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Scholz: Russland muss „Vereinbarung“ treffen, die die Ukrainer akzeptieren können

Published On: 18. Juli 2022 19:54

Bundeskanzler Olaf Scholz verlangt als Antwort auf Putin eine EU ohne „Blockaden“ und „Vetos“, die also als „geopolitischer Akteur“ auftritt. Von der Unverletzlichkeit der ukrainischen Staatsgrenzen ist keine Rede, sondern von einer akzeptablen „Vereinbarung“ mit Russland.

IMAGO / Mike Schmidt

Bundeskanzler Olaf Scholz, 14.07.2022

Die Deutschen haben sich nach 16 Jahren Angela Merkel vermutlich abgewöhnt, umwerfende Reden oder Texte von ihren Regierungschefs zu erwarten. Was Olaf Scholz in einer zweifellos dramatischen politischen Situation nun in der FAZ unter dem Titel „Nach der Zeitenwende“ anbietet, ist geradezu aufreizend langweilig. Er beginnt schon im ersten Satz mit einer der abgedroschensten Politiker-Phrasen („Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“), um dann bis zum Ende einen einschläfernden Merkel-Sound durchzuhalten. Etwa indem er behauptet, „wir“ würden „stärker und unabhängiger aus der Krise hervorgehen, als wir hineingegangen sind“. Eine neue Beigabe von Scholz (oder womöglich seines Sprechers Steffen Hebestreit) ist nur die auch hier wiederholte pseudo-patriotische Wendung: „Wir müssen zusammenhalten und uns unterhaken“.

Erst in der zweiten Hälfte stecken Aussagen. Allerdings solche, die maskiert daherkommen. Der einzige Abschnitt, der bei Diplomaten in Kiew, Moskau und anderswo aufmerksam gelesen werden dürfte, lautet: „Für Russland führt kein Weg vorbei an einer Vereinbarung mit der Ukraine, die von den Ukrainerinnen und Ukrainern akzeptiert werden kann.“ Entscheidend ist, was hier fehlt: nämlich die Forderung eines Rückzugs der russischen Truppen aus ukrainischem Territorium. Zuvor stellt Scholz nur unkonkret fest: „Wir unterstützen die Ukraine – und zwar solange sie diese Unterstützung braucht: wirtschaftlich, humanitär, finanziell und durch die Lieferung von Waffen.“ Aber nirgendwo steht, dass die Ukraine ihre territoriale Integrität wieder herstellen soll und wird. 

Das kann man als indirektes Eingeständnis oder gar Zugeständnis an Russland begreifen, dass dieser Krieg durchaus mit territorialen Veränderungen auf der Landkarte einhergehen dürfte. Eben eine „Vereinbarung“, die von den Ukrainern akzeptiert werden kann. 

Womöglich ist es genau das, was Scholz in den Absätzen danach meint, wenn er umständlich schreibt, es sei „zu Recht gefordert worden, die EU müsse zum geopolitischen Akteur werden“. Also die EU als ein Akteur, der auch die politische Geographie zu verändern in der Lage ist? Scholz’ Verständnis des Begriffs der „Geopolitik“, der eine höchst zwiespältige, manchmal wissenschaftlich-neutrale, oft aber auch moralisch verurteilende Bedeutung trägt, bleibt unklar. Aber vermutlich ist diese Unklarheit beabsichtigt. Sie könnte dazu beitragen, allmählich den Boden zu bereiten für die bislang tabuisierte Möglichkeit der Akzeptanz gewaltsam verschobener Grenzen.    

Diese Unklarheit der Begriffe in Scholz’ Text beginnt schon zuvor mit der Feststellung im dritten Satz: „Der Imperialismus ist zurück in Europa“. Natürlich ist Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine gemeint. Dass Putin ein Verständnis von Russland als übernationales Imperium hat, ist wohl kaum zu bestreiten. Aber der Begriff „Imperialismus“ wird in der Geschichtswissenschaft nicht mit Bezug auf innereuropäische multinationale Reichsbildungen verwendet, sondern für das außereuropäische, koloniale Expansionsstreben europäischer Staaten vor allem im 19. Jahrhundert. Und es war und ist vor allem ein Begriff der linken, sozialistischen Kritik an dieser vermeintlich kapitalistisch motivierten Expansionspolitik europäischer Staaten (auch demokratischer!) in außereuropäische Regionen.

Den Begriff des „Imperialismus“ zur Bezeichnung von Putins Aggressionspolitik zu verwenden, dürfte für Scholz also vor allem den Zweck haben, das eigene Parteilager hinter sich zu bringen. „Imperialisten“ waren für Linke, einschließlich vieler Sozialdemokraten, immer die historischen Feinde an der Macht im eigenen Land und vor allem in den USA. Für Lenin galt bekanntlich „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, wie er 1916 im Schweizer Exil schrieb.

Scholz schreibt: „Putins Neoimperialismus darf keinen Erfolg haben.“ Und er stellt diesem eben die Europäische Union entgegen, die „zum geopolitischen Akteur werden“ müsse. Die EU sei „die gelebte Antithese zu Imperialismus und Autokratie“, schreibt Scholz. 

Große Transformation in bunt

Doch die konkreten Forderungen für die EU, die Scholz erhebt, weisen eher in eine andere Richtung: Nicht staatliche Vielheit und dezentrale Entscheidungsstrukturen, die eigentlich das Gegenteil eines Imperiums bedeuten, wünscht sich Scholz für die EU und den Westen, sondern: „Schluss mit den egoistischen Blockaden europäischer Beschlüsse durch einzelne Mitgliedstaaten. Schluss mit nationalen Alleingängen, die Europa als Ganzem schaden. Nationale Vetos, etwa in der Außenpolitik, können wir uns schlicht nicht mehr leisten, wenn wir weiter gehört werden wollen in einer Welt konkurrierender Großmächte.“  

Man könnte zugespitzt folgern, dass diese „geopolitische“ Union, die sich Scholz als Gegengewicht zum autokratischen Reich Putins wünscht, selbst Eigenschaften eines – allerdings demokratischen – Imperiums aufweist. In einem Imperium haben schließlich die einzelnen politischen Teile auch kein Recht zu „Alleingängen“ und „egoistischen Blockaden“. Es wäre eine der dialektischen Ironien der Geschichte, wenn ausgerechnet die Gegnerschaft zu einem bedrohlichen Imperium die EU dazu verleitet, selbst Züge eines Imperiums anzunehmen.

Den kompletten Beitrag des Kanzlers finden Sie hier

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