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Kabarettist Uwe Steimle: „Früher war ich eine Person des Zeitgeschehens, heute eine Persona non grata“

Published On: 26. Juni 2022 12:11

Ein Interview von Eugen Zentner mit Uwe Steimle.

Der Kabarettist Uwe Steimle war früher ein bekanntes Gesicht aus dem Fernsehen. Er spielte in Filmen mit, hatte beim MDR jahrelang eine eigene Sendung und trat in Talkshows auf. In seinen Aussagen bemühte sich der Künstler stets um Authentizität. Der öffentlichen Meinung nach dem Mund zu reden, entspricht nicht seinem Charakter. Er nimmt sich auch Themen an, die als Tabu gelten. Der Gegenwind ließ nicht lange auf sich warten. Nach und nach wurde er recht grob aus dem Mainstream verbannt. Heute betreibt er auf YouTube zwei eigene Show-Formate – und fühlt sich freier denn je. Im Interview spricht der Kabarettist nun über seine Erfahrungen der letzten Jahre, über perfide Methoden der Cancel Culture und über seinen Neuanfang in den alternativen Medien.

Herr Steimle, Sie gehören zu den Künstlern, die sich nicht den Mund verbieten lassen. Ihre Kritik bewegt sich oft jenseits von öffentlichen Narrativen. Das nehmen Ihnen die Leitmedien übel. Welche einschneidenden Erfahrungen mit Cancel Culture haben Sie in den letzten Jahren gemacht?

Ich habe fast alles erlebt. Meine Sendung wurde unter fadenscheinigen Gründen eingestellt. Ich wurde aus dem Fernsehen unsanft verdrängt. Ich werde nicht mehr zu Talkshows eingeladen. Ich bekomme keine Filmrollen mehr. Und die Leitmedien melden sich nur dann, wenn sie mal wieder einen Hetzartikel schreiben wollen. Früher war ich eine Person des Zeitgeschehens. Heute bin ich eine Persona non grata. Zu welchen Etikettierungen die Presse greift, ist ungeheuerlich: Vor Jahren war ich eine linke Sau. Jetzt bin ich ein rechtes Schwein. Und enden werde ich vermutlich als veganes Schnitzel.

Welche Methoden der Cancel Culture finden Sie besonders perfide?

Das Perfide an der Cancel Culture ist die Systematik, mit der die Zersetzung der Person stattfindet. Unterstellung, Verleumdung oder falsch zusammengesetzte Aussagen werden so lange wiederholt und in regelmäßigen Abständen als feststehende Tatsachen behauptet, bis man medial enthauptet ist. Es gibt kein Entrinnen, es schmerzt, es ist wie ein Stacheldraht im Hirn. Vor allem findet kein Dialog mehr statt. Es ist keine Erklärung möglich. Und die Satire wird gar nicht begriffen. Wo keine Heimat möglich ist, und sei es die der Sprache, wütet die Barbarei. Es endet mit der vollständigen Zerstörung des Wortes.

Von 2013 bis 2019 präsentierten Sie im MDR Ihre sehr erfolgreiche Sendung «Steimles Welt». Dann kam es zu einem Zerwürfnis mit dem Sender. Was war passiert?

2019 bekam ich einen Anruf aus der obersten Zentrale, mit dem Hinweis, dass meine Sendung, für die es schon weitere vier Sendetermine gab, „wahrscheinlich“ doch nicht fortgeführt werden könne. Denn – Achtung, Staunen bitte jetzt! – man müsse jetzt erstmal die Intendantin schützen. Hinter ihr seien der NDR und Der Spiegel her, hieß es. Dazu muss man wissen, der Chefredakteur vom Spiegel hieß Herr Brinkbäumer. Er, der noch nie etwas mit Fernsehen zu tun hatte und hinter Frau Wille her war, ist jetzt Programmdirektor beim MDR.

Offiziell wurde ich aber mit dieser Begründung entfernt: Der Steimle ist illoyal. Nur vier Minuten nachdem ich entlassen war, lief auf allen Kanälen: „Steimle entlassen. Er ist ein Feind der Demokratie.“ Seitdem arbeiten Presse und Fernsehen daran, mich zu zerstören – egal wann, wo und umso unerbittlicher, je mehr Zuschauer zu meinen Veranstaltungen kommen.

Gab es auch Menschen, die sich für Sie eingesetzt haben?

Ja, die Zuschauer. Die Sendung war ja die beliebteste des MDR. Denken Sie an das Märchen «Schneekönigin» von Hans Christian Andersen – übrigens geschrieben in Sachsen, wo sonst! Die Tränen eines Kindes lassen ein gepanzertes Eisherz auftauen. Liebe besiegt Hass. Noch nie wollten über 50 Tausend Zuschauer in einer Petition eine Sendung zurückholen. «Steimles Welt» schon – 50 Tausend! Doch das wurde den Zuschauern mit keiner Silbe mitgeteilt. Sie wurden wie unmündige Kinder behandelt. Nach dem Motto: Ihr habt zu schauen, was wir euch vorsetzen. Und ihr habt dafür zu zahlen. Das nenne ich inszenierte Mediendemokratie.

Wie würden Sie die Stimmung bei Ihrem früheren Sender beschreiben?

Beim MDR regieren Angst und Schrecken. Die Beiträge und Reportagen werden im vorauseilenden Gehorsam erstellt – sogar Filme. Man weiß, was Frau Dr. Karola Wille (Intendantin des MDR, Anm. d. Red.) sehen will. Diese Frau hat nachweislich mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet. Das sagt schon alles.

Allerdings handelt es sich bei der Cancel Culture um ein allgemeingesellschaftliches Phänomen. Gerade in den Leitmedien sind zu kritische Beiträge unerwünscht, selbst wenn sie satirisch aufbereitet werden. Das trifft Kabarettisten wie Sie besonders hart. Was darf die Satire ihrer Meinung nach? Was muss sie leisten?

Satire darf alles. Nur – nicht alles ist Satire. Sie darf Wunden aufreißen. Sie muss den Eiter und die Ungerechtigkeit sichtbar machen. Bei Satire gilt: Wer sich betroffen fühlt, ist auch gemeint. Ein guter Satiriker schießt und tritt immer nach oben. Es lacht das Volk. Eine Gesellschaft, die anfängt, ihre Kasper zu köpfen … Da liegen die Nerven blank. Gedankenfreiheit ist die Hauptschlagader einer Demokratie. Wird sie beschädigt, droht der Infarkt.

Die Zensur erinnert ein wenig an die Methoden aus der DDR. Sie haben die Zeit im sogenannten real existierenden Sozialismus hautnah erlebt. Sehen Sie Parallelen zwischen damals und heute? Oder ist das Klima nicht vergleichbar?

Den Unterschied zwischen DDR- und BRD-Zensur hat niemand besser erfasst und vorhergesehen als die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: „Alle diese Untersuchungen“, sagte sie, „die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“

Sie bezeichnen das gegenwärtige System als „inszenierte Mediendemokratie“. Könnten Sie das ein wenig erläutern?

Wir brauchen keinen Klimawandel, nein, wir brauchen einen Systemwandel. Alles was wir, also die ganze Gesellschaft, derzeit erleben, sei es Corona, Ukraine-Krieg und Demokratieversagen – lässt nur einen Schluss zu: Kapitalismusinsolvenzverschleppung! Wenn ein System beginnt zusammenzubrechen, macht es so ziemlich alles falsch, was man falsch machen könnte – und macht damit alles richtig.

Wie müsste ihrer Meinung nach ein Systemwandel aussehen? Wie ließe er sich herbeiführen?

Wir brauchen endlich eine Gesellschaft, die anfängt, nach Bedarf zu produzieren und nicht nur nach Gewinn. Denn das Wachstum ist der Krebsschaden dieser Gesellschaft. Da waren wir in der DDR schon viel, viel weiter.

Während der Corona-Zeit haben Sie einen eigenen YouTube-Kanal aufgebaut und dort das Format «Steimles Neue Welt» auf die Beine gestellt. Woher kam der Impuls?

Meine lieben Freunde aus der BRD, aber auch namhafte Kabarettisten drängten mich, meine angeborene Faulheit zu überwinden und auf nunmehr 100.000 Abonnenten zuzusteuern. Das zeigt mir: Es geht, wenn man will und muss. Vor allem müssen wir – Ost und West – gemeinsam auftreten.

Wie sieht das Konzept der Sendung aus?

«Steimles Neue Welt» wird jedes halbe Jahr ausgestrahlt. In der Sendung geht es darum, mit Menschen aus den verschiedensten Gesellschaftsbereichen zu sprechen. Ich lasse die Menschen reden, höre ihnen zu und gebe ihnen dafür sehr viel Zeit. Es ist immer ein Gespräch mit offenem Ausgang. Wir fahren sozusagen ohne Ziel. Meine Interviewpartner sollen frei und ohne Druck darüber erzählen, was ihnen auf der Seele brennt.

Zusätzlich zu «Steimles Neue Welt» setzen Sie sich in «Steimles Aktuelle Kamera», einem weiteren Format von Ihnen, mit aktuellen Themen auseinander. Worauf konzentrieren Sie sich besonders?

Diese Sendung hat schon eine höhere Taktung. Alle 14 Tage versuche ich, die gesellschaftlich-politischen Ereignisse unter die Lupe zu nehmen – allerdings im satirischen Modus. Es ist also eine Kabarettsendung. Sie will die Dinge wie unter einem Brennglas sichtbar machen.

Sie sind mittlerweile nur noch in den alternativen Medien aktiv. Fühlen Sie sich glücklicher als früher? Oder würden Sie lieber wieder im ÖRR auftreten?

Ja, mir geht es besser als zuvor. In den öffentlich-rechtlichen Rundfunk möchte ich nicht zurück. Die Tätigkeit in den alternativen Medien gibt mir Mut, Zuversicht, Elan und Gelassenheit. Ich bin in die Freiheit verstoßen worden und liebe die Verantwortung, mir selbst angehören zu dürfen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Luxus.

Nebenbei treten Sie weiterhin live auf. Welche interessanten Erfahrungen haben Sie nach der Wiedereröffnung der Kulturbranche gesammelt?

Meine Erfahrungen sind großartig. Es kommen immer noch sehr viele Menschen zu meinen Veranstaltungen. Teilweise arbeite ich Shows ab, die wegen der Corona-Politik ausfallen mussten. Der riesige Andrang zeigt mir, dass der Wunsch nach staatlich nicht kontrollierten Inhalten groß ist. Das gibt mir viel Kraft. Ich fühle mich freier und bin über diese Entwicklung sehr glücklich.

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Bild: Guido Werner | http://www.guido-werner.com

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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