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Kaputtförderung: Im zweiten Pandemie-Jahr wurden wieder etliche Kliniken dicht gemacht.

Published On: 22. Dezember 2021 9:14

Karl Lauterbach meinte einmal, dass „eigentlich jede zweite Klinik“ in Deutschland schließen sollte. Das war vor seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister, als der er jetzt über einen Apparat befehligt, der seit Jahren die Axt an die Versorgungsstrukturen legt. Rücksichten auf Corona? Pustekuchen. Nach 20 Spitälern 2020 sind in diesem Jahr neun weitere von der Bildfläche verschwunden. Und noch einmal Dutzende stehen auf der Abschussliste. Das Geld fürs Abwickeln liefert der Bund frei Haus und fürs Neusprech sorgen die Bertelsmänner. Für sie ist Kahlschlag eine „Frage der Patientensicherheit“. Von Ralf Wurzbacher.



Krankenhausschließungen – mitten in der Pandemie? Wo gibt es denn so was? Antwort: Mitten in Deutschland und zwar nicht zu knapp. Am Dienstag legte das „Bündnis Klinikrettung“ eine vorläufige Bilanz für das zur Neige gehende Jahr 2021 vor. Nachdem 2020, im Jahr eins der Corona-Krise, 20 Häuser ihren Betrieb eingestellt hatten, gingen im Verlauf der zurückliegenden fast zwölf Monate an neun weiteren Standorten die Lichter aus. Hinzu kämen „mindestens 22 Fälle von Teilschließungen, die erfahrungsgemäß vielfach eine spätere komplette Schließung einleiten“, teilten die Aktivisten am Dienstag im Rahmen einer Bilanzpressekonferenz mit. Überdies sei es „wahrscheinlich“, dass sich die Verluste bis Stichtag 31. Dezember noch vergrößern. Auch im Vorjahr hatten einige Einrichtungen auf den letzten Drücker dicht gemacht.

Im Einzelnen wurden folgende Spitäler aus der Versorgungslandschaft getilgt: Ortenau-Klinikum Oberkirch (Baden-Württemberg), Krankenhaus Trier-Ehrang (Rheinland-Pfalz), Main-Spessart-Klinikum Marktheidenfeld (Bayern), Lungenklinik Borstel (Schleswig-Holstein), Rehaklinik Seesen (Niedersachsen), Alb-Donau Klinikum Langenau (Baden-Württemberg), Sana Klinik Laupheim, (Baden-Württemberg), Pneumologische Klinik Waldhof Elgershausen (Hessen), Klinik St. Blasien (Baden-Württemberg). In den vier zuletzt genannten Fällen soll der Bettenbestand zum Teil beziehungsweise komplett erhalten bleiben, indem die Kapazitäten an andere Standorte verlagert werden. Damit beläuft sich der Schwund auf 814 Betten, während 2020 über 2.000 Behandlungsplätze und 4.000 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer gefallen waren.

Wohlgemerkt sind dies nur die unmittelbaren Einbußen infolge von Schließungen ganzer Kliniken oder einzelner Stationen. Nicht zu verwechseln sind diese mit den im Laufe des Jahres 2020 zu Tausenden „abgebauten“ Intensivplätzen aufgrund ökonomischer Fehlanreize und des politischen Versäumnisses, für Personalnachwuchs zu sorgen, damit die Betten tatsächlich auch genutzt werden können (vgl. dazu hier).

Kahlschlag von Staats wegen

Carl Waßmuth vom Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) erklärt sich den vergleichsweise moderaten Bettenabbau auch mit der öffentlichen Sensibilisierung für das Thema. „Ich denke, das können wir ein Stück weit uns auf die Fahnen schreiben“, sagte er gestern gegenüber den NachDenkSeiten. GiB setzt sich für die Demokratisierung der Daseinsvorsorge ein und ist Träger des „Bündnisses Klinikrettung“. Konfrontiert mit den von der Initiative recherchierten 20 Klinikabwicklungen hatte der damals amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Jahresanfang 2020 durch einen Sprecher ausrichten lassen: „Die Bundesregierung hat keine Kenntnis über die Schließung von Kliniken im Pandemiejahr 2020.“ Das war mutmaßlich eine kleine Notlüge, denn einem ausgewiesenen „Klinikkahlschläger“ werden die Früchte des eigenen Schaffens kaum entgangen sein.

Tatsächlich ist das Kliniksterben politisch gewollt. Seit 2016 wird die Erosion von Versorgungsstrukturen von Staats wegen und äußert großzügig honoriert. Mit dem damals aufgelegten Krankenhausstrukturfonds (KHSF) hat der Bund jährlich 500 Millionen Euro bereitgestellt, um damit den „Abbau von Überkapazitäten, die Konzentration von stationären Versorgungsangeboten sowie die Umwandlung von Krankenhäusern in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtungen“ zu fördern. Ende November veröffentlichte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) den Abschlussbericht zur ersten Projektphase, die Ende 2018 auslief. Wie unter anderem das „Ärzteblatt“ berichtete, wurden beziehungsweise werden mit dem Geld schlussendlich 34 Krankenhäuser abgewickelt. „An weiteren 24 Standorten wurden 36 Abteilungen geschlossen“, wovon fast die Hälfte Gynäkologien und Geburtshilfen seien.

Hilfe außer Reichweite

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kommentierte die Zahlen in einer Unterrichtung des Bundestages mit Genugtuung: Es werde deutlich, „dass der mit dem KHSF verfolgte gesetzgeberische Zweck, die Versorgungsstrukturen anhand von Konzentrationseffekten und des Abbaus von Vorhalteaufwand zu verbessern, grundsätzlich erreicht wurde“. Und weiter: „Die geförderten Vorhaben haben einen messbaren Beitrag zur Verbesserung der Krankenhausstrukturen geleistet.“ Otto-Normal-Patient kann den „Fortschritt“ mit der eigenen Uhr messen. Gemäß der RWI-Analyse hat das Verschwinden besagter 34 Kliniken zur Folge, dass sich die Pkw-Fahrzeit zum nächstmöglichen Grundversorger „für circa 61.000 auf über 30 Minuten“ erhöht hat oder erhöhen wird.

Eigentlich hat jeder Bürger einen gesetzlichen Anspruch auf ein Krankenhaus, das in maximal einer halben Autostunde erreichbar ist und mindestens Innere Medizin, Chirurgie und Notfallversorgung anbietet. Allein in Bayern werde dieses Kriterium „bereits jetzt in 115 Postleitzahlregionen verletzt“, monierte Waßmuth. Zugleich sei ein Anstieg der Kliniken in privater Regie zu verzeichnen, die wenig Interesse am Betrieb regionaler Allgemeinversorger hätten. Ferner wies er darauf hin, dass Schließungen häufig mit der Planung von Zentralkliniken einhergingen. Dafür werden millionenteure, ökologisch fragwürdige Neubauten projektiert, für die Bund und Länder hohe Fördersummen locker machten. „Dieses Geld müsste stattdessen in den Erhalt bestehender Häuser und einen Aufwuchs an Personal gesteckt werden“, so Waßmuth.

Bertelsmänner denken vor

Selbstredend wurde zu Jahresanfang 2019 ein Nachfolgepakt aufgelegt, der KHSF II, den sich der Bund insgesamt zwei Milliarden Euro kosten lassen will. Ursprünglich sollte das Regelwerk 2022 auslaufen, wurde aber von der Großen Koalition im Oktober 2020 – wieder einmal mitten in der Pandemie – als Teil ihres „Krankenhauszukunftsgesetzes“ bis 2024 gestreckt. Nach Darstellung des „Bündnisses Klinikrettung“ wird sich die Gangart beim Entsorgen von Versorgern damit noch zuspitzen. Zum jetzigen Zeitpunkt wären bereits 31 Klinikschließungen beschlossen, die ab 2022 in Kraft treten. Weitere 19 Krankenhäuser seien von einer Abwicklung bedroht – aufgrund von Gutachten, die den Schritt empfehlen, Abteilungsschließungen oder Personalabzug. Dabei herrsche schon heute ein „bundesweiter Notstand im Krankenhaussystem, der durch die Pandemie noch verschärft wird“, heißt es in einem Hintergrundpapier der Initiatoren. Demnach gab es im Jahr 1991 deutschlandweit noch 2.411 Kliniken mit insgesamt 666.000 Betten. 2019, also 28 Jahre später, waren es noch 1.914 Spitäler mit 494.000 Betten, was einen Rückgang von 21 beziehungsweise 26 Prozent entspricht.

„Im Takt der andauernden Krankenhausschließungen verschlechtert sich die gesundheitliche Versorgungslage in Deutschland weiter“, beklagte Bündnissprecherin Laura Valentukeviciute. Spätestens mit dem BMG-Bericht zur Auswertung des KHSF sei klar, „dass die meisten Schließungen ein systematisches, staatlich geplantes und bezahltes Vorhaben ist sind“. Neoliberale Denkfabriken wie die Bertelsmann Stiftung, die Wissenschaftsakademie Leopoldina oder die Robert-Bosch-Stiftung arbeiten seit langem mit Feuereifer daran, die Zahl der Kliniken nach der Leitlinie „Effizienz, Spezialisierung, Zentralisierung“ auf wenige hundert der aktuell noch knapp unter 2.000 Standorte einzudampfen. Eine Expertise der Bertelsmänner vom Sommer 2019 plädiert für eine Reduzierung der allgemeinen Kliniken von 1.400 auf 600. Auf diesem Wege ließen sich „viele Komplikationen und Todesfälle“ vermeiden, weshalb die Neuordnung der Krankenhauslandschaft „eine Frage der Patientensicherheit“ sei und das Ziel verfolgen müsse, „die Versorgungsqualität zu verbessern“.

Corona fegt Betten leer

Selbst die nach Worten von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides „größte Gesundheitskrise seit Menschengedenken“ bremst derlei Planspiele nicht aus. Im Gegenteil kam die Pandemie für die Verfechter einer radikalen Flurbereinigung sogar wie gerufen. Wie von den NachDenkSeiten zuletzt hier berichtet, herrscht in Deutschlands Krankenhäusern seit nunmehr zwei Jahren ein historischer Leerstand. 2020 fiel die Auslastung übers Jahr betrachtet 13 Prozent geringer aus als 2019, wie aus den vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK) erhobenen Klinikdaten hervorgeht. 2021 hielt die Talfahrt an. Bis 31. Mai waren die Fallzahlen um weitere fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen und damit um 20 Prozent im Vergleich zum Jahr vor Corona.

Das lässt sich nur zum Teil durch die vor allem 2019 in großem Stil abgesagten und aufgeschobenen Operationen erklären, mit denen man Kapazitäten für potentielle Covid-19-Patienten freihalten wollte. Der wichtigere Faktor dürfte sein, dass unter dem Eindruck der verbreiteten Ängste, sich mit SARS-Cov-2 anzustecken, deutlich weniger Menschen ins Versorgungssystem drängen. Während sich aktuell ein vermeintliches Drama vermeintlich überlaufender Kliniken abspielt – was mit Blick auf die personell am Anschlag befindlichen Intensivstationen punktuell durchaus zutreffend ist – hat Corona die Kliniken in Wahrheit regelrecht leergefegt. Und je länger die Pandemie anhält, desto mehr werden unter dem Druck fernbleibender Patienten in die Knie gehen.

700 Häuser „überflüssig“

Dass dabei vor allem kleinere und in öffentlicher Hand betriebene Häuser in ländlichen Regionen und abseits der Ballungsgebiete auf der Strecke bleiben, liegt auf der Hand. Die großen privaten Klinikkonzerne wie allen voran Rhön, Sana, Fresenius und Asklepios haben dagegen Substanz genug, die Corona-Flaute zu überstehen und danach, sobald die Beute bei der aus dem Feld geschlagenen Konkurrenz gemacht ist, mit neuer Kraft durchzustarten. Weil die Big Player aber vor allem auf Spezialisierung, lukrative OPs und Privatpatienten setzen, wird sich das Angebot an Voll- und Grundversorgern immer weiter ausdünnen. Anfang Dezember hatte das „Bündnis Klinikrettung“ anhand einer Recherche enthüllt, dass aktuell weniger als 1.200 Krankenhäuser überhaupt in der Lage sind, Covid-19-Patienten zu behandeln. Von diesen hätten lediglich 845 eine Geburtshilfe und 339 eine Kinderstation. Demgegenüber stünden über 700 reine Fachkliniken ohne angeschlossene Notfallversorgung (37 Prozent).

Wohin die Reise gehen soll, hatte im vergangenen Juli der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, in großer Offenheit in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) offenbart (hinter Bezahlschranke). Nach seiner Überzeugung sind 700 der aktuell über 1.900 Kliniken schlichtweg „überflüssig“. Kleinere Standorte auf dem Land sollten sich auf „einfache Eingriffe“ beschränken, während sich spezialisierte Zentren um „anspruchsvolle Operationen“ zu kümmern hätten. Man kann sicher sein, dass Hecken die Abrissbirne nicht gegen letztere, sondern zuvorderst gegen kleinere Standorte in staatlicher Regie in Stellung bringen will. „Das wäre gut für die Wirtschaftlichkeit und für die medizinische Qualität“, so der Funktionär, der immerhin dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen vorsteht. Um seine Pläne umsetzbar zu machen, müsste allerdings den Bundesländern die Planungshoheit über die Krankenhäuser entzogen werden, wofür eine Grundgesetzänderung vonnöten wäre. Man sollte die Beharrungskräfte der Länderfürsten in der Frage nicht überschätzen. 2017 hatten sie sich bereits die Zuständigkeit über den Fernstraßenbau vom Bund abjagen lassen.

Verlass auf Lauterbach?

Mit Heckens Vorstoß habe das Kahlschlagsprogramm „praktisch offiziellen politischen Segen“, gab GiB-Sprecher Waßmuth zu bedenken. „Kommt es wirklich so, haben wir in Deutschland bald nur noch 500 Allgemeinkrankenhäuser mit Notaufnahmen, weniger als halb so viele wie heute.“ Der ehemalige Klinikleiter Klaus Emmerich warb für ein Alternativmodell zum Status quo einer auf Profitstreben ausgerichteten Gesundheitsversorgung: „Krankenhäuser müssen selbstkostendeckend finanziert werden, dann gäbe es keine Gewinne und keine Verluste.“ Der Entzug von Geldern aus dem System würde gestoppt und so verhindert, dass Kliniken zur Vermeidung von Verlusten ihr Leistungsangebot massiv einschränkten. „Verbleiben würden stabile Krankenhäuser, die nicht um ihre Existenz bangen müssen und die sich auf ihre Patientinnen und Patienten konzentrieren können.“

Und dann richteten die Aktivisten noch einen Appell an den neuen BMG-Frontmann Lauterbach. Der hatte tatsächlich am 30. Mai die vom Bündnis initiierte Petition gegen Klinikschließungen unterzeichnet. „Als Gesundheitsminister hat er jetzt die Macht und auch die Aufgabe, die Schließungen zu stoppen“, bekräftigte Valentukeviciute. Ob darauf Verlass ist? 2019 twitterte Lauterbach in Reaktion auf eine Einlassung der Bertelsmann Stiftung: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite Klinik schließen sollten.“

Titelbild: Gts / shutterstock.com

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