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Widerstand der Künstler – In der Kulturbranche entstehen parallele Strukturen

Published On: 28. Dezember 2021 9:00

Künstler und Kulturschaffende sind die großen Verlierer der Corona-Politik. Sie leiden nicht nur wirtschaftlich, sondern bleiben im Ungewissen, wann sie ihrem Beruf uneingeschränkt nachgehen können. Wer die Maßnahmen kritisiert, muss weitere Nachteile befürchten. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, bauen mehrere Akteure an parallelen Strukturen in der Kulturbranche. Von Eugen Zentner



Die Corona-Maßnahmen haben Kulturschaffende besonders hart getroffen. Nicht wenigen wurde von einem Tag auf den anderen die Existenzgrundlage entzogen. Lange Zeit mussten Künstler aus den unterschiedlichsten Bereichen praktisch mit einem Berufsverbot leben. Mittlerweile dürfen sie ihrer Arbeit wieder nachgehen, allerdings sorgen die 2G/3G-Regeln für neue Probleme. Die Kulturbranche dümpelt weiter vor sich hin. So richtig rund läuft es noch nicht, am allerwenigsten für Künstler und Kulturschaffende, die die Corona-Politik kritisieren und ihre Arbeit nicht unter den momentan geltenden Bedingungen ausüben wollen. Doch es gibt Hoffnung. Die Betroffenen bauen parallele Strukturen auf, sie schaffen freie Räume, in denen neue Ideen und Projekte entstehen.

Neue Heimat für kritische Musiker

Zu den Taktgebern gehört unter anderem die Komplett-Agentur A-MAZE-ING music aus Stuttgart. Das Medienunternehmen agiert seit fünf Jahren als Schnittstelle zwischen großen Labels und neuen talentierten Musikern. Mittlerweile bietet es vor allem kritischen Musikern eine neue Heimat. „Die Idee war, Künstlern eine Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu äußern, ohne gleich berufliche Nachteile zu befürchten“, sagt Geschäftsführer Matthias Niemyt. Der studierte Musikfachwirt spricht einen heiklen Punkt an. Im Laufe der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass Künstler, die die Maßnahmenpolitik und den Regierungskurs kritisieren, nicht nur medial an den Pranger gestellt werden, sondern auch befürchten müssen, ihre Verleger oder Auftraggeber zu verlieren. Aufgrund dieses beruflichen Risikos halten sich die meisten zurück. Zu groß ist die Angst, es sich mit den Entscheidungsträgern in der Kulturbranche zu verscherzen.

A-MAZE-ING music will diesem Trend entgegenwirken und kritische Künstler ermutigen, Stellung zu beziehen. „Sie sollen wissen, dass wir ihnen die Türen öffnen, wenn alle anderen sie verschließen“, so Niemyt. Das gilt nicht nur für bereits etablierte Musiker, sondern auch für Newcomer. Die Komplett-Agentur führt sie durch ein komplexes Labyrinth aus Produktion, Videodreh, Marketing und Vertrieb – so wie es der Firmenname bereits andeutet. Es handelt sich um ein Wortspiel, das je nach Länge zwei Begriffe enthält. Während der volle Unternehmensname für «amazing», also «erstaunlich» oder «großartig» steht, steckt in dem mittleren Teil «maze» das englische Wort für Labyrinth. Ihm gleicht auch das Musikgeschäft, weshalb die Komplett-Agentur den Künstlern wegweisend unter die Arme greift. „Wir betreuen den ganzen Prozess“, sagt Niemyt, „von der Idee bis zum fertigen Musikvideo.“

Das Konzept von A-MAZE-ING scheint aufzugehen. Immer mehr Musiker nutzen die Möglichkeit, ihre kritischen Songs über die Komplett-Agentur auf den Markt zu bringen. Zugleich entstehen spannende Projekte, bei denen Musiker aus den unterschiedlichsten Genres und Ländern zusammenarbeiten. Auf diese Weise ist im Mai der Sampler «bHERZt» entstanden. Die CD versammelt insgesamt 17 Acts, die sich in ihren Liedern für Frieden und Freiheit einsetzen. Während sie überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum stammen, treten auf dem nachfolgenden Sampler «Freedom of Sound» internationale Künstler auf. In ihren Songs geben die Musiker eine stimmgewaltige Antwort auf die vielen politischen wie medialen Kampagnen, die seit Beginn der Corona-Krise dafür sorgen, dass sich die Gesellschaft immer weiter spaltet.

Momentan arbeitet A-MAZE-ING music an einem weiteren Projekt, bei dem wieder mehrere Musiker mitwirken. Sie produzieren Lieder von Kindern für Kinder. Dabei werden liebevolle Texte und lebhafte Melodien so arrangiert, dass der Nachwuchs in dieser schwierigen Zeit wieder zu mehr Mut, Lebensfreude und Zuversicht findet. «bHERZte Kinderlieder» lautet der Titel und bringt die Idee gut auf den Punkt. Finanziert wird das Projekt über Crowdfunding, wobei die benötigte Geldsumme dank vielen Unterstützern bereits erreicht ist. Sie erhalten die frisch gepresste CD als Erste. Während der Sampler bei ihnen noch vor Weihnachten eintrifft, können alle anderen ihn erst am 24. Dezember erwerben.

«Menschlich wirtschaften» – Eine Genossenschaft fördert die Vernetzung

Um Resilienz und neue Kraft geht es auch der Genossenschaft «Menschlich wirtschaften». Sie bemüht sich, über verschiedene Marktplätze parallele Strukturen aufzubauen, die ein Miteinander fördern und innerhalb derer alle Beteiligten besser auf eine übergriffige Verbotspolitik reagieren können. Wie in Wissenschaft, Bildung, Gesundheitswesen, Wirtschaft oder Presse sollen unter anderem auch in der Kulturbranche freie Räume und stabile Verbindungen geschaffen werden, damit die Akteure ihrem Beruf in schwierigen Zeiten nachgehen oder im Fall eines Totalverbots auf Hilfe hoffen können. Die Genossenschaft zieht eine Lehre aus den vergangenen knapp 20 Monaten. Aufgrund der Zwangsmaßnahmen wurden Kulturschaffende lange Zeit daran gehindert, ihr künstlerisches Handwerk auszuüben. Selbst Proben waren in manchen Fällen untersagt.

Der dadurch entstandene Schaden ist immens. Die Fertigkeiten verkümmern, das Ausbildungsniveau sinkt. Zudem haben viele Kulturschaffende ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage verloren und müssen mittlerweile ihren Unterhalt mit Tätigkeiten sichern, die fernab ihres eigentlichen Metiers liegen. „Der Kunst ist ein großer Teil weggebrochen, der uns noch fehlen wird“, sagt Sabine Langer im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Politik. Sie ist die Ideengeberin und hat in der Genossenschaft ehrenamtlich den Vorstandsposten übernommen. Noch befindet sich «Menschlich wirtschaften» in der Gründungsphase, doch die Grundpflöcke sind eingeschlagen. Die Genossenschaft hat bereits eine Satzung. Was noch fehlt, ist die Eintragung ins Register.

Die Unterstützung der Künstler und Kulturschaffenden soll auf vielerlei Weise geschehen. Um ihnen eine gewisse finanzielle Basis zu garantieren, will die Genossenschaft einen Fond schaffen. Ihre eigentliche Aufgabe sieht sie aber in der Vernetzung. «Menschlich wirtschaften» soll zu einem offenen Forum werden, wo Künstler und alle, die an den neuen Strukturen mitarbeiten, in einen Austausch kommen. Hier können sie in Kontakt treten und gemeinsame Projekte schmieden, die anschließend im privaten Bereich realisiert werden. Wohnzimmerkonzerte, Gartenlesungen oder Filmabende in der Garage – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Die Genossenschaft versteht sich als Plattform, auf der Projekte entstehen, dann aber nach außen getragen werden. Sie will zur Bildung einer großen Menschengemeinschaft beitragen, die Kultur wieder schätzen lernt und ganz intensiv lebt. „Das gelingt nur, wenn die Kultur- und Kunsträume und das gesamte Geisteswesen frei sind“, sagt Langer und zeigt sich dabei sehr optimistisch: „Wir können unsere Gesellschaft selber bauen, wir müssen das nur verstehen. Wir haben alle die Kraft dazu. Dabei ist jeder gefragt. Wachsen bedeutet Miteinanderwachsen und gemeinsam daran arbeiten.“

Protestnoten mit lyrischer Ausrichtung

Wie solche Projekte aussehen können, führt Kunstbeirat Jens Fischer Rodrian vor Augen. Der Lyriker und Musiker produziert derzeit mit mehreren Künstlern ein Album, das Anfang 2022 unter dem Titel «Protestnoten» erscheint. Die darauf versammelten Stücke bekommen zum großen Teil eine sehr poetische Ausrichtung. Sie setzen sich mit der gegenwärtigen Corona- und Demokratie-Krise lyrisch auseinander, indem sie zwar keinem klaren Versmaß folgen, sich aber durch Klang und Ausdrucksform von der Alltagssprache abheben. Jens Fischer Rodrian, der unter anderem mehrere Jahre mit Liedermacher Konstantin Wecker auf Tour war, sieht in der Dichtkunst den Vorteil, dass sie nachhaltig wirkt. „Lyrische Stücke gewinnen an Tiefe“, sagt er. „Das intelligente, poetische Wort sorgt dafür, dass sich die Menschen mit dem Inhalt intensiver beschäftigen.“

Neben ihm wirken an den «Protestnoten» so große Namen wie Uli Masuth oder Gunnar Kaiser, aber auch junge Talente wie Fischers große Tochter Lou Rodrian. Von 21 bis 74 ist jede Altersgruppe vertreten. Ihre lyrischen Werke werden vertont und durch drei Stücke ergänzt, die als Electro-Tracks daherkommen. „Sie sind ein schöner Kontrapunkt“, kommentiert Rodrian diese Abweichung. Das Album soll dazu beitragen, klugen Stimmen aus Kunst und Kultur Gehör zu verschaffen. Es setzt ein Zeichen und bringt zum Ausdruck, dass keineswegs alle Kulturschaffenden die Corona-Maßnahmen für gerechtfertigt halten. Sie wollen nicht schweigen, sondern ihre Kritik pointiert in die Öffentlichkeit tragen.

Zusätzlich zum Album erscheint ein Buch mit den vertonten Texten und solchen, die die Folgeplatte prägen werden. Als Herausgeber fungiert der Philosoph und Publizist Gunnar Kaiser. Während er einige Essays beisteuert, liefert Jens Fischer Rodrian unter anderem eine längere Beschreibung seines „Wegs in den Widerstand“. Das Buch enthält aber auch Porträts der teilnehmenden Künstler sowie Kurzgespräche mit Akteuren, die unter anderem bei der Aktion #allesaufdentisch mitwirkten. Der Erscheinungstermin fällt ebenfalls ins nächste Jahr, wobei der Rubikon-Verlag die Veröffentlichung übernimmt. Das «Protestnoten»-Album gibt es zu dem Buch dazu.

Diese Initiativen und Projekte veranschaulichen, dass im Kulturbetrieb parallele Strukturen entstehen. Während ein Teil der Branche zum Erfüllungsgehilfen staatlicher Anordnungen mutiert und sich als verlängerter Arm der Regierungsdoktrin begreift, erobern kritische Künstler den in den letzten 20 Monaten verlorenen Raum zurück. Sie bauen eine Gegenbewegung auf, die sich neu organisiert. Dabei setzt sie auf Menschlichkeit, Selbstbestimmung und Solidarität, die ihren Namen verdient. Sie will als Korrektiv gesellschaftlicher Fehlentwicklungen fungieren und den Finger immer wieder in die Wunde legen. Sie will den Diskurs fördern und den Austausch von Argumenten in den Mittelpunkt stellen. Vor allem aber will sie Bedingungen schaffen, unter denen Freiheit ein hohes gesellschaftliches Gut bleibt.

Titelbild: Lightspring/shutterstock.com

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