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Das „Ministerium“- Phänomen und die Masken

Published On: 27. Juni 2022 12:00

Es gibt ein Phänomen, das hatte ich zu einer Zeit, als eine Maskenpflicht noch unvorstellbar war, „Ministerium“ getauft. Und das trifft man heutzutage bei Mitmenschen an, die sich berufen fühlen, dort, wo sie noch gilt, die Maskenpflicht durchzusetzen.

Seinerzeit habe ich das Phänomen „Ministerium“ getauft. Laut bis sehr laut ist das Wort auszusprechen, mit vehementer Betonung auf der dritten Silbe. Die Benennung verdankt sich meiner ersten bewussten Erinnerung an besagtes, dem einen oder anderen sicher vertrauten Phänomen.

In Studententagen einst mit einem Kommilitonen in einem – passenderweise – studentischen Lokal über Sinn und Unsinn der Welt parlierend, saß an einem weiter entfernten Tisch ein Herr fortgeschrittenen Alters, umgeben von einem reichlichen halben Dutzend jüngerer Menschen, in meiner Erinnerung sämtlich Damen, aber dieses Detail würde ich im Abstand von über zwei Jahrzehnten nicht unbedingt beschwören wollen. Naheliegend wäre, dass es ein Professor im Kreise seiner Studentinnen (ich bleibe einfach mal bei der ausschließlich weiblichen Variante) war, auf jeden Fall handelte es sich bei dem Herrn fortgeschrittenen Alters um eine Art Chef-Person, umgeben von eindeutig  Nachgeordneten. Er bestritt den Großteil der Unterhaltung, die sich eher als Monolog mit kleinen Unterbrechungen beschreiben lässt. Das Ganze wäre an sich kaum unserer Aufmerksamkeit wert gewesen, hätte sich der Herr fortgeschrittenen Alters nicht ausdrücklich um diese (und die der anderen Gäste) bemüht. Das an seinen Lippen hängende Tischpublikum genügte ihm erkennbar nicht. In seine ohnehin wenig zurückhaltenden Ausführungen wurden unter jeweils noch einmal heftiger Hebung der Stimme immer wieder die Worte „Minister“ und „Ministerium“ eingestreut, letzteres noch viel lieber. So war sichergestellt, dass die Botschaft auch beim letzten Bierglas angekommen war – der Herr fortgeschrittenen Alters war offenbar so bedeutend, dass er mit einem „Minister“ und in einem „Ministerium“ verkehrte.

Dass an unserem Tisch dann bald öfter sinnfrei, dafür aber umso lauter das –  wie wir inzwischen fanden, wirklich schön zu betonende – Wort „Ministerium“ ins Gespräch eingeflochten wurde, verstand sich von selbst. Besonders gut machte es sich im Chor vor jeder synchronen Flüssigkeits- oder, ehrlicher und genauer, Alkoholaufnahme: „Ministerium!“

Akustisch mitbekommen haben müsste es der Herr fortgeschrittenen Alters, eine Reaktion erfolgte nicht, wahrscheinlich eine entsprechende Immunität. Für mich hieß fortan der lautstarke Monolog, der nicht oder nicht allein an die eigentlichen, in der Regel eher leidenden Zuhörer, sondern an andere in Hörweite befindliche Empfänger gerichtet ist, „Ministerium“.

Der Drang, nachlässige Zeitgenossen anzuklagen

Konfrontationen mit dem Phänomen „Ministerium“ gab und gibt es immer wieder. Allerdings war es meines Erachtens in der Breite nie so ausgeprägt wie in der Spät- und Endzeit der Ära des Mund-Nase-Schutzes. Verantwortungübernehmende, aber eben nicht amtlich befugte Maßnahmenversteher haben noch immer den Drang, nachlässige Zeitgenossen anzuklagen, die ihrer Maskenpflicht nicht (mehr?) nachkommen. Nur wenige Refugien, in denen die stoffliche Bevormundung immer noch vorgeschrieben ist, sind verblieben. So die öffentlichen Verkehrsmittel wie die Bahn. Da der Maßnahmenversteher – inzwischen – die offene Ansprache merklich scheut, sich aber doch nicht mit der eigenen Verhüllung begnügen mag, wendet er sich indirekt, jedoch nicht weniger deutlich mittels „Ministerium“ an die Verantwortungslosen. (Der Unterscheid zum Herrn im Studentenlokal besteht lediglich darin, dass dieser seine eigene Bedeutung vermitteln wollte, die Verantwortungübernehmenden ihr Entsetzen auszudrücken gedenken. Die Methode bleibt die selbe, der Monolog an einen Empfänger, der nicht oder nur bedingt das eigentliche Ziel ist.)

Aus meiner mannigfachen Sammlung sei folgendes Regionalexpress-Erlebnis zum Besten gegeben, ein typisches Beispiel. Es geschah an einem heißen Sonnabend, mitten im Juni des Jahres 2022, was mit gutem Gewissen aktuell zu nennen ist. Bei nahezu jedem Konzert darf man inzwischen in Masse dicht und lange enggedrängt stehen oder sitzen und frei atmen. Ob mit diesem Gedanken oder anderweitig motiviert – eine Reihe von Passagieren des zuckelnden Zuges, der sich zwischen zwei sächsischen Großstädten bewegte, hatte auf die Maske verzichtet, bei den meisten war sie nicht einmal sichtbar in Reichweite platziert.

Was einen nach allen Regeln der Kunst und jeglicher jemals in Kraft gesetzter CoronaSchVO verhüllten Herrn zu einem „Ministerium“ veranlasste. Gegenüber seiner Begleiterin, wahrscheinlich seine Frau, die – ganz hohe Schule – während der Aktion nicht ein Wort sprach und als Resonanzattrappe herhalten musste, wurden die für jeden der Freimundigen und -nasigen klar zu verstehenden Gravamina vorgetragen. Etwa: „Die haben keine Maske. Das war vorhin anders. Das liegt vielleicht daran, dass hier nicht so viele Touristen drin sind.“ – „Ich finde das un-ver-ant-wort-lich.“ – „Der Schaffner greift auch nicht durch.“ – „Das haben wir ja neulich gesehen, dass das auch anders geht… Die zwei, die gar keine Maske mithatten… die mussten an der nächsten Station raus.“ Wenigstens in der Erinnerung etwas Befriedigung, die tumben Sachsen waren so gar nicht nach dem Geschmack des Herrn aus der Nähe einer kleineren norddeutschen Stadt, beginnend mit „R“, bekannt durch einen lange hier residierenden großen Traditionsverlag, ebenfalls beginnend mit „R“. Warum der Herr im Rahmen seines „Ministeriums“ das Zielpublikum auch über seine Herkunft in Kenntnis setzen musste, bleibt ein Rätsel. Zu hoffen ist, dass er dennoch einige für ihn positive Eindrücke von seiner Reise nach Dunkeldeutschland – der Begriff fiel nicht – mitgenommen hat. Zumindest hat er einen, wenn auch eher erfolglosen Versuch gewagt, einige der Hiesigen zu bessern. „Ministerium!“

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