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Der Impfmoment, Teil II

Published On: 10. März 2022 0:03

Veröffentlicht am 10. März 2022 von LK.



Im Dezember 2021 schrieb Paul Kingsnorth auf seinem Blog The Abbey of Misrule drei miteinander verbundene Essays über das Coronavirus, die Impfstoffe und die radikalen Veränderungen in der Gesellschaft, die damit einhergehen. Die Essays fanden ein so grosses Publikum, dass Kingsnorth sie jetzt gebündelt in einem E-Book herausgegeben hat. Corona-Transition veröffentlicht sie mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Symbole und Geschichten

Tolstoi behauptete einmal, es gäbe nur zwei Geschichten auf der Welt: «Ein Fremder kommt in die Stadt» und «Jemand geht auf eine Reise». Ein Romancier, so dachte er, sollte mit diesen beiden Geschichten fast alles anstellen können.

Vor ein paar Jahren wies mich ein Student in einem Schreib-Workshop darauf hin, dass es sich um dieselbe Geschichte handeln könnte, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Daran hatte ich vorher nicht gedacht, aber ich habe seitdem oft darüber nachgesonnen.

Tolstois Leben war ein Leben der rastlosen Suche und des Reisens, des Scheiterns und des Wiederaufstehens und des Strebens nach der Wahrheit. Auf jeder Etappe seiner Reise prüfte er, ob die Geschichten wahr sind und liess sie in einem neuen Licht erstrahlen. In sein Tagebuch notierte er 1851: Nenne die Dinge beim Namen. Der Ratschlag hat auch heute noch Bestand.

Der Mensch ist ein Geschichtenerzähler; dies ist vielleicht die Eigenschaft, die uns am deutlichsten von unseren engsten tierischen Verwandten unterscheidet. Jeden Tag versuchen wir mit Hilfe von Erzählungen, die Verwirrung der Realität zu verstehen, die das Menschsein mit sich bringt.

Als Dougald Hine und ich vor zwölf Jahren das Dark Mountain Manifesto schrieben, haben wir uns auf Geschichten konzentriert. Damals stellten wir die Behauptung auf, dass unsere Kultur die falsche Geschichte über unsere Welt erzählt. Das hat sich seither bestätigt.

Diese Geschichte hat viele Varianten, religiöse und säkulare, wissenschaftliche, wirtschaftliche und mystische. Aber alle erzählen von der ursprünglichen Transzendenz der Menschheit über ihre tierischen Anfänge, von unserer zunehmenden Beherrschung einer «Natur», zu der wir nicht mehr gehören, und von der glorreichen Zukunft des Überflusses und des Wohlstands, die folgen wird, wenn diese Beherrschung vollständig ist. Es ist die Geschichte von der zentralen Stellung des Menschen, einer Spezies, die dazu bestimmt ist, alles zu beherrschen, was sie erforscht. Dabei beachtet sie keinerlei Grenzen, die für andere, geringere Kreaturen gelten. Die Geschichte ist so gefährlich, weil wir grösstenteils vergessen haben, dass es sich um eine Geschichte handelt.

Gewinner bestimmen die Gestaltung der Gesellschaft

Die Geschichte der Menschheit könnte man als eine nicht enden wollende Reihe von Kämpfen um Geschichten betrachten. Stets bestimmen die Gewinner, wer die Gesellschaft gestaltet, zumindest für eine gewisse Zeit. Der anhaltende «Kulturkrieg» in vielen westlichen Ländern ist ein klassisches Beispiel für diesen Kampf um die Geschichte.

Wer darf die Geschichte Amerikas oder Grossbritanniens schreiben? Wer entscheidet, ob eine Statue stehen bleibt, oder was sie bedeutet? Die Kämpfe um diese Geschichten sind gerade deshalb so erbittert, weil sie von vielen Menschen als existenziell angesehen werden. Die Statue, das Geschichtsbuch, die Museumsausstellung – für viele Menschen sind dies nicht nur statische Objekte oder irrelevante Teile des kulturellen Mobiliars: Sie sind Symbole, und der Kampf darum bestimmt, wer «wir» sind und was wir unseren Kindern beibringen.

Geschichten verändern ihre Gestalt radikal, je nachdem, aus welcher Perspektive sie erzählt werden. Die Odyssee ist eine andere Geschichte, wenn Penelope sie erzählt. Neue Geschichten können alte ersetzen und dabei Kulturen umstürzen. Vieles von dem, was ich hier seit dem Frühjahr geschrieben habe, hat sich mit genau diesem Mechanismus beschäftigt.

Scharfer Dualismus der westeuropäischen Kultur

Im post-postmodernen Westen stehen wir am Ende einer Geschichte. Heftig kämpfen wir darum, ob wir sie wiederherstellen können – oder, wenn nicht, welche Geschichte oder Geschichten an ihre Stelle treten werden. Der Historiker Christopher Dawson beschrieb unsere Region der Welt als eine christliche Gesellschaft, die sich auf ein barbarisches Substrat legt. In den letzten Jahrhunderten war sie dominant, und nun verliert sie an Macht und Einfluss:

Die westeuropäische Kultur wird von diesem scharfen Dualismus zwischen zwei Kulturen, zwei sozialen Traditionen und zwei geistigen Welten beherrscht: der Kriegsgesellschaft des Barbarenreichs mit ihrem Heldentum- und Aggressionskult und der Friedensgesellschaft, der christlichen Kirche mit ihren Idealen der Askese und des Verzichts und ihrer theologischen Hochkultur … Ich glaube, dass sie als Hauptquelle der westlichen Kultur dient. Der Westen ist aus dieser Mischung aus barbarischem Sehnen und christlichem Glauben hervorgegangen, wobei eine klassische Denkweise vorherrschte. Tausend Jahre lang überlebte das mittelalterliche Christentum als eine in sich geschlossene Welt.

Mit der Reformation, der Aufklärung, dem Kaiserreich und dem Aufkommen der Wissenschaft wurde die christliche Geschichte zunächst in Frage gestellt und dann allmählich durch eine andere ersetzt: die Geschichte des Fortschritts. Diese Geschichte war das Thema unseres kleinen Manifests vor zwölf Jahren:

Auf den Wurzelstock des westlichen Christentums pfropfte die Aufklärung in ihrer optimistischsten Phase die Vision eines irdischen Paradieses, zu dem uns die menschliche Anstrengung unter der Führung der kalkulierenden Vernunft führen könnte. Jede Generation, die dieser Vision folgt, wird ein besseres Leben führen als die vorangegangene.

Rolltreppe zur menschlichen Vollkommenheit

Die Geschichte wird zu einer Rolltreppe, und der einzige Weg führt nach oben. In der obersten Etage befindet sich die menschliche Vollkommenheit. Es ist wichtig, dass sie unerreichbar bleibt, um das Gefühl der Bewegung zu erhalten.

Doch der Mythos des Fortschritts geriet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Wanken. Nach Auschwitz und Hiroshima stellte sich die Frage, wer das noch glauben konnte. Diejenigen von uns, die in meinem Alter und darüber sind, können sich noch daran erinnern, wie das Jahr 2000 aussehen sollte, als wir Kinder waren: mit seinen Raketenrucksäcken, fliegenden Autos Mondkolonien und Strom, der zu billig war, um ihn zu messen.

Niemand erwähnte den Klimawandel oder das rasante Artensterben oder die Billigjobs oder die in Plastik schwimmenden Ozeane oder die Milliardäre in ihren Bunkern oder die Kinder, die Kobalt für die Smartphones abbauen; für jene Smartphones, die von anderen Kindern in Ausbeuterbetrieben zusammengebaut werden, die wir nie sehen werden.

Der Westen war das Christentum, aber das Christentum ist gestorben. Dann war der Westen der Fortschritt, aber der Fortschritt starb. Von diesem Standpunkt aus – der vielleicht noch zu nah ist, um die Dinge wirklich zu erkennen – vermute ich, dass das letzte Jahrzehnt die Zeit war, in der diese Realität vielen Menschen klar geworden ist. Die grosse Geschichte, mit der wir aufgewachsen sind, ist selbst für viele ehemalige Gläubige nicht mehr zu halten. Als Reaktion darauf sind wir in eine Phase eingetreten, die wir als narrativen Bruch bezeichnen könnten.

Während wir früher vielleicht in der Lage waren, uns an eine grosse Erzählung wie die Geschichte des Fortschritts oder an kleinere, aber dennoch verbindende Geschichten wie die der Nationalstaaten zu halten, ist dies jetzt fast in jedem Massstab unmöglich. Die Erzählungen sind zu bruchstückhaft. Alles bewegt sich zu schnell, und die Mitte hat keinen Bestand. In diesem «Kulturkrieg» tobt ein ständiger Kampf um Geschichten, bei dem nicht abzusehen ist, ob eine neue grosse Erzählung die des Fortschritts ablösen wird. Vielleicht nicht. Vielleicht sind die Tage der grossen Erzählungen vorbei. So oder so wird der Kampf um die Geschichten in nächster Zeit weitergehen.

Warum schreibe ich darüber im zweiten Teil eines Aufsatzes über das Coronavirus? Die Antwort liegt nahe: seil das Virus durch genau diesen Prozess der narrativen Fragmentierung gefiltert wurde. Das wiederum bedeutet, dass die Menschen die Geschehnisse durch völlig unterschiedliche Geschichten filtern.

Einen Vorgeschmack darauf bekam ich selbst, als ich auf meinen letzten Aufsatz reagierte. Dieser brach aus dem Rahmen der kleinen Gemeinschaft aus, die ich hier kultiviert habe. Er kursierte danach im Internet. Es könnte sich erweisen, dass es sich um meinen meistgelesenen Aufsatz handelt.

Die Interpretation des Aufsatzes wurde von den Erzählungen bestimmt, die die Menschen in der Corona-Ära bereits erfahren haben. Viele Menschen schrieben mir, dass ich ihnen aus der Seele spreche, und bedankten sich dafür, dass ich ausdrückte, was sie auch fühlten, sich aber nicht zu sagen trauten.

Andere nutzten ihre Konten in den sozialen Medien, um mich als Verschwörungstheoretiker zu denunzieren und mit noch schlimmeren Schimpfwörtern zu beleidigen. Einige dachten, sie würden einen «Anti-Impfstoff-Aufsatz» lesen, obwohl ich ausdrücklich etwas anderes gesagt hatte. Andere meinten, dass meine Ablehnung der Zwangsmassnahmen, die derzeit auf der ganzen Welt angewandt werden, bedeuten würde, dass ich mit dieser oder jener blumigen Theorie ihrer eigenen Erfindung einverstanden wäre.

Ich bin wohl kaum der einzige, der diese Erfahrung gemacht hat: Wie mir viele geschrieben haben, ist dies eine Situation, die man derzeit täglich auf der ganzen Welt erlebt, in Familien, am Arbeitsplatz, im Internet. Insbesondere diejenigen, die von dem abweichen, was ich als «Narrative» bezeichnet habe, müssen damit rechnen, zu kurz zu kommen oder Schlimmeres zu erleben. Als Narrative bezeichnete ich die Geschichte des Establishments über Covid und die Reaktion darauf. Es ist eine schwierige und beängstigende Zeit für viele, die es wagen, Fragen zu stellen, die der offiziellen Meinung zuwiderlaufen.

In meinem letzten Essay habe ich geschrieben, dass dieses Virus apokalyptisch ist, weil es Dinge ans Licht bringt, die zuvor verborgen waren. Eines dieser Dinge war die zerbrochene Natur unserer Geschichten; und das wiederum hat gezeigt, wie zerbrechlich viele unserer Gesellschaften sind. Der Fortschrittsmythos sagt uns, dass wir auf bestimmte Dinge vertrauen sollten – akkumuliertes wissenschaftliches Wissen, anerkannte und «gebildete» Experten, Journalisten, die die Fakten einer Geschichte untersuchen und sie uns dann erklären. Sie pochen auf die menschliche Fähigkeit zur Wahrheitsfindung.

Eine Vertrauens- und Legitimitätskrise führt zum narrativen Bruch. Er bedeutet, dass wir diesen Dingen nicht vertrauen, sondern dass wir uns nicht einmal darauf einigen können, was die Informationen bedeuten. Filtert man dies wiederum durch das Spiegelkabinett des Internets, so ist die Bühne bereitet für massenhafte Verwirrung und eine daraus resultierende Vertiefung von Feindseligkeit, Misstrauen und Angst.

In seinem Online-Forum The Stoa bietet der Philosoph Peter Limberg eine hegelianische Analyse der beiden widersprüchlichen Geschichten rund um Covid-19 und wie sie aufeinanderprallen. Er nennt diese beiden Positionen Thesis und Antithesis und beschreibt die erste Position – die Thesis – wie folgt:

Abriegelungen sind notwendig, um das Virus einzudämmen, Masken funktionieren und müssen vorgeschrieben werden, Impfstoffe sind sicher, die Menschen sollten sich impfen lassen, um sich selbst und andere zu schützen. Impfpässe werden dazu beitragen, Lockdowns aufzuheben und diejenigen zu ermutigen, die noch zögern, sich impfen zu lassen.

Die These verdeutlicht die Position des Establishments. Sie wird, in Limbergs Worten, von «alten Medien … NGOs, Universitäten, westlichen Regierungen und politischen Linken» vertreten. Im Gegensatz dazu wird die Gegenposition – die Antithese – von einem Sammelsurium politischer Dissidenten aller Couleur vertreten, von Rechten bis zu Anarchisten, die sich aus unterschiedlichen Gründen um eine alternative Geschichte scharen:

Abriegelungen sind nicht notwendig, Masken funktionieren nicht, die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe werden überbewertet, Impfpässe werden nicht nur scheitern, sondern die Gesellschaft weiter segregieren, und in naher Zukunft können wir mit einer Sündenbockfunktion für die Ungeimpften rechnen. Mit anderen Worten, wir befinden uns am Abgrund eines rutschigen Hangs, der zu immer drakonischeren biopolitischen Kontrollmassnahmen führt. Ihr Griff wird sich auch nach dem Ende der Pandemie kaum lockern.

Man könnte die letzten zwei Jahre, grob gesagt, als einen Kampf zwischen diesen beiden Geschichten betrachten. Bis zu einem gewissen Grad hängt es von Ihren persönlichen Erfahrungen ab, welcher Sie sich anschliessen. Wenn zum Beispiel jemand, der Ihnen nahesteht, an Covid gestorben ist, werden Sie vielleicht unruhig im Kontakt mit Leuten, die die Wirksamkeit von Impfstoffen in Frage stellen oder sich gegen Abriegelungsmassnahmen einsetzen.

Andererseits, wenn man (wie ich) sechs Monate lang aus dem Leben eines Grossteils der Gesellschaft ausgeschlossen wurde, ohne dass es dafür einen wissenschaftlich begründeten Grund gab und ohne dass eine Debatte oder eine Zustimmung stattfand, wird man sich wahrscheinlich ebenso darüber aufregen, dass einem gesagt wurde, dass man «der Wissenschaft folgen» oder darauf vertrauen solle, dass die Behörden es mit den bürgerlichen Freiheiten gut meinen. Beide Positionen scheinen aus ihrer jeweiligen Perspektive vernünftig zu sein, aber sie sind zunehmend unmöglich miteinander zu vereinbaren – und nach zwei Jahren sind wir alle einfach erschöpft.

Die finstere Sündenbockkampagne

Dies ist ein narrativer Bruch, und in den letzten Monaten scheint er sich zu beschleunigen: Die Antithese des Aussenseiters scheint an Boden zu gewinnen und die These des Establishments an Unterstützung zu verlieren. Dies ist wahrscheinlich sowohl darauf zurückzuführen, dass ein Grossteil der These immer offensichtlicher ins Wanken gerät – insbesondere das Scheitern des Impfprogramms zur Beendigung der Pandemie – als auch auf die radikalen Zwangsmassnahmen, die von ihren Befürwortern verfolgt werden.

Impfmandate, «grüne Pässe», Massenentlassungen, Abriegelung der «Unvaxxed», Covid-Internierungslager und eine finstere Sündenbockkampagne: All dies ist völlig beispiellos und wird mit wenig oder gar keiner Transparenz, Debatte oder Zustimmung verfolgt. Dies scheint in den Köpfen von immer mehr Menschen Zweifel zu säen, die zuvor bereit waren, die These zu akzeptieren.

Die Regierungen werden immer verzweifelter versuchen, eine grosse Zahl unwilliger Menschen zwangsweise zu impfen, während sie und ihre Verbündeten in den Medien versuchen, alternative Erzählungen und unangenehme Tatsachen zu unterdrücken. Gleichzeitig werden immer mehr Menschen, die an der These festgehalten haben, das Geschehen beobachten und sich unwohl fühlen.

Beachten Sie, dass dies nichts mit dem «Impfstatus» von irgendjemandem zu tun hat. Ob jemand geimpft ist oder nicht, ist eine ganz persönliche Angelegenheit; sie hat nicht unbedingt etwas mit seiner Einstellung zu den autoritären Massnahmen zu tun, die derzeit im Namen der öffentlichen Gesundheit durchgeführt werden. In dem Masse, in dem diese Massnahmen zunehmen, beginnt sich der zivile Ungehorsam auszubreiten. Wenn er sich weiter ausbreitet – und wenn die Massnahmen scheitern oder nicht durchgesetzt werden können, wird die Geschichte zu bröckeln beginnen.

Darin besteht die Macht von Geschichten. Eine Erzählung über die Welt ist immer ein Werkzeug, eine grobe Landkarte, mit der man sich in dem komplexen Gebiet der Realität zurechtfindet. Aber die Karte darf nicht mit dem Gebiet verwechselt werden: Wenn das passiert, bleibt man in seiner Geschichte stecken, und die Geschichte – und nicht die Realität, auf die sie verweist – beginnt, das eigene Handeln zu diktieren.

In seinem 2020 erschienenen Buch The Plague Story schlägt der australische Schriftsteller Simon Sheridan vor, dass die Reaktion des Establishments auf das, was er als Corona-Apokalypse bezeichnet, als Wiedergabe einer bereits bekannten Geschichte gesehen werden kann: der «Pestgeschichte» des Titels. Diese Geschichte, so Sheridan, ist so alt wie die Seuchen selbst, das heisst, sie ist ewig. Indem er die Struktur dieser Geschichte durch klassische Romane wie Daniel Defoes Journal of the Plague Year und Albert Camus’ Die Pest sowie durch zeitgenössische Hollywood-Katastrophenfilme wie Lautlose Killer und Contagion zurückverfolgt, legt Sheridan nahe, dass es sich bei der Plague Story um eine bereits existierende Schablone handelt, die sich durch unser kulturelles Erbe in unsere Köpfe eingeprägt hat und in unangemessener Weise auf die aktuelle Pandemie angewendet wurde.

Im Westen kennt jeder die Plague Story: Wir alle haben die Filme gesehen oder die Romane gelesen, in denen es um das furchterregende neue Virus geht, das aus einem (meist ausländischen) Labor entweicht und einen Grossteil der Menschheit vernichtet, bis es einigen wenigen heldenhaften Aussenseitern gelingt, es entweder mit Hilfe der Wissenschaft zu besiegen oder es mit Glück und Ausdauer zu überleben.

Sheridan weist darauf hin, dass zu Beginn der Pandemie viele Regierungen versuchten, den öffentlichen Diskurs von diesem apokalyptischen Narrativ wegzulenken und eine andere Geschichte zu erzählen, die er als «die Grippe-Geschichte» bezeichnet. Demnach handelte es es sich bei Covid-19 um eine neuartige und potenziell unangenehme grippeähnliche Krankheit, die jedoch durch «Herdenimmunität», vernünftige Gesundheitsmassnahmen und individuellen gesunden Menschenverstand überwunden werden könne. Der Versuch war jedoch zum Scheitern verurteilt, da der Druck der sensationslüsternen Medien und einer ängstlichen Öffentlichkeit sie in die Schablone der Pestgeschichte trieb. Diese wurden befeuert durch verschiedene statistische Prognosen über eine drohende Katastrophe, die sich später als falsch herausstellten.

Wir begannen den Weg in die Pestgeschichte, als das Frühwarnsystem der WHO im Januar [2020] ausfiel. Als die westlichen Regierungen im März den Notstand ausriefen, begannen wir wirklich mit der Seuchengeschichte. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels befinden wir uns immer noch mitten in der Pestgeschichte und wissen nicht, wie wir aus ihr herauskommen. Wie wir letztendlich aus der Geschichte herauskommen, ist zu diesem Zeitpunkt nur eine Vermutung, aber solange wir das nicht wissen, werden wir in der Schwebe bleiben. Das liegt daran, dass Gesellschaften von Geschichten leben. Fakten, «Wissenschaft» und Risikoanalysen sind zweitrangig.

Beachten Sie, dass die Seuche – oder der Ausbruch das Virus oder die Pandemie oder welches Wort wir auch immer wählen – sich von der Geschichte unterscheidet, die wir darüber erzählen. Sheridan will damit sagen, dass die Covid-Pandemie von den meisten Menschen von Anfang an als eine Version der Pestgeschichte angesehen wurde. Deshalb müssen wir diese Geschichte bis zu ihrem Ende durchspielen:

Sobald die Pestgeschichte zur offiziellen Interpretation des Corona-Ereignisses wurde, erwarteten die Menschen, dass die Elemente der Geschichte erfüllt würden. Es mussten Quarantänen verhängt werden. Menschen, die gegen die Regeln verstossen, müssen angeprangert werden. Die Experten mussten zur Rettung kommen. All diese Dinge wurden notwendig, weil sie durch die Struktur der Geschichte impliziert sind. Aus diesem Grund müssen wir jetzt einen Impfstoff haben, denn das ist ein sehr wichtiger Teil der modernen Pestgeschichte …. Derzeit haben wir ein Loch in Form eines Impfstoffs, das gefüllt werden muss.

Sheridans «Plague Story» zielt wie Limbergs «Thesis/Antithesis split» darauf, zu erklären, wie die Pandemie von so vielen Menschen so unterschiedlich gesehen wird. Sie will zudem zeigen, wie dies wiederum zu einem Zusammenbruch der Kommunikation auf der intimsten Ebene führen kann. Sheridan fasst eine Erfahrung in Worte, die die meisten von uns in den letzten zwei Jahren irgendwann oder an vielen Stellen gemacht haben müssen:

Wenn Sie, so wie ich, einige sehr ungewöhnliche Gespräche mit Menschen über das Corona-Ereignis geführt haben, dann liegt das mit ziemlicher Sicherheit daran, dass Sie sich über die Stichhaltigkeit der Seuchengeschichte nicht einig sind. Über Details zu streiten, wird an diesem Punkt die Meinungen nicht ändern, denn was zur Debatte steht, ist nicht diese oder jene Meinung, sondern ein ganzer Erklärungsrahmen. Für diejenigen unter uns, die der Meinung sind, dass dies eine falsche Anwendung der Pestgeschichte ist, erscheinen die ergriffenen Massnahmen radikal und gefährlich autoritär. Allerdings sind autoritäre Massnahmen während einer Pestepidemie normal, und deshalb haben Menschen, die die Ereignisse durch diese Geschichte betrachten, kein Problem mit solchen Massnahmen.

Gerade der letzte Punkt könnte die Linie markieren, an der die Behörden eine Grenze überschreiten und Neuland betreten. Die Symbolik des «Impfauftrages» – die Verletzung eines unwilligen Körpers durch eine Nadel; die Injektion unerwünschter Medikamente durch staatliche Kräfte – trifft viel tiefer als jedes rationale Argument über «Inzidenzen» oder Intensivbetten.

Für diejenigen, die an der These oder der Pestgeschichte festhalten, sind Impfvorschriften eine notwendige, wenn auch vielleicht nicht ideale, nächste Phase der globalen Antwort auf das Coronavirus. Aber für diejenigen unter uns, die diese Thesen auch nur teilweise ablehnen, sind sie ein ungeheuerlicher Verstoss. Und wenn die Mandate auf Kinder ausgedehnt werden, dann könnte für viele Menschen jegliches verbleibende Band des Vertrauens zwischen Regierten und Regierenden unwiederbringlich zerbrechen. Das ist ein sehr schlechter Zustand für jede Gesellschaft, vor allem für eine, die bereits zwei Jahre lang von einem erzwungenen Stillstand und einer Pandemie heimgesucht wurde, die immer weiter um sich greift.

Schlüsselsymbole dieser Zeit:

Wenn man darüber nachdenkt, was die Schlüsselsymbole dieser Zeit aus der Perspektive dieser verschiedenen Geschichten bedeuten, werden die Gefahren des Augenblicks deutlich. Masken: Missbrauch staatlicher Macht versus Zeichen sozialer Verantwortung. Impfpässe: der Beginn der digitalen Tyrannei oder ein Weg, die Schwachen vor den Unverantwortlichen zu schützen. Impfstoffmandate: die erzwungene Injektion eines experimentellen «Impfstoffes» in die Körper der Unwilligen oder eine Möglichkeit, die öffentliche Gesundheit in einer Zeit beispielloser Gefahren zu bewahren. Sheridan hat dieselben Ängste:

Wenn es den Regierungen nicht gelingt, dem Coronavirus ein schnelles Ende zu bereiten, ist es gut möglich, dass die Spannungen selbst zu einer weiteren Krise führen, vor allem, wenn die realen wirtschaftlichen Auswirkungen des Geschehens ins Bewusstsein dringen. Die Regierungen werden verzweifelt versuchen, die Geschichte der Seuche durch einen Impfstoff zu einem Ende zu bringen. Aber wenn das nicht schnell geschieht, werden wir wahrscheinlich eine längere Zeit des Konflikts zwischen der Technokratie und der Demokratie erleben.

Diese Worte wurden vor mehr als einem Jahr geschrieben. Heute können wir feststellen, dass die Impfstoffe, was auch immer die Argumente dafür oder dagegen sein mögen, die Pandemie nicht beendet haben – und so wird die Geschichte der Pest weitergesponnen. Wohin führt sie jetzt? Wir wissen es nicht. Mir scheint, dass dies alles zu der laufenden Enthüllung dazugehört. Ich glaube nicht, dass sie schon zu Ende ist. Ich fürchte mehr und mehr, wohin sie uns führen könnte. Ich fürchte die wachsende Wut, die Massenhysterie, die vorgetäuschte Gewissheit auf allen Seiten. Ich fürchte die kommenden Enthüllungen und hoffe täglich, dass meine Befürchtungen unbegründet sind.

In den ersten Tagen der Pandemie kamen vielerorts viele Menschen wegen einer gemeinsamen Bedrohung zusammen. Unabhängig von unseren Ansichten teilten wir die Abriegelungen, die Unsicherheit und den Wunsch, dass die Pandemie ein Ende findet. Wir stritten darüber, was die Pandemie war und was zu tun war. Damals war es noch möglich, sich zu streiten, und zwar unzensiert. Doch die Einführung von Impfpässen, Verordnungen und Segregation hat die Gesellschaft eher auseinandergerissen als zusammengeführt, indem sie die Reinen von den Unreinen, die Verantwortlichen von den Unverantwortlichen, die Dummen von den Klugen trennte und eine neue Klasse von akzeptablen Sündenböcken schuf. Die Nadel und der QR-Code sind zu den schrecklichen Zeichen der Zeit geworden.

Dies ist ein gefährlicher Ort, aber ich denke, Sheridan hat Recht: Der Konflikt zwischen Demokratie und Technokratie, der sich seit Jahrzehnten aufbaut, zeichnet sich jetzt deutlich vor uns ab. Dies ist meine Geschichte: Ich erzähle sie hier seit sechs Monaten, und ich erzähle sie in meinen Essays seit fast drei Jahrzehnten. Sie dreht sich um die Art von Technologiekritik, die Lewis Mumford, Jacques Ellul, Ivan Illich, Neil Postman oder Vandana Shiva seit Jahrzehnten vorantreiben und mit der wir uns in den 90er Jahren, als ich bei der Zeitschrift The Ecologist arbeitete, eingehend beschäftigten. Es ist eine Behauptung – eine Befürchtung –, dass eine Verschmelzung von staatlicher Macht, Unternehmensmacht und galoppierender technologischer Dominanz und Kontrolle uns mit kaum einem Murren in die Schöne Neue Welt oder Gattaca treibt. Es ist die Geschichte der Technokratie: die Geschichte der Maschine.

Im Jahr 2021 hat sich diese Geschichte mit der Geschichte des Virus verflochten und huckepack genommen, wobei die Pandemie dazu dient, eine bereits bestehende Entwicklung zu beschleunigen. Während wir uns erbittert über die Streitpunkte unserer Zeit streiten – Impfstoffsicherheit, neue Varianten, Ivermectin, Mandate – sich diese Meta-Geschichte um uns herum und über uns ab. Dabei versprechen uns ihre Autoren ein Software-Update, das die Progress-Geschichte für die kommende Smart-Welt neu starten und uns alle vor Krankheit und sogar dem Tod bewahren wird. Darüber werde ich das nächste Mal im dritten und letzten Teil dieser Serie mehr schreiben.

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Hier geht es zum «Impfmoment, Teil I».

Paul Kingsnorth ist ein englischer Schriftsteller und Journalist. Er war stellvertretender Chefredakteur des Umweltmagazins The Ecologist und befasst sich hauptsächlich mit den Themen Globalisierung und Umweltschutz. Seine Website: www.paulkingsnorth.net

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