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Der Hass auf die Freiheit

Published On: 18. November 2021 13:00

Mit dieser Botschaft auf dem Schild stehe ich an einem Montag vor einigen Wochen am Rostocker Stadthafen neben der Hauptstraße. Auf der Rückseite meines Schildes steht: „Angst frisst die (Kinder-)Seele auf“. Neben mir stehen noch weitere Mitstreiter mit anderen Botschaften auf ihren Schildern. Gleich dürfte es halb sechs am Abend sein.

In den dreißig Minuten zuvor hatte ich viel Zeit, die unterschiedlichen Reaktionen der Autofahrer, die an mir vorbeikamen, zu beobachten. Einige winkten, zeigten ihre Daumen nach oben oder hupten zustimmend. Andere hingegen schüttelten den Kopf, machten den Scheibenwischer oder zeigten mir sogar den Mittelfinger und schrien aus ihren Wagen heraus, was für ein bekloppter Idiot ich doch sei.

„Aber diese krasse Ablehnung, die sich bei einigen geradezu wie Hass anfühlt, kann ja jetzt nicht an meinem Schild beziehungsweise an der Botschaft liegen“, denke ich mir bei diesen Reaktionen jedes Mal. Ich würde sogar sagen, dass diesen Botschaften niemand wirklich widersprechen würde. In einer Gesellschaft, die sich als frei und demokratisch sieht, bewirken extreme Angst und aufgebürdete Schuld doch eher das Gegenteil! Sie engen ein, erzeugen Panik und irrationales Handeln und lassen uns am Ende nur als verlorene Einzelkämpfer in einem gefühlten Überlebenskampf zurück. So etwas kann ja niemand wollen! Und dass Kinder für Angst besonders anfällig und sensibel sind, ist nun auch kein Geheimnis.

Woher also kommen bei einigen diese Hassreaktionen? Wenn es an meinem Schild nicht liegt, könnte es noch an mir persönlich liegen. Jedoch kennen mich die meisten der Vorbeikommenden doch überhaupt nicht. Somit macht dies auch keinen Sinn. Also kann es dann nur noch an der Aktion an sich liegen. Zugegeben, einige Botschaften auf unseren Schildern provozieren, prangern an oder mahnen auch, jedoch sind sie trotz allem ausschließlich auf Frieden und Menschlichkeit ausgerichtet. Darum geht es immerhin bei dieser Schilderaktion: um das Erinnern an Mitmenschlichkeit und das Aufzeigen unserer gespaltenen Gesellschaft. Und wenn man genau hinsieht, kann man das auch erkennen — schließlich steht es ja auf meinem Schild.

Jedoch scheinen diejenigen, die mir Ablehnung und Hass entgegenbringen, diese Botschaft nicht sehen zu können oder zu wollen. Objektiv betrachtet gibt es für diese Gefühle nämlich keinen Grund. Und während ich weiter an der Straße stehe, überlege ich, wie der Grund wohl aussehen könnte; irgendeinen muss es ja geben!

Mir fällt da nur die Schublade ein.

Da wir uns sichtbar, sogar lesbar, diesen grauenvollen Maßnahmen entgegenstellen und auf die fatale Zerrüttung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts und die immer enger anliegenden Fesseln unserer naturgegebenen Freiheiten hinweisen, verstoßen wir gegen das vorherrschende politische Bild vermeintlicher Solidarität.

Somit müssen wir in eine bestimmte Schublade gesteckt werden: in die Schublade der Egoisten, der Asozialen, der rechten Spinner. Und mit Rechten möchte ja niemand etwas zu tun haben.

Auch wenn diese Schublade das genaue Gegenteil von dem ist, was auf unseren Schildern steht, scheinen diese Menschen zu sehr in ihrem Schwarz-Weiß-Denken, das nur noch Freund oder Feind kennt, gefangen zu sein. Und dadurch nehmen sie Inhalte außerhalb dieses Denkrahmens nicht mehr wahr. Ich überlege weiter: „Eigentlich mache ich die Schilderaktion vorwiegend für diese Leute. Um ihnen zu zeigen, dass es nicht nur zwei, drei Schubladen gibt, in die man das Leben einsortieren kann — besonders nicht, wenn sie fremderzeugt sind —, sondern unzählige.“

Manchmal macht mich diese ignorante Haltung dermaßen wütend, dass ich am liebsten zurückschreien möchte: „Was ist denn euer verdammtes Problem? Ihr versteht gar nicht, gegen was und vor allem wofür ihr gerade seid! Damit befindet ihr euch viel näher an der rechten Schublade als ich!“ Doch ich schweige und lasse mein Schild sprechen.

Hin und wieder driften meine Gedanken ab. Ich stelle mir vor, die Ampel hinter mir steht gerade auf Rot, woraufhin ein Auto direkt neben mir zum Stehen kommt. Die Scheiben gehen herunter, und mein Schild wird gründlich und überaus kritisch beäugt. Lapidar wird dann eine abfällige Bemerkung fallengelassen und kopfschüttelnd abgewunken. Um diese Bewertung nicht einfach so stehenzulassen, fasse ich daraufhin den Mut und spreche die Insassen des Wagens umgehend an. Um sie damit, was sie mir eben gezeigt haben, zu konfrontieren:

„Entschuldigung, aber was ist das Problem? Würden Sie dem Schild widersprechen?“

“Ja, was meinst du denn mit dem Schild?“, ruft die Frau auf dem Beifahrersitz fragend heraus.

„Genau das, was draufsteht!“, entgegne ich.

„In einer freien und toleranten Gesellschaft bewirken extreme Angst und aufgeladene Schuld doch nur die Auflösung von Freiheit und Toleranz. Wir können es doch seit fast zwei Jahren beobachten!“

„Hm … ja … stimmt schon irgendwie“, murmelt sie anschließend.

„Siehst du! Das, was auf dem Schild steht, ist auch so gemeint. Wir müssen doch regelmäßig die Lösungen, die uns für diese unbeschreibliche Situation präsentiert werden, hinterfragen und auch kritisieren! Sonst ist die Freiheit bald nur noch ein Begriff, den wir in Geschichtsbüchern lesen werden“, wage ich mich vor, um die Unterhaltung aufrechtzuerhalten.

„Wie meinst du das denn jetzt?“, meldet sich nun der Fahrer, von meiner Aussage offensichtlich angepikt. „Das hört sich wieder so extrem an! Bei dem Schild würde ich dir ja zustimmen, aber … ich bitte dich: unsere Freiheit bald nur noch ein Begriff in Geschichtsbüchern? Das klingt dann wieder sehr nach so krudem, rechtem Geschwurbel.“

„Genau“, pflichtet ihm die Beifahrerin bei.

„Wirke ich denn auf euch irgendwie rechts?“, frage ich nüchtern zurück.

„Nö!“, antwortet der Fahrer trocken. „Eigentlich ganz normal; höchstens ein wenig fertig.“

„Dann vertraut doch diesem Gefühl! Ist es denn wirklich so schlimm, dass wir hier an der Straße stehen und auf politische und gesellschaftliche Missstände hinweisen?“

„Das nicht“, ergreift sie nun wieder das Wort. „Wenn ich aber im Fernsehen die Berichte über die ganzen rechten Demos sehe, auf denen die Leute, wie ihr ja auch, gegen die Maßnahmen sind, und die Gewalt, die dort von den Demonstranten ausgeht, dann erweckt ihr halt schon den Eindruck, dass ihr zu denen dazugehört.“

„Also erstens geht auf den Demos doch die Gewalt nicht von den Demonstranten aus“, erwidere ich verärgert, „und zweitens sind wir doch in keiner Weise gewalttätig! Wir stehen hier für Frieden, Freiheit und …“

Vor wenigen Sekunden hat die Ampel wieder auf grün umgeschaltet. Und die beiden brausen schlagartig davon, bevor ich meinen Satz zu Ende bringen konnte. „Selbstbestimmung“, flüstere ich noch abschließend, während ich ihrem Auto nachsehe und ernüchtert festhalte: Es ist wirklich die Schublade!

Plötzlich werde ich aus meinem Tagtraum herausgerissen. Die Ampel ist jetzt tatsächlich auf Rot, und aus dem Auto, das neben mir gehalten hat, ruft eine Frau heraus:

„Vielen Dank! Sie machen das großartig!“ Noch etwas überrascht blicke ich in das Auto hinein. Die Fahrerin dürfte ein paar Jahre älter sein als ich. Auf dem Beifahrersitz sitzt ein kleines Mädchen von vielleicht sieben Jahren, auf den Rücksitzen sehe ich zwei weitere Kinder, nur wenige Jahre jünger. Die Frau lächelt mir zu und ruft weiter: „Halten Sie durch, auch wenn es schwer ist.“

„Danke sehr“, antworte ich gerührt. „Solche Rückmeldungen geben Kraft. Vielen Dank!“

„Von mir werden Sie die immer bekommen“, entgegnet sie darauf und grinst.

Die Ampel schaltet wieder auf Grün. Freundlich winkt mir die fremde Frau noch einmal zum Abschied zu, bevor sie das Fenster hochlässt und davonfährt.


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