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Auf zum letzten Gefecht

Published On: 21. April 2022 13:02

Die LINKE taumelt orientierungs- und führungslos ihrem endgültigen Untergang entgegen. Der gestrige Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow kommt viel zu spät und wurde auch merkwürdig begründet. Doch es geht um viel mehr. Von Rainer Balcerowiak



Es war ein Signal des politischen Aufbruchs. Am 16. Juni 2007 vereinigten sich die vorwiegend ostdeutsche PDS und die vor allem von westdeutschen Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, die von Gerhard Schröders „Agenda 2010“ enttäuscht waren, getragene WASG zur gesamtdeutschen Partei „Die LINKE“. Die damals noch ungegenderte Führung übernahmen mit Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zwei charismatische politische Schlachtrösser. Getragen wurde die neue Partei auch von realen sozialen Bewegungen, die sich vor allem gegen die Hartz-Reformen formiert hatten.

Es folgte eine Serie von nahezu triumphalen Wahlerfolgen. Bei den Bundestagswahlen 2009 erreichte die LINKE mit 11,9% ihr historisch bestes Ergebnis. Erstmals zog sie auch die Landtage von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und des Saarlands ein, dort sogar mit sagenhaften 21,3%.

Doch der Kitt zwischen den DDR-sozialisierten PDS-Kadern und der wilden westdeutschen Gemengelage aus gestandenen linken Sozialdemokraten und Linkssektierern aller Couleur, die von der neuen Partei wie die Motten vom Licht angezogen wurden, erwies sich allmählich als brüchig. Lafontaine zog sich 2010 aus der Bundespolitik zurück und legte sowohl den Parteivorsitz als auch sein Bundestagsmandat nieder. Dem folgenden Vorstandsteam – der Ostberliner Philologin Gesine Lötzsch und dem bayrischen Gewerkschafter Klaus Ernst – gelang es nicht, die Partei zu einen und weiterzuentwickeln. Zur „heimlichen“ Frontfigur und zum Gesicht der Partei in der Öffentlichkeit avancierte die frühere Europa- und seit 2009 Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht, die 2015 nach dem Rückzug von Gregor Gysi zusammen mit Dietmar Bartsch auch den Fraktionsvorsitz übernahm.

Niedergang in der „Ära Kipping“

Dem erfolglosen Vorstandsduo Lötzsch/Ernst folgten 2012 Katja Kipping und Bernd Riexinger, die dieses Amt bis zum Parteitag im Februar 2021, bei dem sie nicht erneut antraten, ausübten. Rückblickend kann man getrost von einer Phase des Niedergangs sprechen. Die erbitterte Auseinandersetzung über den Kurs, nicht nur, aber vor allem in der Migrationspolitik, brachte die Partei und die Fraktion ab 2016 an den Rand der Spaltung. Auf der einen Seite Kipping als Vertreterin einer postmodernen Identitätspolitik, auf der anderen die „Traditionssozialistin“ Wagenknecht mit der Fokussierung auf soziale Fragen auf nationalstaatlicher Grundlage. Wagenknecht und ihre Anhänger haben diesen Kampf verloren, sie gab schließlich den Fraktionsvorsitz ab und konnte nur nach erheblichen, skurrilen Schlammschlachten in ihrem Landesverband Nordrhein-Westfalen erneut einen sicheren Listenplatz für den Bundestag erreichen.

Zwei erfahrene und durchaus erfolgreiche Landespolitikerinnen sollten dann ab Februar 2021 diesen tief zerstrittenen Haufen wieder in die Spur bringen. Die hessische Fraktionschefin Janine Wissler und ihre thüringische Amtskollegin Susanne Hennig-Wellsow, die zuvor kurzzeitig bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte, als sie dem mit den Stimmen der AfD gewählten Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) nach dessen Wahl einen Blumenstrauß vor die Füße warf. Ihr guter Ruf basierte aber vor allem auf ihrer Rolle als Managerin der mitunter fragilen Koalition aus LINKEN, SPD und Grünen in Thüringen. Sie galt bei ihrer Wahl als Exponentin des „Reformerflügels“ der Partei.

Ihre Ko-Vorsitzende Janine Wissler wurde politisch in der trotzkistischen Gruppe „Linksruck“ sozialisiert, die sich später zu einem sehr erfolgreichen Karrierenetzwerk („Marx 21“) innerhalb der LINKEN entwickelte. Als Fraktionschefin in Hessen hatte sie sich den Ruf einer konsequenten, eloquenten Oppositionspolitikerin erarbeitet. Ihr Auftreten als Bundesvorsitzende wirkte auch deutlich souveräner als das der mitunter tollpatschigen Hennig-Wellsow. Doch die Partei voranbringen konnte auch sie nicht.

Ein bisschen zu „pluralistisch“

Als Wissler und Hennig-Wellsow am 26. Februar 2021 als neues Führungsduo gewählt wurden, übernahmen sie eine tief zerstrittene, in Teilen faktisch gespaltene Partei, die zuvor einige empfindliche Wahlschlappen kassiert hatte und mit einem mulmigen Gefühl der bevorstehenden Bundestagswahl entgegentaumelte. Dem möglicherweise geneigten Wähler war kaum zu vermitteln, wofür die LINKE eigentlich steht, denn in allen Politikfeldern gab und gibt es nahezu antagonistische Widersprüche innerhalb der Organisation. Raus aus der NATO oder nicht? Bedingungsloses Grundeinkommen oder Stärkung der Tarifbindung und der sozialen Sicherungssysteme? Offene Grenzen und Bleiberecht für Alle oder regulierte Zuwanderung? Schulterschluss auch mit islamistischen Verbänden oder Eintreten für die Säkularität?

Und über allem natürlich die Frage der strategischen Orientierung: „Rot-rot-grün“ um fast jeden Preis oder sozialistische Opposition. Und in der Wirtschafts- und Finanzpolitik begnügte man sich mit seltsam hohlen Leerformeln, was auch der – von einigen Ausnahmen abgesehen – mangelnden Fachkompetenz in diesen Bereichen geschuldet war. Weitgehend einig war man sich lediglich in der Anbiederung an (vor)moderne identitätspolitische Strömungen und die LGBTQIA+-Community – ein Feld, dass aber von den Grünen bereits weitgehend besetzt ist. Das gilt auch für die Klimapolitik, bei der sich die LINKE inzwischen als die „besseren Grünen“ positioniert.

In der Corona-Krise zeigte sich die Partei weitgehend gelähmt und tauchte phasenweise regelrecht ab. Auch hier wurde ein bunter Strauß divergierender Konzepte offeriert, von der „Zero Covid“-Strategie bis zum Protest gegen Einschränkungen der Grundrechte, von der Impfskepsis bis zur Unterstützung einer allgemeinen Impfpflicht.

Eine Partei, in der jeder macht, was er will, kann man nicht führen. Und man kann mit ihr auch keine erfolgreichen Wahlkämpfe mehr bestreiten. In keinem Politikbereich werden der LINKEN noch nennenswerte Kompetenzen zugeschrieben, und besonders in den alten Kernklientelen der sozioökonomisch Benachteiligten sanken die Zustimmungswerte rasant. Die bittere Quittung für diese Geisterfahrten bekam die Partei am 26. September 2021 bei den Wahlen zum deutschen Bundestag, als sie die 5-Prozent-Hürde verfehlte und nur durch ein überraschend gewonnenes drittes Direktmandat in Leipzig wieder als Fraktion in den Bundestag einziehen konnte.

Selbstzerstörung gewinnt weiter an Fahrt

Nach einer solchen Klatsche ist ein Rücktritt der Parteispitze eigentlich unausweichlich. Doch Wissler und Hennig-Wellsow machten einfach weiter. Das gilt auch für Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, die Doppelspitze der Bundestagsfraktion. Seitdem ist viel von „Aufarbeitung“ und einem „Ruck“, der durch die Partei gehen müsse, die Rede. Doch inzwischen ist das außerhalb der eigenen Blase nur noch von relativ geringem Interesse. Derweil geht der Selbstzerstörungsprozess munter weiter. Im Saarland, noch vor wenigen Jahren eine der Hochburgen der LINKEN in der alten BRD, zerlegte sich die Partei nach allen Regeln der Kunst und flog bei den Landtagswahlen mit Karacho aus dem Parlament. Wohl auch, weil „Übervater“ Oskar Lafontaine kurz zuvor erst seinen Rückzug aus der Politik und dann auch noch seinen Austritt aus der Partei verkündet hatte.

Bei den in diesem Jahr noch anstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat die LINKE nicht die Spur einer Chance, die 5-Prozent-Hürde zu überwinden. Das war ihr in diesen Ländern in den Jahren nach der Gründungseuphorie gelungen. In Berlin klammert sie sich an ihre Regierungsbeteiligung als kleinster Partner in einer „rot-grün-roten“ Koalition und hat dafür auch ihr wichtigstes Wahlkampfversprechen, die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, weitgehend entsorgt. Eine gewisse Stabilität scheint es nur in Thüringen zu geben, was aber weniger der Partei, sondern der Person Bodo Ramelow zu verdanken ist, der den Status eines „Landesvaters“ erreicht hat. Dessen ungebrochene Beliebtheit hat sich von der Zustimmung für seine Partei weitgehend entkoppelt, wie auch das schlechte Ergebnis der Thüringer LINKEN bei den Bundestagswahlen zeigt.

Auch die nächste große, diesmal internationale Krise hat die Partei kalt erwischt und prompt einen beeindruckenden, kakophonischen Chor zum Erklingen gebracht. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine reichte die Spannbreite von NATO-, Aufrüstungs- und Waffenlieferungs-Fans bis hin zu ziemlich unreflektierten „Putin-Verstehern“. Und als ob das nicht alles nun wirklich mehr als genug Ungemach wäre, kommt jetzt auch noch ein „Sex-Skandal“ dazu. Es geht um Fälle sexualisierter Gewalt im hessischen Landesverband, die intern wohl schon länger bekannt waren, wobei die heutige Parteivorsitzende Wissler möglicherweise keine allzu gute Figur gemacht hat. Inzwischen zieht die Affäre immer weitere Kreise und hat bei den in der Partei gut verankerten „Woken“ zu einer Art Generalmobilisierung gegen „Sexismus in der LINKEN“ und den Umgang damit geführt.

Ist diese Partei noch zu retten? Wohl kaum, denn sie ist längst ein diffuses Konglomerat aus diversen Strömungen und Flügeln, die ihre jeweiligen politischen Hauptfeinde innerhalb der Partei verorten und stark damit beschäftigt sind, die Vergabe von knapper werdenden Posten, Mandaten und gut bezahlten Jobs im Apparat, in den Fraktionen und in der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu organisieren, manchmal auch mit merkwürdigen taktischen Bündnissen. Zu nennen wären da vor allem die „Bewegungslinke“, die „Sozialistische Linke“, die „Antikapitalistische Linke“, die „Emanzipatorische Linke“ und das „Forum Demokratischer Sozialisten“. Der „Wagenknecht-Flügel“ ist weitgehend marginalisiert, sie selbst agiert inzwischen eher als der Partei entrückte Medien-Figur.

Höchste Zeit für was Neues

Hennig-Wellsow hat jetzt für sich die Notbremse gezogen und dies teilweise merkwürdig begründet. Zum einen verwies sie auf ihre private Lebenssituation, die es ihr nicht erlaube, „mit der Kraft und der Zeit für meine Partei da zu sein, wie es in der gegenwärtigen Lage nötig ist. Ich habe einen achtjährigen Sohn, der mich braucht, der ein Recht auf Zeit mit mir hat. Aber auch die LINKE braucht in dieser Situation eine Vorsitzende, die mit allem, was sie hat, für die Partei da ist“. Mit Verlaub: Das hätte sie sich auch vorher überlegen können, zumal sie ja „nebenbei“ noch im Bundestag sitzt.

Als zweiten Grund führt sie die „nötige Erneuerung“ an, „und diese Erneuerung braucht neue Gesichter, um glaubwürdig zu sein. Die LINKE hat es verdient, von Menschen geführt zu werden, die unseren Anhänger:innen und Mitgliedern wieder Mut machen“. Auch das hätte ihr früher einfallen können, etwa in den Tagen nach dem 26. September 2021.

Und als letzter Grund dann noch eine kaum verhohlene, volle Breitseite gegen ihre Co-Vorsitzende: „Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen hat eklatante Defizite unserer Partei offengelegt. Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der LINKEN eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat“.

Am 16. Juni könnte die LINKE ihren 15. Gründungstag feiern. Allzu fröhlich wird das wohl nicht verlaufen. Aber vielleicht wäre es ein gutes Datum, um darüber nachzudenken, wie man künftig in Deutschland linke soziale, ökologische und antimilitaristische Politik entwickeln und organisieren kann. Das ist bitter nötig, aber mit dieser Partei wird das wohl kaum noch möglich sein.

Titelbild: nitpicker/shutterstock.com

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