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Spital: Eingeliefert – ausgeliefert

Published On: 10. Juni 2022 9:18

Urs P. Gasche /  In Spitälern bleiben unzählige Körperverletzungen ohne Entschuldigungen und ohne Entschädigungen.

Wer ein Spital betritt, setzt sich einem erheblichen Risiko aus: Jeder zehnte Patient und jede zehnte Patientin erleidet wegen Behandlungsfehlern einen gesundheitlichen Schaden. Das sind in der Schweiz jedes Jahr 120‘000 Frauen und Männer. 60’000 davon wären vermeidbar. Also jeder zweite gesundheitliche Schaden müsste nicht sein. Solche vermeidbaren Behandlungsfehler führen bei etwa 2500 Patientinnen und Patienten sogar zum Tod. Diese vorsichtig geschätzten Zahlen stammen vom Bundesamt für Gesundheit. Sie beruhen auf seriösen Schätzungen, weil «unerwünschte Ereignisse» lückenhaft erfasst, gemeldet und schon gar nicht transparent veröffentlicht werden.

Schuld an dieser hohen Opferzahl sind hauptsächlich

  • unzweckmässige Abgabe von Medikamenten;
  • Infektionen, die man im Spital aufliest;
  • vermeidbares Wundliegen;
  • Behandlungs- und Operationsfehler;
  • falsche oder verspätete Diagnosen;
  • Fehler in der Pflege.

Lückenhaftes Erfassen und Auswerten der «unerwünschten Ereignisse»

Das Risiko, in Spitälern wegen eines vermeidbaren Fehlers zu sterben, ist ungleich grösser als das Risiko, sein Leben bei einem Flugzeugabsturz zu verlieren. Trotzdem werden nach dem Absturz eines Flugzeugs mögliche Fehlerquellen akribisch erfasst und untersucht, um weitere Abstürze möglichst zu vermeiden. Aus Fehlern wird das Maximum gelernt. Ganz anders in Spitälern: Interne Fehlermeldungen sind meistens freiwillig. Wo sie obligatorisch sind, werden unterlassene Meldungen nicht sanktioniert. Eine zentrale, staatlich kontrollierte Erfassung und Auswertung der Fehlermeldungen wie beim Flugverkehr gibt es nicht. Unter dem Deckmantel des Datenschutzes überwiegen Verschwiegenheit und Rücksichtnahmen.

Manche führen dies auf folgenden Unterschied zwischen Spitalärzten und Piloten zurück: Bei einem für die Passagiere tödlichen Pilotenfehler stürzt in der Regel auch der Pilot in den Tod. Im Gegensatz dazu bleiben Chirurgen und Spitalärzte gesund am Leben, wenn Patientinnen oder Patienten wegen vermeidbarer Fehler sterben oder gesundheitlichen Schaden nehmen.

Interessenkonflikt bei Kantonen – kein Mut beim Bund

Die Kantone stehen in einem Interessenkonflikt. Als Besitzer vieler Spitäler sind sie nicht daran interessiert, dass eine allenfalls unterdurchschnittliche Behandlungsqualität öffentlich bekannt wird

Der Bund erweist sich seit über fünfundzwanzig Jahren als Versager. Weitreichende Daten über Behandlungsergebnisse könnten im Internet längst zugänglich sein. Denn das Krankenversicherungsgesetz KVG übertrug dem Bundesrat ab 1996 die Pflicht, «systematische wissenschaftliche Kontrollen zur Sicherung der Qualität» durchzuführen. Um dieser Pflicht nachzukommen, hätte der Bundesrat von den Spitälern einheitlich erfasste Daten über die Behandlungsergebnisse einfordern müssen.

Doch trotz rund 2’500 Menschen, die jedes Jahr in einem Akutspital wegen eines – vermeidbaren – Fehlers sterben, und trotz mindestens 60’000 Behandelten, die jedes Jahr einen – vermeidbaren – gesundheitlichen Schaden erleiden, hatte der Bundesrat nicht den Mut, sich gegen die Lobbys der Spitäler und Ärzte durchzusetzen und vergleichbare Daten zu verlangen. Erst in den letzten Jahren kam es zu bescheidenen, unbefriedigenden Ansätzen.

Routine führt zu weniger Fehlern

Ein Beispiel: Internationale Studien haben, nicht ganz überraschend, längst ergeben, dass es zu weniger vermeidbaren Fehlern kommt, wenn Chirurgen und ihre Teams eine heikle Operation routinemässig und nicht nur wenige Male im Jahr durchführen. Längst hätte der Bund Mindestfallzahlen pro Spital und pro Chirurg den Kantonen schweizweit empfehlen können. Er tat es nicht.

Der Bund schafft auch keine Transparenz für die Patientinnen und Patienten. Denn bis heute veröffentlichten weder das Bundesamt für Gesundheit noch das Bundesamt für Statistik die Fallzahlen der einzelnen Chirurgen. Eine solche Veröffentlichung ist nach fünfundzwanzig Jahren erst geplant. Und selbst bei den publizierten Operationshäufigkeiten pro Spital werden ganze Spitalgruppen zusammengefasst und unseriös mit einzelnen Spitälern verglichen.

Machtlose Krankenkassen

Die Krankenkassen ihrerseits sind machtlos: Anders als in Holland verfügen sie über keine Vertragsfreiheit. In den Niederlanden dürfen Kassen beispielsweise Operationen in einem bestimmten Spital von der Versicherungsdeckung ausschliessen, wenn das Spital diese zu selten durchführt.

Grösste Fehlerquote mit Medikamenten

Spitäler liefern – lückenhaft erhobene – Fehlermeldungen anonymisiert an die Stiftung für Patientensicherheit, damit diese Verbesserungsvorschläge erarbeitet. In einem Zwischenbericht kam die Stiftung zum Ergebnis, dass fehlerhafte Verwendungen von Medikamenten 30 bis 50 Prozent aller unerwünschten «Ereignisse» verursachen, die einen gesundheitlichen Schaden zur Folge haben. Im Vergleich dazu kommen andere Behandlungsfehler wie venöse Thrombosen, Infektionen beim Einsatz eines Katheters, Stürze oder Wundliegen seltener vor.

Ein Hauptgrund für den fehlerhaften Medikamenteneinsatz sind die vielen Packungen, die ähnlich aussehen und mit phantasievollen Markennamen gekennzeichnet sind. Patienten- und Konsumentenorganisationen wie die SKS fordern schon lange,

  • dass auf allen Medikamentenpackungen mit der grössten Schrift die enthaltenen Wirkstoffe stehen statt Markennamen, und
  • dass Medikamente für die gleichen therapeutischen Anwendungen die gleiche Farbe haben müssen.

Doch davon will die Pharmaindustrie nichts wissen. Das Propagieren ihrer jeweiligen Markennamen ist ihr wichtiger als die Folgen von Medikamentenverwechslungen für Patientinnen und Patienten. Die Behörden fühlen sich gegenüber den Pharmakonzernen offensichtlich so machtlos, dass sie unverwechselbare Kennzeichnungen der Medikamentenpackungen nicht einmal vorschlagen – auch auf europäischer Ebene nicht.

Im IT-Zeitalter immer noch keine elektronische, einheitliche Datenerfassung

Eine weitere Massnahme wäre das obligatorische Erfassen der Abgabe von Medikamenten in einem elektronischen Patientendatendossier, das sofort Alarm schlägt, wenn ein neu eingegebenes Medikament mit einem anderen, bereits abgegebenen Medikament möglicherweise nicht kompatibel ist oder mit der eingegebenen Diagnose nichts zu tun hat.

Doch von einem einsatzfähigen elektronischen Patientendossier ist die Schweiz noch weiter entfernt als Deutschland und um Meilen entfernter als etliche skandinavischen und baltischen Länder. Solche Dossiers müssen schweizweit kompatibel sein, weshalb der Bund schon längst die Federführung hätte übernehmen müssen.

Doch das Parlament in Bern kümmert sich viel zu wenig um die vielen Patientinnen und Patienten, die wegen vermeidbarer Fehler zu Schaden kommen: Die Fehler führen zu längeren Spitalaufenthalten sowie ungeplanten Nachoperationen und Behandlungen.

Zudem erhöhen die vermeidbaren Fehler die Kosten und Prämien.

Opfer warten in der Regel vergeblich auf eine Entschädigung

Die Parlamente in der Schweiz und in Deutschland lassen die Patientinnen und Patienten seit langem auch in anderer Hinsicht im Stich. Denn anders als etwa in Schweden oder in Österreich haften Spitäler und Ärzte in der Schweiz und in Deutschland für Fehler höchstens dann, falls mindestens eine Grobfahrlässigkeit bewiesen ist. Den Beweis dafür müssten die Geschädigten erbringen, obwohl sie keinen Zugang zu den internen Abläufen im Spital haben. Deshalb bleiben Betroffene in den allermeisten Fällen ohne Entschädigung und Genugtuung, selbst wenn sie an Folgen von vermeidbaren Fehlern lebenslang leiden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.


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