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Bayerischer Atomino dreht am Reaktor

Published On: 5. April 2022 13:22

CSU-Chef Markus Söder kratzt wieder mal die Kurve. Jetzt will der wendige Politiker verbliebene Atommeiler länger laufen lassen, obwohl er sie vor elf Jahren als erster schnell abschalten wollte.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder taugt mit seinen radikalen Wenden inzwischen zur Comic-Figur in der Politik. Der italienische Kinderbuchautor Marcello Argilli erfand in den sechziger Jahren die Figur des kleinen atombetriebenen Roboters „Atomino“. Als Tüftler und Erfinder führte er seine Leser durch die Welt der Naturwissenschaften und der Technik. Kernkraft hatte damals in West und Ost eine große Zukunft.

Totgesagte leben länger, sagt sich wohl auch der bayerische Atomino, und verlangt plötzlich wieder ein längeres Leben für die verbliebenen deutschen Kernkraftwerke. Im Fernsehen fordert Söder sogar: „einen Ausstieg aus dem Ausstieg“. Der wendige Bayer eröffnet mit seinem abrupten Kurswechsel angesichts immer teurerer Energie und drohenden Mangels sogar eine Renaissance der Atomkraft. In Europa und der Welt ist sie längst im Gange. Nur Angela Merkels Deutschland wollte Kohle- und Kernenergie wider die Vernunft schnell und einsam abschalten.

Erinnern wir uns zunächst an die christlich-sozialen Umfaller aus dem Frühjahr 2011. Im Nachbeben des Nuklearunfalls von Fukushima vollzog im bürgerlichen Lager keine Partei so schnell und so radikal einen Kurswechsel hin zum Atomausstieg wie die CSU in Bayern. Spötter sprachen seinerzeit sogar von der Christlichen Salto Union. Oberster Wendehals in Weiß-Blau war der frühere Parteichef Horst Seehofer. Besser bekannt im Volksmund als Bayerns Ex-Ministerpräsident „Horst Drehhofer“. Der windige CSU-Vorsteher entdeckte für sich und seine Partei die Energiewende. Seehofers Musterschüler war seinerzeit sein bayerischer Umweltminister Markus Söder.

Bayern gab damals mit fünf von 17 deutschen Reaktoren und 58 Prozent Strom aus Kernenergie die Atomkraft auf – gegen alle Wahlversprechen einer Laufzeitverlängerung. Noch bevor die damalige CDU-Kanzlerin Angela Merkel umfiel und das Atom-Moratorium ausrief, die sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, schalteten Seehofer und sein Söder aus Bayern aus vorgeblichen Sicherheitsgründen den alten Atommeiler Isar 1 ab.

Seehofers Schüler präsentierte 2011 schneller als irgendeiner seiner Amtskollegen ein Atom-Ausstiegs-Konzept, das der umtriebige Söder nach dem Unglück von Fukushima tief betroffen und raffiniert so begründete: „Ich persönlich, als ich die Bilder von Fukushima gesehen hab, an dem Samstag, als die Explosion war, hab für mich das Restrisiko völlig neu bewertet. Und es ist nun mal so, dass ein Atomkraftwerk wesentlich unsicherer ist als ein Windrad. Ist nun mal so. Und deshalb müssen wir uns überlegen: Gibt es einen Weg, den wir anders gehen können? Dass das ambitioniert und mutig ist, ist keine Frage. Aber wenn ein Land wie Deutschland, wie Bayern – beste Ingenieure, modernste Technologien – wenn wir uns nicht zutrauen würden, einen solchen Weg zu gehen, was für schlechte Politiker und was für ein schwaches Volk wären wir dann?“

Die Vernunft hatten CSU-Politiker wie Seehofer und Söder vor elf Jahren ebenso abgeschaltet wie später alle Atomkraftwerke. Aber auch die FDP als Koalitionspartner in der Merkel-Regierung fiel seinerzeit geschlossen mit um, und verabschiedete sich von ihrem Wahlversprechen längerer AKW-Laufzeiten. Selbst heute in Zeiten höchster Energiepreise und drohender Knappheit wollen die Liberalen von FDP-Chef Christian Lindner die verbliebenen Atomkraftwerke nicht länger am Netz lassen, nur um ihren grünen Regierungspartner in der Ampel nicht zu verärgern.

Union will nun wieder längere AKW-Laufzeiten

Dabei laufen bis zum Jahresende die letzten drei deutschen AKW aus. Aber seit Russlands Ukraine-Krieg ist plötzlich wieder alles anders – zumindest in der wendigen Opposition. Da dreht sich jetzt statt Horst Seehofer sein Musterschüler Markus Söder im politischen Wind. Bayerns heutiger Ministerpräsident fordert auf einmal eine Laufzeitverlängerung von Isar 2. Denn dies sei ein Beitrag zur Versorgungssicherheit und zur Eindämmung der Energiekosten. Man brauche den Atomstrom „als Brücke“, fordert Söder: „Wir stellen nochmal massiv den Antrag an den Bund, eine Laufzeitverlängerung möglich zu machen.“

Plötzlich mache es „doch keinen Sinn, vorhandene Energie abzustellen, wenn Energie ohnehin knapp wird“, rudert Bayerns Ministerpräsident von der beschlossenen Energiewende unter CDU-Kanzlerin Merkel und mit tatkräftiger Hilfe der Grünen zurück. Atomino Söder plädiert jetzt dafür, Kernkraftwerke bis zu einem ausreichenden Ausbau erneuerbarer Energien, „noch für drei, vier Jahre“ weiterlaufen zu lassen. Alles frei nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern.

Renaissance der Kernkraft bei unseren EU-Nachbarn

Kein Wunder, rund um Deutschland machen unsere Nachbarn den sinnlosen Gewaltausstieg aus Kohle- und Kernkraft natürlich nicht mit. Im Gegenteil: Sie setzen wie Polen und die Tschechische Republik vorerst weiter auf Kohleverstromung und den schnellen Bau neuer Atomkraftwerke. So will der polnische Bergbaukonzern KGHM künftig mit dem US-Unternehmen NuScale Power mindestens vier kleine, aber hochmoderne Nuklearreaktoren entwickeln und bauen. Der erste Reaktor soll in Rekordzeit schon 2029 in Betrieb genommen werden. „Die Klimaveränderungen zwingen uns zu entschlossenem Handeln“, erklärt Marcin Chludzinski, Vorstandsvorsitzender des Bergbauunternehmens.

Solche Ankündigungen stehen in Deutschland fest auf dem Index. Obendrein will Polen sein erstes großes Atomkraftwerk ab 2026 nordwestlich von Gdingen in der Woiwodschaft Pommern bauen. Die Baustelle an der Ostsee ermöglicht, Baumaterialien und technische Ausrüstung per Schiff anzuliefern. Die Anlage mit mehr als einem Gigawatt Leistung soll frühestens 2033 ans Netz gehen. Bisher liegt ein Angebot des französischen Energiekonzerns EDF vor, die USA und Südkorea wollen ebenfalls ihre Angebote präsentieren.

In der Tschechischen Republik sollen mindestens drei neue Atomkraftwerke entstehen. Mit dem Bau eines neuen Blocks mit 1200 Megawatt Leistung für das Kernkraftwerk Dukovany in Südmähren bei Brünn will der Staatskonzern CEZ 2029 beginnen.

Selbst die Niederlande wenden sich wieder der Kernkraft zu. Die Regierung plant, zwei neue Atomkraftwerke zu bauen und das einzige bestehende länger in Betrieb zu halten. Zudem forcieren Frankreich, Großbritannien und Schweden als Atomkraftnationen ihre Kernenergie. China baut neue Kernkraftwerke fast in Serie.

In der Union haben AKW-Befürworter wieder eine Chance

Jenseits von Söders Populismus wird jedoch in der Union nach dem Abgang von Merkel intern ernsthaft über die Verlängerung der Laufzeiten für die noch bestehenden drei Kernkraftwerke und sogar neue Projekte diskutiert. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt aus Langwedel in Niedersachsen gehört seit Jahren zu den Mahnern schon aus umweltpolitischen Gründen, die Atomkraft nicht abzuschaffen sowie Forschung und Entwicklung weiter zu betreiben. Auch der liberal-konservative Kreis von Unions- und FDP-Bundestagsabgeordneten lag schon im Januar 2020 völlig richtig und hatte Kanzlerin Merkel mit seinem Programmpunkt zur Energie verärgert: „Den gleichzeitigen Ausstieg aus grundlastfähigen Kohle- und Kernkraftwerken halten wir für falsch.“

Im Vorfeld warnte Mattfeldt in einem Cicero-Interview 2019 als einer dieser wenigen Unionsabgeordneten ebenfalls zum Ärger seiner damaligen Kanzlerin: „Wir müssen uns schon die Frage stellen, woher denn der Strom, wenn wir ihn nicht selbst produzieren, kommen soll?“ Mehr noch: „Neue hochmoderne Kernkraftwerke mit weniger Endmüll können natürlich eine Lösung sein. Wenn Sie so etwas aber aussprechen, bekommen Sie einen Shitstorm.“ Die jetzt über Deutschland hereinbrechende Energiekrise ist für Mattfeldts langjährige Ansicht ein schlagender Beweis. Gegenüber Tichys Einblick betont der Haushaltspolitiker: „Jedes Watt, dass wir in dieser Zeit aus unabhängigen Quellen erzeugen, hilft der Energiesicherheit.“

Vom Handwerk des Blendens:

Dem Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss für das Bundeswirtschaftsministerium ist klar, anders als dem Ressortchef Robert Habeck von den Grünen, ohne moderne Kernkraft läuft Deutschland Gefahr, seine Versorgungssicherheit bei der Energie aufs Spiel zu setzen. Kernkraftbefürworter Mattfeldt ist deswegen unseren europäischen Nachbarn regelrecht dankbar, „dass sie weiter auf moderne Kernkraftwerke setzen“. Denn: „Nur durch Kernenergie kann Europa sein allzu ehrgeiziges CO2-Einsparziel erreichen.“

Haushälter Mattfeldt empfiehlt im TE-Gespräch zudem, sich Atomkraftprojekten mit Zukunft zuzuwenden: „Deutschland wäre sehr gut beraten, wenn seine Wissenschaftler und Techniker verstärkt im Bereich kalter Kernfusion forschen.“ Mit dem Stellarator „Wendelstein 7-X“ habe Deutschland in Greifswald ein einmaliges Zukunftsprojekt seit 2014 am Start. Der Forschungsreaktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik ist von Bundes- und Landespolitikern vor der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren fast schon versteckt worden.

CDU-Kanzlerin Angela Merkel, anfangs engagiert für längere Atomlaufzeiten, ließ sich bei dem hochmodernen Projekt in ihrem früheren Wahlkreis Mecklenburg-Vorpommerns zum letzten Mal 2016 sehen. Dabei konnte sich die Physikerin noch zu diesem Satz durchringen: „Das ist ein Startschuss für ein weltweit einzigartiges Experiment, das uns der Energiequelle der Zukunft einen entscheidenden Schritt näher bringen kann.“

Hat ihre Regierung in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet irgendetwas vorangebracht? Nix war‘s! Unionskreise geben heute zu: Merkel habe sich am Ende ihrer Amtszeit dafür kaum noch interessiert. Schließlich hätte eine zukünftige Atomkraft mit Kernfusion Made in Germany nur ihrem grünen Image geschadet.

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