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Buchtipp: «Der Kult»

Published On: 14. Februar 2022 14:31

Veröffentlicht am 14. Februar 2022 von AS.

Wir leben in totalitären Zeiten. Kaum jemand würde den derzeitigen Zustand der Entzweiung der Menschen negieren. So schreibt Matthias Burchardt im Geleitwort zu Gunnar Kaisers neuem Buch «Der Kult»: «Die gemeinsame Welt ist zerbrochen. Für Hannah Arendt ist dies ein Symptom von Totalitarismus.»

Und wo es diese gemeinsame Welt nicht mehr gibt, entsteht eine «völlig unzusammenhängende Gesellschaftsmasse» mit isolierten, nur noch auf sich selbst zurückgeworfenen Individuen. Darauf, so Arendt in ihrem Klassiker «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft», «kann die totale Herrschaft ihre volle Macht ausüben, sich ungehindert durchsetzen». So fragt Kaiser:

Warum rebelliert denn niemand? Warum lassen die Menschen all das mit sich machen? Mehr noch: Warum sind so viele geradezu verliebt in ihre schönen neuen Fesseln? (…) Warum [wollen] wir die Ketten unseres Geistes nicht ablegen (…) selbst nachdem so erschreckend sichtbar geworden ist, dass unsere Gefangenschaft niemals gerechtfertigt war und ihre Folgen mörderisch sind.

Folgende Fragen bilden das Rückgrat von Kaisers neuem Buch:

  1. Wo sind wir hier eigentlich?
  2. Wie sind wir nur hierhin geraten?
  3. Wie kommen wir hier wieder raus?
  4. Was ist der moderne Mensch?

Das Buch zielt nicht auf eine Analyse des epidemiologischen oder politischen Wahnsinns, denn der Wahnsinn sei zu offensichtlich, um diesen noch zu erklären. Vielmehr beabsichtigt es die Freilegung von Elementen und Ursprüngen technokratischer Herrschaft. Diese basiere wesentlich auf folgenden Punkten:

  1. Verwissenschaftlichung unseres Daseins
  2. Technisierung unseres Alltags
  3. Objektivierung des Menschen
  4. Rechtfertigungsnot demokratischer Prozesse

Kaiser sucht im Buch die kulturellen Bedingungen des Corona-Wahnsinns, der unter anderem auf zahlreichen Widersprüchen in Politik, Wissenschaft und Medien, einer totalitären und spalterischen Rhetorik sowie einer Verengung des Debattenraumes beruhe. Dazu gehöre etwa die Forderung nach Ausgrenzung, das Stummschalten von Kritik oder die Umwertung der Werte (gesund wird zu potenziell krank).

Oder anders gesagt, sei das Buch ein Wagnis, um eine der «Urfragen der Religion und der Metaphysik zu stellen: Woher stammt das Böse in der Welt?» Antworten darauf seien nicht alleine beim Einzelnen zu suchen, sondern im Wesen der modernen Welt, im Weltbild der westlichen Zivilisation. Es sei eine Suche nach der geistigen Situation der Zeit:

Antworten auf all die Fragen nach den Entstehungsbedingungen der menschlichen Destruktivität erhalten wir nur, wenn wir erkennen: Es ist ein Kult! Denn ein Virus geht um in der Welt – ein Virus des Geistes. Es verwandelt die Menschen, die es befällt, in Anhänger eines lebensfeindlichen Weltuntergangskults, der blind für seine eigenen Taten ist.

Das Virus sei der unheilige Geist des Kults. Kaisers Buch ist ein philosophisches Werk zur Coronakrise. Die totalitäre Rhetorik des öffentlichen Diskurses richte sich danach, das Individuum zugunsten des «Gemeinwohls» zu opfern.

Doch die Emanzipation des Individuums von autoritärer Willkür ist eine der Kernerrungenschaften der europäischen Aufklärung. Die Rhetorik der Politik stellt sich hier diametral entgegen, indem sie dieses Erbe verklärt. «Der Kult» schildert die Bedrohung einer liberalen Welt, die sich plattwalzt und in einem Kult die Rechtfertigung dafür gefunden hat.

Die Herausforderung liegt darin, den Wahnsinn, die Irrationalität zu ergründen. Schwierig ist dies, weil Ergründungen mit dem Antonym der Irrrationalität – der Rationalität oder Vernunft – erfolgen sollten, wenn sie ernst genommen werden wollen. Vielleicht ist es gar unsinnig, Rationales in der Irrationalität suchen zu wollen. Dennoch sollten wir dies tun, einer These des aufklärerischen Philosophen Immanuel Kant folgend, weil wir eben nicht anders können, als uns die Welt vernünftig erklären zu wollen.

«Der Kult» liefert für dieses Unterfangen eine vielversprechende Ausgangsposition. Es ist der Versuch, wie Kaiser selbst meint, zum einen die Gefahren zu benennen, die in einer Verstetigung und Gewöhnung der Situation liegen, und «zum anderen die Besonderheit des kommenden Totalitarismus zu formulieren».

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Zum Autor:

Gunnar Kaiser (*1976) ist Schriftsteller und Philosoph. Sein Roman «Unter der Haut» erschien 2018 und wurde bislang in sechs Sprachen übersetzt. Auf seinem viel beachteten Videokanal KaiserTV führt er mit zahlreichen Menschen erkenntnisreiche Gespräche. Als freier Journalist arbeitet Kaiser für verschiedene Medien.

Buch-Hinweis:



Gunnar Kaiser: Der Kult. Über die Viralität des Bösen. Rubikon, 2022. ISBN 978-3-96789-028-0, 360 Seiten. 20,00 €. Auch als e-Book und Audio-CD erhältlich.

Weitere Infos und Bestellung beim Verlag.

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