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Finnland und Schweden in die Nato? Die Rache des kleinen Sultans

Published On: 16. Mai 2022 16:26

Den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden allerdings wird Erdogan am Ende doch nicht verhindern. Und das allein schon deshalb, weil sonst der ganz große Bruder in Washington den Osmanen spürbare Daumenschrauben anlegen würde.

IMAGO / SNA

Nato-Hauptquartier in Brüssel

Spätestens nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine war zu erwarten: Diejenigen demokratischen Staaten Europas, die bislang noch nicht unter das Dach der Nato geschlüpft waren, würden spätestens jetzt ernsthaft darüber nachdenken – und letztlich den Schritt wagen. Maßgeblich handelt es sich dabei aktuell um zwei skandinavische Länder, die – aus unterschiedlichen Gründen – seit ewigen Zeiten neutral waren und dennoch militärisch bereits eng verzahnt sind mit den Streitkräften der nordatlantischen Allianz. Doch plötzlich kommen Querschüsse aus der Südostflanke des Bündnisses. Die Türkei des Recep Tayyip Erdoğan ist dagegen – und Beitrittsbeschlüsse müssen einstimmig erfolgen.

Betreibt Erdoğan hier das Geschäft Moskaus – oder was treibt ihn, dem Verteidigungsbündnis ein Bein zu stellen?

Der Fall Finnland

Finnland, an dessen Beitrittsgesuch keine Zweifel mehr bestehen, gehörte vom Spätmittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert zur damaligen Ostsee-Großmacht Schweden. 1808 überfiel Alexander I den Landstrich zwischen Bottnischem und Finnischem Meerbusen. Nach einem erfolgreichen Eroberungsfeldzug gegen Schweden einverleibte Russland die Finnen seinem Imperium und schuf das Großfürstentum Finnland. Dortige Unabhängigkeitsbestrebungen führten dazu, dass im Zuge der Oktober-Usurpation durch die kommunistischen Berufsrevolutionäre um Lenin das finnische Parlament am 6. Dezember 1917 seine Unabhängigkeit erklärte, was noch im Dezember vom Russland der Räte anerkannt wurde. Allerdings kam es in der Folge zu im Ergebnis erfolglosen, sozialistischen Umsturzversuchen in Finnland, hinter denen zumindest geistige Brüder der neuen Kremlherren zu vermuten sind.

1920 unterzeichneten die Sowjetunion und Finnland einen Friedens- und Grenzvertrag, in dem die Grenzen des Großfürstentums anerkannt sowie um einen Zugang zum nördlichen Polarmeer erweitert wurden. Da Russland – empirisch betrachtet – schon immer die Tendenz hatte, sich an Verträge nur so lange zu halten, wie es dieses für sich zweckmäßig erachtete, stellte die Sowjetunion 1939 an Finnland die Forderung, die Landenge von Karelien – nördlich von Leningrad – abzutreten. Mit der Forderung Stalins hätte Russland seine Landgrenze bis auf 30 Kilometer an die zweitgrößte finnische Stadt Viipuri/Wiborg herangeschoben. Als Finnland ablehnte, kam es zum russischen Überfall und zum sogenannten Winterkrieg vom 30. November 1939 bis zum 13. März 1940. Zuvor hatten die beiden diktatorisch geführten Länder UdSSR und Deutsches Reich in einem Nichtangriffspakt Finnland einer „sowjetischen Einflusszone“ zugeschlagen.

Das Ukraine-Muster

In gewisser Weise ähnelte Stalins Überfall jenem Muster, das dessen Nachfolger Putin gut 80 Jahre später in der Ukraine versuchen sollte. Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur sollten die Finnen in die Knie zwingen – eine großangelegte Landoffensive die Einverleibung des Landes sicherstellen. Zwar konnten die Finnen unter Carl Gustaf Emil Mannerheim die Besetzung ihres Landes abwehren, doch die Sowjetunion hält mit einem erpressten Friedensvertrag Teile Finnlands bis zum heutigen Tage besetzt. So verloren die Finnen 1940 mit Karelien nicht nur ihre Stadt Viipuri, sondern auch einen Vorposten im Nordmeer und den Osten der Region Salla. 1944 kam es zu einem erneuten Konflikt, bei dem die UdSSR den Finnen nunmehr auch deren Zugang zum Nordmeer abpresste.

Nach dem Ende des bewaffneten Konflikts in Europa folgte die entsprechend benannte „Finnlandisierung“. Der Begriff besagt, dass Finnland zwar offiziell ein unabhängiger, neutraler Staat blieb, jedoch vom Wohl und Wehe der Launen der Herren in Moskau abhängig war. Dieser Zustand änderte sich erst mit der Implosion des Sowjetreichs 1989/90, in dessen Folge Finnland zwar nicht die russisch besetzten Gebiete zurückbekam, jedoch sich nun eindeutig nach Westen orientierte, der EU beitrat und den Euro einführte. Die offizielle Neutralität allerdings hatte Finnland trotz der militärischen Kooperation mit der Nato bewahrt, bis Russlands Überfall auf die Ukraine nun den finalen Beweis erbracht hatte, dass sich an der aggressiv-imperialen Politik der russischen Führungen seit dem Zarenreich nichts geändert hat.

Der Fall Schweden

Anders als das kleine und junge Finnland gehörte Schweden seit den Zeiten der Wikinger zu einer der Führungsmächte an der Ostsee. Schwedische Waräger gelten im Frühmittelalter als Ursprung der Besiedlung und Kultivierung des russischen Kernlands. Im 17. Jahrhundert war Schweden eine europäische Großmacht, die durch ihre Einmischung in die Konflikte des sogenannten 30-jährigen Krieges auch Teile des Südufers des baltischen Meeres unter ihre Kontrolle brachte. Seine Vormachtstellung verlor das skandinavische Königreich im Zuge des Nordischen Krieges gegen die Allianz aus Russland und Dänemark zwischen 1700 und 1721, an dessen Ende Russland zur Ostseemacht wurde und Zar Peter I mit der Gründung der künftigen Metropole Sankt Petersburg im Jahr 1707 Russlands Westausdehnung manifestierte.

Schweden, das nun auch seine deutschen Besitzungen verlor, hielt sich künftig aus den europäischen Konflikten weitgehend heraus, bewahrte selbst im Krieg von 1939 bis 1945 seine Neutralität – nebst wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen zum von Adolf Hitler geführten Deutschen Reich. Auch in der Phase des Kalten Krieges zwischen den damaligen Supermächten USA und UdSSR fuhr Schweden mit seiner Neutralität scheinbar gut, musste jedoch regelmäßig die Erfahrung machen, dass sich russische U-Boote in seine Gewässer „verirrten“. Auch in Schweden hat der eklatante Vertragsbruch und die Aggressivität Russlands gegenüber der Ukraine seit 2014 ein Umdenken bewirkt, welches voraussichtlich dazu führen wird, dass die Skandinavier unmittelbar nach den Finnen um Beitritt in die Nato ersuchen werden.

Und was hat das mit der Türkei zu tun?

Umso unverständlicher will erscheinen, dass nun ausgerechnet die Türkei einem solchen Beitritt der beiden längst in die Nato-Militärstrukturen integrierten Länder widerspricht. Das lässt die Frage aufkommen, ob Erdogans Türkei nicht klammheimlich das Geschäft Putins betreibt, mit dem er sich bereits im Syrienkrieg auf einen Status quo der Macht geeinigt hatte, der beiden Beteiligten einen territorialen Zuwachs und politischen Einfluss sichert.

Doch die tatsächliche Antwort dürfte wesentlich profaner sein. Erdogan nutzt zum einen die Gelegenheit, dem Dauerrivalen Griechenland eins auszuwischen: „Wir verfolgen die Entwicklungen, was Schweden und Finnland angeht. Aber wir sehen das nicht positiv. Denn frühere Regierungen haben in der Vergangenheit einen Fehler bei der Mitgliedschaft Griechenlands in der NATO gemacht. Und jeder kennt die aktuelle Haltung Griechenlands gegenüber der Türkei, hinter der auch die NATO steht. Als Türkei wollen wir ähnliche Fehler nicht wiederholen.“ Und er nutzt sie zum Schlag gegen die Kurden: „Skandinavische Länder sind wie ein Gästehaus für Terrorgruppen. Mitglieder der PKK verstecken sich in Schweden und den Niederlanden. Es gibt Unterstützer des Terrorismus im Parlament. Wir können dem nicht positiv gegenüberstehen.“

Kurzum: Der türkische Diktator vermengt wieder einmal Fakten und Scheinfakten und Weltsichten, die miteinander und vor allem mit der Sache selbst wenig bis nichts zu tun haben. So legt nun Erdoğans außenpolitisches Sprachrohr Mevlüt Çavuşoğlu eilfertig nach, unterstreicht den Vorwurf, beide Länder würden die von der Türkei als „Terrororganisationen“ geführten, kurdischen Befreiungsbewegungen der marxistisch orientierten Exil-türkischen PKK und der syrischen YPG, die dort in Kooperation mit den USA gegen den radikal-islamischen „Islamischen Staat“ vorgeht, zu fördern. Diese beiden Länder sollten aufhören, den „Terrorismus zu unterstützen“. Zudem müssten Exportbeschränkungen gegen die Türkei aufgehoben werden. Hier geht es vor allem um Rüstungsgüter und um das Verhältnis EU-Türkei.

… und die Rache für den Genozid

Die Osmanen, die angesichts des russischen Überfalls Oberwasser verspüren, versuchen einmal mehr einen Handel. Im Grunde kann es Erdogan und seinen Vasallen an der Südostflanke der Nato nur recht sein, wenn die Nordostflanke durch den Beitritt zweier leistungsfähiger Partner gestärkt wird.

Doch da ist nicht nur die Kurden-freundliche Politik, die in beiden Nordstaaten gepflegt wird – da ist auch noch die türkische Grundverärgerung darüber, dass der jungtürkische Völkermord an den Armeniern von einigen Ländern als solcher benannt wird. So hatte Schwedens Parlament 2010 neben der grundsätzlichen Genozid-Anerkennung den Türken ins Stammbuch geschrieben: „Eine Anerkennung des Genozids von 1915 ist nicht nur wichtig für die Wiedergutmachung mit den betroffenen ethnischen Volksgruppen und Minderheiten, die noch immer in der Türkei leben, sondern auch für die Förderung der Entwicklung der Türkei. Die Türkei kann keine bessere Demokratie werden, wenn sie die Wahrheit über ihre Vergangenheit leugnet.“

Hier wittert nun Erdogan die Chance zur Revanche: Als Rache für den gefühlten schwedischen Tritt gegen das türkisch-nationale Schienenbein will Erdogan nun den Skandinaviern ein Bein stellen. Finnland ist dabei eher nur Kollateralschaden.

Der ganz große Bruder wird es richten

Allerdings wurde am Sonntag auch erkennbar, dass offenbar bereits ein Ordnungsanruf aus dem fernen Washington erfolgt sein dürfte. Denn nun ließ Çavuşoğlu immerhin wissen, dass man den Nato-Ansatz der „offenen Tür“ grundsätzlich unterstütze. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, er gehe davon aus, dass die „türkischen Bedenken“ ausgeräumt werden könnten. Es geht also nur noch um die Höhe des Preises, der ergattert werden kann. Und im Zuge der Verhandlungen vielleicht auch ein wenig um die Frage, ob der Ausschluss aus der Nato für Mitglieder, die in jeder Hinsicht gegen die im Vertrag niedergeschriebenen Statuten verstoßen, ebenso einstimmig erfolgen muss wie die Aufnahme neuer Mitglieder.

Denn an der Tatsache, dass sich die Türkei längst von jeder Voraussetzung für die Nato-Mitgliedschaft meilenweit entfernt hat, herrscht in den Reihen der Bündnispartner keinerlei Zweifel. Ungewohnt diplomatisch fasste Außenminister Annalena Baerbock diese Tatsache in die folgenden Worte: „Eigentlich müsste jedes demokratische Land erfreut sein, wenn Demokratien mit starken Verteidigungsfähigkeiten das gemeinsame Bündnis stärker machen.“ Will sagen: Uneigentlich ist es bezeichnend, dass sich ausgerechnet ein Land gegen die Bündniserweiterung stark macht, das es mit Demokratie nicht so recht hat.

Nur leider braucht man den neo-osmanischen Quälgeist am Bosporus derzeit noch – und wird ihn brauchen, solange der traditionelle russische Wortbruch nebst Überfallpolitik nicht der Vergangenheit angehört. So etwas macht selbst einen schwachen und unsicheren Kantonisten wie Erdogan zumindest vorübergehend stark. Den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden allerdings wird er am Ende dann doch nicht verhindern. Und das allein schon deshalb, weil sonst der ganz große Bruder in Washington den Osmanen spürbare Daumenschrauben anlegen würde.

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