Spenden ist nicht so einfach!

Published On: 14. Juni 2022 15:00

Dr. Raissa Steinigk (73) ist in der Ukraine geboren und aufgewachsen. Sie hat in Kiew studiert und in einem — für die DDR typischen — deutsch-sowjetischen Austauschprogramm drei weitere Jahre in Leipzig studiert. Sie promovierte an der Erfurter Universität, wo sie auch Dozentin war.

1990 verlor sie, wie die Mehrheit der ehemaligen DDR-Hochschuldozenten, ihre berufliche Position, eröffnete eine Galerie für moderne russische Kunst in Erfurt und setzte sich aktiv für die deutsch-russische Völkerverständigung ein.

Seit Mitte der Neunzigerjahre war sie außerdem als Unternehmensberaterin für russische und ukrainische Firmen aktiv. Ein Jahr nach dem Regime Change in Kiew gründete sie das Aktionsbündnis Zukunft Donbass e.V. Seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine in diesem Jahr schickt das Bündnis mehr Hilfslieferungen denn je in die umkämpften Gebiete.

Katrin McClean: Wie kam es zur Gründung des Aktionsbündnisses Zukunft Donbass e.V. ?

Raissa Steinigk: Ich bin Ukrainerin und war immer mit meinem Land verbunden, ich sehe regelmäßig ukrainisches und russisches Fernsehen. Als ich die Bilder vom Maidan sah, habe ich geweint. Ich wusste, dass diese Ereignisse mein Land zerreißen würden. Und so kam es dann ja auch. Ich verstehe sehr gut, dass sich die Menschen im Osten der Ukraine von der neuen Regierung bedroht fühlten. Russisch sollte in der Schule abgeschafft werden, sie sollten ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Russland reduzieren oder einstellen.

Die ukrainische Regierung hatte sie ja sogar auf zynische Weise aufgefordert, doch nach Russland zu gehen, wenn ihnen die neue Politik nicht gefällt. Doch sie wollten in ihrer Heimat bleiben. Nach der Gründung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden diese Regionen immer wieder von der ukrainischen Armee unter Artilleriebeschuss genommen. In dieser Situation wollte ich meinen Landsleuten dort helfen und so gründete ich diesen Verein.

Welche Hilfe leisten Sie konkret, woher wissen Sie was gebraucht wird?

Meine Tochter und ich haben persönliche Beziehungen in diese Region und im Laufe der vergangenen Jahre sind das natürlich immer mehr geworden. Wir sind mehrmals selbst vor Ort gewesen, um uns ein Bild von der Lage zu machen und Kooperationspartner zu finden, damit der Spendenprozess unter Kontrolle bleibt. Spenden ist nicht so einfach. In einem Land, in dem Krieg herrscht, geraten Spenden nur allzu leicht in die falschen Hände.

Anfangs haben wir tonnenweise Babynahrung geschickt. Dann stellte sich heraus, dass die Krankenhäuser in großer Not waren. Viele waren von der ukrainischen Armee beschossen worden, es fehlte an Betten, Utensilien, Behandlungsgeräten, kurz an allem. Die haben wir dann geliefert. Inzwischen führen wir Bestelllisten, in die unsere Partner in Lugansk und anderen Städten im Donbass alles eintragen, was sie benötigen.

Wie haben Sie denn medizinische Technik besorgt?

Wir haben hier in Thüringen gute Partner gefunden, Krankenhäuser und Unternehmen, die uns ausrangiertes Inventar abgaben. Und das auch immer noch tun. Natürlich sind die technischen Geräte alle positiv auf Funktionstüchtigkeit geprüft. Außerdem haben wir großzügige Spender gefunden, Leute, die sich viele Gedanken machen und auch manche Berichterstattung kritisch sehen, häufig Intellektuelle.

Ihre Hilfslieferungen gingen und gehen ja in jene Regionen, die unsere Medien als von Russland unterstützte „Separatistengebiete“ bezeichnen. Wissen Ihre Spender das?

Natürlich wissen sie das. Wir haben ihnen viel von den Problemen dort erzählt und Bilder gezeigt. Insgesamt hat dieser Konflikt vor dem Februar 2022 ja schon mindestens 12.000 Menschenleben gekostet. Mehr als 70 Prozent dieser Todesopfer waren Bürger aus dem Donbass. Gut die Hälfte davon Zivilisten, Frauen, Kinder, kranke und alte Menschen.

Unsere Spender wissen, dass sie dort helfen, wo die Not am größten ist.

Außerdem werden alle Hilfsleistungen vor Ort dokumentiert. Die Spender können sehen, wo und wie ihre Spende eingesetzt wird. Das gibt ihnen das Vertrauen, dass alles in die richtigen Hände gelangt.

Außerdem machen wir immer wieder klar, dass wir keine politische Arbeit machen. Eine Aktion von uns heißt „Brot statt Worte“. Alte Menschen in der Volksrepublik Lugansk erhalten jedes Jahr zu Weihnachten ein Carepaket von uns.

Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Organisation solcher Hilfstransporte?

Da gibt es sehr viele.

Sie können zum Beispiel nicht durch die Ukraine fahren, um in den Donbass zu kommen. Aktivisten, die das versucht haben, wurden in der Zentralukraine gestoppt und die Spendengüter wurden beschlagnahmt, mit der Begründung, die könne man auch im Westen der Ukraine gut gebrauchen.

Wir arbeiten mit einem weißrussischen Transportunternehmen zusammen, bei dem wir uns darauf verlassen können, dass jede Ware, jeder einzelne Karton genau dort ankommt, wo er hin soll. Die Lkw-Fahrer müssen über 3.000 Kilometer bis nach Lugansk fahren. Über die Ukraine wären es nur 1.600.

Und dann geht es nicht ohne Bürokratie. Hier in Deutschland fängt es bei den Zollpapieren an. Auch die Volksrepublik Lugansk hat ihre eigenen Behörden und die kontrollieren solche Spendentransporte sehr streng. Im Krieg werden Spendentransporte oft für Schmuggel oder Schwarzhandel missbraucht. Seit März ist es sowieso noch schwieriger geworden. Zum Beispiel kann man kaum noch Überweisungen nach Weißrussland machen.

Wegen der Sanktionen?

Noch nicht einmal! Manche Finanzinstitute stoppen solche Überweisungen von sich aus. Die willkürliche Boykottierung von allem, was russisch oder weißrussisch ist, scheint eine regelrechte Krankheit geworden zu sein.

Haben Sie in Deutschland um politische Unterstützung gebeten?

Mehrfach. Anfangs, also ab 2016, habe ich mehrere Bundestagsabgeordnete hier in Thüringen angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Aber da kam keine Antwort. Genauso wenig von den Parteien. Lediglich die AfD lud mich zu einer Info-Veranstaltung ein. Auf der Suche nach neuen Spendern habe ich auch dort zugesagt, obwohl mein Mann und ich bis dahin immer die Linke gewählt hatten. Nach dieser Veranstaltung erhielt ich furchtbare Anfeindungen aus der linksextremen Szene.

2017 bis 2018 zeichnete sich bereits ab, dass sich der Konflikt in der Ukraine immer weiter verschärfen würde. Meine Tochter und ich waren überzeugt davon, dass viele Menschen sich einfach nie mit der russischen Perspektive beziehungsweise den Problemen der Menschen im Donbass beschäftigt hatten. Wir glaubten, wenn wir darüber mehr aufklären würden, könnten wir zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beitragen. Wir wollten entsprechende Veranstaltungen organisieren und hatten schon mehrere Referenten aus Russland, aus der Ukraine und aus Deutschland angesprochen. Alles Experten, die eher neutrale und vermittelnde Positionen einnehmen. Aber dafür brauchten wir Geld.

Wen haben Sie da um Unterstützung gebeten?

Ich kannte Bodo Ramelow noch von früher, als ich als Wirtschaftsberaterin für die Ukraine aktiv war. Er gab die Sache an seinen Kultusminister Benjamin Hoff weiter, der ebenfalls von der Partei die Linke ist. Der schrieb mir jedoch nur eine lapidare Antwort, er könne sich nicht darum kümmern. Schon damals war sehr deutlich, dass die Linke keinerlei Interesse an einer deutsch-russischen Verständigung mehr hatte. Das war früher ganz anders. Ich war ja früher im Petersburger Dialog aktiv. Gerade in Krisenzeiten wären kultureller Austausch und Dialog doch wichtiger denn je.

Wie sehen Sie die politischen Solidaritätsbekundungen, die es jetzt für die Ukraine gibt?

Ich finde das sehr populistisch und es hilft niemandem wirklich.

Aber Deutschland hat mehr als 600.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen.

Nicht nur Deutschland nimmt Flüchtlinge auf, Russland hat bereits 1,6 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, vor allem Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten. Viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, verlassen Gebiete, die vom Krieg kaum betroffen sind. Das ist nicht gut für die Ukraine. Im ukrainischen Fernsehen wurde bereits beklagt, dass es mehr als 400.000 leere Arbeitsstellen gibt.

Auch die Hilfslieferungen sind nicht gut organisiert. Die Stadt Ruhla, wo ich wohne, hat einen Hilfstransport in die Ukraine geschickt. Engagierte junge Menschen haben das alles organisiert. Als sie über Polen die Grenze zur Ukraine erreichten, wurden sie aufgefordert, die Spenden in sogenannten Sammellagern abzugeben. Dort waren Berge von Bekleidung, Lebensmitteln und so weiter, auf die sie nun auch ihre Sachspenden verteilten. Niemand kann überprüfen, was weiter damit geschieht.

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Konflikt?

Eine sehr tragische. Sie schaden allen. Ich sehe Nachrichten aus drei Ländern, aus Russland, aus der Ukraine und aus Deutschland. Alle machen Propaganda, aber mein Eindruck ist: In Russland bemüht man sich wenigstens um einen sachlichen Ton und es gibt einige alternative Sender, in denen auch kritische Stimmen vorkommen. Am schlimmsten ist momentan das ukrainische Fernsehen. Dort fallen sehr zynische Sätze wie etwa „Nur ein toter Russe ist ein guter Russe“. Früher gab es auch oppositionelle ukrainische Fernsehsender, im Februar 2022 wurden die letzten beiden abgeschaltet. Jetzt gibt es nur noch einen einzigen Sender und der propagiert unverhohlen ein russisches Feindbild.

Und das deutsche Fernsehen?

Ich habe das Gefühl, dort weiß niemand, worüber er eigentlich spricht. Die gesamte Vorgeschichte und der militärische Konflikt seit 2014 werden ausgeblendet. Vor allem, was die Ukraine selbst zur Eskalation beigetragen hat, wird verschwiegen. Zum Beispiel der Artilleriebeschuss und die permanente Verletzung des Minsker Abkommens. Im ukrainischen Fernsehen wurde Anfang Februar die militärische Einnahme der Volksrepubliken angekündigt. Die Armee und ihre Militärtechnik wurden bereits an die Grenze zu den Volksrepubliken verlegt und es wurde gesagt: Unsere Armee hat 130.000 Soldaten, mit denen werden wir die 30.000 Mann der Volksmilizen im Donbass besiegen. Das ging in der Ukraine Anfang Februar ganz offen über den Sender! Im deutschen Fernsehen hört man davon nichts.

Die Berichterstattung hier ist einseitig und schürt das Feindbild Russland. Damit schaden die Medien allen Seiten. Vor allem werden noch mehr Zivilisten in den umkämpften Gebieten sterben. Die ukrainische Armee hat gerade neue Waffen mit größerer Reichweite von den USA bekommen, damit beschießen sie jetzt zivile Ziele im Donbass. Auf beiden Seiten werden immer mehr Soldatenleben geopfert.

Die Waffenlieferungen, die das deutsche Fernsehen so verteidigt, beenden den Krieg nicht. Sie verlängern ihn. Und je länger der Krieg dauert, umso mehr wird die Ukraine zerstört.

Und unter den Sanktionen werden noch mehr Menschen leiden. Krieg ist für alle eine Katastrophe und niemand kann ihn wirklich gewinnen.

Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie im aktuellen Konflikt?

Es muss so schnell wie möglich zum Waffenstillstand kommen. Wenn Zelenski die Ukraine wirklich retten will, kann er eigentlich nur eines tun: Er muss sich auf Verhandlungen einlassen und dafür sorgen, dass es zwischen den Volksrepubliken und der Zentralukraine ein friedliches Miteinander geben kann. Und Russland darf sich nicht ständig bedroht fühlen. Mit Verhandlungen könnte Zelenski viele Menschenleben retten.

Was können unsere Leser tun, um Ihrem Aktionsbündnis zu helfen?

Jede Hilfe ist willkommen. Auf unserer Internetseite finden Sie unser Spendenkonto. Außerdem können Sie eine aktuelle Liste mit benötigten Dingen anfordern und uns entsprechende Sachspenden zukommen lassen. Ich betone noch mal, dass wir garantieren können, dass alle Spenden bei den zivilen Opfern dieses Krieges ankommen. Und sie werden dringend gebraucht.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

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