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„Wir bedauern…“ – Landeszentrale für politische Bildung reagiert umgehend auf NachDenkSeiten-Artikel und Leserzuschriften

Published On: 27. Juli 2022 9:00

Am 25. Juli veröffentlichten die NachDenkSeiten einen Artikel unter der Überschrift „Völkerkunde mit Anna Kupriy bei der Landeszentrale für politische Bildung: Die Russen sind faul, die Ukrainer fleißig“. Der Artikel führte aus, wie in einem „Blog“ auf der Website der Landeszentrale für politische Bildung (lpb) eine aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtete Journalistin pauschal das russische Volk als faul, bequem, aggressiv, bindungslos und nicht empathiefähig beschreibt. Die Leitung der lpb reagierte umgehend und nahm nach Veröffentlichung und Leserzuschriften Teile des „Tagebuchs“ vom Netz. Doch hat sich der Fall damit wirklich erledigt? Von Florian Warweg.

„Wir bedauern, dass einzelne Passagen im Ukraine-Tagebuch der Journalistin Anna Kupriy offensichtlich als pauschalisierend verstanden werden konnten. Wir haben die Folge 7 des Tagebuchs („Ukrainer und Russen“) deshalb vom Netz genommen und auch an einzelnen anderen Stellen auf der Webseite nachgebessert.”

So die Antwort von Prof. Dr. Reinhold Weber, stellvertretender Direktor und verantwortlich für den Internetauftritt der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, in Reaktion auf Zuschriften von NachDenkSeiten-Lesern an die Landesbehörde mit Verweis auf den entsprechenden NDS-Artikel.

Zunächst lässt sich festhalten: Die schnelle Reaktion der lpb bezeugt, dass hier von unserem Gastautor Rupert Koppold und unseren Lesern mit ihren Zuschriften an die Landeszentrale ein Treffer gelandet wurde. Schaut man sich allerdings den Blog auf der Seite der lpb in seiner aktualisierten Form an, fällt auf, dass es sich nur um Schönheitskorrekturen handelt, lediglich die Spitze des Eisberges. Das Problem des Blogs beschränkt sich nicht, wie vom Vize-Direktor impliziert („einzelne Passagen“), nur auf einen von 13 Einträgen. Im Gegenteil, das Problem ist systemisch. Fast jeder einzelne Blog-Eintrag der ukrainischen Journalistin Anna Kupriy steht mit seinem ultra-nationalistischen, oft auch ins Rassistische abgleitenden Ton im eklatanten Widerspruch zur Selbstverpflichtung der Landeszentrale für politische Bildung „Wir sind offen gegenüber Menschen und Themen und treten für Akzeptanz und Toleranz ein“ sowie zum Postulat: „Wir sind Garant für Pluralität, Ausgewogenheit und Qualität in der politischen Bildung.“

Wie dargelegt, hat sich die lpb nach dem NachDenkSeiten-Artikel gezwungen gesehen, den Blog-Eintrag 7 „Ukrainer und Russen“ zu entfernen. Doch was ist beispielsweise mit den Folgen 4 „Russische Fälschungen, Staatsideologie und die Strategie der Zerstörung“, Folge 6 „Odessa – falsche Mythen der Geschichte“ sowie Folge 7 „Brüderlichkeit“, wo, bis heute nicht korrigiert oder zumindest pädagogisch eingeordnet, eklatante Geschichtsverdrehungen betrieben und rassistischen Klischees Vorschub geleistet wird. Widmen wir uns chronologisch den erwähnten Blogeinträgen, die nach wie vor völlig unverändert so auf der Website der lpb stehen.

Folge 4 „Russische Fälschungen, Staatsideologie und die Strategie der Zerstörung“

„Anfang April wurde die zivilisierte Welt durch Beweise für russische Militärverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in der Nähe von Kiew schockiert.“

Schon der Einstiegssatz spricht Bände über die Verfasstheit der Autorin. Da wird gleich zu Beginn das historisch nun wirklich belastete Bild der „zivilisierten Welt“ versus den angeblichen ‚russischen Barbaren‘ bemüht. Man muss auch nicht lange warten, dann führt Kupriy tatsächlich dieses Vokabular explizit ein, wohlgemerkt auf der Seite einer Landesbehörde, die sich der politischen Bildung von vornehmlich Kindern und Jugendlichen widmet. Weiter heißt es dann nämlich: „So funktioniert die Psychologie der Barbaren…“, und geht über in den Satz:

„Wir lachten über die vom Fernsehen „zombifizierten“ Russen und merkten nicht, dass zu dieser Zeit in einem Nachbarland professionell Mörder herangezogen wurden.“

Im Gegenzug werden zum Beispiel die nachgewiesenen Gräueltaten und die Verherrlichung des Nazi-Kollaborateurs und militanten Antisemiten Stepan Bandera durch Gruppierungen wie Rechter Sektor und die Asow-Verbände kleingeredet. Dies seien lediglich „ein paar Fotos von Fackelzügen einzelner Organisationen“.

Folge 6 „Odessa – falsche Mythen der Geschichte“

„Vor etwas mehr als zweihundert Jahren entstand auf dem Territorium des Russischen Reiches eine absolut nichtrussische, sondern eine durch und durch europäische Stadt. (…) Die Stadt wurde als ein absolut einzigartiges Produkt gegründet. In dem vom Russischen Reich besetzten Steppengebiet musste so schnell wie möglich ein Hafen gebaut werden.“

Allein in diesen wenigen Sätzen stecken mehrere zweifelhafte Behauptungen. Zunächst natürlich der geografisch nicht haltbare Klassiker, Europa versus Russland zu setzen, dies ist allerdings ein Vorgehen, das selbst offizielle Lehrmaterialien der Bundeszentrale für politische Bildung übernehmen.

Dann die Behauptung, Odessa sei „absolut nichtrussisch“ und das Gebiet sei „vom Russischen Reich“ besetzt worden. Um diese Aussagen zu falsifizieren, reicht ein Blick auf Wikipedia und die dort zitierten historischen Quellen:

„1792 ging das Gebiet östlich des Dnister mit dem Frieden von Jassy an das Russische Kaiserreich. 1794 wurde auf Anweisung von Katharina der Großen die Stadt Odessa nahe der Festung Jeni Dünja gegründet.“

Das heißt, das Gebiet um die spätere Stadt Odessa wurde im Rahmen eines Friedensvertrages offiziell vom Osmanischen Reich an das Russische Zarenreich übergeben, der Terminus „besetzt“ ist daher nicht korrekt, denn es war, nach dem Vertrag von Jassy offiziell und von allen beteiligten Parteien anerkannt, russisches Staatsgebiet. Zumindest auf der Seite einer Behörde, die sich „Landeszentrale für politische Bildung“ schimpft, sollten solche Begriffe korrekt verwendet werden.

Bezüglich der Behauptung, Odessa sei im 18. und 19. Jahrhundert „absolut nichtrussisch“ gewesen, erlauben wir uns einen Blick auf die Einwohnerstatistik von Odessa für das Jahr 1897: Der Zensus von 1897 ergab einen Bevölkerungsanteil der Russen von 49,09 Prozent, gefolgt von 30,83 Prozent Juden, Ukrainer machten zu diesem Zeitpunkt in Odessa 9,39 Prozent aus. Die damalige Gesamteinwohnerzahl betrug 404.000.

Das führt uns zur nächsten faktenfreien Behauptung der lpb-Autorin: „Um das Bewusstseins zu beeinflussen“, so Kupryi, werde „eine Reihe von hartnäckigen Mythen verwendet“, zum Beispiel die Behauptung, Russisch sei die dominierende Verkehrssprache in Odessa.

Nun ja, im letzten offiziellen Zensus aus dem Jahr 2001 gaben 65 Prozent der Einwohner Russisch als Muttersprache an. Die letzte umfassende Umfrage durch das International Republican Institute im Jahr 2015 kam zu dem Ergebnis, dass 93 Prozent der Einwohner zuhause Russisch sprechen. Diese Zahlen finden sich auch bei Wikipedia:

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Autorin ihre Blogeinträge, trotz aller Hymnen auf die ukrainische Sprache und der Betonung, wieviel Unterschiede es zum Russischen gäbe („Die ukrainische Sprache weist 22 bis 29 Gemeinsamkeiten mit der tschechischen, slowakischen und polnischen Sprache auf – mit der russischen sind es nur elf“), nicht etwa auf Ukrainisch, sondern auf Russisch für die lpb verfasst und diese auch auf Russisch und nicht Ukrainisch auf der lpb-Seite veröffentlicht werden:

Die lpb sollte zudem, angesichts ihres bildungspolitischen Auftrags, folgende Behauptung ihrer Blog-Autorin prüfen lassen:

„Odessa ist der Geburtsort des unabhängigen Griechenlands.“

Folge 7: Die „Brüderlichkeit der Völker“ ist nichts weiter als eine Propagandafalle

Hier begrenzen wir uns auf die unkommentierte Wiedergabe der Aussagen der lpb-Autorin, die stehen in Inhalt, Intention und Sprachwahl für sich:

„Lasst uns über „Brüderlichkeit“ sprechen. Viele Jahre lang hat man uns gesagt, dass Ukrainer und Russen brüderliche Völker sind. Dieses von Russland aufgezwungene Paradigma hat erst jetzt seine Bedeutung verloren, wo keiner der bewussten Ukrainer einen Russen als seinen Bruder bezeichnen wird.“

„Eines der größten Missverständnisse der Russen ist, dass sie an unsere Gemeinsamkeit glauben, an eine Art gemeinsamen Kern.“

„Die Wahrheit ist, dass wir in Wirklichkeit verschiedene Gemeinschaften sind, von denen jede eine eigene Mythologie, Tradition und Kultur hat. Sie weigern sich, das zuzugeben, genauso wie sie sich weigern zu akzeptieren, dass die Ukraine ihre zivilisatorische Wahl längst getroffen hat.“

Folge 8: Der Pragmatismus der Ukrainer

„Ukrainer sind universell einsetzbar, beherrschen mühelos mehrere Spezialgebiete und sind dabei erstaunlich effizient.“

Dieser Schlüsselsatz der Folge 8 steht exemplarisch für die sich durch den gesamten Blog ziehende schablonenhafte Darstellung von Ukrainern, die ‚alles können‘, versus den ‚faulen und bequemen‘ Russen. Auch wenn letztere Darstellung mittlerweile durch die Verantwortlichen der lpb vom Netz genommen wurde, bleibt die permanent in den Blogbeiträgen präsente nationalistische Selbstüberhöhung von Ukrainern völlig unhinterfragt.

Folge 10: Alltagsleben in der Ukraine und in Deutschland

„Vor dem Krieg war die Ukraine auf dem Niveau eines guten mitteleuropäischen Landes, in dem es sich recht angenehm leben lässt.“

Kein, wirklich kein einziger sozialer oder wirtschaftlicher Indikator unterstützt diese Behauptung von Anna Kupriy. Im Gegenteil. Die Ukraine war (auch weit vor dem Krieg) das mit Abstand ärmste Land Europas. Wie Werner Rügemer in einem Beitrag für die NachDenkSeiten unlängst ausführte, betrug der gesetzliche Mindestlohn im Jahr 2015 in der Ukraine 0,24 Cent pro Stunde und erhöhte sich 2019 auf 78 Cent. Seit 2021 liegt er bei 1,21 Euro. Dies liegt weiter unter den entsprechenden Mindestlöhnen in den Nachbarländern wie Polen oder Rumänien.

Ähnlich dramatisch zeigt sich die Situation bei den Rentnern. Die Durchschnittsrente betrug 2014 vor dem Maidan-Putsch noch 140 Euro, sank danach dramatisch und beträgt seit 2017 weniger als 60 Euro.

Eine umfangreiche, 51 Länder umfassende Untersuchung, veröffentlicht im „European Journal of Epidemiology“, kommt für die Jahre 1990 bis 2016 zu dem Ergebnis, dass die Ukraine europaweit die meisten Todesfälle wegen Mangelernährung zu verzeichnen hat.

Angesichts dieser Zahlen muss sich die lpb auch hier fragen lassen, auf welcher faktischen Grundlage Kupriys generalisierte Aussage über das angeblich „mitteleuropäische“ Lebensniveau in der Ukraine beruhen soll.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Idee, einer ukrainischen Journalistin mit einem prominent platzierten „Blog“ auf der Website der Landeszentrale für politische Bildung eine Stimme zu geben, zumindest in dieser praktizierten Form, als gescheitert eingestuft werden muss. Bei einer Institution mit einem bildungspolitischen Auftrag wie der lpb sollte man vorher eruieren, wessen Geistes Kind die ausgewählte Autorin ist. Völlig ungefiltert und ungeprüft, Hass, Verachtung und Geschichtsverdrehungen auf den Seiten einer bildungspolitischen Institution für Kinder und Jugendliche zu veröffentlichen, lässt sich unter keinen Umständen rechtfertigen.

Titelbild: Screenshot lpb-bw.de

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