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Paradoxer Wirtschaftskrieg: Wer sanktioniert wen?

Published On: 29. Juli 2022 6:15

Bei den westlichen Sanktionen gegen Russland stellt sich wie bei jedem Wirtschaftskrieg die Frage: Wem nutzen die Einschränkungen unterm Strich wirklich? Wer sanktioniert wen?

Friedrich der Große sagte einmal, der Bürger solle gar nicht merken, wenn die Nation sich schlägt. Darin kam die Vorstellung zum Ausdruck, dass die militärischen Konflikte nur zwischen Armeen ausgetragen werden sollten, nicht aber zwischen Gesellschaften und Volkswirtschaften. Ob die Provinz Schlesien zu Österreich oder Preußen gehörte, sollte die wirtschaftlichen Beziehungen möglichst nicht stören. Diese Philosophie hat sich nicht durchgesetzt. Stattdessen sehen wir bis heute Konflikte nicht nur als Konflikte zwischen Regierungen, sondern auch als einen Kampf zwischen Volkswirtschaften, in denen es darum geht, dass die eine die andere ökonomisch niederringt. Kriege werden deshalb von Wirtschaftskriegen begleitet oder Wirtschaftskriege sollen an die Stelle eines konventionellen Krieges treten.

Die Kriegsanalogie ist aber tückisch. Die Wirkung in einem Krieg lässt sich einfach bestimmen: Wenn ein Artilleriegeschütz eine Granate abfeuert und einen Panzer kaputt macht, ist klar, wer den Nutzen und wer den Schaden hat. Bei einem „Wirtschaftskrieg“ sieht es ganz anders aus. So oft von Wirtschaftskriegen und Sanktionen gesprochen wird, so unklar ist, wer eigentlich gegen wen auf welche Weise „Krieg“ führt und welche Wirkungen Sanktionen haben. Es ist unklar, was überhaupt ein „kriegerischer“ Akt ist, wem dieser nützt und wem dieser schadet und was damit erreicht wird. Politiker, die Sanktionen verhängen, gleichen allzu oft einem Mann, der in einem völlig dunklen Raum einen Bumerang wirft, ohne zu wissen, in welcher Richtung sich der Feind befindet, den er mit dem Bumerang zu Boden strecken will.

Es wird zum Beispiel von protektionistisch gesinnten Politikern als aggressiver Akt gewertet, wenn ein anderes Land in den eigenen Markt zu niedrigen Preisen exportiert, weil dadurch die einheimische Industrie unter Druck gerät, Fabriken schließen und Arbeiter entlassen werden müssen. Es kann aber ebenso als aggressiver Akt betrachtet werden, wenn ein anderes Land seine Exporte einstellt und die einheimische Bevölkerung und Unternehmen nicht mehr mit den gewünschten Gütern versorgt. Es kann als aggressiver Akt gewertet werden, wenn ein Land sich weigert, die Güter eines anderen Landes aufzunehmen und Importe verbietet. Umgekehrt kann es aber auch als aggressiver Akt gelten, wenn ein Land aktiv Güter aus einem Land „weg kauft“, um den eigenen Markt mit diesen zu versorgen.

Aufwertung des Rubel

Wir können also bei einer „Sanktion“ nicht einmal sagen, ob es sich überhaupt um eine Sanktion handelt. Das zeigt deutlich die jüngste Auseinandersetzung um das russische Erdgas. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine forderte eine Reihe prominenter deutscher Politiker ein Gasembargo gegen Russland. Das heißt, Deutschland sollte Russland dadurch sanktionieren, indem es kein russisches Gas mehr importierte. Inzwischen empören sich deutsche Politiker darüber, dass Russland dieses Gas nicht mehr in den vereinbarten Mengen liefert und fürchten, es könnte seine Lieferungen ganz einstellen. Dabei entspräche ein solcher Stopp der russischen Gaslieferung ja dem, was die Befürworter eines Gasembargos gegen Russland im Frühjahr gefordert haben. Es ist also offensichtlich unklar, wer überhaupt wen sanktioniert.

Diese Unklarheit, wer eigentlich wen sanktioniert, betrifft auch den Rückzug westlicher Firmen aus Russland. Die westlichen Sanktionen wirken wie ein Schutzzoll für russische Unternehmen. Westliche Firmen haben in Russland Marktanteile erobert, die sie nun „freiwillig“ räumen mussten. Was Trump und Biden mit ihrem Appell „Buy American“ nicht erreichten, setzt der Westen für Putin in die Tat um. Wo westliche Konsumprodukte nicht mehr angeboten werden dürfen, sind die russischen Verbraucher darauf angewiesen,  „russisch“ zu kaufen. Darunter leiden vor allem die russischen Verbraucher, davon profitieren aber die russischen Unternehmen, die sich im Wettbewerb mit der westlichen Konkurrenz nicht behaupten konnten. Die westlichen Sanktionen schaffen also innerhalb Russlands Verlierer, das sind die Verbraucher, aber auch Gewinner, nämlich russische Produzenten. Politikökonomisch sind in der Regel die organisierten Brancheninteressen immer stärker als die diffusen Interessen der Konsumenten.

Das erklärt im Übrigen auch das Phänomen des starken Rubels. Tatsächlich ist der Rubel nicht trotz der Wirtschaftssanktionen, sondern wegen der Wirtschaftssanktionen so stark. Im Westen wird die Stärke des Rubels den magischen Fähigkeiten der russischen Zentralbankpräsidentin zugeschrieben. Dabei ist der Grundmechanismus simpel und wurde unter anderem auch von Milton Friedman in seinem Aufsatz „The case for flexible exchange rates“ von 1953 beschrieben. Wenn ein Land Güter exportiert, steigt die Nachfrage nach seiner Währung. Fremdwährungen werden in seine Währung umgetauscht. Wenn es Güter importiert, muss es seine Währung in andere Währungen umtauschen. Wenn also der Export steigt, aber die Importe reduziert werden, steigt der Wechselkurs. Das ist die Wirkung der Sanktionen: Da die Energienachfrage in der Welt nach russischer Energie konstant bleibt, gleichzeitig der Westen aber seine Importe nach Russland einstellt, führt das zur Aufwertung des Rubels.

Hält Russland länger durch oder der Westen?

Im Grunde liegt die durch die Sanktionen bewirkte Wirtschaftspolitik der Russen ganz auf der Linie der neomerkantilistischen Handelspolitik, die seit der Jahrtausendwende immer mehr Anhänger gewonnen hat. Die Konsumnachfrage der Bevölkerung wird reduziert, die Reallöhne werden absenkt, damit werden die Importe reduziert, was zu einer positiven Handelsbilanz führt. Auch an dieser Stelle ist wiederum unklar, wer wen sanktioniert. Schließlich haben die USA den Chinesen und Deutschen vorgeworfen, ihre Reallöhne und die Konsumnachfrage gesenkt zu haben und deshalb für das Handelsdefizit anderer Staaten verantwortlich zu sein. Der einzige solide Punkt, mit dem sich argumentieren lässt, dass die Russen die Sanktionen nachhaltig treffen, ist der Umstand, dass Russland von Technologie-Importen abgeschnitten wird, die es selbst nicht substituieren kann.

Im Prinzip lässt sich also der Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland auf den einen wesentlichen Nenner bringen: Hält Russland es länger aus, von Technologie-Importen aus dem Westen abgeschnitten zu sein oder Europa von russischen Energieimporten? Finden die Russen schneller einen Ersatz für die westlichen Technologien oder die Europäer einen Ersatz für die russische Energie? Jede Seite zielt auf die Achillesferse des Anderen, ohne voraussagen zu können, ob sie diese tatsächlich trifft, bevor sie selbst zu Boden geht. Das selbe Problem hatte bereits Napoleon, als er gegen die Briten die Kontinentalsperre verhängte. Napoleons Wirtschaftsblockade traf die französischen Küstenstädte, die vom Handel mit Großbritannien gelebt hatten, so hart, dass der französische Staat den Schmuggel von Frankreich nach England am Ende sogar förderte, während die Franzosen gleichzeitig den besetzten deutschen Staaten diesen Handel verboten.

Einfluss der Sanktionen nicht erkennbar

Wir sehen also, wie komplex die Frage ist, wen Wirtschaftssanktionen eigentlich treffen und was sie bewirken. Es wird oft gesagt, das Ende der Apartheid in Südafrika sei durch Wirtschaftssanktionen erreicht worden. Das ist falsch oder wenigstens verkürzt. Andere Faktoren waren wichtiger. Die schwarze Bevölkerung Südafrikas wuchs in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg von fünf Millionen auf heute 45 Millionen Menschen an. Bei dieser demographischen Dynamik wurde in den achtziger Jahren selbst eingefleischten Befürwortern der Rassentrennung klar, dass sie nicht vor der Alternative standen, das System abzuschaffen oder zu behalten, sondern allein die Frage war, ob die Apartheid friedlich oder gewaltsam abgewickelt werden würde. Unter diesen Umständen war Mandela für die weiße Minderheit, deren Anteil an der Bevölkerung immer weiter sank, die beste Option. Die Wirtschaftssanktionen selbst haben eine untergeordnete Rolle gespielt.

Es ist zwar richtig, dass Südafrika im Verlauf der achtziger Jahre ökonomisch immer stärker unter Druck geriet, doch dabei spielten die Sanktionen nur eine untergeordnete Rolle. Südafrikas wichtigstes Exportgut war Gold. Gold spielte damals für die Südafrikaner eine so wichtige Rolle wie heute noch das Öl für die Saudis. Was Südafrika getroffen hat, waren nicht in erster Linie die Sanktionen, gegen die sich im Übrigen die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher massiv zur Wehr gesetzt hat, sondern der Verfall des Goldpreises. 1985 hatte sich der Goldpreis gegenüber dem Beginn des Jahrzehnts fast halbiert. Die Ursachen waren, dass die Federal Reserve unter ihrem Präsidenten Paul Volcker die Dollarinflation mit Hochzinspolitik bekämpfte und die Sowjetunion neue Vorkommen erschlossen hatte. Betrachtet man die Entwicklung des Goldpreises und der Goldproduktion in dieser Zeit, ist ein Einfluss der Sanktionen nicht erkennbar.

In die Knie zwingen lässt sich eine Volkswirtschaft durch Sanktionen nur, wenn man sie tatsächlich fast vollständig von der Weltwirtschaft abkoppelt. Dafür gibt es tatsächlich nur ein Beispiel, nämlich die Wirtschaftssanktionen der Bush-Regierung gegen den Iran. Tatsächlich hatte es die Bush-Regierung am Ende erreicht, den Iran so vollständig aus dem internationalen Finanzsystem auszugliedern, dass dem Iran nur noch rudimentärer Grenzhandel möglich war. Dazu war es gekommen, weil der amerikanischen Wirtschaftsdiplomatie gelungen war, auch Russen, Chinesen, Inder und Ostasiaten in ihre Isolationspolitik miteinzubeziehen. Dies war für einen kurzen Moment in der Geschichte möglich, weil die USA im Zuge des Kampfes gegen den Terror über die politische Lage in Moskau und Peking hinwegsah und sich ganz auf Teheran konzentrierte und beide Mächte zu diesem Zeitpunkt ein Einvernehmen mit Washington anstrebten.

Investitionen von 400 Milliarden Dollar

Die Mullahs sahen sich damals mit dem totalen Kollaps ihrer Wirtschaft konfrontiert. Da Allah aber mit den Standhaften ist, sendete er ihnen in der Stunde der Not einen unverhofften Retter: Bushs Nachfolger Barack Obama. Für Obama war die Aussöhnung zwischen den USA und dem Iran so etwas wie eine fixe Idee. Am Ende räumte die Obama-Administration das über Jahre aufgebaute und mit einem enormen politischen Kraftaufwand geschaffene Sanktionsregime ab, im Gegenzug für leere Versprechungen und nicht überprüfbare Zusagen Teherans, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Als Donald Trump die Sanktionen später wieder in Kraft setzte, hatte sich die internationale Lage radikal gewandelt. Statt sich den westlichen Sanktionen anzuschließen, hat China mit dem Iran ein Abkommen ausgehandelt, das in den nächsten 25 Jahren Investitionen von 400 Milliarden Dollar vorsieht.

Da kommen wir zu den zwei großen politischen Problemen der Sanktionspolitik. Erstens ist in einer globalisierten Weltwirtschaft die ökonomische Isolation eines Landes nur möglich, wenn die großen Wirtschaftsmächte sich weitgehend einig sind, zweitens, wenn die Regierungen über einen langen Zeitraum daran festhalten. Das Beispiel Iran zeigt, wie schwierig das ist. Wer Sanktionen zu gewärtigen hat, kann versuchen, Staaten aus der Sanktionsallianz herauszulösen, und er kann auf Zeit spielen und darauf setzen, dass seine politischen Gegner im Westen abgewählt werden. Beide Strategien hat Putin verfolgt. Ihm gelang es erstens, sich den Rückhalt durch China zu sichern und dass große Staaten wie Indien, Brasilien, die Türkei und die arabischen Staaten sich an der Sanktionsallianz nicht beteiligen. Zweitens spielt er auf Zeit und setzt darauf, dass die Akteure von heute in absehbarer Zeit nicht mehr im Amt sein werden und ihre Nachfolger eine andere Politik betreiben.

Was lässt sich also abschließend über Sanktionspolitik sagen? Sanktionen haben in den meisten Fällen vor allem eine symbolische und psychologische Bedeutung. Politiker erlassen sie, um der Öffentlichkeit Entschlossenheit zu demonstrieren, ohne zu militärischen Mitteln greifen zu müssen. Das hat sie insbesondere im Westen zu einem beliebten Mittel der Außenpolitik gemacht. Eine gewisse Plausibilität hatte dieses Vorgehen in der Phase nach dem Ende des Kalten Krieges, als der Westen die wirtschaftliche Dominanz ausübte und die USA die einzige verbliebene Weltmacht war. Selbst kleine und unbedeutende Despoten haben aber heute die Möglichkeit, sich dem wirtschaftlichen Druck des Westens zu entziehen, indem sie sich dem Lager Chinas anschließen. Das Schwert der Wirtschaftssanktionen, das, wie beschrieben, schon immer zweischneidig war, ist durch die globale Rivalität zwischen den USA und China zu einer stumpfen Waffe geworden.

Dr. Gérard Bökenkampgeb. 1980, ist Historiker. Sein Forschungsschwerpunkt ist Wirtschafts- und Zeitgeschichte, besonders die Geschichte der internationalen Politik. Für seine Doktorarbeit mit dem Titel „Das Ende des Wirtschaftswunders“ wurde er 2011 mit dem Europapreis des Vereins Berliner Kaufteute und Industrieller (VBKI) ausgezeichnet. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel, Rezensionen, Blog- und Radiobeiträge zu politischen und wirtschaftlichen Themen.

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