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Gewerkschaften unter Merkel: Unbeschadet durchgekommen?

Published On: 28. Juli 2021 13:00

Antwort auf die beschönigende Kritik aus Gewerkschaftskreisen zur „Bilanz der Ära Merkel“. Am 12. und 15. Juli 2021 haben die NachDenkSeiten die arbeits- und rentenpolitische Bilanz der Ära Merkel veröffentlicht: „Arbeits-Armut, Renten-Armut: Bisheriger Höchststand in Deutschland“. Dazu bekam ich mehrfache Kritik aus Gewerkschaftskreisen: Meine Darstellung sei viel zu negativ. Die Rolle der neuen Investoren wie Blackstone und BlackRock sei übertrieben, außerdem habe Merkel nichts mit ihnen zu tun gehabt. Gegenüber der Agenda 2010 von Schröder/Fischer sei es in der Ära Merkel zu teilweisen „Verbesserungen“ gekommen, etwa beim Mindestlohn. Löhne seien gestiegen, die Zahl der unbezahlten Überstunden habe leicht abgenommen, die prekäre Beschäftigung steige nicht mehr, die Arbeitslosigkeit sei geringer – so wurde argumentiert, teilweise mit Hinweis auf die Statistik. Insgesamt habe die Rücksichtnahme auf die Gewerkschaften zugenommen, die SPD habe ihren Kurs zumindest teilweise korrigiert.

Ich gehe im Folgenden auf diese Kritik ein und füge einige Fakten hinzu, die ich in die Bilanz nicht aufgenommen hatte. Die Auseinandersetzung hat, so glaube ich, zu klärender Zuspitzung geführt. (Zur Renten-Armut kamen übrigens keine Kommentare.) Von Werner Rügemer.



Die Rolle von Blackstone und BlackRock&Co

Die Kritiker gestehen zu, dass unter Merkel die neuen Kapitalorganisatoren wie BlackRock, Vanguard und die „Heuschrecken“ wie Blackstone, KKR weitgehend unbemerkt sich in Deutschland eingekauft und dass auch die Gewerkschaften das nicht weiter thematisiert haben – aber am Kapitalismus hätte sich damit ja nichts Wesentliches geändert.

Gewerkschaften: Keine Gegnerforschung

Tja, richtig, im Prinzip. Aber zur Vertretung der abhängig Beschäftigten im Kapitalismus muss man Gegnerforschung betreiben: Wer genau sind in jedem Unternehmen die Eigentümer, wie und mit welchen Tricks „arbeiten“ sie, welche Berater und welche Regierungs- und Medienbeziehungen haben sie? Wenn man wie bei Gewerkschaften üblich nur Vorstände und Manager anprangert, lässt man Beschäftigte wie Öffentlichkeit über die eigentlich Verantwortlichen im Dunkel – dann können Ersatzgegner wie „Flüchtlinge“ an Bedeutung gewinnen: das ist offen für Rechtsentwicklung bis hinein in die Mitgliedschaft der Gewerkschaften selbst.

Weitere Privatisierungen

So verdrängt die Kritik elementare Entwicklungen: Die Privatisierung ging weiter, bei Bahn, Nahverkehr, Autobahnen, Krankenhäusern. Und noch mehr hochdotierte private Beraterkonzerne wurden in die Ministerien geholt, auch in die Ministerien für Verkehr, Inneres, Verteidigung, Gesundheit und auch Arbeit, auch ins Kanzleramt, in der Corona-Politik noch viel mehr als je zuvor. Und „Heuschrecken“-Investoren wie Ardian, Orpea, Waterland und nicht zuletzt der Wohnungskonzern Deutsche Wohnen AG haben im Gesundheitsbereich Pflegeheime und die stationäre Pflege, Rehakliniken, Labore privatisiert, umgekrempelt, Personal eingespart und durch schlechter bezahlte MigrantInnen ersetzt, damit auch das Gesundheitssystem zusätzlich geschwächt, was sich als schädlich zuletzt auch in der Pandemie erwies.

De-Industrialisierung, De-Qualifizierung

Blackstone, BlackRock&Co haben mit schweigender Komplizenschaft der Bundeskanzlerin zwei Jahrzehnte lang hohe Gewinne herausgeholt, etwa bei den betrügerischen Autokonzernen, haben notwendige technologische Innovationen verhindert – und jetzt wird die neue Billigmontage der umweltschädlichen Elektroautos und die Zulieferung in verarmte, politisch rechtslastige osteuropäische Staaten verlagert – während zukunftsweisende technologische Innovationen etwa beim Fern- und Nahverkehr in China gemacht werden. Währenddessen lieferten die Merkel-Regierungen Deutschland und auch die von Merkel geführte EU den US-kontrollierten, immer noch nicht regulierten Digital-Giganten Facebook, Amazon, Google, Apple, Microsoft usw. aus (und nicht nur digital); mit der Corona-Politik wird deren Niedriglöhnerei mit neuen Aufträgen belohnt.

Der Staatskonzern Deutsche Bahn AG lässt Schienen-, Zug- und Verkehrstechnik verfallen, macht mit Staatsgeld teure Käufe im Ausland, aber organisiert keine Innovationen, privatisiert Regional- und Güterverkehre mit gewerkschaftsfreien Billigarbeitsplätzen. Alles nicht interessant für Gewerkschaften?

Die SPD hat ihren Kurs korrigiert“ ? Mehr Rücksicht auf Gewerkschaften?

Das glauben Gewerkschafter, die immer noch nostalgisch an der kapitalhörigen SPD kleben. Aber: Die Zahl der mitbestimmten Unternehmen schwindet gesetzwidrig weiter. Und nur noch in etwa einem (1) Prozent der möglichen Betriebe gibt es einen nach Betriebsverfassungs-Gesetz gewählten Betriebsrat (26.000 solcher Betriebsrats-Gremien in Deutschland bei etwa 2,1 Millionen nach Gesetz betriebsratsfähigen Betrieben). Initiativen der SPD? Fehlanzeige!

Merkel-Regierungen gingen direkt gegen Gewerkschaften vor

  • Bei Deutsche Post DHL mit dem Staat als Hauptaktionär und Regierungsvertretern im Aufsichtsrat wurde 2015 die Vereinbarung mit der Gewerkschaft verdi überfallartig vorzeitig gekündigt: Tausende Paketboten wurden in 49 plötzlich von McKinsey gegründete, ausgelagerte Delivery GmbHs gezwungen, zu Logistik-Niedriglöhnen statt zum Haustarif. Aktionäre des Unternehmens nach dem Staat: BlackRock, Vanguard, Norges, Fidelity.
  • Ähnlich ging die Bundesregierung in Deutsche Telekom AG vor: Der Staat, vertreten durch die Bundesregierung als Hauptaktionär, zusammen mit der größten „Heuschrecke“ Blackstone gliederte im Jahre 2006 tausende Beschäftigte gegen die Gewerkschaft verdi in die Tochterfirma T-Service aus.
  • Der staatliche Konzern Deutsche Bahn AG bevorzugt die regierungsfromme Gewerkschaft EVG und bekämpft die kämpferische Gewerkschaft der Lokomotivführer GDL durch Ungleichbehandlung auch außerhalb des Streikrechts: Den Mitgliedern der GDL wurde zum Ende des Jahres 2020 die betriebliche Zusatzrente gestrichen, der EVG wurde sie aufgewertet.
  • Unter SPD-Arbeitsministerin Nahles wurden die DRK-Schwestern gegen die Anfangserfolge durch die Gewerkschaft verdi wieder in ihren vorherigen Zustand mit Sonderstatus zurückversetzt und können unbegrenzt verliehen werden.
  • Die Komplizenschaft der Merkel-Regierungen mit den Unternehmerverbänden hat zur weiteren Erosion der Tarifverträge geführt.
  • Die SPD hat das Tarifeinheits-Gesetz mitgetragen, das sich gegen kämpferische Einzelgewerkschaften richtet.

Die Hartz-Gesetze wurden fortgeführt und verschärft

Die vier Hartz-Gesetze wurden weder abgeschafft noch zum Besseren geändert. Ein paar unverbindliche Ankündigungen gab’s, mehr nicht.

  • Hartz III regelte die kapitalorientierte Organisation der Arbeitsagentur und der Jobcenter. Dies wurde unter Merkel der größten Unternehmensberatung der Welt, dem US-Konzern Accenture, überlassen (Aktionäre: BlackRock, Vanguard&Co).
  • Hartz I regelte die Leiharbeit. Das Arbeitnehmer-Überlassungs-Gesetz (AÜG) von 2017 unter Merkel begrenzte zwar die Überlassungsdauer auf 18 Monate und führte die gleiche Bezahlung – Equal Pay – für Leiharbeiter ein. Aber beide Regelungen wurden im AÜG mit torweiten Schlupflöchern versehen: Die Überlassungsdauer kann durch Tarifvertrag verlängert werden. Equal Pay gilt erstens erst nach 9 Monaten und kann zweitens durch Tarifvertrag ebenfalls unterlaufen bzw. weiter verlängert werden.
  • Hartz IV regelt die Behandlung der Arbeitslosen. Für die Empfänger des Arbeitslosengeldes II wurden unter Merkel und Arbeitsministerin von der Leyen die Beiträge zur Rentenversicherung ersatzlos gestrichen.
  • Zwischen 2008 und 2018 nahm die Zahl der Sanktionen für Arbeitslose von 763.604 auf 903.821 zu, während die Erfolgsquote von Klagen Arbeitsloser gegen Entscheidungen der Jobcenter von 44 auf 38 Prozent gedrückt wurde.
  • ALG-II-Empfänger stellen das größte Reservoir für die von den Jobcentern vermittelte Leiharbeit.
  • Immer mehr ALG-II-Bezieher werden vorzeitig in die Rente abgedrängt: Allein zwischen 2008 und 2014 verdreifachte sich die Zahl dieser Arbeitslosen mit ihren dann eher sehr niedrigen Renten.
  • So ist in der Merkel-Ära zwar die Zahl der Erwerbsminderungs-RentnerInnen mit etwa 1,6 Millionen gleichgeblieben. Aber erstens sind Eingangsvoraussetzungen verschärft worden, etwa durch die schon genannte Streichung des Rentenbeitrags für ALG-II-Empfänger. Zweitens werden immer mehr Anträge teilweise einige Jahre lang verzögert. Drittens wird die Hälfte der abschließend bearbeiteten Anträge abgelehnt.

Betriebsrenten: Unternehmer haften nicht mehr

Die SPD wollte mit Arbeitsministerin Andrea Nahles die stagnierende Betriebsrente auch für kleinere Unternehmen und Geringverdiener attraktiv machen. Die Unternehmer-CDU-CSU-FDP-Lobby war dagegen. Deshalb tat sich Nahles mit Finanzminister Schäuble/CDU zusammen. Das „Betriebsrentenstärkungs-Gesetzes“ von 2017 wurde von den Gewerkschaften abgelehnt und erwies sich als Desaster. Erstens: In jedem Unternehmen muss extra dazu ein Tarifvertrag abgeschlossen werden, das ist kompliziert. In den allermeisten Unternehmen wird das bis heute nicht gemacht. Mit vollem Einsatz konnte verdi endlich im Jahre 2021 für die 11.000 Beschäftigten des Talanx-Konzerns einen solchen Vertrag abschließen. Zweitens: Die Unternehmen wurden vollständig aus der Haftung befreit. Es dürfen keine Mindest- und Garantieleistungen mehr vereinbart werden – möglich sind nur unverbindliche „Zielrenten“. Ergebnis des „Stärkungs“-Gesetzes: Die Betriebsrente wurde geschwächt, demontiert.

Keine Zunahme der Teilzeit-Arbeit?

Hartz II regelt die verschiedenen Formen der befristeten und Teilzeitarbeit, z.B. Minijobs. Sie nahmen unter Merkel kräftig zu: Die Zahl der Vollzeit-Beschäftigten nahm von 2005 bis 2020 um 9 Prozent zu. Gleichzeitig aber nahm die Zahl der Teilzeit-Beschäftigten um 30 Prozent zu, wobei die Mehrzahl dieser Beschäftigten dies nicht freiwillig tut, sondern gezwungen, mangels anderer Angebote.

Dies ist zudem noch mit einer weiteren Ungleichverteilung des Arbeitsvolumens verbunden: Vollzeit-Beschäftigte leisten jährlich die schon genannten bezahlten, die nicht bezahlten und zunehmend auch die nicht einmal registrierten Überstunden. Während die einen also 50 Wochenstunden und mehr arbeiten – beispielsweise bei migrantischen Fleischzerlegern sind es (un)bekanntlich noch viel mehr – wird die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten unter Zwang auf 20, 16 oder 10 Stunden gesetzt. Würde die Arbeitszeit gerecht verteilt, könnten hunderttausende Vollzeit-Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu gab es keinerlei Initiative der Merkel-Regierungen und ihrer Arbeitsminister.

Zunahme systemischer Rechtsbrüche und illegaler Arbeit

Mit den systemischen Rechtsbrüchen unter den Merkel-Regierungen haben sich die Gewerkschaften nicht angemessen befasst. Die Kontrolle der Einhaltung von Arbeits-Gesetzen findet immer weniger statt, z.B. bei den Gesetzen zu Mindestlohn, Betriebsverfassung, Mitbestimmung, Arbeitszeit (Schichten, Pausen) und Gewerbeaufsicht (Arbeitssicherheit). Das hat zu Rechtsnihilismus, Moralverfall geführt.

  • Dazu trägt auch die Weigerung der Bundesregierung bei, das von UNO und EU vorgeschlagene Gesetz zum Schutz von Whistleblowern überhaupt anzugehen.
  • Unter Merkel hat sich die Dienstleistungsbranche des Union Busting ungestört ausbreiten können, auch Staatskonzerne wie die Deutsche Bahn holen sich solche Kanzleien wie Allen&Overy.
  • Der gesetzliche Mindestlohn wurde zwar 2015 in Deutschland unter Merkel eingeführt. Aber er war so lange wie möglich verhindert worden und liegt damit, auch mit der niedrigen Höhe, ganz hinten im Vergleich der reichen EU-Staaten. Zudem wird er täglich hunderttausendfach nicht gezahlt und auf verschiedenste Weise unterlaufen (Stücklohn, Anrechnung von Arbeitskleidung, kein Urlaub…)
  • Bei mindestens einer halben Million befristeter osteuropäischer Frauen in der häuslichen Pflege wurde und werden reihenweise und dauerhaft mehrere Gesetze gebrochen, zum Mindestlohn, zur Arbeitszeit, zum Urlaub. Ähnliches gilt für LkW-Fahrer, Haushaltshilfen, Prostituierte und bis hin zum sommerlichen Straßenstrich für Bauarbeiter.

Gewerkschaften kleben an offiziellen Statistiken

Richtig: Die Zahl der offiziell registrierten, nicht bezahlten Überstunden ist von 1,039 Milliarden im Jahr 2005 auf 915 Millionen im Jahr 2019 leicht gesunken. Aber ist das eine nennenswerte „Verbesserung“? Wie bescheiden, wie angepasst an Gesetzesbruch sind Gewerkschaften geworden? Zudem ist diese offizielle Zahl geschönt, gefälscht: Denn in den letzten Jahren hat die Zahl der gar nicht registrierten und nicht bezahlten Überstunden stetig zugenommen, erleichtert durch die digital organisierte Verfügbarkeit der Beschäftigten in ihrer „Frei“zeit. Nicht zufällig wehrt sich die Bundesregierung einschließlich SPD-Arbeitsminister Heil gegen das EUGH-Urteil, das die vollständige Erfassung aller Arbeitsstunden vorschreibt. Wie auch bei der heruntergerechneten Zahl der Arbeitslosen kleben Gewerkschaften an den offiziellen Statistiken.

Die Merkel-Gebetsmühle „Unsere Werte“

„Unsere Werte“: Merkel hat sie gebetsmühlenartig heruntergebetet und hat gleichzeitig den Werte-Verfall hinsichtlich der abhängig Beschäftigten vorangetrieben, gedeckt, beschönigt. Der Rechtsstaat gilt für sie immer weniger. Rechts-Nihilismus hat sich ausgebreitet.

RentnerInnen auch über 85 Jahren noch als Minijobber

Unter Merkel hat die Zahl der Minijobber unter den RentnerInnen zugenommen – um 40 Prozent. Im Jahre 2020 waren dies 1,04 Millionen Menschen. Noch im Alter zwischen 75 und 85 Jahren hielten sich 207.586 RentnerInnen mit meist geringfügigen Arbeiten wie Putzen, Ausliefern und Bürodiensten über Wasser, im Alter über 85 Jahren waren es in Deutschland noch 12.101!

Auch diese Million Minijobber, die als Beschäftigte gezählt werden, suggerieren dem braven Gewerkschafter: Die Arbeitslosigkeit hat doch gar nicht zugenommen!

gig working und crowd working

Die Gewerkschaften verengen sich auf ihre schwindenden Kern-Mitglieds-Zielgruppen. Ausnahmen wie die guten Organizing-Aktivitäten von verdi bei Amazon decken nur einen kleinen, und auch nur einen schon bekannteren Bereich ab.

Analytisch orientieren sich die Gewerkschaften an den offiziellen Arbeits-Statistiken: Aber da tauchen die prekären Schein-Selbständigen nicht auf, die für tausende Amazon-, DHL Deutsche Post-, DB Schenker- und UPS-Tochter- und Auftragsfirmen schuften, Uber-Taxis fahren und für Deliveroo hastig unter enormem Zeitdruck Essen ausliefern.

Zu diesen Beschäftigten gehören jetzt auch diejenigen, die nachts im Dunkeln hastig die Elektroroller aufsammeln, die Batterien aufladen und wieder bereitstellen. Zur Corona-Politik gehört der weitere Aufstieg neuer unregulierter Lieferdienste wie Flaschenpost, Gorillas, burgerme, Flink und Wolt: Hier verdingen sich die Prekären, die durch die Corona-Politik ihre prekären Jobs etwa in der Gastronomie verloren haben.

Verzicht auf Vollbeschäftigung, Kaufkraftverluste und Verarmung

Die gewerkschaftliche Kritik, dass doch Löhne teilweise gestiegen sind, lässt nicht nur die prekären, scheinselbstständigen, unregulierten und illegalen Beschäftigungen außer Acht, sondern auch den vielfältigen Prozess des Kaufkraftverlustes und der Verarmung.

Merkel zu Beginn: Abschied von der Vollbeschäftigung

Merkel hat das Ziel der Vollbeschäftigung mit ihrem diffusen, damals schon Laschet-ähnlichen Programm „Neue Soziale Marktwirtschaft“ von Anfang an klammheimlich verschwinden lassen. Offene und viel verdeckte Dauer-Arbeitslosigkeit gehört systemisch zu dieser „sozialen“ Marktwirtschaft, stellt ein dauerhaftes Erpressungs-Instrument bereit.

Merkel: Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht

Zum direkten, staatlich organisierten Kaufkraftverlust gehörte schon die sprunghafte Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent: Damit brach Merkel beim Regierungsantritt 2006 ihr Wahlversprechen und schädigt nachhaltig seitdem vor allem Geringverdiener, die einen Großteil ihrer Einkommen für die unmittelbare Lebenshaltung ausgeben müssen.

Vielfältige Preiserhöhungen

Privatisierungen, staatliche Gebühren, Zuzahlungen bei Medikamenten und Vorsorgeuntersuchungen und Zahnersatz und Krankenhausaufenthalten und Zusatzversicherungen und gerade in Deutschland die besonders schnellen Erhöhungen für Energie haben die bescheidenen Lohnerhöhungen für die Mehrheit der Beschäftigten überholt – von den Steigerungen bei Mieten, Mietnebenkosten und Preisen für Eigentumswohnungen ganz zu schweigen. Auch Doppelverdiener der middle classes können sich Eigentumswohnungen vielfach nicht mehr leisten – oder müssen sich auf Jahrzehnte verschulden, wobei auch für sie selbst gute bezahlte Arbeitsplätze auf solche Zeiträume nicht sicher sind. Und dafür sind auch die von, mit und unter Merkel geförderten Kapitalakteure wie Deutsche Annington, Whitehall, dann Blackrock, Vanguard&Co verantwortlich.

Systemgefährdend: Mittelschichten brechen weg

Diese Kapitalakteure sind weder in der Lage und noch willens, Vollbeschäftigung zu schaffen, im Gegenteil. In ihrem Herkunftsstaat USA vegetieren Millionen Arbeitslose und solche, die sich „entmutigt“ nicht einmal mehr arbeitslos melden und in keiner Statistik auftauchen, irgendwie prekär dahin. Diese Investoren plündern den Standort aus und, beschleunigt durch Digitalisierung, teilen das übrigbleibende Arbeitsvolumen auf immer kleinere Portionen auf. Die volkswirtschaftliche Entwicklung und die Höhe der Arbeitslosigkeit ist ihnen egal. Und das soll keine ernsthafte Frage für die Gewerkschaften sein?

Selbst Merkel-System-Medien wie die FAZ stellen schon seit einigen Jahren fest (ohne Kritik an Merkel zu üben): Die bisher systemwichtigen Mittelschichten brechen ab, neue kommen nicht ausreichend nach.

Doppelt so viele Tafeln, dreimal so viele Wohnungslose

Die Verarmung der unteren Schichten der arbeitenden und arbeitslosen Klasse wird politisch, medial und statistisch verdeckt (genauso wie die Superreichen durch BlackRock&Co anonymisiert werden). Wer es wissen will, findet ein paar Zahlen:

  • Einer der Indikatoren für Verarmung: Von 2008 bis 2019 verdoppelte sich die Zahl der Tafeln von 480 auf 947.
  • Die von Merkel geführte Regierungspartei CDU hat sich jahrelang geweigert, eine offizielle Statistik über die Zahl der Wohnungslosen einzurichten. Erst 2020 hat der Bundestag dazu einen halbherzigen Beschluss gefasst. Für das Jahr 2008 hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 227.000 Wohnungslose gezählt. Ab 2014 beschleunigte sich diese Entwicklung – im vorletzten Merkel-Regierungsjahr 2020 waren es 678.000 Wohnungslose, auch Kinder gehören dazu.

Merkel, EU-weites und globales ArbeitsUnrecht

Die DGB-Gewerkschaften sitzen brav mit in Brüssel vor den Toren der Europäischen Kommission und des EU-Parlaments, verdrängen dabei aber wesentliche EU-Praktiken und Effekte für Arbeitsverhältnisse und Arbeitsrechte.

EU: Keine kollektiven Arbeitsrechte

Die EU kennt in ihren Arbeits-Richtlinien keinerlei kollektive Rechte, außer beim Europäischen Betriebsrat: Der hat aber erstens viel weniger Rechte als nach dem Betriebsverfassung-Gesetz und wird zudem durch die EU-Unternehmensrechtsform S.E. unterlaufen.

Die EU vergibt Subventionen an Unternehmen und schließt Handelsverträge ohne jegliche verbindliche Auflagen für Arbeitsrechte.

Seit 2005: Ost-Erweiterung der EU

Mit Merkels Antritt als Bundeskanzlerin begann die systemische Ost-Erweiterung der EU, mit direkter Mitgliedschaft neuer Staaten oder Staaten mit auch schon subventionierten und regulierten Anwärter- und noch darunter dem Assoziations-Status. Die Merkel-Regierungen und die von ihnen geförderten deutschen Auto-, Autozuliefer-, Pharma-, Fleisch-, Logistik-, Supermarkt- und Landwirtschaftskonzerne organisierten europaweite Niedriglöhnerei, in diesen Staaten selbst und zugleich eine vielfältige Arbeitsmigration in die reichen EU-Gründungsstaaten, nach England und die nordischen Staaten und ganz besonders nach Deutschland.

Europäische Säule Sozialer Rechte

Die Bundesregierung trägt die 2017 beschlossene, alle Arbeitsrechte zusammenfassende Europäische Säule Sozialer Rechte (ESSR) mit. Dies ist der bisherige Tiefstand in der EU. Zu den geförderten Vertragsverhältnissen gehört auch der Null-Stunden-Vertrag (Zero Hour contract). Der DGB unterstützt die ESSR – toll, oder?

Merkel: Schutzherrin des „Bangladesh Europas“

Die Bundeskanzlerin initiierte 2014 die Westbalkan-Konferenz. Hier werden die ärmsten ex-jugoslawischen Ministaaten zu Niedriglohn-Staaten subventioniert. Weithin unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde Nord-Mazedonien zum „neuen Bangladesh“ ausgebaut: transportgünstigere Niedrigstlöhnerei zugunsten westeuropäischer Textil-Grosshändler wie Seidensticker, BOSS, Versace.

Migrantisches Spargelstechen

Zur Corona-Politik der Bundesregierung gehörte es, im Jahre 2021 die Dauer der unversicherten migrantischen Saisonarbeit zugunsten der Sicherung „unserer deutschen Werte“ im Bereich Spargel und Erdbeeren gegenüber den Vorjahren von drei auf vier Monate auszuweiten.

  • Unter SPD-Arbeitsminister Heil wurden die Gesetze für die Fleischarbeiter und das Lieferkettengesetz durch die Unternehmer- und CDU/CSU-Lobby so entschärft, dass kaum ein Unterschied zum vor-gesetzlichen Zustand übriggeblieben ist. Das Gesetz zur Fleischindustrie gilt nur für die Fleischzerlegung, nicht für die Fleischverarbeitung. Vor allem: Als Fleischzerleger suchen Tönnies, Westfleisch, Vion und Danish Crown weiter gezielt nur migrantische Arbeiter, zudem meistens nur befristet. Bei beiden Gesetzen wischte die Merkel-Regierung gewerkschaftliche Forderungen, die zusammen mit vielen zivilen Initiativen erhoben wurden, vom Tisch.

Rechtsgerichtete Oligarchen sichern Niedriglöhnerei

Diese Arbeits-Politik war von Anfang an mit der Förderung rechtsgerichteter und oligarchischer Regierungsparteien verbunden, auch und gerade in den Staaten wie Ungarn und Polen, die zwar neuerdings ein bisschen oder auch äußerst heftig angeprangert werden, zum Beispiel wegen LGBT, aber immer für ihre Niedriglöhnerei hoch subventioniert wurden und werden. Auch die Beihilfe dieser Staaten beim massenhaften gesetzwidrigen Einsatz hunderttausender Frauen aus Osteuropa in Deutschland – sei es in der häuslichen Pflege oder in der Prostitution: Da wird nichts angeprangert. Merkelsche Doppelmoral.

Freihandels-Verträge ohne verbindliche Arbeitsrechte

Die Merkel-Regierungen waren führend beim Abschluss von internationalen Freihandelsverträgen der EU: Die Rechte der privaten Investoren wurden strafbewehrt und schadensersatzpflichtig abgesichert – die Arbeitsrechte, ohnehin auf ein Minimum reduziert, blieben unverbindliche Absichtserklärungen. Der DGB machte überall brav mit – schon vergessen?

Unter und mit Merkel: Politische Rechtsentwicklung

Unter und mit Merkel wurden die abhängig Beschäftigten politisch, rechtlich, moralisch, finanziell degradiert, entmächtigt, in Deutschland und in der EU. Dies ist verbunden mit der inneren Aufsplitterung der abhängig arbeitenden Klasse vom gut entlohnten Dauerbeschäftigten über viele Stufen hinunter zu extrem prekären und illegalen Beschäftigten. Und diese offen und latent konfliktreiche Aufsplitterung ist zudem noch verbunden mit der weiter gesteigerten Einkommens- und Vermögensungleichheit zugunsten der kapitalistischen Privateigentümer und ihres vielgestaltigen, gut dotierten privaten und staatlichen Hilfspersonals.

Dies hat wesentlich zur politischen Frustration, ja Lähmung unter den abhängig Beschäftigten und auch der middle classes geführt und ist verantwortlich für die politische Rechtsentwicklung – übrigens bis hinein in die Mitgliedschaft von Gewerkschaften.

Niemand hat es gewollt – aber irgendwie ist es passiert

Das haben natürlich weder Merkel noch ihre Regierungsmitglieder aus CDU, CSU, FDP und SPD und MitarbeiterInnen des Bundeskanzleramts und BeraterInnen und LobbyistInnen und UnternehmerInnen und InvestorInnen und regierungsgefällige private und staatliche Medien „gewollt“ – nein, nein, „gewollt“ haben sie es niemals, das können sie beschwören. Das glauben sie vermutlich in ihrer sich gegenseitig bestätigenden Selbsterblindung auch selbst, ganz ehrlich (vielleicht). Aber diese Entwicklung haben sie auch deshalb befördert, weil sie ihrer demokratischen Verantwortung nicht gerecht geworden sind.

Merkel: Bruch des Amtseids

Merkel hat selbst gelegentlich eingestanden, sie habe sich von „den Märkten“ erpressen und von fremden Mächten abhören lassen. Sie hat ihren Amtseid gebrochen und „Schaden vom deutschen Volke“ nicht abgewendet. Und sie hat entgegen ihrem Eid „Gerechtigkeit gegen jedermann“ nicht geübt, im Gegenteil: Sie hat für abhängig Beschäftigte noch mehr Unrecht und Armut gebracht, in Deutschland, europa- und weltweit.

Aber (un)bekanntlich ist im gelobten Rechtsstaat Deutschland der Bruch des Amtseids nicht strafbar (Maunz/Dürig: Kommentar zum Grundgesetz, 94. Auflage 2021, GG-Artikel 56).

Also, liebe Gewerkschaften, wollt ihr so weitermachen? Was tun?

Titelbild: 360b/shutterstock.com

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