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Die diskrete Ermächtigung der WHO

Published On: 19. Mai 2022 14:00

Von Laura Kölsch und Dr. Manfred Kölsch.

Weitgehend ohne öffentliche Aufmerksamkeit kann die WHO-Weltgesundheitsversammlung bis zum 28. Mai 2022 die weitere Aushöhlung von Souveränität und Demokratie im Bereich der öffentlichen Gesundheit beschließen.

Die COVID-19-Strategie der vergangenen zwei Jahre wird innerstaatlich diskutiert. Die Rolle und das Regelwerk internationaler Institutionen wie der WHO bleiben dabei meistens unbeachtet. Dabei haben sie doch maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Corona-Maßnahmen des Bundes und der Länder genommen und können diesen in der Zukunft weiter ausbauen. Deshalb wirft dieser Beitrag einen Blick auf maßgebliche Vorschriften des internationalen Gesundheitsrechts sowie deren geplante Änderungen.

Deutsch ist keine Amtssprache der WHO

Trotz Corona-Pause schreitet die Ausgestaltung des internationalen Gesundheitsrechts, die Öffentlichkeit scheuend, weiter voran. Weil Deutsch keine offizielle Sprache der WHO ist, kann man sich die Rechtstexte nur über eine Fremdsprache – z. B. Englisch – aneignen.

Seit März 2022 wird innerhalb der WHO an einem globalen Pandemievertrag gearbeitet. Weitaus weniger im Blick der Öffentlichkeit befindet sich die Fortentwicklung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations – IHR). Zentrale Änderungen der IHR sollen auf der WHO-Weltgesundheitsversammlung vom 22. bis 28. Mai 2022 beschlossen werden. Um den Weg dieser sich fortschreibenden Manifestierung globaler Entscheidungsstrukturen nachvollziehen zu können, ist ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung der IHR förderlich:

Die IHR gehen zurück auf Sanitäts- und Quarantäneregelungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen handeltreibenden Staaten erarbeitet wurden. Anfänglich ging es dabei lediglich um die Kontrolle weniger Infektionskrankheiten (z.B. Cholera, Gelbfieber, Lungenpest) innerhalb des grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs und um Verhinderung von Handelshemmnissen durch die Festlegung einheitlicher Quarantänevorschriften. Hierbei wurde Wert gelegt darauf, den Schutz der öffentlichen Gesundheit mit geringfügigsten Einschränkungen von Handel und Verkehr zu erreichen.

Diese Sanitäts- und Quarantäneregelungen wurden in die 1948 gegründete Weltgesundheitsorganisation WHO als IHR aufgenommen. Es handelt sich hierbei um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nunmehr seine Ermächtigung in Art. 21 der WHO-Verfassung hat und rechtlich bindende Vorschriften für alle WHO-Mitgliedsstaaten enthält. Die IHR (2005) wurden durch das „Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)“ vom 20. Juli 2007 und durch das „Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) und zur Änderung weiterer Gesetze“ vom 29. März 2013 in deutsches Recht implementiert.

Was hier in deutsches Recht implementiert worden ist, ist eine umfassende Überarbeitung der ursprünglichen Sanitäts- und Quarantänevorschriften. Infolge der Anthrax-Anschläge 2001 sowie von SARS 2002 bis 2004 fand eine umfassende Überarbeitung der IHR und damit ein Systemwechsel statt. Der auf wenige Krankheiten und den Handelsschutz beschränkte Ansatz der ursprünglichen Vorschriften wurde für alle für die öffentliche Gesundheit potentiell relevanten Ereignisse geöffnet und verwandelt in ein System aus „Surveillance and Response“ (also Überwachung und Bekämpfung). Inbegriffen war die Verpflichtung zur Schaffung nationaler IHR-Anlaufstellen (National IHR focal points, Art. 4 IHR 2005) mit zahlreichen Melde- und Berichtspflichten an die WHO. Für die Bundesrepublik ist dies das im Geschäftsbereich des BMG liegende Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Länder (GMLZ). Für alle Belange, die Infektionskrankheiten betreffen, kommt dem RKI eine koordinierende Rolle zu.

Einführung einer „neuen Notlage“

Diesen Systemwechsel der IHR 2005 am deutlichsten macht die Einführung einer „Gesundheitlichen Notlage von Internationaler Tragweite“ (Public Health Emergency of International Concern – PHEIC, vgl. Art. 12 IHR 2005). Ein PHEIC ist definiert als „ein außergewöhnliches Ereignis, das (…) i) durch die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit in anderen Staaten darstellt und ii) möglicherweise eine abgestimmte internationale Reaktion erfordert“, Art. 1 IHR 2005).

Zur Konkretisierung der meldepflichtigen Ereignisse als potentiellen PHEIC gegenüber der WHO dient ein Entscheidungsschema (Anlage 2 zu IHR 2005). Danach ist das Auftreten irgendeiner SARS-Variante immer meldepflichtig. Bemerkenswert ist vor allem, dass auch „alle ungewöhnlichen Ereignisse, die von internationaler Tragweite für die öffentliche Gesundheit sein können, einschließlich solcher, deren Ursache oder Quelle unbekannt ist …“, einer Meldepflicht unterliegen.

Ist im Anschluss an eine Meldung der WHO-Generaldirektor „der Ansicht, dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite eingetreten ist, so berät er sich mit dem Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Ereignis auftritt, in Bezug auf diese vorläufige Feststellung. Sind sich der Generaldirektor und der Vertragsstaat hinsichtlich dieser Feststellung einig, so ersucht der Generaldirektor nach dem in Artikel 49 beschriebenen Verfahren den nach Artikel 48 eingesetzten Ausschuss (im Folgenden „Notfallausschuss“) um seinen Standpunkt zu geeigneten befristeten Empfehlungen“ (Art. 12 Abs. 2 IHR 2005).

„Erzielen der Generaldirektor und der Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Ereignis auftritt, im Anschluss an die Verfahren nach Absatz 2 nicht binnen 48 Stunden Einigung darüber, ob das Ereignis eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite darstellt, so wird eine Entscheidung nach dem in Artikel 49 beschriebenen Verfahren getroffen“ (Art. 12 Abs. 3 IHR 2005).

Wer bestimmt eigentlich den WHO-Generaldirektor?

Art. 49 IHR 2005 sieht die Einberufung eines Notfallausschusses (Emergency Committee, im folgenden IHR-Notfallausschuss) vor, dessen Mitglieder vom Generaldirektor aus einem Sachverständigen-Pool ausgewählt werden, dessen Aufstellung er nach Maßgabe des Art. 47 IHR vorgenommen hat (Art. 48 Abs. 2 IHR 2005). Der IHR-Notfallausschuss gibt eine Empfehlung zum Vorliegen eines PHEIC ab. Diese und weitere Kriterien (u. a. wissenschaftliche Grundsätze und Erkenntnisse) muss der Generaldirektor bei seiner endgültigen Entscheidung über die Feststellung eines PHEIC mitberücksichtigen (vgl. Art. 12 Abs. 4 IHR 2005). Die sich hier aufdrängenden Fragen, wie und durch wen der Generaldirektor der WHO tatsächlich bestimmt wird oder wie das Auswahlverfahren zur Bestimmung der Mitglieder des Notfallausschusses abläuft, wären einer eigenständigen Abhandlung vorzuenthalten.

Das Verfahren nach Art. 49 Abs. 3 IHR 2005 kam im Falle von COVID-19 zur Anwendung. Der IHR-Notfallausschuss empfahl am 30. Januar 2020 die PHEIC-Feststellung, welche noch am gleichen Tag durch den Generaldirektor erfolgte. Und die bis heute andauert.

Lockdowns wurden nie vorgeschlagen

Auf die regelmäßigen Berichte des IHR-Notfallausschusses gehen viele Maßnahmen der letzten Jahre zurück, etwa die Entwicklung von Diagnostika, Teststrategien, Kontaktverfolgung, gemeinsame Anstrengungen zur Entwicklung und Verteilung von Impfstoffen, Reisebeschränkungen und die Ausweisung von Hochrisikogebieten. Lockdowns hat der IHR-Notfallausschuss interessanterweise zu keinem Zeitpunkt vorgeschlagen.

Auf nationaler Ebene hatte die Feststellung eines PHEIC die Einführung der dem deutschen Recht bis dahin unbekannten epidemischen Lage von nationaler Tragweite in § 5 IfSG im März 2020 zur Folge, die den völkerrechtlichen PHEIC innerstaatlich komplementiert und grundlegend für die Corona-Maßnahmen des Bundes und der Länder war.

Die 2005 vorgenommenen Ausweitungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) reichen der US-Regierung offensichtlich nicht. In der Atempause, die in der COVID-19-Strategie zur Zeit eingetreten ist, soll die Weltgesundheitsversammlung, das höchste Entscheidungsorgan der WHO, am 22. bis 28. Mai 2022, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Vereinfachung und Beschleunigung zukünftiger, verbindlicher PHEIC-Feststellungen und die Schaffung neuer Ausnahmezustände entscheiden. Die vorläufige Tagesordnung der 75. Weltgesundheitsversammlung verlinkt unter Punkt 16.2 zu dem Dokument A75/18 vom 12. April 2022, das den Änderungsentwurf enthält und die Umstände seiner Einbringung aufzeigt.

Eingebracht wurde der Änderungsentwurf („amendments“) dieser IHR 2005 am 18. Januar 2022 durch die ständige Vertretung der USA bei den Internationalen Organisationen in Genf. Der Entwurf ist den Mitgliedstaaten am 20. Januar 2022 vom WHO-Generaldirektor fristgerecht nach dem maßgeblichen Art. 55 IHR 2005 bekanntgemacht worden. Bereits am 26. Januar 2022 haben über 40 Staaten, darunter auch die EU-Mitgliedsstaaten und die Schweiz, ihre Unterstützung für den US-Vorschlag bekundet.

Das RKI schweigt sich aus

Informationen des Bundesgesundheitsministeriums oder des RKI zu diesem Vorgang sind nicht zu finden. Die „aktuellsten“ Online-Meldungen des Bundesgesundheitsministeriums zur Weltgesundheitsversammlung sind von 2017. Wie im letzten Jahr wird vermutlich der Bundesgesundheitsminister die deutsche Delegation bei der Weltgesundheitsversammlung anführen.

Die Weltgesundheitsversammlung kann international rechtsverbindliche Vorschriften („regulations“) wie die IHR oder deren Änderung beschließen (vgl. Art. 21 WHO-Verfassung). Dies stellt eine Besonderheit im internationalen Recht dar und macht die IHR darum zu einem so attraktiven Durchsetzungsinstrument. Der Clou liegt vor allem im Verfahren zum Inkrafttreten der beschlossenen Vorschriften, welches mit den ursprünglichen Sanitäts- und Quarantänevorschriften in die WHO übernommen wurde und dort den Zweck der möglichst schnell herbeizuführenden Rechtssicherheit im Handelsverkehr verfolgte. Nach dem Beschluss durch die Weltgesundheitsversammlung treten die Vorschriften international in Kraft, es sei denn, ein Staat weist deren Annahme innerhalb einer Frist zurück oder meldet Vorbehalte an (Art. 22 WHO-Verfassung). Teilt ein Staat dem Generaldirektor seine Ablehnung beschlossener IHR-Änderungen innerhalb der in Art. 59 Abs. 1 IHR 2005 vorgesehenen Frist mit, so treten diese Änderungen in Bezug auf diesen Staat nicht in Kraft (vgl. Art. 61 IHR 2005). Ablehnungen oder Vorbehalte, die nach Ablauf dieser Frist beim Generaldirektor eingehen, sind unwirksam (vgl. Art. 22 WHO-Verfassung, Art. 59 IHR 2005).

Bisher beträgt die Frist für die Abgabe solcher Ablehnungs- oder Vorbehaltserklärung 18 Monate. Nach insgesamt 24 Monaten tritt die beschlossene Regelung in Kraft (Art. 59 IHR 2005).

Art. 59 des US-Entwurfs vom 18. Januar 2022 verkürzt die Frist für Änderungen an den IHR erheblich. Die Frist für Staaten zur wirksamen Ablehnung oder Vorbehaltsanmeldung beträgt nur noch sechs Monate. Unmittelbar mit Ablauf dieser sechs Monate sollen die Änderungen auch international in Kraft treten. Zukünftige Änderungen sollen schneller wirksam werden, die Souveränität der Staaten soll wesentlich eingeschränkt werden, indem der US-Vorschlag ihre Rechtsausübung zur Ablehnung oder zum Vorbehalt beträchtlich verkürzt.

Noch mehr Macht für den Generaldirektor

Art. 12 des US-Vorschlags erleichtert und beschleunigt außerdem die Feststellung eines PHEIC. Er entfernt zum einen die zunächst vorgesehene Einigung über die vorläufige PHEIC-Feststellung zwischen dem Generaldirektor und dem Staat, auf dessen Gebiet das Ereignis aufgetreten ist. Und er macht die bisherige Verpflichtung des Generaldirektors, vor Feststellung des PHEIC die Empfehlung des Notfallausschusses abzuwarten, zu einer Ermessensentscheidung des Generaldirektors. Er muss den Notfallausschuss nur noch im Anschluss an seine PHEIC-Feststellung beteiligen.

Durch den Entwurf neu in die IHR eingeführt werden die Figuren des „Public Health Emergency of Regional Concern“, z. B. für Europa, und des „Intermediate Public Health Alert“, einer Art Vorwarnstufe zum PHEIC, die der Generaldirektor im Falle von Ereignissen, die die Kriterien eines PHEIC noch nicht erfüllen, aber erhöhter internationaler Aufmerksamkeit und potentieller internationaler Gegenmaßnahmen bedarf (vgl. Art. 12 Abs. 6 und 7 des US-Entwurfs). Die Einführung dieser Vorwarnstufe wird schon seit Jahren innerhalb der IHR-Revisionsmechanismen diskutiert und zuletzt vorangetrieben vom WHO-Revisionskomitee über das Funktionieren der IHR während der Coronakrise unter Vorsitz von RKI-Chef Lothar Wieler.

Dabei sind bis jetzt deren Voraussetzungen völlig unklar geblieben. Der mit den IHR 2005 begonnene Systemwechsel hin zur globalen Überwachung und Bekämpfung von Ereignissen könnte hiermit weiter ausgebaut werden. Die Machtfülle der WHO würde sich durch diese faktische Voraussetzungslosigkeit noch vergrößern. Tor und Tür für ein in Zukunft noch früheres Versetzen der Weltbevölkerung in Alarmbereitschaft stehen offen.

Im Falle der Annahme des US-Entwurfs durch die Weltgesundheitsversammlung werden wir in Zukunft mit einer noch rascheren, an kurze Fristen gebundenen Fortentwicklung der rechtswirksamen IHR, beschleunigte PHEIC-Feststellungen sowie die Ausrufung neuer Ausnahmezustände wie dem Intermediate Public Health Alert zu rechnen haben. Entsprechende Änderungen des nationalen Rechts werden folgen.

Maßnahmen gegen Gesunde

Diese Art, mit Macht einzugreifen, folgt aus der Position des jeweils Mächtigen und dem gleichzeitigen Begründungsverzicht, mit den aus den letzten zwei Jahren bekannten Folgen für alle Lebensbereiche. In kürzester Zeit wurde das Infektionsschutzgesetz, angelegt auf lokal begrenzte, für Kranke vorgesehene Maßnahmen, umgestellt auf Maßnahmen gegen Gesunde, die jedoch krank werden könnten.

Es ist nicht mehr vorhersehbar, in welchem Bereich welche Beschränkungen auferlegt werden. Ausreichend ist ein außergewöhnliches, grenzüberschreitendes Ereignis mit erheblichen Folgen für die öffentliche Gesundheit. Eine Gefahr soll überall lauern. „Wissenschaft“ liefert für die Mächtigen die Gefahrbegründung. Unter den PHEIC, seine im Entwurf vorgesehene regionale Variante sowie den Intermediate Public Health Alert lassen sich etwa zwanglos die Folgen der Nichterreichung des selbst gesteckten 1,5-Grad-Ziels im Rahmen des Klimaschutzes einordnen. Hierzu passt, dass Art. 6 des US-Entwurfs die Hinzuziehung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP) und der UN-Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) für Ereignismeldungen aus deren Kompetenzbereich vorschlägt. Der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2022 scheint schon einmal die Grundrechte wie selbstverständlich unter einen staatlichen Erlaubnisvorbehalt nach Klimagesichtspunkten zu stellen. Die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie der WHO ermöglicht die stetige Aushöhlung von Souveränität und Demokratie, durch Kompetenzverlagerung auf eine wenig konkret bestimmbare internationale Rechtsebene, durch Intransparenz, durch Sprachbarrieren sowie durch eine kaum informierte Öffentlichkeit.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei KRiSta – dem Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte 

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