euro-inflation-auf-neuem-rekordwertEuro-Inflation auf neuem Rekordwert
baerbock-senkt-anforderungen-an-deutsche-diplomatenBaerbock senkt Anforderungen an deutsche Diplomaten
die-sekte-und-das-attentat-auf-shinzo-abe

Die Sekte und das Attentat auf Shinzō Abe

Published On: 19. Juli 2022 14:00

Der japanische Premierminister Shinzo Abe wurde offenbar ermordet, weil die Familie des Attentäters von der Vereinigungskirche zerrüttet wurde. Und Abes Familie ihrerseits Kontakte zu dieser Sekte unterhielt.

Nachdem die ersten Tage nur über das Attentat und seine Folgen berichtet wurde, erfuhr man später immer mehr über die Hintergründe. Es stellte sich heraus, dass die Sekte, gegen die der Attentäter, Tetsuya Yamagami, Ressentiments hegte, weil er sie für die Zerrüttung seiner Familie verantwortlich hielt, tatsächlich existiert. Es handelt sich um die berüchtigte Moon-Sekte, die sich auf Englisch Family Federation for World Peace and Unification nennt. Wahrscheinlich kennen sie unter dieser hochtrabenden Bezeichnung nicht viele. Ein früherer inoffizieller Name war Unification Church, und unter dem Namen Vereinigungskirche wurde sie auch im deutschsprachigen Raum bekannt.

Die japanischen Behörden wollten die Sekte offenbar außen vor lassen und nicht in die Öffentlichkeit ziehen, denn Sekten sind in Japan ein heikles Thema. Dazu kommt, dass es sich um eine koreanische Sekte handelt. Um politische Verwicklungen zu vemeiden, wurden die Angaben über das Motiv des Attentäters möglichst vage gehalten. Man stellte es so dar, als hätte Yamagami nicht gewusst, was er tat, und wäre einem Irrtum aufgesessen, als er eine Verbindung Abes zu der Sekte vermutete.

Sekten sind in der japanischen Gesellschaft tief verankert. Dabei kommt ihnen zugute, dass Loyalität und Autoritätsgläubigkeit in Japan zwei Seiten einer Medaille sind. Deshalb spielen Sekten auch in der Politik eine Rolle. Die Aum-Sekte und ihr Guru betätigten sich vor dem Saringas-Anschlag auf die Tokyoter U-Bahn im Jahr 1995 mehrere Jahre politisch.

Viele Menschen in emotionale Abhängigkeit bringen

Auch der Koalitionspartner der regierenden LDP ist seit Abes Tagen als Premierminister eine Partei namens Kōmeitō. Diese Partei gibt sich gern sozial und ist der politische Arm der buddhistischen Sekte Sōka Gakkai. Angeblich agiert Kōmeitō unabhängig von der Sekte, doch die Anhänger der Sekte und die Wähler der Partei sind deckungsgleich.

Die Sōka Gakkai geriet vor Jahren wegen ihrer Rekrutierungspraxis in schlechten Ruf. Sie machte sich bevorzugt an Menschen in Lebenskrisen heran, wandte sich an alleinstehende Personen ohne soziale Kontakte. Zum Beispiel solche, die auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt gekommen ware und keine neuen Freunde fanden. Mitglieder der Sekte kümmerten sich um sie, luden sie ein, boten ihnen Hilfe an und erwarteten Dankbarkeit dafür. So gelang es ihnen, viele Menschen in emotionale Abhängigkeit zu bringen.

Wäre nach dem Attentat der Name Moon-Sekte früher gefallen, wäre einiges klarer geworden. Denn mit der Moon-Sekte gab und gibt es in Japan schon seit den Achtziger Jahren Probleme. Vor allem wurde damals bekannt, dass sie ihre Mitglieder nicht nur durch Gedankenkontrolle gefügig macht, sondern auch oft zu hohen Spenden nötigt.

Erst drei Tage nach dem Attentat auf Abe, und erst nachdem Medien den Namen recherchiert und öffentlicht gemacht hatten, meldete sich ein japanischer Vertreter der Sekte namens Tanaka zu Wort. Er hielt eine einstündige Pressekonferenz ab und gab sich dabei sehr seriös. Um unangenehme Fragen zu vermeiden, hatte die Sekte aber schon am Eingang vorgesorgt, dass keine Journalisten kritischer Medien in den Saal kamen. Und drinnen wurden die Fragesteller von Sicherheitsleuten der Sekte fotografiert.

Angeblich keine Spenden in Millionenhöhe mehr

Tanaka bestätigte, dass die Mutter des Attentäters seit 1998 Mitglied der Sekte ist. Ihr Sohn und Shinzō Abe waren dagegen keine Mitglieder. Es sind jedoch Beziehungen von Abes Familie zu der Sekte von früher her bekannt. Abes Großvater knüpfte 1968 Kontakt zur Moon-Sekte, weil er als Politiker deren antikommunistische Haltung unterstützte.

Tanaka gab auch zu, dass es bis 2009 Probleme mit erzwungenen Spenden gegeben hatte, doch inzwischen wäre diese Praxis abgestellt. Die Moon-Sekte hätte sich neue Compliance-Regeln gegeben, um eine Wiederholung solcher Vorfälle zu verhindern. Seitdem gäbe es keine Spenden in Millionenhöhe mehr. Heute gäbe es nur noch die Möglichkeit für monatliche Spenden, Kollekten bei Gottesdiensten und in gewissen Fällen Sonderdonationen.

Wie viel Yamagamis Mutter seinerzeit gespendet hatte, wollte Tanaka nicht sagen. Er gab aber zu, dass sie, obwohl von der Verwandtschaft eine Rückgabe gefordert wurde, kein Geld zurück erhielt, weil ihre Spende angeblich freiwillig, ohne Zwang erfolgt wäre.

Dass die Sekte seit 2009 keine überhöhten Spenden mehr fordert, dürfte aber nicht stimmen, denn es gibt in Japan nach wie vor Leute, die rechtlichen Beistand suchen, weil die Praxis nach wie vor Usus zu sein scheint. Eine 1987 gründete Rechtsanwaltsgruppe versucht, Opfern der Sekte beizustehen, und in Japan wurde die Moon-Sekte schon in einigen Prozessen dazu verurteilt, Kompensationszahlungen wegen sittenwidrig hoher Spenden zu leisten.

Die Mutter spendete alles der Moon-Sekte

Da nach Eintritt in die Sekte die Neumitglieder in Schulungen von morgens bis abends indoktriniert und damit quasi einer Gehirnwäsche unterzogen werden, wird es nicht allzu schwer sein, sie auch dazu zu bringen, ihre „Spenden“ als „freiwillig“ zu deklarieren, damit das Ganze juristisch unanfechtbar wird. Dass es die Sekte für legitim hält, Menschen, die sich ihr angeschlossen haben, finanziell so ausbluten lassen, dass sie ihre Lebensgrundlage verlieren, ist allerdings mehr als bezeichnend.

Kennt man alle diese Hintergründe, kommt man nicht umhin, zuzugestehen, dass die Vorwürfe des Attentäters gegen die Sekte, nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern Hand und Fuß haben. Und wenn das auch keine Rechtfertigung für seine Tat ist, wird seine über viele Jahre aufgestaute Wut bis zu einem gewissen Grad verständlich.

Seit der letzten Woche kamen viele Einzelheiten über seinen Lebensweg ans Licht. Yamagami ist 1980 in einem gut situierten Elternhaus geboren, hatte einen um ein Jahr älteren Bruder und eine Schwester. Die Familie lebte anfangs in Osaka bis der Vater 1984 starb, er soll Selbstmord begangen haben.

Danach kehrte die Mutter mit ihren Kindern nach Nara in ihr Elternhaus zurück, wo der damals kleine Tetsuya gemeinsam mit seinen Geschwistern behütet vom Großvater aufwuchs. Nachdem der Großvater 1998 starb, verkaufte die Mutter 1999 ihr Erbe, ein Grundstück samt Wohnhaus, und spendete alles der Moon-Sekte. Die Rede ist von 100 Millionen Yen, das wären nach damaligem Kurs 800.000 bis 900.000 Euro gewesen.

Die Moon-Sekte hat seine Familie zerstört

Die Familie zog in eine Mietwohnung um, und die Mutter ging in der Folge andere Verwandte um Geld an. Sie dürfte sich außerdem noch woanders Geld geliehen haben, denn 2002 wurde sie für zahlungsunfähig erklärt. Am Ende soll nicht einmal mehr genug zu essen dagewesen sein, und es hätte für Tetsuya und seine Geschwister noch schlimmer ausgehen können, wenn sich nicht ein Bruder des Vaters eingeschaltet und sich ihrer angenommen hätte.

Da Tetsuya nicht auf eine Universität gehen konnte, verpflichtete er sich ab 2002 für die Marine der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte. Er fiel dort mit psychischen Problemen auf, und im Januar 2005 soll er sogar einen Selbstmordversuch unternommen haben. Schon damals gab er als Grund für seine Probleme an, dass die Moon-Sekte seine Familie zerstört habe. Im Laufe des Jahres 2005 musterte er ab und schlug sich danach mit verschiedenen Jobs durch. Er kam als Single mit seinem Einkommen anscheinend ganz gut über die Runden, denn er konnte sich eine kleine Wohnung und ein Auto leisten.

Um das Jahr 2015 herum beging sein Bruder, der seit seiner Kindheit an einer Krankheit litt, Selbstmord. Dies dürfte Tetsuya einen weiteren Schlag versetzt haben. Danach entwickelte er sich zum absoluten Einzelgänger. Seit 2020 arbeitete Yamagami bei einer Firma in Kyoto als Gabelstaplerfahrer, beendete aber das Arbeitsverhältnis im April 2022 unter dem Vorwand, sich gesundheitlich angegriffen zu fühlen. Den Entschluss, Abe zu töten, soll er bereits ein halbes Jahr zuvor gefasst und seitdem auf das Attentat hingearbeitet haben.

Schüren von Schuldgefühlen bei den Japanern

Zu den Gepflogenheiten der Moon-Sekte muss man wissen, dass sie 1954 von Sun Myung Moon in Südkorea gegründet worden war. Seit Ende der Fünfziger Jahre hatte sie sich über Südkorea hinaus verbreitet und auch in anderen Ländern begonnen, zu missionieren. In Japan ist die Moon-Sekte seit 1964 als religiöse Gemeinschaft anerkannt. Es mutet seltsam an, dass in der Moon-Sekte Japan zwar als „Land des Satans“ bezeichnet wird, dort aber die meisten Anhänger außerhalb Südkoreas leben. Dabei dürfte das Schüren von Schuldgefühlen bei den Japanern der größte Trumpf der Sekte sein. Man lässt speziell die japanischen Anhänger zur Sühne für das Böse finanziell zur Ader, sodass sich die Sekte zeitweise zu 70 Prozent mit japanischem Geld finanzieren konnte.

Die religiöse Praxis der Sekte besteht darin, dass gemeinsame Gottesdienste abgehalten werden, aber die Mitglieder auch zu Hause gewisse Rituale einhalten müssen, zum Beispiel sich morgens vor Bildern Moons und seiner Frau verbeugen. Darüberhinaus muss man sich auf verschiedene Weise dem Dienst an der Gemeinschaft widmen.

Die Sekte bietet Lebenshilfeseminare an, ohne zu deklarieren, wer dahinter steckt. Dort werden den Teilnehmern Ratschläge gegeben, wie man seine Persönlichkeit zum Positiven verändern kann. Mitglieder der Sekte betreiben außerdem im Internet oder auf offener Straße Wahrsagerei durch Handlesen und ähnliches. Solche Wahrsager sind bekanntlich sehr geschickt darin, ihre Kunden auszuhorchen und aus Nebenbemerkungen heraus zu hören, welche Ängste und Hoffnungen sie hegen. Alleinstehende junge Frauen sind ein bevorzugtes Zielobjekt, ihnen wird zum Beispiel gesagt, sie fänden keinen Lebenspartner, weil ihre Vorfahren Schuld auf sich geladen hätten. Anderen wird gesagt, ihren Kindern drohe Unheil, und daran wären die Vorfahren schuld. Wenn bei einer Frau ein solcher Humbug verfängt, ist sie schon reif, für die Sekte angeworben zu werden.

Anfangs fällt man nicht gleich mit der Tür ins Haus, sondern lädt die Interessierten ein, als Volontär bei irgendwelchen sozialen Aktivitäten mitzuhelfen, dann organisiert man Reisen nach Korea, wo die Teilnehmer von Sektenmitgliedern betreut werden. In Gesprächen werden Bemerkungen zur Heilslehre eingestreut und alle beteuern, wie glücklich sie durch die Moon-Sekte geworden seien. So fällt man der Sekte nicht auf einen Schlag in die Hand, sondern verfällt der Werbung schleichend.

Die Sekten-Website wirkt wie ein Datingportal

In der Moon-Sekte wird eine Lehre verbreitet, die sich an jüdisch-christlichen Vorstellungen orientiert. Der biblische Schöpfungsmythos wird jedoch uminterpretiert, und es wurden auch asiatische Elemente integriert, wie zum Beispiel das Ying-Yang-Prinzip. Eine zentrale Aussage der Lehre ist, dass Eva mit Luzifer eine sexuelle Beziehung gehabt haben soll, bevor sie sich Adam zuwandte. Deshalb kam durch ihre Kinder die Erbsünde in die Welt, und deshalb ist der Einfluss Luzifers auf die Menschheit heute größer als der Einfluss Gottes. Die gegenwärtige Welt gilt den Anhängern der Moon-Sekte als sündige Welt.

Jesus Christus war es bestimmt, die Menschheit von der Erbsünde zu befreien, dazu hätte er eigentlich heiraten und mit seiner Frau Kinder haben sollen. Diese heilige Familie hätte den Einfluss Luzifers in die Schranken verweisen können, doch durch Jesu Christi Kreuzigung wurde der Heilsplan durchkreuzt. Deshalb gab sich der Sektengründer Sun Myung Moon als zweiter Messias aus und inszenierte sich mit seiner Frau Hak Ja Han, mit der er 14 Kinder hatte, als die „wahren Eltern“, die die Menschheit von der Erbsünde befreien.

Die Moon-Sekte ist in der Allgemeinheit für ihre Massenhochzeiten beziehungsweise ihre Paarsegnungszeremonien bekannt. Auch ihre Website wirkt wie ein Datingportal, weil es Moon immer darum ging, möglichst viele Ehen zu stiften, in der die Partner in „reiner Liebe ohne Erbsünde“ miteinander verbunden sind. In den Anfängen ging es der Sekte vor allem darum, dass ihre Anhänger ein möglichst starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Sie sollten gemeinsam für ihren Lebensunterhalt sorgen, damit auch die Sekte finanzieren und darüber hinaus missionieren und neue Anhänger finden. Später als die Sekte ziemlich groß geworden war und ein riesiges Vermögen aufgehäuft hatte, begnügte sie sich nicht mehr nur mit Spenden, sondern wurde auch wirtschaftlich aktiv und hält seitdem verschiedene Firmenanteile.

Lob für Abe Moons Witwe

Seit den Siebziger Jahren begann die Sekte auch, wissenschaftlichen Anspruch zu erheben und versuchte sich, mit der International Conference of the Unity of Sciences (ICUS) einen intellektuellen Anstrich zu geben. ICUS hielt Kongresse ab, bei denen unter anderem Wissenschaftler, wie der Nobelpreisträger John Eccles, oder der Repräsentant der Wiener Schule der Nationalökonomie, Friedrich Hayek, Vorträge hielten. Die Teilnahme war gut bezahlt und den Rednern wurden keine Vorgaben gemacht. Wer Ansichten vertrat, die der Sekte nicht gefielen, wurde ohnehin nicht eingeladen.

Im Grunde dienten die Vorträge nur als Staffage, weil es hauptsächlich darum ging, dass die wissenschaftliche Reputation der Teilnehmer ein gutes Licht auf die Sekte werfen sollte. Die Absicht dahinter war, das Image der Sekte nach außen hin aufzuwerten, denn sie versuchte, in allen gesellschaftlichen Bereichen einen Fuß in die Tür zu bekommen. Es wurden auch Journalisten mit lukrativen Angeboten geködert, zum Beispiel indem man ihnen Reisen in andere Länder bezahlte, um zu einem positiven Bild in der Presse zu kommen.

Mit der Universal Peace Federation, UPF, entstand auch eine politische Organisation der Sekte, die 2005 von Moon und seiner Frau als NGO gegründet wurde. Abes Videobotschaft, die Yamagami dazu brachte, ihn als Opfer auszuwählen, lief bei einem UPF-Kongress, der im September 2021 in Korea als Online-Konferenz stattgefunden hatte. In der Videobotschaft lobte Abe Moons Witwe für ihren Einsatz für den Frieden und hob hervor, dass es in der UPF-Friedens-Vision auch darum geht, die Familien wertzuschätzen. Vor allem diese Bemerkung muss für Yamagami wie Hohn geklungen haben.

Mit Antikommunismus in Amerika offene Türen eingelaufen

Der 1920 in Korea geborene Sektengründer Sun Myung Moon war 2012 verstorben. Er hatte in seiner Jugend zuerst eine Schule besucht, wo auf Koreanisch unterrichtet wurde, später wechselte er auf eine Schule, wo die Unterrichtssprache Japanisch war. Zwischen 1941 und 1943 studierte er in Japan. Nach seiner Rückkehr nach Korea schloss er sich den Gegnern der japanischen Vorherrschaft an. Er gehörte zu der Generation, die in ihrer Jugend hautnah erlebte, wie Korea erst von Japan annektiert und dann versucht worden war, die Koreaner zu Japanern umzuerziehen und damit zugleich die koreanische Kultur auszulöschen. Darin ist wohl der Grund zu finden, dass Moon Japan später als „Land des Satans“ bezeichnete.

In seinen politischen Aktivitäten spielte bei Moon seine koreanische Herkunft eine große Rolle. 1946 war er in Nordkorea verhaftet, als Spion verurteilt und ins Gefängnis gesteckt worden, aus dem er aber fliehen konnte. Obwohl er bei seinen antijapanischen Aktivitäten mit Kommunisten zusammengearbeitet hatte, verdammte er später den Kommunismus, vor allem den nordkoreanischer Prägung.

Der frühere Name seiner Sekte Vereinigungskirche war dabei in verschiedener Bedeutung nützlich. Einmal als Wunsch, dass Süd- und Nordkorea wiedervereinigt werden würden. Dann im Kalten Krieg, in dem Moon eine Spaltung in eine Welt Gottes, den Westen, und eine Welt Satans, den Osten, sah, mit Korea als Frontstaat. Später als die Moon-Sekte damit begann, auch in anderen Länder zu missionieren, konnte der Begriff so gedeutet werden, dass er sich auf die Vereinigung aller Länder der Erde beziehe.

Mit seinem Antikommunismus war Moon in Amerika offene Türen eingelaufen, sodass sich auch hohe Politiker wie Nixon oder George Bush sen. mit ihm einließen. In Japan spielte der Antikommunismus Moons ebenfalls eine Rolle, und angesichts der im 20. Jahrhundert äußerst problematischen Beziehung zwischen Japan und Korea, ließ sich die Vereinigung auch im Sinne von Versöhnung deuten.

Japanische Evas und koreanische Adams

Die interne Argumentation der Moon-Sekte ist dagegen perfide. Denn Japan wird als Reich Satans und Evas dargestellt, das an Korea, dem Reich Adams, Wiedergutmachung zu leisten hätte. Moon machte es sich daher zur Aufgabe, gemischte Ehen zwischen Japanerinnen und Koreanern zu stiften. Die Harmonie in diesen Ehen, bei denen ein Partner zum Bösen erklärt wird, der am anderen Partner Wiedergutmachung zu leisten hätte, kann man sich dabei lebhaft ausmalen.

Dazu passt der Erlebnisbericht einer Japanerin, die über ihre Mutter unter den Einfluss der Sekte geriet. Nach der Indoktrinierung mit der religiösen Ideologie wurde ihr nach Zahlung von umgerechnet 100.000 Euro ein Koreaner als Heiratskanditat in Aussicht gestellt. Mit dem Geld musste sie für das „Glück“ bezahlen, einen koreanischen Mann zu bekommen und zu ihm nach Korea ziehen zu dürfen. Die Ehe verlief allerdings unglücklich, da sich der Mann als gewalttätig entpuppte, und endete mit der Scheidung.

Danach wiederholte sich das Spiel, wieder waren 100.000 Euro fällig, um an den nächsten Koreaner verkuppelt zu werden. Doch auch die zweite Ehe scheiterte aus demselben Grund wie die erste. Als Ratschlag für eine glückliche Ehe wurde ihr gegeben, sie müsste ihr Leiden überwinden lernen. Da laut Moon-Sekte Japanerinnen als Töchter Evas schuld daran sind, dass das Böse in der Welt ist, kann folglich kein koreanischer Adam schuld sein, wenn eine Ehe in die Brüche geht.

Nach der zweiten Scheidung verließ die Frau die Sekte und kehrte nach Japan zurück. Da ihre Mutter jedoch nach wie vor der Sekte angehört, ging die Polemisierung weiter. Der Mutter wurde gesagt: „Satan muss sterben“, und dabei wurde impliziert, dass ihre Tochter der Satan wäre. Verständlicherweise ist das Mutter-Tochter-Verhältnis seitdem völlig zerrüttet.

Welche Mutter verschleudert sonst das Familienerbe?

Sieht man das im Zusammenhang mit Yamagamis Verhältnis zu seiner Mutter, ergeben sich durchaus Parallelen. Vielleicht war sie auf der Suche nach einem neuen Partner – was für eine Mutter mit drei Kindern nicht so einfach ist – in die Fänge der Sekte geraten. Das ist aber nur Spekulation, genauso gut wäre es möglich, dass sie auf andere Weise in Kontakt zu der Sekte kam. Solange der Großvater noch lebte, wirkte er offenbar als stabiler Anker in der Familie, sodass die größten Exzesse der Mutter verhindert werden konnten. Die familiäre Katastrophe setzte erst ein, nachdem der Großvater starb. Bei seinem Tod 1998 stand sein Enkel Tetsuya als 18-Jähriger vor dem Abschluss der Oberstufe, und soll damals nach Aussagen ehemaliger Klassenkameraden ein unbeschwerter Schüler gewesen sein, der zwar nicht viel redete, aber gern Basketball spielte und Freunde hatte.

Meist wird es so dargestellt, dass alles schief zu laufen begann, als die Mutter das Familienerbe der Sekte spendete. Doch in einer Familie, in der ein Vater Selbstmord begeht, während seine Kinder noch im Vorschulalter sind, und dessen Söhne in späteren Lebensphasen ebenfalls suizidgefährdet sind, kann wohl nicht alles in Ordnung gewesen sein. Das Verhalten der Mutter wäre auch so zu erklären, dass sie für etwas büßen oder Sühne für jemand tun wollte. Anders ist ihr Tun kaum zu verstehen. Vielleicht war ihr auch eingeredet worden, ihr Vater hätte durch irgendetwas Schuld auf sich geladen. Welche Mutter verschleudert sonst auf solche Weise das Familienerbe und zerstört damit die Zukunft ihrer Kinder?

Es rechtfertigt zwar nicht Yamagamis Tat, macht es aber nachvollziehbar, dass er die Sekte über 20 Jahre mit seinem Hass verfolgte. Das irrationale Abdriften der Mutter, mit der seit damals bis heute nicht mehr normal zu reden ist, scheint das Schlüsselerlebnis ihres Sohnes geworden zu sein. Nachdem er anfangs noch an Selbstmord dachte, kam ihm irgendwann der Gedanke, auf Verantwortliche der Sekte einen Anschlag zu verüben.

Niemand dürfte geahnt haben, wer dahinter steckt

An Moon, den Gründer der Sekte, kam er nicht heran, da der bereits 2012 verstorben war. Außerdem war er zu seinen Lebzeiten mit einem Einreiseverbot nach Japan belegt. Yamagami richtete daher seinen Blick auf Moons Witwe Han, die seit dem Tod ihres Mannes die Sekte leitet. 2019 war sie zu einem Kongress der Sekte nach Japan gekommen, und Yamagami hatte aus diesem Anlass ein Bombenattentat auf sie verüben wollen. Der Plan scheiterte jedoch, weil er nicht in den Saal eingelassen wurde.

Da in der Corona-Krise nicht damit zu rechnen war, dass die Witwe Hak Ja Han in absehbarer Zeit wieder nach Japan kommen würde, entschied er sich anders, nachdem er im Internet gesehen hatte, dass im September 2021 beim UPF-Online-Kongress der Sekte eine Videobotschaft von Abe verbreitet wurde.

Nach seiner Verhaftung wurde ein Twitter-Account entdeckt, in dem sich Yamagami seit 2019 kritisch über die Sekte äußerte. Darin soll er Andeutungen über seine familiäre Situation und über das Verhältnis zu seiner Mutter gemacht haben, die Texte enthielten jedoch keine Gewaltandrohungen. Über Abe fand sich ebenfalls ein kritischer Eintrag, aber so vage formuliert, dass selbst im Nachhinein kein Hinweis auf sein Vorhaben herauszulesen ist. Der Account fand außerdem wenig Beachtung, er hatte nur zwei Follower, und es dürfte niemand geahnt haben, wer dahinter steckt.

Weder das deutsche, noch das japanische Narrativ stimmt

Seiner Wut auf die Sekte gab Yamagami jedoch auf andere Weise Ausdruck, und zwar dadurch dass er Gebäude, die im Besitz der Moon-Sekte sind, beschoss. Es wurde dabei niemand verletzt, und die Schusslöcher wurden nicht einmal gleich entdeckt. Yamagami war damit aber ein großes Risiko eingegangen, das seine Pläne hätte gefährden können. Entweder hatte er sich dabei sehr geschickt angestellt, oder viel Glück gehabt, dass er den Beobachtungskameras entgangen war.

Doch auch nach seinem definitiven Entschluss, Abe als Mordopfer auszuwählen, blieb Yamagami unschlüssig und ließ mehrere Gelegenheiten für einen Anschlag verstreichen. So hielt Abe bereits am 28. Juni in Nara eine Wahlveranstaltung ab, doch zu diesem Zeitpunkt machte er noch keine Anstalten, seinen Plan auszuführen. Erst am 8. Juli war es so weit, und trotz seiner akribischen Vorbereitung gelang ihm die Tat nur, weil das Sicherheitspersonal versagte.

Yamagamis Mutter soll bei der polizeilichen Einvernahme durch die Polizei ihr Bedauern über die Tat ihres Sohnes zum Ausdruck gebracht haben. Zum Vorwurf ihres Sohnes, die Familie zerstört und in den Ruin getrieben zu haben, ließ sie sich nicht aus. Vielleicht bedauert sie hinterher nur, noch nicht genug gespendet und damit nicht genug gegen das Böse getan zu haben.

Von ihrem Sohn sind keine Entschuldigungen bekannt, er ist stolz auf das Gelingen seiner Tat und hat bei den Verhören bisher keine Reue gezeigt. Das ist auch wenig verwunderlich, wer so fokussiert auf sein Ziel zugeht und vor der Tat mit seinem Leben abgeschlossen hat, weil ihm entweder die Todesstrafe blüht, oder er sein Lebtag hinter Gittern verschwindet, so einer wird nicht schon am nächsten Tag dafür Abbitte leisten.

Das Narrativ der deutschen Presse, Abe als rechten Politiker darzustellen, der Opfer seiner Politik wurde, ist dabei ebenso falsch wie das japanische Narrativ, Yamagami wäre einem Irrtum bezüglich Abes Beziehung zur Moon-Sekte erlegen. Es ging ihm nicht um Abes Politik und nicht darum, einen Schuldigen zu finden, sondern darum, auf eine große Ungerechtigkeit, die ihm seiner Ansicht widerfahren ist, aufmerksam zu machen. Dafür bot sich für ihn das Attentat auf einen prominenten Politiker an.

Categories: AchgutTags: , , , Daily Views: 1Total Views: 19
euro-inflation-auf-neuem-rekordwertEuro-Inflation auf neuem Rekordwert
baerbock-senkt-anforderungen-an-deutsche-diplomatenBaerbock senkt Anforderungen an deutsche Diplomaten