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Herbst des Sammlers – ein Nachruf auf den Filmregisseur Peter Fleischmann

Published On: 1. Januar 2022 22:20

Ein Beitrag von Christian Troberg.

Am 11. August 2021 verstarb der 84-jährige Filmregisseur Peter Fleischmann. Manchmal frage ich mich, ob ich ihn gekannt hätte, wenn ich damals, 1991, nicht zufällig den Züli im Baader Café in München getroffen hätte? Aber gibt es Zufälle überhaupt? Damals lief es so. Es gab ja kein Internet.

Ich war 19, am studieren und wollte „zum Film“. Und nun bekam ich diesen Job in der Produktionsfirma eines mir unbekannten Filmemachers des Neuen Deutschen Film angeboten, dem der Ruf vorauseilte, schwierig zu sein. Außerdem hatte er gerade eine Riesenpleite hingelegt, weil sein mehr als 30 Millionen Mark teurer, in Russland gedrehter, Science-Fiction Film an der Kinokasse floppte.

Mir war es egal. Ich habe den Job angenommen, und so den beeindruckenden, um nicht zu sagen leicht furchteinflößenden, Mann kennengelernt, der die fettesten Zigarren rauchte, so dass einem die Luft wegblieb, sobald man sein Büro betrat – ein Choleriker mit buschigen Augenbrauen und einer knorrigen Stimme. Aber er war fair und bezahlte mich so, dass ich mir ein WG-Zimmer in München leisten konnte. Und ich wollte es mir anschauen: wenn das das Schlimmste wäre, das einem in diesem Beruf passieren kann – so eine Riesenpleite – dann wüsste ich, ob es sich in dieser Branche überhaupt aushalten liesse? Aber natürlich würde ich selber nur erfolgreiche Filme drehen…

Einen Sommer lang stapelte ich Filmdosen bei Hallelujah-Film und fertigte Kopien aller Fleischmann-Filme von U-Matic-Bändern an. Dabei sah ich sie etliche Male. »Herbst der Gammler«, der Dokumentarfilm von 1967 über die aufkommende Aussteigerbewegung der Beatniks und späteren Hippies in München stach als erstes heraus. Der Film zirkulierte unter meinen Freunden auf VHS-Kassette und war für uns Kult. Wir standen eh auf die Sixties. Allerdings feierte der Film die Bewegung nicht. Es war ein Abgesang, eben ein „Herbst“ der Gammler. Und das mitten im angeblichen „Summer of Love“…

Zwei Jahre später kam sein erster Spielfilm »Jagsszenen aus Niederbayern« – ein Meisterwerk. So abgegriffen der Begriff ist, er trifft. An diesem Film stimmt alles. Er ist absolut zeitlos. Er spielt in einem kleinen Dorf in Niederbayern und enthält dokumentarische Szenen, die auf bayerisch mit vielen Dorfbewohnern gedreht wurden. Er ist krass und erzählt von der Ausgrenzung eines Homosexuellen, die in einer regelrechten Hetzjagd gegen diesen zum Außenseiter gestempelten Menschen eskaliert. In den Hauptrollen sind Martin Sperr, auf dessen Theaterstück der Film basiert, und Angela Winkler. Hanna Schygulla spielt eine Nebenrolle. Dafür gab es damals einen Bundesfilmpreis. Das war 1969 – noch bevor Schlöndorff, Fassbinder und Wenders ihre ersten Filme drehten. Diese Namen und etliche ihrer Filme kannte ich natürlich.

Wieso hatte ich noch nie von Peter Fleischmann gehört? Was war passiert? Irgendwann wurde mir klar, dass es mit Fleischmanns zweitem Spielfilm „Das Unheil“ (nomen est omen) von 1972 zu tun haben musste. Ich ahnte ja nicht, dass ich über zwei Jahrzehnte später mit ihm am „Director’s Cut“ dieses Films anlässlich der Digitalisierung arbeiten würde. Von diesem Film geht ein sonderbarer Sog aus. Schon die erste Einstellung ist einerseits total überdreht mit einem vor sich hinmonolgisierenden Protagonisten, dem Gymnasiasten Hille Vavra (gespielt von Vitus Zeplichal), mit der bis dahin wohl längsten Kamerafahrt der deutschen Filmgeschichte – vom Gymnasium, durch das Städtchen Wetzlar, in dem er lebt, bis in die elterliche Wohnung. Der Film ist bitterböse – eine Bestandsaufnahme der Bundesrepublik Deutschland im Brennglas eines Kleinstädtchens und es scheint als seien alle verrückt geworden: die Kleinstadtrevoluzzer, die den Dom sprengen wollen, die Schlesier, die der Vergangenheit nachhängen, aber auch die braven Bürger. Und es wird zum ersten Mal im deutschen Film das Problem der Umweltverschmutzung thematisiert. Fleischmann hält Deutschland seinen bitterbösen Zerrspiegel vor und das Publikum erkennt darin seine eigene hässliche Fratze. Das kam nicht gut an.

Fleischmann selbst hat es in Interviews immer wieder erzählt. Noch während der Premiere sei die Stimmung gekippt. Es hagelte Verrisse. United Artists, die sich zum ersten Mal trauten einen neuen deutschen Film zu produzieren, nahmen ihn nach einer Woche aus dem Programm und er blieb weitestgehend ungesehen. Fleischmann sagt, das sei sein bester. Und erst als ich wochenlang neben ihm sitzend 2016 an der Digitalisierung arbeitete, wurde mir die ganze Meisterschaft dieses so läppisch dahingeworfen aussehenden Films bewusst. Im Grunde besteht er aus 6 langen Einstellungen. Während des Drehens wurden teilweise Wände versetzt und auf Turmspitzen herumgetanzt. Da aber mit Handkamera gedreht wurde, wirkt alles sehr dokumentarisch. In Cannes gab es dafür den Prix Buñuel, was passt, da er später mehrfach mit Jean-Claude Carrière, dem Drehbuchautor Buñuels, zusammenarbeitete.

Die damalige Ablehnung rührt meines Erachtens aus zwei Quellen: schlicht die Missgunst, wenn die Latte nach einem so großen Erstlingserfolg hoch hängt und zweitens weil es ein Film ist, in dem jeder sein Fett wegkriegt. Und deswegen ist er heute umso amüsanter und aufschlussreicher, will man etwas über diese Zeit erfahren. Das war 1972 und er macht sich schon über den Terrorismus lustig. Dabei sollte der heisse Herbst doch erst fünf Jahre später stattfinden. Fleischmann war seiner Zeit voraus. Und seither hatte er es schwer in Filmdeutschland. Er hat sich wacker die Position eines Außenseiters, oder sagen wir richtiger eines Solitärs erarbeitet, der nie an seinen Anfangserfolg anknüpfen konnte, wie eine Art deutscher Orson Welles, der sich von dem Erfolg seines Erstlings „Citizen Kane“ auch nie ganz erholte.

Wir arbeiteten auch an „Dorotheas Rache“ (von 1974) und an „Die Hamburger Krankheit“ (von 1979). Das war 2019. Fleischmann überlegte, ob er für die digitale Fassung noch mal etwas nachdreht – so eine Art Klammer aus der Gegenwart mit den Schauspielern von damals. Er fragte sich wohl, ob die Geschichte einer Pandemie mit Zwangsquarantäne, Masken und Zwangsimpfungen nicht ein bisschen übertrieben sei? Zum Glück haben wir das dann so stehen lassen. Einfach eine Geschichte einer zusammengewürfelten Gruppe von Außenseitern, die den Maßnahmen misstrauen, aus der Quarantäne ausbrechen und durch den ganzen Wahnsinn hindurch manövrieren. Inspiriert hatte ihn der 1972 herausgekommene Bericht über die Grenzen des Wachstums des Club of Rome. Was wäre, überlegte er gemeinsam mit Autor Carrière, wenn ein paar Wissenschaftler dazu übergegangen wären, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und dem exponentiellen Wachstum der Menschheit Grenzen setzten, indem sie einen tödlichen Erreger an die Säulen der Akropolis in Athen schmieren, auf dass er in die ganze Welt getragen würde, um die menschliche Pest zu dezimieren.

Fleischmann stupste mich auch immer wieder auf interessante Fährten. Er schenkte mir Bücher. Er zeigte mir Interviews der Nachdenkseiten, Mausfelds berühmten Vortrag, die auf Deutsch gehaltene Rede Putins im Deutschen Bundestag von 2001 und auch KenFM. Er war ein wacher Geist und genauer Beobachter des Weltgeschehens. So wurde ich auf diesen Kanal aufmerksam und fing letztlich sogar an, für KenFM zu arbeiten.

Auch wenn er dem Publikum weitestgehend verborgen blieb, Fleischmann war bestens vernetzt. Er war Gründungsmitglied der deutschen Filmakademie, in den 80er Jahren Präsident der Vereinigung der europäischen Filmregisseure (FERA) und hat maßgeblich zur Rettung der Babelsberger Filmstudios beigetragen (deren Direktor dann sein Freund Volker Schlöndorff wurde). Er selbst begnügte sich mit der Leitung des FX-Centers. Es ging ihm also gut und er drehte unermüdlich weiter Filme. Auch damals nach der großen Science-Fiction-Pleite, drehte er einfach mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln – auf 16 Millimeter – 1991 die Dokumentation „Deutschland, Deutschland“ – eine sehenswerte Bestandsaufnahme des Landes ein Jahr nach der Wende, die von einer gewissen Ernüchterung und Ratlosigkeit zeugt – wieder ein Abgesang. Wie könnte es anders sein? (Der Film, der noch nie bundesweit im Fernsehen gezeigt wurde, lief anlässlich des 30. Wendejubiläums auf KenFM.)

Als 2020 der Wahnsinn der neuen Pandemienormalität ausbrach, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mir die Szenen irgendwie bekannt vorkamen, die Sätze, die jetzt zu hören waren, die Maßnahmen, die Überlegungen: Quarantäne, Impfung, maskentragende Menschen. All das hatte ich noch von der Arbeit an der „Hamburger Krankheit“ im Ohr. Und tatsächlich: was uns im Film hysterisch vorkam, lief nun real im Fernsehen.

Diese Parallele ist offensichtlich auch einer Autorin des Bayerischen Rundfunks aufgefallen, die in einem Jahresrückblick auf das Jahr 2020 und einer Fahrt über eine pandemiebedingt leere Autobahn nach Hamburg an Szenen des Films erinnert wurde, dann aber bedauert wie es sein kann, dass dieser Film, der einst bei Auftritten der Punkband „Die Goldenen Zitronen“ stumm als Hintergrunddeko lief, nun ein Kultfilm der Querdenker werden konnte und ob Fleischmann sich nicht bewusst sei, welcher Plattform er da ein Interview gebe? Das hat er mitbekommen und es hat ihn angefasst.

Peter Fleischmann hat sich lange überlegt, ob er zu KenFM geht und den Film dort zeigt? Aber das Interesse des Öffentlichen Rundfunks für den Film hielt sich in Grenzen. Er war sich dessen bewusst, dass man versuchen würde, ihm irgendeines dieser kursierenden Etiketten anzuheften. Aber letztlich riet ihm ein Freund und Kollege, es sei doch besser, dass Menschen den Film sehen können, dass er ein Publikum findet, als nicht.

Und er hat uns allen im Interview zum Film auf KenFM (Link siehe unten) eine Art Talisman mitgegeben, eine Art Schlüssel, mithilfe dessen wir die Pandemie und die Menschen vielleicht ein wenig besser verstehen können. Bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Spielfilm, eben dem vielzitierten, in der UdSSR gedrehten, Science Fiction „Es ist nicht leicht ein Gott zu sein“ (von 1989) nach einem Roman der Brüder Strugazki, wurde er von einem der Autoren darauf angesprochen, dass er ja kein Kommunist sei und was man da machen könne? Fleischmann antwortete, man könne sich doch darauf einigen, dass es Opportunisten gäbe und welche, die es nicht wären. Das konnten sie. Und öffnet uns das nicht die Augen? Ist es nicht so, dass womöglich viele, die eine Meinung mit Zähnen und Klauen verteidigen, das einfach nur deswegen tun, um dazuzugehören? Und morgen womöglich mit gleicher Inbrunst das Gegenteil vertreten würden, wenn der Wind sich dreht? Wahrscheinlich gibt es da draußen weitaus weniger Fanatiker und böse Menschen als Opportunisten und Mitläufer. Man denkt da natürlich gleich an die mausfeldsche Herde, von der sich die meisten Lämmer bekanntlich auch nicht gerne allzu weit entfernen…

Heutzutage wundert es mich nicht, dass Fleischmann kommerziell wenig erfolgreich war. Die Filme sind voll beißendem, bösen, schwarzen Humor. Abgründe tun sich auf. Er zeigt eine aus den Fugen geratene Welt. Allerdings sind hier alle verrückt. Er ergreift nicht Partei – für Niemanden – nicht mal für „das Gute“, höchstens für Außenseiter. Und er sieht überall immer nur das Menschliche.

Darüber hatten wir zuletzt miteinander gesprochen: dass man als Künstler nicht Partei ergreifen und sich vor irgendeinen Karren spannen lassen sollte. Vielleicht hat man ihm das angekreidet? Es fehlen in seinen Geschichten die positiven Helden. Es gibt nur Menschen. Fleischmann hat gern die Widersprüche des vermeintlich eigenen Lagers zum Vorschein gebracht. Das hat man ihm verübelt. Aber dieses unparteiische Über-den-Dingen-stehen gilt in besonderem Maße für Geschichtenerzähler, auch im Gegensatz zu Journalisten. Und es erinnert mich an einen Gedanken, den Milan Kundera in einem Essay über die Kunst des Romans entwickelt hat, dass es bei einer Geschichte nicht darum geht, die Widersprüche aufzulösen. Sie können einfach übernommen werden und drin stehen bleiben. Eine Geschichte muss interpretiert werden und unterschiedliche Menschen werden zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, so dass ein Roman quasi intelligenter sein kann als sein Autor. Vielleicht helfen Fiktionen so, menschen wieder zusammen zu bringen und die Spaltung zu überwinden? Für mich wäre das auch ein Gradmesser, um zwischen einer Geschichte und Propaganda zu unterscheiden: wie offen ist ein Werk?

Fleischmanns Filme altern nicht, oder richtiger: sie altern gut. Mit dem Abstand der Jahrzehnte können wir die Fratze akzeptieren, die uns da entgegen starrt. Wir müssen anerkennen, dass vieles stimmt. Und vielleicht gelingt es nun endlich mal, befreit zu lachen.

Tatsächlich habe ich bisher keine so spektakuläre Pleite hingelegt und es immerhin zum Kurzfilmregisseur gebracht, wenn man sowas überhaupt „zu etwas bringen“ bezeichnen kann. Ich hätte wahrscheinlich auch von Peter Fleischmann gehört, wenn ich ihm nicht begegnet wäre. Mittlerweile kenne ich fast alle deutschen Filmemacher, auch die obskursten. Aber ich frage mich, wie ich ihn wahrgenommen hätte? So wie die Sache steht, fühle ich mich geehrt, könnte ich ein wenig in seine Fußstapfen treten, aber Luis Buñuel ist und bleibt mein absoluter Lieblingsregisseur. In seiner Autobiographie schreibt er, er könne sich vorstellen nach seinem Tod alle paar Jahre mal aus dem Grab zu steigen, um an einen Kiosk zu gehen und sich ein paar Zeitungen zu kaufen. Einfach um zu wissen, welche Verrücktheiten sich gerade wieder in der Welt abspielen? Das kann ich mir für Peter Fleischmann auch vorstellen, wobei dieser wohl auch ins Internet bei den unabhängigen Medien nachschauen würde. Er war einfach ein Sammler, der nicht wertete, sondern alles genau beobachtete.

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Einige von Peter Fleischmanns Filmen sind über seine Webseite peter-fleischmann.de erhältlich.

Peter Fleischmann können Sie hier im Interview bei apolut.net sehen.

Feature im Bayrischen Rundfunk: https://www.br.de/kultur/michaela-melian-corona-tagebuch-100.html

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: apolut.net

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