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Südostasiens ältester Konfliktherd: Bald nurmehr Geschichte? (Teil I von II)

Published On: 23. Januar 2022 11:45

Im Süden der Philippinen (vorrangig auf den Inseln Mindanao, Basilan und Jolo) widersetzte sich die vormals überwiegend muslimische Bevölkerung seit Mitte des 16. Jahrhunderts sämtlichen militärischen Attacken und politischer Bevormundung seitens auswärtiger (kolonialer) Mächte – ob es sich nun um spanische Konquistadoren, US-amerikanische Imperialisten oder diverse philippinische Regierungen im fernen Manila handelte. Es war ein ebenso windungsreicher wie komplexer Kampf, der auch intern zu Spaltungen und Zerwürfnissen führte. Vor drei Jahren, am 21. Januar und 6. Februar 2019, fanden in der Region zwei Referenden statt, in denen sich die Bevölkerung mehrheitlich für eine Teilautonomie entschied.[*] Ein historischer Abriss von Rainer Werning.



Der zweite Teil des Beitrags erscheint auf den NachDenkSeiten am nächsten Wochenende.

Geschichtliche Wurzeln des Konflikts

Der Kernkonflikt im islamischen Süden der (von der späteren Kolonialmacht Spanien so getauften) Philippinen hat seine Wurzeln in externem Kolonialismus und interner Kolonisierung. Seit etwa 1380 unserer Zeitrechnung setzte eine relativ friedliche Islamisierung des Gebietes der heutigen Südphilippinen ein. In deren Folge entstanden lange vor dem Advent des spanischen Kolonialismus im 16. Jahrhundert muslimische Gesellschaften mit ausgeprägt hierarchischen Strukturen – einschließlich Sultanaten. Gesellschaftlich ganz oben rangierte die dominante Klasse der Aristokratie (Sultan, Rajah und/oder Datu), der Beamten sowie der Geistlichen und Gelehrten. Die Mahardika oder Maharlika nahmen als Freie eine Mittelstellung ein, während sich auf der untersten sozialen Stufenleiter die in militärischen Beutezügen eingefangenen Sklaven befanden, denen eigener Besitz verwehrt blieb. Bis in moderne Zeiten bildete deren Arbeit – eine Verschränkung von Elementen der Sklaverei, Fron-/Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft – den Eckpfeiler des Moro-Militärapparates. [1] Diese feudalen Gesellschaften befanden sich im Prozess der Ausweitung des Handels mit angrenzenden Regionen im indonesisch-malaiischen Archipel, der Schifffahrt und exportorientierter Produktion, was als Basis für eine engere Verzahnung von Landbesitz mit erhöhtem Handelskapital hätte führen können. [2]

Der spanische Kolonialismus intervenierte, bevor tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungen einsetzten. Es lässt sich nur darüber spekulieren, was geschehen wäre, hätten sich die Moro-Gesellschaften im Rahmen ihres präkolonialen Systems auswärtiger Handelsbeziehungen autonom weiterzuentwickeln vermocht. Stattdessen kam es zu einem Abblocken ohne Eroberung: Durch kolonialen Druck in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, fiel das Handelskapital auf eine bedeutungslose, lokale Stufe zurück. Schiffsbauer und Navigatoren wurden zu »Piraten«, ständige Kriegshandlungen ließen die landwirtschaftliche Produktion sinken, was zu weiterer Militarisierung beitrug. Größere Bevölkerungsgruppen aus den Ebenen und fruchtbaren Tälern wanderten in abgelegenes, gebirgiges, unwirtliches Terrain ab. Die unmittelbaren Produzenten wurden durch sprunghaft gestiegene Tributzahlungen zum Unterhalt der Militärapparates geschröpft und ruiniert, während die herrschenden Klassen ihre soziale Stellung durch die neugewonnene Führungsrolle im antikolonialen Kampf zu festigen trachteten. National(istisch)e Ideologie entfaltete sich in religiösem Gewand.

Die Errichtung des spanischen Kolonialregimes glückte dort, wo es den durch politische Zersplitterung und geographische Streuung charakterisierten, wesentlich eigenbedarfsorientierten Barangays (Dorfgemeinschaften, wörtlich: Bootsladung) an sozialer Kohäsion mangelte, was unter anderem ihr Unvermögen eines erfolgreichen Widerstandes begründete. Letzterer war wirksam und lebendig dort, wo entwickelte politische Machtverhältnisse als Ausdruck fortgeschrittener, Surplus schaffender Produktionsweisen und -verhältnisse existierten, für deren ideologische Legitimation und funktionale Herrschaftsstabilisierung ein relativ einheitliches kulturell-religiöses Scharnier – der Islam – dienstbar gemacht werden konnte. In diesem Sinne erwiesen sich die Moros als weitaus »resistenter« als die anderen Bevölkerungsgruppen in den zentralen und nördlichen Teilen der Philippinen.

»Wohlwollende Assimilierung« und Counterinsurgency

Zwar konnten die spanischen Kolonialtruppen den Einfluss auch der Moros eindämmen, aber sie vermochten es nicht, sie zu unterwerfen und dauerhaft unter ihr Kolonialjoch zu pressen. Das gelang erst den waffentechnologisch hoch überlegenen Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika, die Spanien 1898 besiegten. Bis 1902 vermochten die USA die »Aufrührer« im Norden der Philippinen in die Knie zu zwingen. Die Moros indes widersetzten sich den auf »Entwicklung« bedachten neuen »Zivilisatoren« bis 1913 (in einigen Gebieten Jolos gar bis 1916) – immer wieder begleitet von Massakern unter der Zivilbevölkerung auf den Inseln Mindanao, Basilan und Jolo. [3]

Was die neuen Kolonialherren unter Entwicklung verstanden, verdeutlichten US-Truppenkommandeure auf Mindanao und Sulu im Jahre 1903:

„Es wird notwendig sein, nahezu sämtliche Bräuche auszumerzen, welche bislang das Leben (der Moros) auszeichneten. Sie sind ein grundlegend verschiedenes Volk; von uns unterscheiden sie sich in Gedanken, Worten und Taten, und ihre Religion wird eine ernste Hürde bei unseren Bestrebungen darstellen, sie im Sinne des Christentums zu zivilisieren. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden.“ [4] (Übersetzung: RW)

Als US-Präsident Theodore Roosevelt den »Aufstand« offiziell am 4. Juli 1902 für beendet erklärte, hatte buchstäblich ein Zehntel der damals etwa sechs Millionen Einwohner zählenden philippinischen Bevölkerung gewaltsam den Tod gefunden. Diese erste militärische US-Intervention in Asien und eines der bis dahin größten dokumentierten Kolonialmassaker in der Geschichte – in Washington euphemistisch mal »benevolent assimilation«, mal »pacification« genannt – sah laut damaligen Untersuchungen des amerikanischen Kongresses knapp 127.000 US-Soldaten im Fronteinsatz, von denen 4.234 Mann fielen.

Die um die vorletzte Jahrhundertwende praktizierten »Befriedungs«-Methoden nahmen vorweg, was später in Malaya unter den Briten (während der sogenannten Emergency von 1948 bis 1960), Korea (1950-53) und Indochina (1965-75) technisch ausgeklügelter zur Anwendung kommen sollte – sogenannte »strategische Wehrdörfer«, Freifeuerzonen, systematische Such-und-Zerstör-Aktionen und Nahrungsmittelblockaden. Flankiert wurde all das von gesetzlichen Auflagen: das Sedition Law (1901) ahndete jedes Eintreten für die Unabhängigkeit mit langjährigen Haftstrafen oder Tod; der Brigandage Act (1902) stufte Widerstandskämpfer als »ladrones« (Diebe und Banditen) ein, worauf die Todesstrafe und für Helfershelfer eine zehnjährige Haftstrafe stand. Der Reconcentration Act (1903) rechtfertigte »strategic hamletting«. Dadurch sollten die Außenkontakte von Menschen in bestimmten Regionen genau überwacht beziehungsweise verhindert werden. Zu diesem Zweck wurden entsprechende Gebiete hermetisch abgeriegelt, streng patrouilliert, mit Stacheldraht umzäunt und die Bevölkerung angewiesen, eine Seitenwand ihrer – meist aus Bambus oder Nipa gefertigten – Häuser zu entfernen, um diese „durchsichtig“ zu machen. Ziel war es, die Zivilbevölkerung von potenziellen »Aufrührern« zu trennen. Später nannte man dies: »der Guerilla das Wasser abgraben«. Das Flag Law (1907) verbot das Hissen der philippinischen Flagge, während das Singen des Jahrzehnte später, in der Endphase der Präsidentschaft von Ferdinand E. Marcos (1965-86), wieder populären antikolonialen Liedes Ang Bayan Ko (Mein geliebtes Heimatland) unter Strafe gestellt wurde.

Scharfe Proteste gegen den Krieg in den Philippinen hagelte es seitens der in den Vereinigten Staaten rührigen Antiimperialistischen Liga der USA. Deren Vizepräsident war von 1901 bis zu seinem Tode 1910 der mittlerweile berühmte Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain. Wiederholt begründete er seine Haltung auf öffentlichen Veranstaltungen mit den Worten:

„Noch vor einem Jahr war ich kein Antiimperialist. Ich dachte, es sei eine großartige Sache, den Filipinos ein großes Stück an Freiheit zu geben. Heute allerdings glaube ich, es ist besser, dass die Filipinos sich selbst darum kümmern.“ [5]

Stets betonte Mark Twain, er sei dagegen, dass der amerikanische Adler seine Krallen auf fremdes Territorium setzt. Anfangs hatte er den Spanisch-Amerikanischen Krieg noch ausdrücklich begrüßt; von ihm versprach er sich Hilfe für die kubanischen Revolutionäre in ihrem Kampf gegen die verhassten Spanier. Später aber fand die US-amerikanische Kriegführung in den Philippinen in Twain einen unerbittlichen Gegner. Mit ätzender Kritik attackierte er diesen Waffengang, der außerhalb der USA jene Werte zerstörte, die in den Staaten selbst als sakrosankt galten. Dass der Autor des Huckleberry Finn so vehement gegen die politische Führung seines Landes opponierte, war seinen – letztlich mächtigeren – Gegnern ein Dorn im Auge. Diese setzten nach dem Tod des streitbaren Schriftstellers und Publizisten alles daran, das letzte Jahrzehnt seines Schaffens im Gedächtnis seiner breiten Leserschaft und Bewunderer zu tilgen. Die meisten Biographien über Mark Twain blenden seine aktive Zeit in der Liga einfach aus, wie sich dies denn auch in Berichten anlässlich seines 100. Todestages am 21. April 2010 spiegelte.

Siedlerkolonialismus und multinationales Agrobusiness

Etliche Jahre blieb die Moro-Provinz unter direkter Verwaltung der US-Armee. Ab 1920 setzte Washington dann gezielt Mitglieder der nordphilippinischen Elite als Beamte im Süden ein. Die von amerikanischen Militärs trainierten Philippine Scouts sowie die Constabulary übernahmen ab den 1930er Jahren verstärkt »Ordnungsfunktionen« im Süden. Das Pensionado-Programm tat ein Übriges, um Teile der südlichen Herrschaftseliten, Datus und Rajahs, durch finanzierte Aufenthalte im »zivilisierten« Manila und kostenlose Studienreisen in die USA sozial zu domestizieren, politisch zu kooptieren und kulturell aufzuweichen.

Auf dieses amerikanische Erbe besann sich nach der Unabhängigkeit der Republik der Philippinen (4. Juli 1946) die – überwiegend christliche – Zentralregierung im fernen Manila. Sie verfolgte eine Doppelstrategie. Zum einen nahm sie zusammen mit dem internationalen Agrobusiness den Süden wegen seiner taifungeschützten Lage und reichen Bodenschätze für die »Entwicklung« ins Visier. Zum anderen wollte sie durch die Umsiedlung nordphilippinischer Bauern sowie desertierter Guerilleros der Hukbalahap (der Antijapanischen Volksarmee; 1950 umbenannt in Volksbefreiungsarmee) die sozialpolitischen Probleme in Nordluzon abfedern, die sich dort aufgrund erdrückender feudaler Pachtverhältnisse aufgestaut hatten. Unter Präsident Ramon Magsaysay fanden Mitte der 1950er Jahre die ersten größeren systematischen Umsiedlungen nach Mindanao statt. Während der Marcos-Ära verstärkte sich dieser Trend: Fortan flankierten interne Kolonisierungsmaßnahmen die von Manila verfolgte Strategie exportorientierter Entwicklung.

Allein auf der größten südphilippinischen Insel Mindanao werden etwa 50 Prozent der gesamten Mais- und Kokosnuss-, 20 Prozent der Reis-, 50 Prozent der Fisch-, nahezu 100 Prozent der für die Ausfuhr bestimmten Bananen- und Ananasproduktion des Landes gewonnen. 40 Prozent der Viehzucht sind dort lokalisiert, und fast 90 Prozent der Nickel-, Kobalt- und Eisenerz- sowie nahezu 100 Prozent der Bauxitvorkommen werden dort abgebaut. Bis auf Erdöl verfügen Mindanao und der Sulu-Archipel über ein beträchtliches Arsenal an strategischen Ressourcen. [6] Eine Vielzahl natürlicher Häfen und seine Fruchtbarkeit machten Mindanao zum Magneten für ausländisches Kapital. Nach einer verheerenden Kahlschlagpolitik (deforestation) wurden Grund und Boden vom internationalen Agrobusiness unter Beschlag genommen. Dole, Del Monte und weitere Konzerne unterhielten hier ihre weltweit größten Plantagen mit einer Gesamtnutzungsfläche von weit über hunderttausend Hektar Land, die lange Zeit für lediglich umgerechnet 50 US-Cents pro Hektar/Jahr von der regierungseigenen Nationalen Entwicklungsgesellschaft gepachtet worden waren.

Einschneidender demographischer Wandel – Squatters im eigenen Land

Betrug im Süden der muslimische Bevölkerungsanteil 1913 noch 98 Prozent, so war dieser bereits Mitte der 1970er Jahre auf nur 30 Prozent geschrumpft. Vor der Kolonisierung gehörten der muslimischen Bevölkerung und den Lumad (nicht-muslimischen indigenen Völkern) sämtliches Land. Heute besitzen diese weniger als 15 Prozent, vorwiegend in abgelegenen, unfruchtbaren Gebirgsregionen. Rund 80 Prozent der Moslems sind gegenwärtig landlose Pächter. Der Verwaltungsapparat, das Militär sowie der Dienstleistungs- und Handelssektor sind fest in den Händen der aus dem Norden zugewanderten Siedler. Selbst die mächtigsten Vertreter der zahlenmäßig kleinen muslimischen Elite waren ihnen unter Marcos untergeordnet. Zur politischen und wirtschaftlichen Benachteiligung gesellte sich eine von Manila zielstrebig geschürte kulturelle Geringschätzung. In Schulbüchern und Schauspielen figurier(t)en die Moros bestenfalls als Staffage oder bemitleidenswertes Schlusslicht nationaler Entwicklung. [7]

Der Landraub vollzog sich keineswegs friedlich. Auf der einen Seite bildeten die Siedler bewaffnete Formationen – staatlich unterstützte oder geduldete Bürgerwehren und paramilitärische (christliche) Sekten. Auf der anderen Seite organisierten sich (muslimische) Selbstschutzkommandos und bewaffnete Gangs. Dies bildete den Hintergrund einer stetig größer werdenden Gewaltkulisse. Kein Wunder, dass Mindanao während der Marcos-Ära zur mit Abstand höchstmilitarisierten Region des Archipels avancierte. Über 60 Prozent der Kampfeinheiten der Philippinischen Streitkräfte (AFP) waren dort ständig stationiert – vorrangig zum Schutz von Siedlern und ausländischen Wirtschaftsinteressen vor sich neuformierendem Moro-Widerstand. Ein »Religionskrieg« verhindere die Entwicklung des Südens, hieß es in Manila. Für ein Überleben und die Selbstbestimmung kämpfe man – konterten die Moslems. Dieses »Missverständnis« kostete seit 1970 etwa 150.000 Menschen das Leben. Ganz zu schweigen von den hunderttausenden Entwurzelten und Vertriebenen (s.u.: Exkurs). Noch immer lebt etwa eine Viertel Million Moros im benachbarten ostmalaysischen Bundesstaat Sabah im Exil.

Neu formierter Widerstand

Jahrzehnte sollten vergehen, bis sich die Moros erneut und vehement gegen die Zentralregierung auflehnten. Niemand hatte sie gefragt, ob sie 1946 Teil der unabhängig gewordenen philippinischen Republik werden wollten. Die in Washington und Manila unterbreiteten Protestresolutionen und Petitionen gegen die Eingliederung des südlichen Teils des Archipels in die neue Republik fanden kein Gehör.

Am 1. Mai 1968 unterzeichnete der frühere Gouverneur von Cotabato, Datu Udtog Matalam, ein Manifest, das die Errichtung eines islamischen Staates – der Republik von Mindanao und Sulu – vorsah. Dies signalisierte den Beginn der Muslim Independence Movement – später in Mindanao Independence Movement (MIM) umbenannt – die die traditionelle muslimische Elite gründete. Diese präsentierte sich, wollte sie ihren Rückhalt in der Bevölkerung nicht gänzlich verlieren, nach außen hin antikolonial. Allein aus materiellen Erwägungen war ihr jedoch daran gelegen, antiimperiale und antikoloniale Inhalte zu verschleiern oder sie zum späteren Zeitpunkt, in einem neu zu gründenden Staat, aufgehoben zu wissen. Die religiös gewendete Anti-Marcos-Kritik sicherte der MIM-Führung beträchtliche finanzielle Zuwendungen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Ob und in welchem Umfang sie auch aus den Anrainerstaaten Malaysia und Indonesien Schützenhilfe bezog, ist ungewiss.

In Abgrenzung zur MIM entstand 1968/69 der Nukleus der Moro National Liberation Front (MNLF) unter der Ägide des südlich von Jolo stammenden Nur Misuari. Misuaris Politisierung erfolgte Mitte der 1960er Jahre in der linken Studenten- und Jugendbewegung Manilas, wo er Politik studiert und zeitweilig gelehrt hatte. Anfang der 1970er Jahre setzte er sich ins Ausland ab und verbrachte die Jahre bis 1986/87 vorwiegend in Libyen und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Politisch-diplomatisch unterstützt wurde die MNLF von der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) mit Sekretariatssitz im saudi-arabischen Jeddah. Bis Mitte der 1970er Jahre hielt die MNLF am Konzept der Sezession MINSUPALAs (Mindanaos, des Sulu-Archipels und Palawans) und an der Schaffung einer auf diesem Territorium unabhängigen Bangsa Moro Republik (Republik der Moro-Nation) fest.

Vereitelte Autonomie oder Von Konfrontation zur Kooperation

Eine Zäsur in der Geschichte der MNLF und des jüngeren Moro-Widerstandes bildete das am 23. Dezember 1976 im libyschen Tripolis unterzeichnete Abkommen zwischen Manila und der MNLF. Im Vordergrund standen dabei: (a) die politische und friedliche Beilegung des Konflikts, der mittlerweile zu einem offenen Bürgerkrieg eskaliert war, sowie (b) Autonomie für die Moros »innerhalb der nationalen Souveränität und territorialen Integrität der Republik der Philippinen«. Die MNLF sah sich mithin – nicht zuletzt auf Druck seitens der OIC – zur Rücknahme ihrer ursprünglich maximalistischen Forderung nach staatlicher Eigenständigkeit gezwungen.

Nutznießer des Tripolis-Abkommens war eindeutig die Regierung in Manila, welche eine vereinbarte »Autonome Moslem-Region« nicht verwirklichte, MNLF-Abtrünnige mit finanziellen Zuwendungen zu ködern und sie mit Hilfe zugeschanzter Posten in Ministerien und Behörden politisch zu kooptieren vermochte. Scharenweise kehrten desillusionierte MNLF-Kader ihrer Organisation den Rücken. Zudem blieben etliche Mitglieder des Zentralkomitees der MNLF, darunter auch Nur Misuari, in Libyen und anderen Nahoststaaten, sodass die organisationsinterne Kommunikation nur durch Emissäre erfolgte. Unter solchen Bedingungen brachen auch interethnische Rivalitäten im Moro-Widerstand auf und es kam zu Friktionen zwischen der Auslandsführung und lokalen Kommandeuren ebenso wie unter den vor Ort agierenden Befehlshabern.

Während der Präsidentschaft von Fidel V. Ramos (1992-98) erfolgte eine noch weitergehende Annäherung zwischen MNLF-Führung und der Zentralregierung, die zum Endgültigen Friedensabkommen vom 2. September 1996 führte. Zu den Bestimmungen dieses Abkommens gehörte zwar die Schaffung einer (anfänglich aus lediglich vier Provinzen bestehenden) Autonomen Region in Moslem Mindanao (ARMM), deren Gouverneur Misuari wurde, und der Südphilippinische Rat für Frieden und Entwicklung (SPCPD). Doch die Machtbefugnisse dieser beiden Instanzen blieben vage und, problematischer noch, deren finanzielle Ausstattung vom Goodwill der Zentralregierung in Manila abhängig. Bereits Anfang Oktober 1996, nur einen Monat nach Unterzeichnung des Friedensabkommens, wurde in einer entsprechenden Exekutivorder aus dem Präsidentenpalast Malacañang verfügt, dass Fragen der Finanzhoheit und Ressourcenzuteilung für ARMM und SPCPD künftig exklusiv der Regierung in Manila oblägen, die MNLF mithin ausgehebelt und ihr Restvertrauen innerhalb des auf genuine Selbstbestimmung bedachten Teils der Moro-Bevölkerung verspielt wurde. Gefolgsleute von einst ziehen Misuari nunmehr der Kapitulation, da er sich darauf eingelassen hatte, dass laut der Vereinbarung vom 2. September 1996 künftige Unstimmigkeiten und Probleme bei der Umsetzung des Friedensabkommens im Rahmen der Verfassung und Rechtsprechung der Republik der Philippinen zu lösen seien. [8]

Anstelle der MNLF und Nur Misuari trat fortan die Moro Islamic Liberation Front (MILF) unter ihrem Vorsitzenden Hashim Salamat, der an Kairos altehrwürdiger Al-Azhar-Universität ausgebildet worden war, als Hauptprotagonist der Moro-Anliegen in Erscheinung. Ihr erklärtes Ziel war es, den Moro-Widerstand nach dem »Tripolis-Desaster« zu revitalisieren und am Selbstbestimmungsrecht der Moros festzuhalten. 1978 trat die MILF, die sich nach der Unterzeichnung des Tripolis-Abkommens von der MNLF abgespalten hatte, erstmals öffentlich in Erscheinung und ist gegenwärtig die mit Abstand bedeutsamste und größte Organisation des Moro-Widerstands. Die Regierung bezifferte die Zahl ihrer Kombattanten, der Bangsa Moro Islamic Armed Forces (BIAF), auf zirka 12.500 Mann.

Die MILF konzentriert sich auf den Aufbau beziehungsweise die Stärkung sektoraler Organisationen in der Region und unterhielt bis zum Frühjahr 2000 insgesamt 46 über ganz Mindanao verstreute sogenannte Camps, bei denen es sich allerdings um selbstverwaltete Gemeinwesen handelte. Am 9. Juli 2000 nahm das philippinische Militär nach einer militärischen Großoffensive das Hauptquartier der MILF, Camp Abubakar (Provinz Maguindanao), ein, und im Gegenzug verkündete ihr Vorsitzender Salamat den jihad. [9] Im Unterschied zur langjährig autokratischen Führung der MNLF praktiziert die MILF einen kollektiven Führungsstil und hielt lange Zeit am strategischen Konzept eines unabhängigen Bangsa-Moro-Staates fest. [10] Aus Sicht der MILF wird sich nichts vorwärtsbewegen, wenn nicht endlich die Rechte der muslimischen Bevölkerung auf Unabhängigkeit anerkannt und ihre früheren Landrechte wie auch jener der Lumad respektiert werden.

MILF versus MNLF und Abu Sayyaf

Eine Folge langjähriger Peripherisierung, Pauperisierung und Marginalisierung der muslimischen Bevölkerung einerseits und des politischen Kotaus der MNLF andererseits war aber auch das Entstehen solcher Gruppen wie der Abu Sayyaf (ASG). [11] Da ihre Gründer in Afghanistan zur Zeit der sowjetischen Okkupation (1979-89) kämpften, werden ihr bis heute Kontakte zur al-Qaida nachgesagt sowie zu Ramsi Jusef, der wegen des Anschlags 1993 auf das World Trade Center in New York verurteilt wurde. Ende der 1980er Jahre nach erfolglosen Friedensverhandlungen Nur Misuaris mit Präsidentin Corazon C. Aquino entstanden, rekrutierte die ASG Mitglieder mit Kampferfahrungen in Afghanistan hauptsächlich auf der Insel Basilan. In den 1990er Jahren machte die Gruppe, die über keine politische Agenda verfügt, durch diverse Terroranschläge gegen öffentliche Einrichtungen (z.B. Kirchen, Passagierschiffe und Kaufhäuser) und Zivilisten sowie durch Erpressung und Kidnapping reicher in- wie ausländischer Geschäftsleute auf sich aufmerksam.

International bekannt wurde die ASG im Jahre 2000, als es ihr gelang, von der ostmalaysischen Insel Sipadan aus mehrere westliche Touristen auf die Insel Jolo zu entführen – darunter auch die Göttinger Familie Wallert – und nach deren mehrmonatiger Geiselhaft Lösegelder in Höhe von nahezu einer Milliarde Peso (damals rund 50 Millionen DM) zu erpressen. [12] Seitdem hat die philippinische Regierung die Existenz und das Treiben der ASG wiederholt für ihre politischen Zwecke einzuspannen versucht, was bereits auf dem Höhepunkt der Jolo-Geiselnahme im philippinischen Senat auf Kritik gestoßen war.

Am 8. Mai 2000 hielt Senator Aquilino Pimentel in seinem und im Namen der anderen beiden aus Mindanao stammenden Senatoren, Teofisto F. Guingona und Robert Z. Barbers, eine in dreifacher Hinsicht bemerkenswerte Rede im philippinischen Senat. Erstens handelte es sich um eine parteiübergreifende Stellungnahme. Zweitens attackierte sie scharf den von Präsident Joseph E. Estrada kurz zuvor proklamierten »totalen Krieg« gegen den Moro-Widerstand in Zentralmindanao. Schließlich enthielt sie Pikantes zur Abu Sayyaf. In dieser mit »Stop Hostilities for the People’s Sake« betitelten Stellungnahme hieß es auszugsweise:

„(…) Die MILF und Abu Sayyaf ständig zusammenzuwürfeln, als handele es sich um ein und denselben Hund mit unterschiedlichen Halsbändern, ist unstatthaft. Die MILF hat eine politische Agenda. Die Abu Sayyaf ist eine durch und durch kriminelle Vereinigung. Die MILF kämpft dafür, die eigene Kultur, Religion und Identität zu wahren. Abu Sayyaf kämpft hingegen, um ihre Verbrechen in ein Business zu verwandeln, von dem einzig diese Gruppe profitiert. Abu-Sayyaf-Kämpfer wurden ursprünglich als freiwillige Mujahedeen rekrutiert, um im amerikanischen Stellvertreter-Krieg in Afghanistan in den frühen 1980er Jahren zu dienen. (…) Finanzielle und logistische Unterstützung erhielt Abu Sayyaf von US-Undercover-Agenten – mit eventueller Verbindung zur CIA. Osama bin Laden könnte dabei den Hauptkurier gespielt haben, was entweder die finanzielle Unterstützung oder Waffenlieferung an Abu Sayyaf oder gar beides betrifft.“ (Übersetzung: RW)

Fazit der Senatoren: Widerstandskämpfer werden von einflussreichen politischen Kräften zuerst kreiert und politisch instrumentalisiert, um im Bedarfsfall zu Terroristen abgestempelt und verteufelt zu werden.

Exkurs: Hohe Kriegskosten

Das philippinische Verteidigungsministerium (DoD) schätzte allein die Kriegskosten im Süden des Landes von 1970 bis 1996 auf 73 Milliarden Peso (zirka 1,2 Milliarden Euro). Diese Schätzung wurde im philippinischen Human Development Report 2005 geteilt, der konstatierte, dass der langwierige Konflikt im Süden der Philippinen von 1970 bis zum Jahr 2001 jährlich zwischen fünf und 7,5 Milliarden Peso verschlungen hatte. Die Weltbank gelangte bereits 2002 zu dem Ergebnis, dass sich die Kosten eines nicht endenden Konflikts in der Region auf 30 Millionen Peso täglich oder 10 Milliarden Peso pro Jahr summierten. All das berücksichtigte nicht die zusätzlich anfallenden Kosten bei der Bekämpfung der kommunistischen Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA) in Mindanao.

Was die Zahl interner Flüchtlinge betrifft, errechnete der genannte Philippine Human Development Report 2005, dass allein im Zeitraum von 2000 (als der damalige Präsident Joseph E. Estrada dem Moro-Widerstand offiziell den »totalen Krieg« erklärt hatte) bis 2004 insgesamt 1,135 Millionen Menschen für kürzere oder längere Zeit infolge bewaffneter Feindseligkeiten in Mindanao vertrieben worden und über Nacht obdachlos geworden sind. In all diesen Zahlen sind nicht eingerechnet die der Region vorenthaltenen Investitionen, der Verlust und die Zerstörung von Eigentum und schwere posttraumatische Störungen, von anderen »Kollateralschäden« des Krieges wie Hass, verfestigte Vorurteile, Rache(gefühle) und Diskriminierung abgesehen.

Titelbild: Acrylik Vectors/shutterstock.com

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