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Der Kollaps als Entwicklungschance

Published On: 16. März 2022 13:00

Ich muss vorweg schicken, dass naturwissenschaftliche Bücher eher selten zu meiner Lektüre gehören. Aber der philosophische Titel des Buches reizte mich dann doch, und schließlich verlasse ich ab und zu gerne mein Wolkenkuckucksheim, damit mir meine Welterklärungen nicht zu schlüssig werden und ich mich zu gemütlich darauf ausruhe.

„Wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmung erschaffen — die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens“ lautet der Untertitel.

Die rein materialistische Erklärung des Lebens empfinde ich schon immer als ungenügend, aber ich will mich ja nicht versperren. Und was, wenn das, was so alles auf der Welt passiert, ein emergenter Ausdruck seiner kleinsten Bedingungen ist? Dann wäre das Geschehen gar nicht „gut“ oder „schlecht“, sondern eben nur eine bestimmte Phase im Laufe einer unendlichen Entwicklung in einem unendlichen Kosmos …

Ich empfinde Leben als freundlich und positiv. Leben ist nämlich nur möglich, weil es auf Entwicklung und Wachstum ausgelegt ist: Leben ist immer ein Plus-Summenspiel, es steht also immer auf der Gewinnerseite. Es kann also nicht schaden, seine Regeln aus der Perspektive der Neurowissenschaft ins Kalkül zu ziehen.

Zunächst einmal stellen die Autoren das Axiom auf, dass „alles Erkennen ein Tun des Erkennenden ist und dass jedes Erkennen von der Struktur des Erkennenden abhängt“. Wahrnehmung ist also keine freie Leistung, sondern sie ist determiniert durch die Beschaffenheit desjenigen, der die Wahrnehmungsleistung erbringt.

Ein Hund sieht die Welt anders als eine Fledermaus, weshalb sich die Interessen und Interaktionen von Hunden und Fledermäusen kaum überschneiden. Das scheint offensichtlich, nur bringt es die Täuschung mit sich, dass wir Menschen glauben, sowohl Hunde- als auch Fledermauswelt zu kennen und zu verstehen; mehr noch, wir gehen ziemlich selbstverständlich davon aus, die Welt objektiv wahrnehmen zu können. Wir glauben, unserer Perspektive erschließe sich eine Welt, wie sie ist.

Das wäre für sich genommen nicht weiter schlimm, denn das denken Fledermäuse und Hunde vermutlich auch. Die Schwierigkeit beim Menschen liegt darin, dass er diese Welt in manipulativer Weise in seinem Sinne beeinflusst und damit Ökosysteme, andere Lebewesen und sich selbst ernsthaft gefährden kann. Wären Hunde oder Fledermäuse ebenfalls dazu in der Lage, hätte dieser Planet vermutlich längerfristig ein ähnliches Problem.

Im Menschen manifestiert sich eine Eigenschaft, die in der Biodiversität auf diesem Planeten einzigartig zu sein scheint: der Wille. Ich verstehe den Willen als Tendenz oder Bestreben, eine Richtung mit Veränderungspotenzial ungeachtet natürlicher Hindernisse zu verfolgen.

Diese Form treibender Kraft finden wir in der Evolution bisher in Form der Autopoiesis (griech.: autos = selbst, poiein = machen). Leben ist dadurch charakterisiert, dass es sich andauernd „selbst macht“. Dieses „Schöpfungswunder“ basiert auf einem doppelseitigen Phänomen: die Geschlossenheit von Einheiten wie zum Beispiel Zellen, die sich durch ihre innere Struktur selbst erhalten und organisieren, und aufgrund ihrer gleichzeitigen Offenheit in ihrer Abgrenzung die Möglichkeit der Interaktion mit der Umwelt gegeben ist. Diese Doppelfunktion erlaubt eine sich andauernd verändernde Dynamik.

Das kennen wir aus der Soziologie: Ein Handeln gibt es nur in einer Umwelt und in Bezug auf sie. Das sind die zwei Seiten desselben Vorgangs. Organismus und Umwelt bilden eine Einheit. Alles Handeln geschieht einerseits immer in Bezug auf eine Umwelt, andererseits mit einer Blindheit für die Relativität des Selbst.

Wenn also manche Menschen glauben, sie müssten andere Menschen von etwas überzeugen, was sie selbst als bedeutungsvolle Wahrheit verstehen, dann nehmen sie sich selbst aus der Rechnung. Sie selbst erzeugen damit die scheinbare Opposition, den Konflikt, denn erst durch die selbstgeschaffenen Wertsetzungen und Ziele entsteht ein „Feind“, der gesellschaftlich Andere.

Nun besteht der „Organismus“ einer Gesellschaft aber nicht aus gleichgeschalteten Individuen. Die meisten schließen sich in gewisser blinder Selbstverständlichkeit dem Kollektiv an, mit dem sie verbunden sind. Es ist eben das Milieu, in welchem sie ihre Lebensgrundlage haben: „das Leben (…) als Einheit vollzieht sich zwar im Operieren seiner Bestandteile, es ist aber nicht durch die Eigenschaften seiner Bestandteile bestimmt“, lese ich. Ja, das habe ich mir gedacht.

Eigentlich fühle ich mich durch das System bestimmt, während meine bescheidene Meinung wenig Einfluss auf den Kurs des Systems zu haben scheint. Als „Bestandteil“ des Systems bin ich zwar eingebunden in seine Gesamtbewegung, ja ich ermögliche es sogar, doch ich kann es als System erkennen. In dieser Doppelwirklichkeit bin ich in dieser Welt, bilde sie und werde mir über ihre Natur im Klaren. Das ist Evolution, die sich ihrer selbst bewusst wird!

Grundsätzlich sind zwei Arten der Kollaboration auf molekularer Ebene möglich: Symbiose und Koppelung. Bei der Symbiose fallen die Grenzen zweier Einheiten ineinander, ergänzen sich und bilden eine neue spezielle Einheit. Bei der rekursiven Koppelung behalten beide Beteiligten ihre individuellen Grenzen und bauen eine gemeinsame Kohärenz auf. Eine dritte Option finden wir dort nicht: kein Kampf, überhaupt keine Form der Agonie. Die Richtung des Lebens ist Kooperation. An diese Stelle würde ich das soziologische Postulat „Erst durch das Du kann das Ich werden“ setzen.

Also muss demzufolge jedes Handeln, was von dieser natürlichen Dynamik abweicht, langfristig scheitern. Dieses Scheitern ist eine natürliche Folge, der Kollaps des Nicht-Zukunftsfähigen ist nämlich ein normaler Bestandteil alles Existierenden.

Und wieder kann mir dieses Erkennen behilflich sein, mich einerseits als integralen Bestandteil dieser Welt zu erfahren, andererseits kann ich es als Aufforderung verstehen, Stellung zu beziehen, bewusster zu sein. Erst dann kann ich meine förderlichen und weniger förderlichen Bezüge zu meiner Umwelt erkennen.

Aber kann Reibung innerhalb einer Gesellschaft nicht als evolutiver Prozess der Auswahl angesehen werden? Bedingt, meinen die Autoren, denn die Grundlage jeder Auswahl ist zuerst das Bestreben des Fortbestehens eines Organismus. Kann ein Organismus, wie beispielsweise unsere westliche Gesellschaft, seine Verträglichkeit mit dem „Milieu seiner Umwelt“ — unsere restliche Heimatwelt — gewährleisten, wird dieser Organismus seinen Fortbestand nicht sichern können.

Die Autoren unterscheiden nämlich zwischen verschiedenen Interaktionen, die „Zustandsveränderungen“, also Entwicklungspotenziale, bewirken können: So kann beispielsweise ein Musikinstrument sowohl gespielt werden, als auch unbenutzt bleiben, es kann missbraucht und zerstört oder auch einem ungünstigen Milieu ausgesetzt werden. Je nach dem, welchem Umgang es ausgesetzt ist, wird es sich „verhalten“. Aber erst in einer optimalen Verträglichkeit mit seiner Umwelt kann es sein Potenzial entfalten.

Das, was wir „Anpassung“ nennen, ist das optimale Fortbestehen eines Organismus innerhalb seiner Umwelt. „Mit der Autopoiese unverträgliche Interaktionen werden destruktive Interaktionen sein“, schreiben die beiden Biologen. In Wirklichkeit finder also keine „Auswahl“ in reinem Sinne statt.

Ich staune über diese Prozesse, die uns bis hierher gebracht haben. Wohin möchten wir uns denn eigentlich entwickeln? Bisher sind wir immer optimiert worden, dank Symbiose und Strukturkoppelung durch förderliche Interaktionen auf molekularer Basis bis hierher, zum reflektierten, liebenden, mitfühlenden und hochtechnisierten Homo sapiens.

Und jetzt? Jetzt scheint das doch anders: Wir können eingreifen in die Codierungen des Lebens, sie mittels Technologie erweitern, wir können sogar künstliche Intelligenz erschaffen, die unsere eigene übersteigt.

Wir haben also seit Kurzem weitere Entwicklungen tatsächlich — zumindest partiell — selbst in der Hand. Oder werden diejenigen Dynamiken, die uns bis hierher gebracht haben, unsere Zukunft bestimmen und unserem Größenwahn Einhalt gebieten?

Wir können uns als Spezies nicht dauerhaft entgegen unserer Phylogenese, also der Bedingtheit unserer Herkunft verhalten. „Es gibt keinen ,Fortschritt‘ im Sinne einer Optimierung der Nutzung der Umwelt, sondern nur die Erhaltung der Anpassung in einem Prozess, in dem Organismus und Umwelt in dauernder Strukturkoppelung bleiben“, meinen Varela und Maturana.Schauen wir uns mit dieser Aussage im Sinn einmal die gegenwärtigen Lebenspraktiken unserer Spezies an: den Umgang mit Gesundheitsfragen, Rohstoffvernutzung, Ökobilanzen und so weiter. Bleiben wir in „dauernder Strukturkoppelung“? Oder sind wir isoliert unterwegs, sozusagen auf Kredit?

Der Mensch sieht die Welt aus Menschensicht. Er hat heute die meisten Errungenschaften seiner Vorfahren wie intuitive Naturverbundenheit und -kommunikation verlernt, belächelt sie als überwundenen Aberglauben.

So gesehen tragen wir selbst die volle Verantwortung für die derzeitige Misere. Doch nicht weit von obenstehendem Zitat entfernt finde ich folgenden Satz:

„Jeder Wandel einer Dimension vollzieht sich nur unter gleichzeitigem, korrelativem Wandel vieler Dimensionen. Solche korrelativen Veränderungen (…) entstehen vielmehr aus dem strukturellen Driften, das sich beim Zusammentreffen von Organismus und Milieu ergibt, die voneinander operational unabhängig sind.“

Daraus ließen sich gewichtige philosophische Fragen ableiten: Ist das, was wir als problematisches Verhalten unserer Spezies interpretieren, in Wirklichkeit das Produkt uns unbekannter Korrelationen, von Vor-Bedingungen unserer Existenz? Sind wir Zeugen der eigenen Bewusstseinsentwicklung, die Mittels Herausforderungen, die wir als leidvoll erleben, voranschreiten will? Ist der „Weltwille“ durch uns am Werk?

Und da ist sie wieder, unsere Menschensicht auf die Welt. Wahrnehmung ist immer auch Interpretation. „Erfolg oder Misserfolg sind immer durch die Erwartungen definiert, die der Beobachter bestimmt“, schreiben die beiden Autoren. Wir geschehen, könnte man sagen. Dann tun wir so, als wären wir davon losgelöste Zuschauer. Wir sind Beobachter von Vorgängen, welche wir selbst mit Bewertungen versehen. In Wirklichkeit sind beides Aspekte desselben Vorgangs.

Die „Eliten“, die Macht- und Kapitalinhaber wären demnach nur Symptome einer globalen mentalen beziehungsweise psychischen Verfassung, nicht deren Ursache. Sie ko-existieren mit und durch alle anderen Komponenten des gegenwärtigen „Organismus“ und seinem Milieu.

Inwieweit lassen sich also Parallelen zwischen neurobiologischen Vorgängen und Gesellschaften ziehen? Ab einer gewissen Komplexität eines Systems scheint es einen Wandel zu geben. Während auf der neuronalen beziehungsweise zellularen Ebene die Einheiten wie zum Beispiel eine Zelle für den Gesamtorganismus existieren, existiert ein gesellschaftliches System für seine Einheiten, sprich: für seine Mitglieder.

Wir stellen heute fest, dass dieses „für“ nicht grundsätzliche Gültigkeit zu haben scheint. Auch wenn die allermeisten nationalen Verfassungen behaupten, die Freiheit und Unantastbarkeit ihrer Bürger hoch zu halten, beobachten wir eine andere Realität. Vielmehr scheinen diejenigen Menschen, für deren unantastbare Freiheit diese Verfassungen stehen, selbst zum Mittel gemacht zu werden. Es werden Strukturen geschaffen, welche in hohem Maße ihre involvierten Individuen kontrollieren, korrigieren und repressiv behandeln.

Gesellschaftliche Werte und Ziele werden nicht aus einem natürlichen Wachstum heraus definiert, sondern aus künstlich formuliertem. Es findet keine Interaktion auf Basis individueller Freiheit statt, sondern eine durch Vorgaben begrenzte und in ihrer Natürlichkeit beschnittene.

Genau das wird auf Dauer nicht funktionieren. Durch die Lektüre habe ich gelernt: Jedes System, das nicht fähig ist, durch Symbiose oder Koppelung zu kooperieren, schafft sich selbst ab. Und tatsächlich finden wir dafür nicht nur in der Biologie Bestätigung, sondern auch in der menschlichen Geschichte: Kein politisches Gebilde überlebte eine solche Unfähigkeit sehr lange. Im Gegenteil: Die langlebigsten waren jeweils die liberalen, die vielleicht zunächst mit Macht und Gewalt ihren Raum forderten, aber sich dann tolerant zeigten, die inkludierten und durch eine Balance zwischen Öffnung und Schließung ihren Fortbestand im „Milieu Welt“ sichern konnten.

Wissen ist eben noch keine Erkenntnis. Wir wissen um die Praktiken, die uns und unserer Heimatwelt nicht guttun, aber wir scheinen handlungsunfähig innerhalb des selbst geschaffenen Systems.

Wozu? „Zu einer Haltung ständiger Wachsamkeit gegenüber der Versuchung der Gewissheit“, schreiben die Autoren, denn „Gewissheiten sind keine Beweise der Wahrheit“. Wir schaffen durch die Art unserer Wahrnehmung eine bestimmte Sicht auf die Welt, eine Menschenwelt, und wir neigen dazu, diese zu verabsolutieren. Dabei sehen wir nicht die Welt, sondern „eine Welt, die wir mit anderen hervorbringen. Sie verpflichtet uns dazu zu sehen, dass die Welt sich nur ändern wird, wenn wir anders leben“.

Fast irritierend wirken in diesem Werk die Grundlagen der Neurobiologie, wenn es dort weiter heißt: „zu leugnen, dass die Liebe die Grundlage des sozialen Lebens ist und die ethischen Implikationen dieser Tatsache zu ignorieren, hieße, all das zu verkennen, was unsere Geschichte (…) in mehr als 3,5 Milliarden Jahren aufgewiesen hat“. Die beiden Naturwissenschaftler fordern auf, die eigene Haltung zu transzendieren und sich darüber bewusst zu werden, dass wir selbst es sind, die diese Welt im Austausch mit anderen hervorbringen: Unsere innere Haltung ist es, die letztendlich unsere Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion auf die Welt bestimmt. Achtung, Respekt, Mitgefühl, Lebensfreude und Bewusstheit sind Qualitäten, die zuerst in uns selbst vorhanden sein müssen, damit sie in dieser Welt Wirklichkeit werden können.

Leben „will“ weiter. Es strebt im Sinne immer umfassenderer Bewusstheit hin zu immer größerer Komplexität. Deshalb existieren wir: Wir Menschen sind die bewusste Repräsentation dieses universellen Vorgangs. Diese Einsicht verleiht uns Würde.

Und wir können sicher sein, dass das Prinzip „Leben“ diejenigen unterstützt, die imstande sind, mit ihm zu kooperieren.


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Quellen und Anmerkungen:

„Der Baum der Erkenntnis — wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmung erschaffen — die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens.“ Humberto Maturana und Francisco Varela, 2. Auflage, Scherz Verlag, 1987

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