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Russlands Angriff erfordert eine Wende der Nato-Doktrin

Published On: 24. Februar 2022 12:21

Die ersten Reaktionen der Nato auf Russlands Angriff nennt sie selbst „präventiv, verhältnismäßig und nicht eskalierend“. Russland zwingt das westliche Verteidigungsbündnis aber zu harten Entscheidungen. Ohne Abschreckungspotenzial geht es nicht weiter.

IMAGO / SNA

Nato-Hauptquartier in Brüssel

Die Nato reagiert auf Russlands Invasion der Ukraine mit dem Beschluss, „zusätzliche Schritte zu unternehmen, um die Abschreckung und Verteidigung im gesamten Bündnis weiter zu verstärken“, wie es in einer Erklärung der 30 Bündnisstaaten heißt. Diese Maßnahmen, darunter die Verstärkung seiner Streitkräfte an der Ostgrenze, seien und blieben aber „präventiv, verhältnismäßig und nicht eskalierend“. Außerdem kündigt die Nato für morgen einen Krisengipfel an.

Auf diesem Gipfel wird es auch um Grundsätzliches, um die Doktrin des Bündnisses gehen müssen. Denn was in Europa undenkbar schien, ist seit heute Wirklichkeit: Russland greift den Nachbarstaat Ukraine an. Plötzlich ist ein totgeglaubtes Gespenst des Horrors wieder auferstanden: Krieg zwischen zwei Staaten in Europa! Es kommt hinzu, dass es sich dabei nicht um irgendwelche bedauernswerten, kleineren Streithähne irgendwo an der Peripherie unseres Kontinents handelt, sondern um den Angriff der Atommacht Russland auf den souveränen Nachbarstaat Ukraine. 

Russland als „spiritueller Raum“

Putin erklärte offen, dass es sich bei der Ukraine eigentlich um urrussisches Territorium handele und er schon von daher einen Besitzanspruch habe. Er bestimmt die Regeln – Völkerrecht hin oder her. Moskaus starker Mann geht aber noch weiter. Er fordert die Wiederherstellung der russischen Dominanz über gleich mehrere Staaten Mittel- und Osteuropas, von denen eine ganze Reihe Mitglied des westlichen Verteilungsbündnisses, der Nato, ist. 

Rücken die russischen Invasoren weiter vor, und daran besteht derzeit wohl kein Zweifel, droht ein Fiasko mit Tausenden von Toten auf beiden Seiten – vom Leid der Zivilbevölkerung ganz zu schweigen. 

Bei aller Sympathie und materieller Hilfe des Westens für die von einer Übermacht angegriffene Ukraine, schloss U.S. Präsident Biden vom ersten Moment an den Einsatz von Nato-Truppen auf Seiten Kiews gegen die Russen aus. Wörtlich formulierte er: „Amerikanische und russische Soldaten dürfen sich nicht bewaffnet gegenüberliegen. Das könnte den dritten Weltkrieg bedeuten.“ Darüber scheint auf allen Seiten Konsens zu herrschen!

Doch diese Erkenntnis hat zwei Seiten: Müsste nicht die gleiche Argumentation bei einem russischen Angriff auf die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland gelten – zumal es sich bei diesen drei um ehemalige Republiken der Sowjetunion handeln? Jetzt noch wird feierlich erklärt, ein Angriff im Baltikum – und damit auf das Gebiet der Nato – würde automatisch dem Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages auslösen. Zweifel sind dennoch erlaubt! 

Gegenwärtig befinden sich in diesen Ländern, gemessen am russischen Gegenpotenzial, nur geringfügige Truppen des Westens. Eine sogenannte „Vorne-Verteidigung“, wie sie während des Kalten Krieges fester Bestandteil der Nato-Militärdoktrin war, würde frühestens an den Grenzen Polens und Ungarns beginnen – und damit viel zu spät. Während der Jahrzehnte der Konfrontation waren an den Grenzen, nicht zuletzt der Bundesrepublik Deutschland, starke Verbände amerikanischer Bodentruppen stationiert. Bei der enormen konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes würde es, so die Kalkulation der Nato, zu hohen Verlusten der U.S. Army und natürlich auch der Bundeswehr mit entsprechenden Wirkungen auf die Bevölkerung, insbesondere der USA, kommen.

Relativ schnell würde dann ein sogenannter „Erstschlag“ mit atomaren Gefechtsfeldwaffen erfolgen, welcher, wovon man ausging, einen sowjetischen „Zweitschlag“ mit Langstreckenraketen auf das Territorium der USA zur Folge hätte.  Die Antwort darauf wären amerikanische Atomraketen auf die Sowjetunion. So irrsinnig dies auch klingt: Diese Strategie der garantierten gegenseitigen Vernichtung erhielt über 40 Jahre den Weltfrieden. Denn alle wussten, dass es einen Sieger nicht geben könnte! 

Um all das zu verstehen, muss man wissen, dass die sowjetische Militärdoktrin auch einen Angriffskrieg immer als gerechtfertigt und möglich für sich reklamierte. Er wäre damit lediglich ein Instrument zur Durchsetzung des nach den Lehren des Marxismus-Leninismus gesetzmäßigen Sieges des Sozialismus über den Kapitalismus auf dem Weg zu einem kommunistischen Endzustand.

Was bedeutet das für die jetzt eingetretene Situation? Insbesondere die USA müssten ihre Präsenz an den Außengrenzen des Bündnisses in Europa massiv aufstocken. Zum Vergleich: Bis 1994 waren allein in der Bundesrepublik über 300.000 Angehörige aller Gattungen der US-Streitkräfte stationiert. Ihnen gegenüber standen in der DDR 500.000 Sowjetsoldaten. Von den Amerikanern sind heute lediglich etwa 40.000 Militärangehörige übriggeblieben. Eine Wiederherstellung der alten Größenordnung würde gewaltige politische und militärische Entscheidungen voraussetzen. Auch müssten wieder U.S. Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden. Der Grund dafür entstand in der Vergangenheit. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelten die Sowjets eine neue Gattung von Atomraketen mit einer auf Europa begrenzten Reichweite, welche sie in der DDR, Polen und Tschechoslowakei zu stationieren beabsichtigten. 

Es war der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt, der darin eine Gefahr für die westliche Strategie der mehrfach gestaffelten nuklearen Abschreckung sah (flexible response). Schmidt war der erste, der bereits 1974 auf einem Nato-Gipfel in London vor einer entstehenden „Raketenlücke“ warnte. Seine Logik: Bei hohen Verlusten während der „Vorne-Verteidigung“ schon kurz nach Beginn eines Angriffs, wäre Amerika unter diesem Eindruck schnell bereit gewesen, auch strategische atomare Fernwaffen einzusetzen. Die neue sowjetische Mittelstreckenrakete vom Typ SS-20 könnte nun aber, auch ohne vorhergehenden Einsatz von Bodentruppen, insbesondere gegen Ziele in der Bundesrepublik abgefeuert werden. Das Gebiet der USA wäre in keinem Moment betroffen, auch der Verlust amerikanischer Bodentruppen ließe sich durch genaue Abwägung der Ziele gering halten. 

Schmidt sah nun für diesen Fall die Wahrscheinlichkeit, dass der Entschluss zum Einsatz strategischer Atomwaffen seitens der USA aufgrund innenpolitischer Bedenken nicht erfolgen würde. Zwar konnte sich der deutsche Regierungschef aufgrund des Widerstandes in der eigenen Partei nicht durchsetzen, immerhin aber erwirkte er den Nato-Doppelbeschluss zur Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing 2, welcher allerdings von seinem Nachfolger Helmut Kohl (CDU) umgesetzt werden musste. Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass die Stationierung der Pershing-2-Raketen im Falle eines Abbaus der SS-20-Raketen nicht erfolgen würde, so das Angebot an Moskau. Die Russen stimmten unter diesen Umständen dem Deal zu. Es war der letzte Versuch der Sowjetunion, militärische Dominanz über Westeuropa zu gewinnen. Im Ergebnis leitete Gorbatschow eine grundsätzliche Annäherung an den Westen und liberale Reformen in der Sowjetunion ein. Ein Prozess, der letztlich auch zur deutschen Wiedervereinigung führte.

Es ist mehr als naheliegend, dass die Nato auf diese Strategie zur Abschreckung russischer Aggressionen jetzt zurückgreifen muss. Die damit verbundenen innenpolitischen Auseinandersetzungen und Proteste sind vorhersehbar. Die Nato könnte darüber sogar zerbrechen. Eines aber steht jetzt schon fest. Mit den Geschehnissen in der Ukraine ist nichts mehr wie zuvor. Selbst die Debatten über Klimaschutz und Umwelt, Corona und soziale Missstände könnten dahinter zurücktreten. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck orakelte bereits, die neuen Umstände könnten auch die Pläne zur ökologischen Transformation unserer Wirtschaft beeinträchtigen. 

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