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Ausgestoßene der Woche: Grüner Mist, Anton, Berta und Cäsar

Published On: 20. August 2021 10:00

Eine polemische Plakat-Aktion gegen die Grünen erhitzt die Gemüter, das „Z-Wort“ gibt auch mal wieder einen Aufreger her und die gute alte Buchstabiertafel soll weg.

Eine bundesweite Anti-Grünen-Kampagne sorgte in den letzten Tagen für Aufsehen. Mehrere tausend Plakate wurden in 50 Großstädten geschaltet. Auch eine Webseite und Social-Media-Auftritte gibt es unter dem Slogan „Grüner Mist“. Auf den Plakaten prangen Begriffe wie „Klimasozialismus“, „Masseneinwanderung“, „Wohlstandsvernichtung“, „Verbote“ und „Steuererhöhung“. Das Design ist an die Markenidentität der Grünen angelehnt, wobei die Sonnenblumen allerdings den Kopf hängen lassen.

Hinter der Kampagne steckt laut ihrer Webseite die Hamburger Agentur Conservare Communications. Deren Chef David Bendels war früher Mitglied der CDU, später der CSU, aus der er 2016 austrat, nachdem ihm die Partei einen Auftritt bei einer AfD-Veranstaltung untersagt hatte. Heute gibt Bendels den Deutschland Kurier heraus, der als AfD-nah gilt. Wer die Plakate bezahlt hat, ist noch unklar. Mit dem Parteiengesetz ist eine solche Kampagne mit intransparenter Finanzierung laut zdf.de durchaus vereinbar, da es sich ausschließlich um eine Negativ-Kampagne handelt. Anders wäre die Situation, wenn zusätzlich noch Werbung für eine andere Partei gemacht werden würde, oder man einer anderen Partei eine Verbindung zu der Kampagne nachweisen könnte. Dann würde es sich bei der Buchung der Werbeflächen um eine rechtswidrige verdeckte Parteienspende handeln.

Illegal sind die Plakate also wahrscheinlich nicht. „Grüner Mist“ sorgt wohl vor allem für Aufruhr, weil Schmäh-Kampagnen in dieser Härte im deutschen Kulturraum ungewohnt sind. Anders ist es in zum Beispiel in den USA, dort gehört sogenanntes „Negative Campaigning“ mit deftigen Angriffen und Diffamierungen zum Wahlkampf dazu. In den Reaktionen auf „Grüner Mist“ scheint denn auch ein spezifisch deutsches Demokratieverständnis durch, wonach man sich in der Politik bloß nicht gegenseitig zu hart angreifen dürfe, damit nicht „Weimarer Verhältnisse“ und schließlich der Untergang der Demokratie drohten. Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer der Grünen, wertete die Kampagne zum Beispiel als einen „direkten Angriff auf unsere Demokratie“. Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil twitterte: „#GrünerMist ist #Rechtermüll. Demokraten halten zusammen. Getrennt in der Sache, vereint gegen Rechts.“

Das alles wirkt ziemlich unsouverän

Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister und Vizeministerpräsident Jan Philipp Albrecht drohte der Firma Ströer, bei der viele der Plakatflächen gebucht wurden. In einem inzwischen gelöschten Tweet schrieb er: „Wenn Ströer nicht offenlegt, wer die von ihnen veröffentlichte Hetzkampagne gegen Grüne finanziert hat, sollte dies in jeder Kommune und jedem kommunalen Unternehmen zum Anlass genommen werden, dieser Firma keine weiteren Aufträge mehr zu erteilen.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz warf Ströer auf Twitter vor „zu Lasten von Rechtsstaat und Demokratie“ zu handeln. Sein Parteikollege Arndt Klocke, Landtagsabgeordneter in NRW, sagte seine Teilnahme an einer Podiumsdiskussion ab, die Ströer zum Thema Verkehrswende organisiert.

Das staatsnahe „Faktenchecker“-Unternehmen correctiv forderte die Öffentlichkeit auf, Fotos und Hinweise zu den Standorten der Plakate einzusenden. Diese „Crowd-Recherche“ brachte nach eigener Aussage so bahnbrechende Erkenntnisse wie: „[Die Plakate] hängen vor allem an zuschauerstarken Plätzen, an Hauptstraßen, zentralen Kreuzungen und U-Bahnstationen.“ Das Bündnis „Köln gegen Rechts“ rief sogar zu einer Kundgebung vor dem Unternehmenssitz von Ströer in Köln-Sürth auf (wie viele Menschen tatsächlich zu der angemeldeten Demo am 12. August kamen, lässt sich den Medienberichten leider nicht entnehmen).

Das alles wirkt ziemlich unsouverän und zum Teil auch autoritär. Wenn Deutschland eine echte Demokratie seien will, sollten Plakate, die das Programm einer Partei in polemischer Absicht auf Begriffe wie „Klimasozialismus“ oder „Wohlstandsvernichtung“ zuspitzen, seine politische Klasse nicht in Hysterie versetzen. Gerade die Pluralität der verschiedenen Positionen und deren ergebnisoffenes Ringen miteinander machen ein demokratisches System aus, im Gegensatz zu einem autoritären, von oben gelenkten.

Niemand muss die Motive von „Grüner Mist“ gut finden. Dass derlei polemische Negativ-Kampagnen in den USA – also einer der ältesten Demokratien der Welt und dem Land, das Deutschland die Demokratie brachte – zum politischen Standardrepertoire gehören und dort von beiden großen Parteien genutzt werden, sollte allerdings den vielen Deutschen zu denken geben, die, sobald es mal etwas härter zugeht, gleich die Demokratie in Gefahr sehen.

Aus für Anton, Berta und Cäsar

Das Deutsche Institut für Normung (DIN) arbeitet derzeit an einer neuen Fassung der Buchstabiertafel für Wirtschaft und Verwaltung. An die Stelle der ausgewählten einprägsamen Vornamen und anderen Begriffe, die fast jeder in Deutschland kennt – „Anton, Bertha, Cäsar…“ – sollen künftig Ortsnamen wie Tübingen, Oldenburg und Xanten treten. Hintergrund ist nicht nur die Tatsache, dass die Nationalsozialisten 1934 alle jüdischen Namen entfernt hatten: Aus David wurde Dora, aus Samuel Siegfried und so weiter. Das hätte man ja relativ leicht wieder rückgängig machen können.

Menschen, die ihre Suche nach Sexismus und sonstiger Diskriminierung offenbar mit äußerster Akribie betreiben, hatten darüber hinaus entdeckt, dass die bisher genutzte Buchstabiertafel 16 Männer- und nur sechs Frauennamen enthält. „Das entspricht nicht der heutigen Lebensrealität“, teilte das DIN laut Stern in einem aktuellen Statement zu diesem Sachverhalt mit. Es sei nicht möglich, alle relevanten ethnischen und religiösen Gruppen und dann auch noch geschlechtergerecht ausgewogen darzustellen. Städtenamen seien daher ein guter Kompromiss. Die neue Buchstabiertafel soll für die Verwendung in Wirtschaft und Verwaltung empfohlen werden. Rettungsdienste, Polizei oder Luftfahrt sind laut Stern von der Änderung nicht betroffen.

Der „Deutschen Sprachwelt“ wurde kürzlich die Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ zum Verhängnis. Die Zeitschrift will das Sprachbewusstsein stärken, nach eigener Aussage ist sie die größte Zeitschrift für Sprachpflege im deutschsprachigen Raum. In den sozialen Medien berichtet die Deutsche Sprachwelt regelmäßig auch über Sprachtabus. „Dabei ist es unmöglich, beanstandete Wörter wie zum Beispiel ‚Mohrenkopf‘ oder ‚Zigeunersoße‘ zu vermeiden – es sei denn, man spricht sprachverkrampft vom ‚M-Wort‘ oder vom ‚Z-Wort‘“, wie Chefredakteur Thomas Paulwitz in einem aktuellen Editorial erklärt.

Wie Paulwitz weiter ausführt, wurde kürzlich ein Facebook-Eintrag der Deutschen Sprachwelt gelöscht, weil er die Formulierung „RTL-Moderatorin bittet bei Zigeunern für das unbedachte Verwenden des Wortes ‚Zigeunerleben‘ um Entschuldigung“ enthalten habe. Das Posting verstoße gegen Facebooks Gemeinschaftsstandards zu Hassrede und Beleidigungen, habe das Unternehmen mitgeteilt. Man wolle Nutzer „vor Äußerungen schützen, die häufig als Beleidigungen für bestimmte Personengruppen verwendet werden“.

Paulwitz‘ elektronisch übermittelter Einspruch gegen die Löschung wurde nach dessen Angaben innerhalb von vier Minuten abgelehnt. Dabei hatte die Sinti-Allianz Deutschland der Deutschen Sprachwelt noch im letzten Jahr anlässlich der Zigeunersoßendiskussion schriftlich bescheinigt: „Eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben.“ Diese Meldung ging im August 2020 durch zahlreiche Medien.

Empörungsbereite Aktivisten monieren Skulptur

In der englischen Stadt Stroud erwägt die Lokalverwaltung die Entfernung der sogenannten „Blackboy Clock“. Von der „Black Lives Matter“-Bewegung inspirierte antirassistische Aktivisten hatten sich über die jahrhundertealte mechanische Uhr beschwert, die an einem denkmalgeschützten Gebäude angebracht ist. Die Uhr zeichnet sich durch eine kleine Skulptur eines schwarzen Jungen aus, der zur vollen Stunde mit einem Knüppel gegen eine Glocke schlägt. Das ganze Ensemble wurde 1774 von einem örtlichen Uhrmacher geschaffen und im Jahr 2004 aufwändig restauriert.

Ein Untersuchungsbericht der Stadtverwaltung kamen kürzlich zu dem Schluss, dass heute nicht mehr rekonstruiert werden könne, wer oder welche Ereignisse das Stück inspiriert hätten. Die karikaturhafte Darstellung des schwarzen Jungen mit angeblich wulstigen roten Lippen und Lendenschurz rühre möglicherweise von „Abbildungen schwarzer Menschen in den Holzschnitten und Radierungen der damaligen Zeit, einschließlich der Tabakwerbung“ her.

Die Politikerin Siobhan Baillie (Conservative Party), die Stroud im House of Commons vertritt, ist gegen die Entfernung und meint zu der Angelegenheit: „Eine bestimmte lautstarke Minderheit von Menschen hat ein unstillbares Verlangen, ständig etwas zu finden, worüber sie sich empören kann. […] Ich verstehe und teile die Wut über den Rassismus, aber ein effektives Verbieten vergangener Vorurteile, indem man sie physisch aus unseren Parks, Gebäuden und Straßen verschwinden lässt, ist in einer reifen Demokratie nicht zulässig.“

Ebenfalls in Großbritannien hat sich die Schriftstellervereinigung Society of Authors (SoA) von ihrem langjährigen Vorsitzenden, dem Kinder- und Jugendbuchautor Philip Pullman (vor allem bekannt durch seine Fantasy-Trilogie „His Dark Materials“), distanziert. Pullman hatte auf Twitter Kate Clanchy gegen ihre Kritiker verteidigt. Die schottische Grundschulpädagogin ist Autorin eines wohl ziemlich kitschigen Buches über den Lehrerberuf, welches einige etwas dümmliche, klischeehafte Passagen über ethnische Minderheiten und Behinderte enthält (ein asiatischer Schüler hat „mandelförmige Augen“, ein schwarzes Kind „schokoladenfarbene Haut“, zwei autistische Kinder sind „selbstbewusst seltsam“ und „schrille Gesellschaft“).

Pullman twitterte, dass Menschen, die ein Buch verdammen, ohne es gelesen zu haben, „beim IS oder den Taliban ein komfortables Zuhause finden“ würden. Als er dafür angegriffen wurde, entschuldigte er sich prompt für seine „eilige und unangemessene Wortwahl“, sowie für seine Verteidigung Clanchys ganz allgemein. Die SoA teilte in einem Statement zu der Causa mit: „Philip schrieb seine Kommentare als Einzelperson, nicht im Namen der Society of Authors. […] Der Vorsitzende ist nur eine Ehrenposition: er spielt keine Rolle in der Leitung der SoA.“

Trump bleibt gesperrt, Taliban dürfen twittern, was sie wollen

Eigentlich geht es in dieser Kolumne ja um die „Ausgestoßenen der Woche“. Ausnahmsweise möchte ich aber eine Gruppe hervorheben, die aktuell nicht ausgestoßen ist: Die radikalislamische Terrororganisation Taliban! Die britische Zeitung Daily Mail weist auf den Umstand hin, dass der „Offizielle Twitter-Account des Sprechers des Islamischen Emirats Afghanistan, Zabihullah Mujahid“ seit Tagen triumphierende Live-Updates zur Eroberung Afghanistans und seiner Hauptstadt Kabul durch die Taliban postet („Islamisches Emirat Afghanistan“ ist die offizielle Bezeichnung, die die Taliban dem Land am Hindukusch gaben, als sie es zum letzten Mal, von September 1996 bis Oktober 2001, großflächig kontrollierten). „Zabiullah Mujahid“ ist laut der englischen Wikipedia ein real existierender hochrangiger afghanischer Dschihadist aus der Volksgruppe der Paschtunen, der seit Jahren (neben einem weiteren Mann namens Yousef Ahmadi) als offizieller Sprecher der Taliban fugiert (auch viele deutschsprachige Medien bezeichnen Mujahid als „Taliban-Sprecher“).

Es ist wirklich erstaunlich: Der demokratisch gewählte US-Präsident Donald Trump wurde auf Twitter lebenslang gesperrt, weil er einige fragwürdige Dinge über die Erstürmung des Kapitolgebäudes durch ein paar Verwirrte äußerte, die binnen Stunden vertrieben oder festgenommen werden konnten. Der offizielle Sprecher einer Organisation, die die Bevölkerung Afghanistans wohl für die nächsten Jahre bis Jahrzehnte ihrer mittelalterlichen, theokratischen, undemokratischen und frauenverachtenden Ideologie unterwerfen wird, darf twittern, was er will.

Gibt es auch eine gute Nachricht? Ja: Der Leiter des jährlich stattfindenden Filmfestivals in San Sebastian, Spanien, will nicht von der Entscheidung abrücken, den amerikanischen Schauspielstar Johnny Depp für sein künstlerisches Lebenswerk mit dem sogenannten Donostia-Preis zu ehren. Mehrere Frauen werfen Depp „emotionalen und physischen Missbrauch“ vor. Der spanische Verband der Filmemacherinnen und audiovisuellen Medien hat die geplante Preisverleihung daher scharf verurteilt.

Doch wie der Leiter des Festivals, José Luis Rebordinos, in einer aktuellen Stellungnahme erklärt: „In der heutigen Zeit, in der Lynchjustiz in den sozialen Medien an der Tagesordnung ist, werden wir immer zwei Grundprinzipien verteidigen, die Teil unserer Kultur und unserer Gesetze sind: die Unschuldsvermutung und das Recht auf Wiedereingliederung. Nach den uns vorliegenden Daten wurde Johnny Depp weder verhaftet noch angeklagt oder verurteilt wegen irgendeiner Form von Übergriffen oder Gewalt gegen eine Frau. Wir wiederholen: Er wurde von keiner Behörde in irgendeiner Gerichtsbarkeit angeklagt oder wegen irgendeiner Form von Gewalt gegen Frauen verurteilt.“ Das Filmfestival im tschechischen Karlovy Vary will Johnny Depp in diesem Jahr ebenfalls mit einem Preis auszeichnen. (Quelle: IndieWire)

Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!

Mehr vom Autor dieser wöchentlichen Kolumne Kolja Zydatiss zum Thema Meinungsfreiheit und Debattenkultur lesen Sie im Buch „Cancel Culture: Demokratie in Gefahr“ (Solibro Verlag, März 2021). Bestellbar hier.

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