicht nur unser – in Anführungsstrichen – Sportgerät gen Ukraine schicken sollen, das wir selbst genutzt haben, um es auszuschlachten, um unsere eigenen Systeme weiter einsatzfähig zu halten, sondern wir sollen jetzt auch diese einsatzfähigen Systeme weiter schicken.« »Man muss sich fragen: Wer soll denn dann wohl in Polen oder den baltischen Staaten zu Hilfe kommen, wenn es wirklich weiter eskalieren sollte?«

»Bemerkenswert« findet Thiele den historischen Umschwung in den Zielen, wie sie die Amerikaner an jenem historischen Dienstag in Ramstein an die Europäer ausgegeben haben. »Hier in Europa gab es dazu noch gar keine Diskussion. Tatsächlich geht das ja sogar weiter. Denn die britische Außenministerin hat mittlerweile auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung Chinas mit Taiwan gefragt, ob die Nato nicht auch dort eine größere Rolle einnehmen müsste.«

Ihm kommt das »maßlos« vor: »Weil man sich ja immer wieder vor Augen halten muss: Russland hat sich in seinen Fähigkeiten bei nuklearen und auch bei Überschallwaffen in eine Lage versetzt, wo es den Westen erpressen kann. Wir haben hier – und das schließt die Amerikaner ein –, keine Verteidigung gegen Überschallwaffen. Die amerikanischen Nuklearwaffen sind eigentlich auch weitgehend modernisierungsbedürftig.«

»Das heißt also: Eigentlich müssten sich die Amerikaner große Sorgen machen, den Konflikt mit Russland zu eskalieren, weil man ›nach oben‹ nicht mithalten kann. Dieses jetzt zeitgleich auch noch auf das asiatische Thema auszudehnen mit Europäern, die nun jede Menge Schwierigkeiten im konventionellen Bereich haben, scheint mir vollkommen unangemessen.« Zeit wäre notwendig: »Zeit, um unsere militärischen Fähigkeiten zu rekonstruieren.«

Von dem Krieg werde Gewalt und vielleicht auch Terrorismus »nicht nur in Richtung Russland getragen, sondern auch in die europäischen Anrainer Polen, die baltischen Staaten – vielleicht sogar bis nach Berlin hinein … Solch ein langwieriger Konflikt sollte uns auf jeden Fall Sorge bereiten. Wir sollten viel tun, wenn nicht alles tun, um das abzuwenden.«

Ein weiterer Punkt ist aus Sicht Thieles außerordentlich besorgniserregend: »Leute in der Regierung … haben den Einsatz von Nuklearwaffen bereits eingepreist. Es wird zwar öffentlich anders gesagt, aber man hört hinter den Kulissen, dass der Einsatz einer russischen Nuklearwaffe, zum Beispiel über dem Schwarzen Meer oder in der Ostukraine keineswegs unvorstellbar ist.« Die Chinesen wären natürlich – statt einer weiteren Front, der man sich zuwenden müsste – vielleicht sogar ein ganz wichtiger Teil der Lösung, um jetzt kurzfristig auch diesen Krieg in der Ukraine zu beenden.

Der Frage über den möglicherweise mangelhaften Zustand der russischen Atomwaffen misst er keine große Bedeutung bei: »Sie sind ja theoretisch erst mal die stärkste Nuklearmacht der Welt, die Russen mit 8000 plus Sprengköpfen, das ist schon mal eine ganze Menge. Wenn selbst da ein paar fehlen sollten, macht das den Kohl nicht fett, wenn ich das so sagen darf. Es bleibt eine dramatische, bedrohliche Angelegenheit. Insbesondere jetzt muss man sich auch deshalb große Sorge machen, weil die Russen damit auch die Möglichkeit haben, amerikanische Führungsfähigkeiten lahmzulegen, sodass hier große Sorge besteht, ob denn Amerika überhaupt rechtzeitig auf einen russischen Nuklearschlag reagieren könnte.«

»Die Grundfrage wird tatsächlich sein: Russland ist da, Russland ist ein europäischer Staat, Russland führt Krieg, die Ukrainer leiden und wir sollten Wege finden, wie wir das beenden können.« Da gebe es mit Sicherheit Möglichkeiten. »Die Wege, die wir derzeit suchen, bestehen im Wesentlichen darin, ausschließlich mit Sanktionen zu arbeiten. Also das heißt im Englischen ›carrots and sticks‹, die man ansetzt. Wir haben keine Karotten, wir haben keine Mohrrüben, die wir dem anderen anbieten können. Tatsächlich muss man für Wohlverhalten auch irgendwelche lohnenswerten Ziele anbieten. Und die Schläge, die wir anbieten, die ›sticks‹, die wir anbieten, die Sanktionen sind ja welche, die auch weitgehend uns selbst treffen.«

»Wir sehen es gerade bei dem Herumeiern mit dem Thema Öl, wo es sein kann, dass Russland durch unsere Sanktionen dann vielleicht sogar noch mehr Geld mit Ölverkäufen verdient. Also unsere Sanktionen sind nicht besonders beeindruckend für Putin. Und Möhren haben wir gar nicht.« China spielt aus seiner Sicht eine ganz entscheidende Rolle. »Die sind im Augenblick überhaupt noch gar nicht in das Thema Konfliktlösung auf diesem Kriegsschauplatz Ukraine involviert.«

Im Augenblick würden die Eskalationsstufen hinaufgeschraubt. »Putin hat seine Ziele vielleicht graduell reduziert, aber er will es wissen. Das heißt, er will jetzt das Thema ‚Donbass einnehmen‘ und ‚über die Küstenlinie zur Krim‘ haben und dort vielleicht auch ein Staatsgebilde oder mehrere etablieren. Der Westen wittert Morgenluft, dass man das Problem ‚Russland und seine Aggressivität‘ jetzt und für die Zukunft beseitigen könnte. Die Ukrainer wittern Morgenluft, dass es ihnen vielleicht sogar gelingen könnte, Russland zu besiegen. Vor diesem Hintergrund wird das nicht aufhören, bis eine Seite das Gefühl hat, dass jetzt genug ist. Und dahinter steckt die nukleare Eskalation.«


Das gesamte Gespräch können Sie sich hier anhören.

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