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Ein Angriffskrieg, der keiner ist

Published On: 18. Juni 2022 10:54

Ein Kommentar von Bernd Lukoschik.

Abschied von Recht und Moral

Es bieten sich zwei Herangehensweisen an, um die Frage zu beantworten, ob Russland einen Angriffskrieg führt oder nicht. Die erste ist eine Art staatspsychologische, die andere eine geopolitisch-geschichtsphilosophische.

Beide Herangehensweisen sehen von ethischen Bewertungen ab. Denn Ethik gibt es nicht nur eine, sondern viele, und das nicht nur zwischen den Nationen, sondern innerhalb jeder Nation selbst.

Es gibt nicht die eine allgemein verbindliche und objektiv begründbare Ethik bzw. Moral. Und wenn im Krieg verschiedene Nationen aufeinandertreffen: Wessen Ethik sollte zählen?

Insofern zeugt es auch von einer tiefgehenden Unbildung unserer Politiker – vor allem der Politiker aus der grünen Ecke. Sie gehen moralisierend an ihre politischen Aufgaben heran, als hätte die Anwendung von „gut“ und „böse“ in der Politik einen Sinn. In der Politik geht es allein um Interessen und deren Ausgleich und um Macht. Um nichts sonst.

Auch die Anwendung des Rechts, des Völkerrechts, hat in dem vorliegenden Fall leider keinen Sinn. Schon lange vor der Ukrainekrise haben die USA die UNO und ihre Charta zur Bedeutungslosigkeit verurteilt und stattdessen ihre sogenannte regelbasierte Weltordnung etabliert: Das Recht des Stärkeren zählt, er allein gibt die Regeln, und der Stärkere, das waren natürlich die USA.

Ethik und Recht lassen sich also mindestens in diesem Konflikt nicht mehr sinnvoll, weil nicht allgemein verbindlich, anwenden.

Somit macht es auch keinen Sinn, Russlands Angriffskrieg auf der Folie von Recht und Ethik zu analysieren. Was bleibt, ist der Versuch, den Angriffskrieg zu erklären mit dem Ziel, herauszufinden, ob die Klassifizierung des Kriegs als Angriffskrieg zutreffend ist.

Der vorliegende Versuch tut das, indem er erstens eine Art „Staatspsychologie“ anwendet, zweitens einem geschichtsphilosophisch-geopolitischen Ansatz nachgeht. Aus beiden Versuchen wird sich ergeben, dass von einem Angriffskrieg nicht die Rede sein kann.

Staatspsychologie: Tun oder Handeln

Eine Tat ist nur dann eine Handlung, wenn sie eine Vorgeschichte hat und aus Beweggründen bzw. Motiven und um eines Handlungszweckes willen geschieht.

Fehlen diese drei Bedingungen, dann ist es keine Handlung, sondern ein Tun, eine Aktivität, eine Reaktion auf einen Reiz. Das Tun bildet in diesem Fall lediglich ein Moment eines Reiz-Reakions-Mechanismus. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kniesehnenreflex: Schlage ich mit einem Hämmerchen au die weiche Stelle unterhalb der Kniescheibe, springt sofort das ganze Bein nach vorn. Man mag das wollen oder nicht: Man kann dem willentlich nichts entgegensetzen. Man handelt nicht, sondern reagiert lediglich.

Russlands Angreifen: eine Handlung

Diese Reiz-Reaktions-Struktur hat der Angriff Russlands auf die Ukraine sicherlich nicht. Ein Indiz dafür ist allein schon die westliche Antwort auf Russlands Vorgehen: Würden die USA, die EU und NATO von einem Reiz-Reaktions-Mechanismus ausgehen, dann dürften sie Russland nicht verurteilen. Ja, sie könnten es nicht. Verurteilen setzt nämlich voraus, dass der Angeklagte verantwortlich ist, dass er also aus Beweggründen das tat, was er tat, dass er Absichten dabei hegte, kurz: dass er handelte.

Der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine war also eine Handlung.

Wenn das der Fall war, dann ist es unangebracht, sich bei der Frage: Handelt es sich um einen Angriffskrieg?, allein auf „das einseitige Überschreiten der ukrainischen Landesgrenze in feindlicher Absicht“ als entscheidendes Kriterium für das Vorliegen eines Angriffskriegs zu konzentrieren.

Das heißt: Die übliche Redeweise der US-NATO: „Putin führt einen Angriffskrieg, denn er befahl das Überschreiten der ukrainischen Grenze in feindlicher Absicht“, definiert einen Angriffskrieg allein über die aggressive Grenzüberschreitung. Und das wird dem Gesamtgeschehen nicht gerecht.

Die Grenzüberschreitung in feindlicher Absicht ist nur ein Aspekt der (Gesamt-)Handlung, die wesentlich, um Handlung zu sein, Motive und Zwecksetzungen einschließt, die also in die Vergangenheit zurückgreift und in die Zukunft weist.

Beweggründe und Zwecksetzungen müssen also ebenfalls in die Klassifikation der Handlung, ob sie einen „Angriff“ darstellt oder nicht. einbezogen werden.

Eigentlich Binsenwahrheiten, vor allem Wahrheiten, die die NATO für ihre Angriffskriege der letzten Jahrzehnte immer schon für sich in Anspruch nahm. Immer schon rechtfertigte sie ihre einseitigen kriegerischen Grenzüberschreitungen mit den Hinweis darauf, man wolle Demokratie und Freiheit den angegriffenen Ländern bringen und müsse dafür den jeweiligen Autokraten beseitigen – Zweck und Ziel der Angriffshandlung –, man sei in seinen Sicherheitsbedürfnissen wegen des Vorhandenseins von Massenvernichtungswaffen oder deren anstehender Produktion und Installierung bedroht – Motive der Handlung.

Um also das Vorgehen Russlands gegenüber der Ukraine bewerten, um überhaupt das Vorgehen als „Angriffskrieg“ klassifizieren zu können, muss zunächst bestimmt werden, welchen Stellenwert der Angriff bzw. die einseitige kriegerische Grenzüberschreitung im Gesamt der Handlung Russlands einnimmt:

Motive und Vorgeschichte des Angreifens

Das konkrete Vorgehen Russlands seit dem 24. Februar, seit dem militärischen Überschreiten der ukrainischen Grenze, ist ein Aspekt einer Gesamthandlung, deren Rahmenbedingungen bereits sehr früh entstanden (1) und sich aus folgenden Ereignissen zusammensetzen:

Die US-dominierte NATO dehnte sich seit den 1990er-Jahren stetig Richtung Russland aus. Selbst Jelzin, der noch eng mit den USA zusammenarbeitete, sah das westliche Vorgehen mit Argwohn.

Der ABM- und der INF-Vertrag zur Begrenzung von Raketensystemen und dem Verbot von Raketenabwehrschirmen wurden seitens der USA gekündigt. Damit wurde die Sicherheitsarchitektur in Europa mit Beginn der 2000er-Jahre infrage gestellt, wovon die USA profitierten, Russland hingegen bedroht wurde.

Im Rahmen der von den USA propagierten und „gelebten“ unipolaren Weltordnung drängte die US-NATO die UNO ins Abseits und überzog, systematisch geplant, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien mit verheerenden illegalen Kriegen. Illegal, weil sie ohne jedes UN-Mandat erfolgten.

Zudem führten die USA mit verdeckten Operationen Staatsstreiche nach altem CIA-Muster durch, den für heute entscheidenden in der Ukraine 2014.

Bei alldem sah sich Russland zunehmend in seinen Sicherheitsinteressen bedroht. Russland mit China mit militärischen Mitteln einzudämmen war zudem ganz offen erklärte Politik der USA (National Defense Strategy) (4).

Russland musste sich also bedroht fühlen – weil, so der dargestellte Wandel im Verhältnis zur US-NATO, Russland zunehmend bedroht wurde.

Hinzu kommt die nähere Vergangenheit seit dem Maidanputsch 2014 (2)(3):

In den Jahren seit dem Putsch wurden systematisch NATO-Soldaten in der Ukraine stationiert, die Ukraine mit westlichen Waffensystemen ausgerüstet und die militärische Infrastruktur NATO-kompatibel gemacht.

In einem Dekret März 2021 kündigte Selenskyj die „Entbesetzung“ der Krim an, woraufhin sich über das Jahr 2021 hin ukrainische Truppen in der Südukraine konzentrierten.

Selenskyj distanzierte sich Ende 2019 offen vom Minsker Abkommen, einem völkerrechtlich abgesicherten Vertrag, der das Verhältnis zwischen den Donbassgebieten und Kiew klären sollte. Dieser Absetzbewegung folgten dann Ende 2021 zwei der drei Garantiemächte des Minsker Abkommens: Deutschland und Frankreich.

Einen russischen Vertragsentwurf vom Ende 2021zu gegenseitigen Sicherheitsgarantien zwischen den NATO-Staaten und Russland wiesen die USA rüde zurück.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz forderte Selenskli unter dem Beifall der anwesenden westlichen Teilnehmer die atomare Bewaffnung seines Landes.

Am 19. Januar 2022, also noch vor dem militärischen Eingreifen Russlands verabschiedete der US-Kongress das sogenannte Land-Lease-Gesetz (3), mit dem dem US-Präsidenten freie Hand in der Bewaffnung der Ukraine gegeben wurde. Interessant ist, dass das erste Land-Lease-Gesetz 1941 verabschiedet wurde, und zwar im Krieg, als die USA den Briten verstärkt und unbürokratisch Waffen zukommen lassen wollten.

Bereits Januar gingen die USA daher von einem anstehenden Waffengang aus.

Ab dem 12. Februar 2022 nahm die Bombardierung des Donabass, seitens der OSZE offiziell bestätigt, extrem zu. Ukrainische Armee und russophobe und rechtsextreme Freiwilligenverbände wurden an der Grenze zwischen Donbass und der Westukraine massiv konzentriert.

Am 15. Februar schlug die Duma vor, die beiden Donbass-Republiken Donezk und Luhansk anzuerkennen, um sie bei ihrer Selbstverteidigung militärisch unterstützen zu können.

Am 21. Februar kam Putin diesem Vorschlag nach. Gemäß UN-Charta ergab sich damit die Möglichkeit, den Republiken militärische Unterstützung gegen die ukrainische Armee zu gewähren.

Folgen für die Psychologie des russischen Handelns

Thomas Röper fasst diese Vorgeschichte zum Ukrainekrieg mit folgenden Worten (3) treffend zusammen:

„Der Westen hat eskaliert, provoziert und Russland so lange in di Enge getrieben, bis die russische Regierung keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat, als seine Sicherheitsinteressen militärisch durchzusetzen.“

Im wahrsten Sinne des Wortes wurde hier der russische Bär gezielt und beabsichtigt so lange an die Wand gedrückt, bis er, existenziell bedroht, zurückschlagen musste.

Diese Situation ist aus dem Gerichtswesen bekannt. Handelt der Angeklagte aus solcher Not und tötet er den Bedränger, dann handelt es sich nicht um Mord, sondern um Totschlag aus Notwehr.

Die Individualpsychologie lässt sich hier ohne Weiteres auf das Staatshandeln übertragen. Aufgrund der Motivlage des staatlichen Akteurs kann nicht mehr sinnvoll von einem „Angriff“ gesprochen werden.

Geopolitischer und geschichtsphilosophischer Ansatz

Geopolitische Betrachtung und Geschichtsphilosophie versuchen, ein Ereignis aus großem Abstand gesehen in einen übergreifenden historischen Prozess einzuordnen und ihm dadurch seine Bedeutung für das Ganze zu verleihen. Übergreifender historischer Prozess meint damit einen Ereignisablauf, der sich weltweit und über große zeitliche Räume hinweg entwickelt und auswirkt.

Was nun die geschichtliche Rolle der Ukrainekrise, ihre geopolitische Funktion, angeht, so gibt Augusto Zamora Rodriguez in seinem Aufsatz „Der Tod Europas und die Geburt einer neuen Ordnung“ (4) (5) auf einleuchtende Weise eine historische Einordnung.

Direkt zu Beginn zieht er die Konsequenz aus seiner anschließenden geopolitischen Analyse:

„Wir weigern uns, das als Invasion oder Krieg zu bezeichnen, obwohl es technisch gesehen beides sein kann.“

Nicht nur ist nach Rodriguez das Geschehen in der Ukraine kein Angriffskrieg, es gilt ihm sogar als gar kein Krieg. Das klingt natürlich regelrecht provozierend und glatt an der Realität vorbeigesehen.

Die Aussage wird jedoch verständlich, wenn man bedenkt, dass es hier um eine geopolitische und globale Einordnung des Geschehens geht. Und da in der Geschichtsphilosophie der Blick auf das Ganze erst die wahren Verhältnisse und die wahre Bedeutung des Teils offenbar werden lässt, darf man annehmen, dass Rodriguez’ Analyse der wahren Bedeutung des Ukrainekonflikts am nächsten kommt.

Rodriguez sieht den Ukrainekonflikt aus der Perspektive insbesondere zweier US-Dokumente aus dem Jahre 2018, der „National Defense Strategy“ und der „Providing for the Common Defense“. In ihnen legt die amerikanische Politik ihre langfristigen Strategien fest. Und diese, so die Dokumente, sind eindeutig dominiert von der zunehmenden Konfrontation zwischen den USA auf der einen Seite und China und Russland auf der anderen. Rodriguez formuliert dies geschichtsphilosophisch:

„Es ist der alte Kampf zwischen der Welt, die geboren werden will, und der Welt, die sich weigert, zu sterben …, hervorgerufen durch die Weigerung der NATO, sich nicht weiter Richtung Russland auszudehnen. Denn das, und nichts anderes, ist der Grund für die militärische Aktion, Sicherheit für Russland zu gewinnen, was die Europäische Union/NATO ablehnt, was darauf schließen lässt, dass sie an ihrer Expansionspolitik festhalten.“

Wer sich weigert zu sterben, das ist die unipolare Weltordnung unter der Hegemonie der USA und dem Petrodollar. Was entstehen will, das ist die multipolare Ordnung, mit mehreren Mächten, die auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren.

In diesem Kampf ist die Ukraine nichts als eine Spielfigur, ein Anlass, die beiden Weltordnungen miteinander zu konfrontieren.

Eingebunden in dieses Kontinuum des historischen Kampfs um eine neue Ordnung macht es keinen Sinn mehr, den Krieg als Angriffskrieg zu klassifizieren. Denn nicht allein die Ukraine wird unter dem geschichtsphilosophisch-geopolitischen Entwurf der US-Dokumente zur Spielfigur, sondern auch Russland!

Es ist, als spräche sich in den US-Dokumenten ein Geschichtssubjekt aus und verkünde, worum es in naher und ferner Zukunft gehen werde.

Diese Bedeutung der Dokumente gestehen indirekt Geostrategen wie George Friedman des US-Thinktank STRATFOR auch zu, wenn sie davon sprechen, die amerikanische Langzeitstrategie der Konfrontation mit Russland und China sehe es vor, Russland zu schwächen oder „to bleed the Russians“ (6), wie es in Afghanistan geschah. Und genau dies soll der „Angriff“ Russlands leisten. So wird die Ukraine zur Falle, wie auch Rodriguez schreibt:

Es geht der US-NATO nicht

„um die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine, sondern darum, die Ukraine als Falle zu benutzen, damit der europäische Hühnerstall blindlings und massenhaft seine Rolle als atlantische Flanke der USA übernimmt“

Die Ukraine wird von dem „Geschichtssubjekt“ benutzt – und Russland wird ebenfalls benutzt, indem die US-NATO so lange Russland – wie Thomas Röper festgestellt hat (s.o.) – reizt, bis es nicht mehr anders kann als „anzugreifen“, um in einem langfistigen Krieg auszubluten.

Dieser „Angriff“ war also nur dem Schein nach ein Angriff, aus der Warte des lokalen Betrachters. In Wirklichkeit, aus der Warte des geopolitisch Schauenden, war es eine Abwehrreaktion, geplant von den US-Dokumenten, der Wort gewordenen Langzeitstrategie der US-Außnpolitik.

Den wahren Angriff führten die US-NATO schon lange vorher.

Quellen:

(1) Wurzeln eines Krieges, von John Mearsheimer, apolut.net, Podcast

(2) Die Politik der USA war es immer zu verhindern, dass Deutschland und Russland enger zusammenarbeiten, von Jacqzús Baus, zeitgeschehen-im-fokus.ch

(3) US-Gesetz zeigt: Der Westen hat die russische Militäroperation bewusst provoziert, von Thomas Röper, anti-spiegel.ru

(4) Der Tod Europas und die Geburt einer neuen Ordnung von Augusto Zamora Rodriguez, clubderklarenworte.de

(5) USA – raus aus Europa, apolut.net Standpunkte

(6) https://www.nationalheraldindia.com/opinion/clinton-gives-the-game-away-bleed-russians-in-ukraine-like-afghanistan

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Miha Creative / Shutterstock.com

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