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Geschichte als Drama erzählt, das uns den Atem verschlägt

Published On: 2. Dezember 2022 19:10

Nach 1945 schienen Krieg und Machtpolitik gebannt – doch seit Anfang dieses Jahres beherrscht wieder Krieg unsere Gegenwart, von Diskussionen über Militärhilfen, bis zur dramatischen Energieknappheit. Ein grandioses Werk über die Anfänge des Zweiten Weltkriegs hält Lehren für die Gegenwart bereit.

Mit seinem letzten Werk hat uns der Doyen der deutschen Publizistik, Herbert Kremp erstaunliche historische Einsichten beschert: Lehren, die heute brutale Bedeutung erfahren. Es geht um die Anfänge des Zweiten Weltkriegs. Das ist nicht Geschichte, die vorbei ist. Wieder sind es die „Killing Fields“ der Ukraine, in denen die Armeen aufeinandertreffen – jene Region, in der sich der Angriff von Hitlers Wehrmacht auf die Sowjetunion entfaltet und in der beim Gegenangriff die Rote Armee die Wehrmacht zermalmt hat. Unseren Großvätern waren die Namen geläufig: Der Kampf um den Dnjepr-Übergang, die Schlacht um Charkiw, die Panzerschlacht am Kursker Bogen – was wir verdrängt haben, kehrt zurück. Manchmal schaudert man. Wiederholt sich Geschichte doch?

Thomas Kielinger, seinerseits ein Großer, als es solche noch gab im deutschen Journalismus, bescheinigt Kremp „einen Stil, der so treffend wie aufreizend war, so bildgesättigt wie angriffsfreudig, so nachdenklich wie kampfbereit, belebt von großer historischer Bildung“.

Geschichte vom Anfang her erzählt

Da ist zunächst der Ansatz. Geschichte wird nicht vom Ende erzählt, in diesem Fall vom 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation der Wehrmacht. Wer diesen Ansatz wählt, sortiert die Fakten und Einsichten auf das Ergebnis hin, in diesem Fall die Niederlage Hitlers. Aber diese Niederlage war nicht ausgemacht. Es gibt keinen unabänderlichen Verlauf der Geschichte. Sie folgte keinem fertigen Drehbuch. Sie entwickelt sich. Und so ist einer der Lehrsätze von Kremp: „Wer sich in den Krieg begibt, bleibt nicht sein Eigentümer.“ Es kommt anders, als die großen Strategen es für gewiss hielten.

Das Kriegsglück ist trügerisch und wetterwendisch. Im größten Sieg kann die Niederlage verborgen sein. Kremps Ausgangspunk ist Hitlers Sieg über Frankreich.

Tichys Lieblingsbuch der Woche

Das ist Kremps intellektuelle Meisterleistung: Er arbeitet heraus, wie triumphal Hitler Frankreich überrannt hat – und dabei doch das erlebte, was Kremp einen „Strategie-Infarkt“ nennt: Die Wehrmacht zerschlug das britische Heer vor Dünkirchen nicht, wie es möglich gewesen wäre, sondern schaute mehr oder weniger tatenlos zu, wie Winston Churchill die Rettung von 300.000 Mann mit Tausenden Schiffen, Booten und Yachten vollzog. Damit blieb Großbritannien wehrhaft und Hitler wagte nicht den Angriff auf die Kreidefelsen von Dover. Damit war seine Strategie, Großbritannien aus dem Krieg zu nehmen, gescheitert. Und daraus folgte, dass die angelsächsische Welt zum Gegenangriff übergehen würde. In der Stunde des Sieges war Hitlers Niederlage nähergerückt: der von den Deutschen immer gefürchtete und brutalstmöglich geführte und erlittene Zweifrontenkrieg gegen die USA und Großbritannien und die Sowjetunion.

Folgen eine Strategie-Infarkts

Hitler vollzog einen Strategieschwenk und griff die Sowjetunion an, um diesen Gegner auszuschalten, ehe der Angriff aus dem Westen durch die sich „allmählich auftürmende britisch-amerikanische Macht-, Militär- und Ressourcenallianz“ erfolgen würde. Das war nicht sein ursprünglicher Plan, der sich selbstverständlich nahtlos an die völkisch, und vom Rassenwahn  getriebenen Vernichtungspläne anschließt wie an die Überlegung, Raum für das Volk ohne Raum gewinnen zu wollen und die dortige Bevölkerung auszurotten. Die Folgen des „Strategie-Infarkts“ beschleunigen insofern die ohnehin beabsichtigten Eroberungspläne. Analogien drängen sich auf.

Weil Kiew nicht fiel und die Ukraine nicht kapitulierte, änderte Putin seine Strategie und griff den Süden an. Heute wissen wir nicht, wie diese Schlachten ausgehen werden. Aber es zeigt: „zielbegrenzte Kriegsplanung“ ist nicht möglich. Dabei geht es nicht nur um eine neue Strategie – die neue Strategie beinhaltet Risiken, die ursprünglich nicht vorgesehen waren. Im neuen Krieg ist die Ukraine nicht einfach gefallen, sie kämpft und der Westen hat nach kurzem Schock die neue Realität anerkannt und sich auf Hilfe geeinigt, die im Falle eines Blitz-Sieges gar nicht hätte anrollen können. Es ist ein „Strategie-Infarkt“ mit weitreichenden Folgen auch für den möglichen Sieger:  Russland mag im Donbass sogar siegen – erobert aber eine entvölkerte Ruinenlandschaft und hat Schweden und Finnland in die Nato getrieben – statt sich die Feinde fernzuhalten, rücken sie näher, wem immer die rauchende Wüste des Donbass schließlich zufällt.

So entwickelt Kremp eine Art Strategie-Lehre, die den Leser in die Lage versetzt, auch aktuelle Entwicklungen zu erkennen und zu bewerten – jenseits des verwirrenden Propaganda-Geplappers beider Seiten.

Manches wiederholt sich – weil Kremp versucht, alle Akteure und ihr Handeln zu analysieren. Die Rolle Jugoslawiens wie der anderen großen und kleinen Mächte, der Ungarn, Polen, Finnen, Schweden.

Es ist eine ungeheure Materialfülle, die ausgebreitet wird. Man kann fast beliebig ein Kapital aufschlagen, sagen wir: „Italien“, und schon blättert sich die Geschichte dieses Landes auf. Selbstverständlich auch die Entwicklung innerhalb der Sowjetunion mit einer Fülle von Erkenntnissen, die bis in die Gegenwart wirken.

Historikerstreit: Diktatoren im Wettlauf gegen die Zeit

Der größte Teil des Buches widmet sich dem üblicherweise „Überfall“ zu nennenden Angriff auf Russland. Kremp glaubt mit einer Fülle von Belegen nachweisen zu können, dass Hitler seinem Gegenspieler Stalin nur um Wochen, vielleicht sogar nur Tage zuvorgekommen sei. Das erkläre auch einen Teil der unerhörten Anfangserfolge, denn die angreifende Wehrmacht stieß auf ungesicherte Truppen, die ihrerseits in ungeschützter Angriffsstellung lagen. Kremp zeigt auch schonungslos, wie Stalin nach der Überrumpelung das Blatt gewendet hat – und Hitlers „Strategie-Infarkt“ seine tödliche Wirkung entfaltete. Kremps Buch ist dabei eine Fortsetzung der lange wie leidenschaftlich geführten Debatte, ob die Angriffspläne nur von Hitler verfolgt worden wären oder ob Stalin nicht seinerseits einen „Export“ des sowjetischen Systems nach Westen beabsichtigt habe.

Die historischen Analysen dazu sind zahlreich; wissenschaftliches Erkenntnisinteresse wird dabei immer wieder weltanschaulich überlagert: Wer Stalins Aufrüstungs-Pläne pointiert, gilt schnell als Revisionist, der Hitlers Kriegsschuld verharmlosen wolle.

Der Verlauf der Historikerdebatte hat dieses Kapitel abgeschlossen mit einem in Deutschland vorherrschenden Ergebnis, das die These der wechselseitigen Angriffspläne zurückweist. Der einschlägige Artikel in Wikipedia listet einerseits Autoren, Argumente und Veröffentlichungen auf, aber sortiert sie gleichzeitig entlang einer politischen Kategorisierung in erwünscht und unerwünscht, indem ein Framing vorgenommen wird und Vertreter der sowjetkritischen Sicht präventiv als wahlweise „revisionistisch“, „rechts“ oder „rechtsradikal“ abgestempelt werden. Es ist also vermintes Gelände. „Angesichts des geschilderten Sachverhalts“, bilanziert Kremp, „muss man sich fragen, warum Teile der deutschen Fachwelt so vehement gegen den Gedanken zu Felde ziehen, Stalin habe wie Hitler den strategischen Angriff beabsichtig und sei damit zu spät bekommen, weil er vielleicht noch nicht tief genug Atem geholt hatte.“ (S. 383)

Kremp bewegt sich darauf mit „Fünf Prämissen der Betrachtung“. Erstens habe die Diktatur im politischen Denken der damaligen Zeit „als legitime Staatsform“ gegolten und zweitens „war die Verklärung der Gewalt ein allgemein europäisches Phänomen“. Drittens: „Im Staccato der Gewalt schien zunächst kaum aufzufallen, dass Stalin sein Land in den Kriegskommunismus zurückführte, in die Revolution des Terrors.“ Viertens habe erst seit Aufarbeitung der Nach-Sowjetära überhaupt eine Aufklärung dieser „Terra incognita“ erfolgen können, die noch nicht abgeschlossen sei. Und fünftens seien „Vergleiche zwischen Hitler und Stalin zulässig, mehr noch, erforderlich, um Übereinstimmungen und Unterschiede festzuhalten“.

Kremps Buch hätte das Zeug, die Debatte vorurteilsloser zu führen, als dies in den vergangenen Jahren möglich gewesen war. Denn mittlerweile ergibt sich ein neuer Aktualitätsbezug. Immer offener stellt sich Wladimir Putin in die Tradition der Sowjetunion, sogar der Person Stalins und exekutiert eine rücksichtslose Machtpolitik, die in Europa als überwunden galt.

Wenn aber diese „Verklärung der Gewalt“ (Kremp) wieder Richtschnur der Politik wurde, ist es hilfreich, sich die Überlegungen und Schritte der Akteure neu vor Augen zu führen.

Auch die beabsichtigte Eliminierung der Ukraine und weiter Teile ihrer Bevölkerung durch Russland steht in dieser unseligen Tradition einer „quotenregulierten Vernichtung“ (S. 289). Dafür nimmt Kremp die US-Autorin Anne Applebaum zur Kronzeugin. „Beide Systeme bezogen ihre Legitimation daraus, dass sie sich Kategorien von Feinden und Untermenschen schufen, die sie massenweise verfolgten und vernichteten.“ Stalin sei es anders als Hitler aber nicht um „genetic Make-up“ gegangen, sondern um „sociological cleansing“.

Damit greift Kremp tief in das verbotene Fach des Vergleichs von Diktatoren. Seine Kapitel über die Entwicklung des Sowjet-Staates bis hin zur „Dezimierung der Armee“ sind ein weiteres Hauptthema dieses Werks. Die Einwände gegen eine Annahme von Stalins Eroberungsplänen beruhen häufig auch darauf, dass Stalin sehr wohl wusste, wie sehr seine Säuberung der Roten Armee die Schlagkraft reduzierte und schon deshalb einen Überfall auf Deutschland unmöglich gemacht hätten. Im Zuge der Debatte werden auch Zeugen wie die Mitglieder des sowjetischen Hauptmilitärrates Timoschenko und Schukow in der Debatte angezweifelt, die Stalin freisprechen soll. Der beschönigende Blick auf die Sowjetunion und Russland aber verändert sich in Folge des Überfalls auf die Ukraine und Kremp leistet einen wichtigen Beitrag für den Beginn einer vorurteilsfreieren Debatte.

Der beschönigende Blick auf die Sowjetunion und Russland aber verändert sich in Folge des Überfalls auf die Ukraine. Vermeintliche Sicherheiten lösen sich in Luft auf; Annäherungen an die Sowjetunion in ihren unterschiedlichen Gewändern durch deutsche Politiker werden neu gedeutet. Immerhin ist es gängige Lehre, Stalin sei vom Überfall „überrascht“ worden. „Zu der nichts begründeten Annahme, Stalin sei friedfertig gewesen fügt sich in manchen Betrachtungen sozusagen passgenau die nicht minder skurrile Behauptung, der deutsche Angriff haben ihn überrascht. Das eine wie das andere ist schier unvorstellbar“, so Kremp (S. 383). Diese Aussage allerdings galt lange als Geschichtsrevisionismus.

„Die verdammte Generation“

Faszinierende Einblicke in die Zeitgeschichte bietet auch die Lebensgeschichte des Autors: Herbert Kremp (1928–2020) studierte Philosophie, Geschichte und Staatsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo er 1954 bei dem im Nationalsozialismus mit Lehrverbot belegten Kulturphilosophen Alois Dempf mit einer Arbeit über die Kulturtheorie Oswald Spenglers und Arnold Toynbees promovierte. Parallel studierte er Nationalökonomie in Frankfurt und absolvierte ein Volontariat bei der Frankfurter Neuen Presse. 1957 wurde Kremp Redakteur bei der RHEINISCHEN POST (RP), 1959 bei der Berliner Tageszeitung DER TAG, 1961 Korrespondent der RP in Bonn und 1969 ihr Chefredakteur. Zwischen 1969 und 1985 war er dreimal Chefredakteur der Tageszeitung DIE WELT, ab 1985 auch ihr Herausgeber. Er war nächster Berater und Freund Axel Springers.

„Es setzte Kremp öffentlicher Verunglimpfung aus, wenn er als Chefredakteur der Tageszeitung DIE WELT und enger Begleiter Axel Springers in den 70er-Jahren den Glauben an ein freies, wiedervereinigtes Deutschland vertrat gegen ein Meer von Widersachern, die dieses Credo mit Nationalismus verwechselten, was es nie war. Und es ließ ihn, weil er dank exzellenter Kontakte zum Deutschland hinter dem Eisernen Vorhang die Brüchigkeit behaupteter sowjetischer Stabilität wahrnahm, noch lange vor dem Fall der Mauer an der Fiktion solcher »Stabilität« zweifeln“, schreibt Thomas Kielinger in seinem Vorwort zu diesem Buch.

Kremp erhielt zweimal den Theodor-Wolff-Preis und zählte aufgrund seiner Formulierungskraft und seines unverblendeten, illusionslosen Blicks auf alles, womit er befasst war, zu den profiliertesten Vertretern eines im besten Sinne konservativen Journalismus.

Er hat ein faszinierendes, oft auch bedrückendes Werk hinterlassen. Aber es ist das Buch dieser, unserer heutigen Zeit.

Herbert Kremp, MORGEN GRAUEN. Von den Anfängen des Zweiten Weltkriegs. Edition Olzog im Lau-Verlag, 712 Seiten, 38,00 €.


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