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Uniper ist überall: Gasversorgung muss – leider – staatliche Hoheitsaufgabe werden

Published On: 4. Juli 2022 17:40

Eine sichere Energieversorgung ist wie in den 1950ern zur gesamtgesellschaftlichen staatlichen Daseinsvorsorge geworden. Das zu ignorieren wäre eine erneute Lebenslüge, wie bei dem grünen Strom für Elektroautos, den es nicht gibt.

IMAGO / Sven Simon

Uniper-Erdgasspeicher Bierwang im Landkreis Mühldorf am Inn, 23.05.2022

Seit Menschen sich zu Gemeinwesen und Staatengemeinschaften zusammengeschlossen haben, und diese Gebilde mit einem souveränen Herrscher und „staatlicher Macht“ über das Volk ausgestattet haben, besteht ein immerwährender Abstimmungsbedarf, salopp auch Streit genannt, darüber, mit wieviel Macht der Souverän ausgestattet werden soll. Und wieviel Freiheiten er dem Volk und dem einzelnen Bürger lässt, persönliche und wirtschaftliche. Wieviel Gemeinwohl ist notwendig, wieviel persönliche Freiheiten lässt man dem Bürger, natürlich innerhalb eines ordnungspolitisch gemeinsam sauber fixierten Rahmens. Also, was muss der Staat verbieten oder vorschreiben? Was kann die private Wirtschaft, der Bürger selbst für sich entscheiden?

Das von Ludwig Erhard 1949 implantierte System der sozialen Marktwirtschaft Ordnung funktioniert nach dem Prinzip: „So viel Staat wie nötig, so viel persönliche Freiheit wie möglich.“ In Verfolgung dieses Grundsatze haben Bundesregierung, Länder und Gemeinden im Verlauf der letzten Jahrzehnte ein Fülle hoheitlicher Aufgaben der Zukunftsvorsorge für ihre Hoheitsgebiete ausgelagert und privatisiert und an private Erwerbsunternehmen verkauft. Nicht immer zum „Gemeinwohl“.

Das rächt sich jetzt. Verkehrswege, Brücken und Eisenbahnnetze werden immer deutlicher als marode wahrgenommen, eine zu Schrott gesparte Infrastruktur – der Kosten wegen und vor allem zu Gunsten des privaten und sozialen Wohlleben wegen – schmerzt nun die Gesellschaft täglich mehr. 

Zu allem Übel bringen die Knappheitsfolgen der Corona-Pandemie sowie vor allem die drohende Krise in der Energieversorgung bei Strom und Gas für Wirtschaft und private Haushalte nunmehr Pandoras Fass zum überlaufen:

Gas wird knapp, die Gaspreise explodieren: Angesichts der brenzligen Lage vieler Gas-Lieferanten denkt die Bundesregierung über neue Maßnahmen nach, sie zu stützen. Deren Lage ist mehr als brenzlig, der Fall des großen Gashändlers Juniper ist gerade aktuell.

Nach Informationen der FAZ soll der so genannte Marktgebietsverantwortliche, das erst im Juli 2021 durch Kooperation mehrer Netzgesellschaften gegründete Unternehmen Trading Hub Europe (THE), Liquiditätshilfen an die großen Händler wie Uniper leisten, damit diese die stark gestiegenen Einkaufspreise für Gas bezahlen können. Deren Problem ist, dass die Energieversorger das Erdgas nach Drosselung von Nordstream 1 anderswo zu deutlich höheren Tarifen einkaufen müssen, diese Preissteigerungen aber nicht unmittelbar an ihre Kunden weitergeben dürfen. In Folge droht Insolvenz. Und Kunden ohne Gas!

Die THE ist eine Tochtergesellschaft der Fernleitungsnetzbetreiber, die quasimonopolistisch und quasihoheitlich für eine ausgeglichene Gasbewirtschaftung in Deutschland sorgt. Wenn die neuen Pläne wahr werden, über welche die Regierungsfraktionen derzeit beraten, dann tritt die THE künftig als eine Art Clearingstelle auf. Anders als bei der Speicherbefüllung kauft die THE nicht selbst Gas ein, sondern prüft zunächst die Mehrkosten, welche die Gashändler anmelden. Im nächsten Schritt gleicht die THE das so ermittelte Delta zwischen Einkaufs- und Abgabepreisen aus, wodurch sie die Liquiditätsengpässe der Energieversorger und somit deren mögliche Insolvenz abwenden soll. Die Refinanzierung erfolgt über erhöhte Netzentgelte, die alle Kunden träfen, private wie gewerbliche. Die Bundesregierung denkt dabei an die Einführung zusätzlicher Netzentgelte für Privat- und Industriekunden. 

Wie hoch die Preissteigerungen für die Kunden ausfallen werden, ist noch unklar, doch sie könnten erheblich sein: In der Branche heißt es, die Gashändler verlören jeden Tag einen dreistelligen Millionenbetrag, rund eine Milliarde Euro in der Woche. Diese Summen müssten „sozialisiert“, also von den Kunden getragen werden. 

Die Gasindustrie selber unterstützt den geplanten Weg, will sich dazu aber nicht äußern. Auch das Bundeswirtschaftsministerium möchte die Pläne „nicht kommentieren“, wie eine Sprecherin sagt. Der zuständige Verband Zukunft Gas macht aber auf die Not der Branche aufmerksam. „Die Ersatzbeschaffung verursacht erhebliche Mehrkosten. Wir sehen einer Finanzkrise im Gashandel ins Auge, die dringend gelöst werden muss“, sagte Verbandsvorstand Timm Kehler der FAZ.

Wichtig ist, dass die Gelder schnell kommen, damit den Gashändlern nicht vorher das Geld ausgeht, und sie auf die teuren Ersatzbeschaffungen zu Lasten der Kunden verzichten müssten. Im Gespräch ist deshalb eine Brückenfinanzierung durch den Bund, der dafür weitere Kredite der KfW bereitstellen könnte. Der Staat ist bereits involviert. Mit zehn Milliarden Euro stützt die KfW schon den Versorger Wingas, nachdem Gazprom die Belieferung ihrer früheren Tochtergesellschaft weitestgehend gestoppt hat. 

Uniper selbst ruft alternativ nach einer direkten staatlichen Beteiligung in Form von Eigenkapital nach dem Lufthansa-Model, was auf eine Teilverstaatlichung hinausliefe. Ohne rasches staatliches Eingreifen droht eine „Gasmangellage“, die vermutlich die Ausrufung der Notfallstufe im Gasnotfallplan durch die Bundesregierung nach sich zöge. Dann müsste die Bundesnetzagentur als „Bundeslastverteiler“ das knappe Gas der Industrie zuteilen. Privatverbraucher sind vor solchen Rationierungen vorerst geschützt – noch!

Wie verzweifelt die Lage ist, zeigt sich daran, dass sich mit Uniper sogar der größte deutsche Gashändler einen Einstieg des deutschen Staates vorstellen kann. Es war für Insider nur eine Frage der Zeit, bis der größte deutsche Gashändler ins Straucheln kommen würde. Wie kein anderes Energieunternehmen hängt Uniper direkt an der Gaspipeline Nord Stream 1, der die Russen den Hahn zu mehr als der Hälfte abgedreht haben. Um seine Lieferverpflichtungen gegenüber der Industrie, Stadtwerken und anderen Gasversorgern zu erfüllen, muss Uniper große Mengen Gas anderweitig beschaffen – zu einem Mehrfachen der kalkulierten Kosten, jedoch ohne den Mehrpreis an seine Kunden weitergeben zu können.

Das konnte nicht lange gut gehen, und könnte auch andere Gasunternehmen einholen. Bei Uniper dürfte es nicht bleiben: Zu erwarten ist ein Dominoeffekt mit nachhaltigen Konsequenzen für den gesamten Gasmarkt. Noch eine Transformation – allerdings eine ungeplante!

In der Sackgasse des Zeitgeistes

Marktwirtschaft darf nicht statisch sein! Heute stellt sich die Grundsatzfrage, ob der Staat nicht in dieser Notlage den Gasmarkt verstaatlichen muss. Eine sichere Energieversorgung ist wie in den 1950ern zur gesamtgesellschaftlichen, zur staatlichen Daseinsvorsorge geworden. Zum einen werden absehbar Gas- und Energieengpässe anhalten, die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft also dauerhaft begleiten. Alles andere wäre erneute Lebenslüge, wie bei dem grünen Strom für Elektroautos, den es nicht gibt.

Zum anderen passt der Gasmarkt nicht mehr ins marktwirtschaftliche Schema: ein freier Markt setzt nicht nur eine freie Nachfrage der Vielen voraus, sondern auch ein freies Angebot der Vielen. Es muss Wettbewerb geben, damit die Knappheit gerecht und zu bezahlbaren Preisen verteilt wird. Damit unter dem Tisch „nicht nur die Katzen der Reichen sondern auch die Kinder der Armen ihre Milch bekommen!“ (Herbert Giersch).

Das ist am Gasmarkt nicht mehr der Fall. Hier muss ein knappes Gut – nämlich Gas – absehbar zugeteilt werden, und das sozial und gerecht unter den jeweiligen Abnehmern. Im Grundsatz allerdings wird kein Weg daran vorbeiführen, auch in dieser Notlage noch den Preismechanismus irgendwie wirken zu lassen: Knappheitssignale müssen dort ankommen, wo Gas gespart werden kann – und die sozialen Folgen müssen gezielt über sozialpolitische Instrumente ausgeglichen werden. Kaufprämien für „Stromer“, also E-Autos als Strom-Groß-Konsumenten dürften nicht dazu gehören.

Eine solche „Gas-Triage“ darf man nicht in die Hände von Privatunternehmen legen. Das Beispiel Wingas, bei dem staatliche Institutionen auch die notwenigen Gasspeicher an ein und denselben Lieferanten verkauft haben, ist ein Menetekel an der Wand. Im Ruhrgebiets-Sprech: “ Wie blöd war das denn?“.

Die Lage ist da, und sie ist ernst! Jetzt muss der Staat eingreifen und regulieren. Eine sichere Gasversorgung muss staatliche Hoheitsaufgabe werden. Natürlich unter Mitwirkung der heutigen Beteiligten. Klugen Juristen fällt da schon was ein.

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