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Polen: Ausnahmezustand verlängert – Provokationen von weißrussischer Seite?

Published On: 7. Oktober 2021 14:33

Die polnische Regierung berichtet von mehr als 500 illegalen Einreiseversuchen am Tag an der weißrussischen Grenze und von tausenden Migranten auf der anderen Seite. Die EU-Kommission und der Straßburger Gerichtshof fordern implizit eine weichere Grenzpolitik.

Am 30. September stimmte der Sejm der Verlängerung des Ausnahmezustands an der polnisch-weißrussischen Grenze um weitere 60 Tage zu. Betroffen sind die Grenzregionen der Woiwodschaften Podlachien und Lublin und insgesamt 183 Ortschaften. Der Ausnahmezustand begann ursprünglich am 2. September und galt zunächst für 30 Tage. In der Parlamentsdebatte machte Innen- und Verwaltungsminister Mariusz Kamiński außerdem deutlich, dass die Regierung die illegale Immigration an ihren Grenzen nicht hinnehmen könne: »Es versteht sich von selbst, dass wir feststellen müssen, wer zu uns kommt – einige dieser Leute haben keine Papiere, andere falsche Ausweispapiere.«

Bei der Überprüfung von 200 Personen habe man festgestellt, dass 50 Migranten wegen Radikalismus, der Beteiligung an bewaffneten Einheiten im Nahen Osten oder wegen Verbindungen zu den Taliban oder zum IS als gefährlich gelten müssen. Das entspricht einer Quote von 25 Prozent. Der polnische Innenminister versprach zugleich die Errichtung einer unüberwindbaren physischen Barriere an der Grenze: »Es wird eine moderne Grenze sein, die nicht überschritten werden kann. Wir werden handeln und die polnischen Bürger werden nie wieder unter einem ähnlichen Druck stehen.«

Polnischen Angaben zufolge hat Weißrussland inzwischen Soldaten und Scharfschützen an die Grenze geschickt, und diese zielten mit Knallkörpern in die Nähe polnischer Soldaten. »Das Ziel dieser Provokationen«, so Innenminister Kamiński, »könnte darin bestehen, dass der erste echte Schuss von polnischer Seite fällt, wenn ein Soldat sich bedroht fühlt.« Diese Situation erinnert in vielem an die fortbestehende Lage an der griechischen Evros-Grenze, wo ebenfalls türkische Kräfte versuchen, das eigene Blatt mit Hilfe von Provokationen auszureizen.

Die Bedrohung erscheint auch in Polen vielfältig und hybrid: Polnische Grenzschützer berichten von Pontons, die zur Überquerung des Grenzflusses Bug genutzt werden. Außerdem wird der Fund einer »falschen Bombe« den Weißrussen als »Provokation« zur Last gelegt. Photos zeigen einen Zeitzünder und Kabel. Die Regierungen Polens und Litauens verstehen die Handlungsweise des weißrussischen Präsidenten Lukaschenka als direkten Angriff auf die beiden Länder. Weil sie die weißrussische Opposition unterstützen, wolle der Präsident die Nachbarländer destabilisieren.

Immer mehr illegale Einreiseversuche: Nur 44 Prozent beantragen Asyl in Polen

Auch am 30. September, einem Donnerstag, stellte der polnische Grenzschutz 313 illegale Versuche fest, die Grenze zu übertreten. 308 davon wurden abgewehrt, vier Iraker und ein Jemenite wurden von den Grenzern aufgegriffen. Daneben wurden laut Grenzschutz zwei Schlepper festgenommen, einer mit bulgarischer Staatsangehörigkeit und ein Syrer mit deutscher Aufenthaltsgenehmigung.

Am 4. Oktober zählten die Grenzer schon 590 Versuche und 35 Festnahmen (fast alles Iraker, ein Kongolese). Im neuen Monat scheint die 500er-Grenze bei den irregulären Einreiseversuchen mehrfach durchbrochen worden zu sein. Daneben wird allein im Oktober von der Festnahme von 26 Schleusern berichtet. Doch solange die Grenze nicht stärker befestigt wird, bleibt es ein täglicher Abwehrkampf an der waldreichen Grenze östlich von Bialystok und Lublin, der anhalten wird, bis allen auf der anderen Seite die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens bewusst geworden ist.

Derzeit hat Polen 1.490 Migranten in bewachten Zentren untergebracht, davon sind 853 Männer, der Rest Frauen und Kinder. Mehrheitlich handelt es sich um Iraker (735). Eine Zahl frappiert allerdings wirklich: Laut dem polnischen Grenzschutz haben nur 44 Prozent der Zentrumsbewohner um internationalen Schutz in Polen gebeten.

Neue Verordnung ermöglicht »Zurückschiebungen«

Daneben ergab sich ein Problem mit einer Gruppe von 20 Migranten, bestehend aus Irakern und türkischen Kurden, die sich am Grenzposten in Michałów festsetzten und laut einigen das Wort »Poland!« skandierten, nach anderen umgehend nach Deutschland gebracht werden wollten. Am 28. September wurden sie zur weißrussischen Grenze gebracht und damit aus Polen ausgewiesen. Die polnischen Grenzpolizisten folgten damit einer neuen Verordnung des Innen- und Verwaltungsministeriums, welche Zurückweisungen (oder »Zurückschiebungen«, wie es, ans Englische angelehnt, heißt) legal macht. Eine Sprecherin bestätigte, dass auch Frauen und Kinder unter den Migranten waren. Die liberale Gazeta Wyborcza berichtete noch am selben Tag ausführlich von den Vorgängen.

Zwei Tage später betrat mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der Gottseibeiuns aller EU-Grenzschützer die Szene. Mit Mariusz Kamiński, der zugleich Geheimdienstkoordinator und Minister für Inneres und Verwaltung ist, traf sie eine Schlüsselfigur der polnischen Regierung. Das Gespräch mit Mariusz Kamiński beschrieb die Schwedin als »sehr lang, offen, freimütig und interessant«, was auf handfeste Meinungsunterschiede zwischen ihr und dem polnischen Minister schließen lässt. Kamiński hob hervor, dass Polen bereit sei, Menschen, die wirklich vor Gewalt und Verfolgung fliehen, aufzunehmen – zum Beispiel politische Dissidenten aus Weißrussland. Nur »illegale Grenzübertritte«, die von weißrussischen Kräften gelenkt würden, werde Polen auch weiterhin unterbinden.

Ylva Johansson zeigte, wie zuletzt häufiger, eine gewisse Unfreiheit, ohne doch zu verbergen, was sie wirklich will: Das ist eine Erleichterung illegaler Einreisen in die EU. Allerdings ist die linke Sozialdemokratin mittlerweile umstellt von einer Phalanx von Regierungen, die es nicht zulassen wollen, dass die Union von ihren Nachbarn an der Migrationsfront erpresst wird.

Johansson: Lukaschenka »schiebt Migranten in die EU«

So sprach Johansson Polen das Recht zu, seine Grenzen dort zu schützen, wo es sich um EU-Außengrenzen handelt. Sie gab sogar zu, dass Lukaschenka Migranten »mehr oder weniger in die EU hineinschiebt« (»trying to more or less push them into the European Union«). Das erscheint als bedeutendes Zugeständnis an das gegnerische Lager und könnte die Bemühungen der Polen um ein wohlbegründetes Zurückweisungsrecht begünstigen. Druck erzeugt Gegendruck, zumindest bei Rechtskörpern, die sich noch nicht völlig aufgegeben haben.

Immerhin konnte die Schwedin auch etwas lernen über die konkrete Situation an einer EU-Außengrenze, auch wenn sie flugs hervorhob, dass die EU eben nicht wie Lukaschenka sei – man sei besser als er. Und Transparenz sei natürlich ein wichtiger Grundwert der Europäischen Union. Dass es derzeit keine unabhängige Berichterstattung aus dem Grenzgebiet gibt, sorgt für Kritik, erklärt sich aber durch den Ausnahmezustand.

Medien wie die österreichische Presse berichten zudem, dass auch NGOs und sogar Frontex-Beamte im polnischen Notstandsgebiet unerwünscht seien. Dagegen erklärt die polnische Regierung, seit Beginn der Krise eng mit Frontex zusammengearbeitet zu haben. Immerhin befindet sich ja der Hauptsitz der EU-Grenzschutzagentur in Warschau. Und auch Frontex-Chef Fabrice Leggeri besuchte nun einen mit Stacheldraht geschützten Grenzabschnitt.

Auch Lettland hält seinen am 10. August erklärten Ausnahmezustand aufrecht. Seitdem haben die Grenzwächter laut dem öffentlichen Rundfunk LSM 1.503 illegale Einreisen verhindert. Seit dem 10. August wurden demnach 38 Migranten von lettischen Grenzern festgenommen, nachdem ihre Einreise »aus humanitären Gründen« hingenommen wurde.

Schuldet Polen den Wartenden humanitäre Hilfe?

Die Erwähnung von NGOs ist bemerkenswert, zumal auch der NGO-affine Straßburger Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) etwas zu den Vorgängen an der weißrussisch-polnischen Grenze zu sagen hatte. Der Gerichtshof hat weitgehend freie Hand bei der Auswahl seiner Fälle und kann dadurch in aktuelle politische Diskussionen und Situationen eingreifen. Er urteilte nun, dass Polen den an seiner Ostgrenze wartenden Migranten humanitäre Hilfe leisten müsse.

Anlass zu Diskussionen und Kritik in der polnischen Öffentlichkeit hatte zuvor ein wild errichtetes Lager in der Nähe des weißrussischen Dorfes Usnarz Górny gegeben. In dem Lager halten sich derzeit noch 24 Afghanen auf. Ursprünglich waren es noch ein paar mehr. Der Posener Aktivist und Politiker der oppositionellen Bürgerkoalition Franciszek Sterczewski fand es lächerlich, einen Ausnahmezustand wegen 30 Afghanen zu verhängen – womit er die Funktion des Notstands verkannt haben dürfte. Laut dem polnischen Grenzschutz warten in Weißrussland bis zu 10.000 Migranten darauf, sich einen Weg in den Schengen-Raum zu bahnen.

Route Minsk – Polen – Frankfurt (Oder)

Der Vorschlag des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), Polen solle den Ausharrenden von Usnarz Górny humanitäre Hilfe zukommen lassen, trifft inzwischen auf die entschiedene Kritik der polnischen Regierung. Unter anderem hatte sich auch Franciszek Sterczewski mit einer »Tüte« Medikamente und Nahrungsmittel zur Grenze aufgemacht, natürlich erfolglos. Dabei hatte es schon früh Nachrichten gegeben, dass die 24 Afghanen von weißrussischen Kräften mit allem Nötigen und sogar mit Strom für die Mobiltelephone versorgt werden.

Für die polnische Regierung kommt der EGMR-Ratschlag – um viel mehr handelt es sich wohl kaum – einer Aufweichung nationaler Grenzen gleich, denn das provisorische Lager der Migranten liegt auf weißrussischem Gebiet. Deshalb verhinderten die polnischen Grenzsoldaten auch die Ausreise von polnischen Staatsbürgern in humanitärer Mission. Das wäre ungeregelter Grenzverkehr und eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Weißrusslands gewesen.

Die polnische Regierung schlägt stattdessen vor, dass sich die humanitären Helfer zu einem der offiziellen Grenzübergänge begeben, um von dort aus das provisorische Lager der Migranten zu erreichen. Im Übrigen, so fügt die polnische Regierung in ihrer Pressemitteilung an, hätten diese Migranten auch laut dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) kaum Aussicht auf Schutz in Polen. Denn sie lebten die letzten Jahre über legal auf dem Gebiet der Russischen Föderation.

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