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Baerbock in Athen: Seenotrettung als staatliche Aufgabe, „sichere Grenzen“ auch für illegale Migration

Published On: 30. Juli 2022 18:00

Auf ihrer Reise nach Griechenland und in die Türkei versucht Außenministerin Baerbock, die große Politik und grüne Ideale überein zu bringen. In Athen forderte sie sichere Grenzen, auch für Migranten. In Istanbul gab es deshalb Streit. Den grünen Mittelmeer-NGOs entzog sie derweil die Geschäftsgrundlage: Seenotrettung sei Aufgabe der Staaten.

Für Deutschlands grüne Außenministerin bricht eine Zeit der Widerrufe und Kehrtwenden an. Die berühmte Realpolitik fordert ihren Zoll. Vor der Wahl hatten die Grünen umfangreichen „Reformbedarf“ angemeldet, gerade auch in der Außenpolitik. Es war die Agenda der zukünftigen Ministerin Baerbock, getrieben vom grünen Weltverbesserungswahn. Damit werden die grüne Partei und ihre Frontfrau noch eine Weile ringen müssen.

Exemplarisch sind hier die Konflikte im Mittelmeer, bei denen es um illegale Migration und Einflusszonen geht. Gerade erst hat sich herausgestellt, dass auch eine grüne Außenministerin keine Zeitenwende im zentralen Mittelmeer einleiten konnte – vielmehr bestätigte sie die Politik ihrer Vorgänger und befestigte so die Rolle der libyschen Küstenwache in der Seenotrettungs-Zone des Landes. Grüne Interessenvertreter, NGOs ebenso wie Bundestagsabgeordnete, waren entsetzt. Baerbock hatte ihnen die Geschäftsgrundlage entzogen. Und die Hinweise darauf mehren sich inzwischen.

Nun also vier Tage an der Ägäis für die corona-geplagte Außenministerin. In der Ankündigung des Auswärtigen Amts führt Baerbocks Doppelreise zunächst zu „einem der engsten Partner in Europa“, danach zum „unverzichtbaren NATO-Verbündeten“ Türkei, die mit Deutschland so verbunden sei „wie kaum ein anderes“ Land. Das könnte Sprengstoff geben, und zwar für die diplomatischen Beziehungen zu beiden Ländern, die durch verschiedene Konflikte getrennt werden.

Riskanter Basar um die Ägäis

Auch der symbolbeladene Doppelbesuch in Griechenland und der Türkei steht zwangsläufig im Zeichen des brodelnden Konflikts um die illegale Migration. Denn zwischen den beiden uneinigen Ägäis-Anrainern wird alltäglich ein weiteres „Kapitel“ der europäischen Migrationspolitik ausgefochten: Griechenland wirft seinem östlichen Nachbarn vor, die illegale Migration zu instrumentalisieren und für politische Zwecke zu missbrauchen. Die Türkei klagt Griechenland an, es weise Migranten zurück und bringe sie so in Gefahr.

Daneben tut die Türkei so, als hätte sie Anspruch auf die halbe Ägäis, obwohl griechische Inseln im Dutzend mit eigenen Sicherheits- und Wirtschaftszonen dagegen stehen. Entsprechende Landkarten waren erst jüngst wieder aus dem Umfeld der türkischen Regierung aufgetaucht und hatten eine Entgegnung von Premier Kyriakos Mitsotakis provoziert.

Auch persönlich hat Erdogan immer wieder eine expansionistische und revisionistische Agenda für sein Land vorgetragen, in der die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs geschlossenen Verträge wenig gelten. Manchmal blieb dieser Expansionismus rhetorisch, wenn der Präsident die Einfluss-Sphären der Türkei von Zentralasien bis zum Balkan ausdehnt, dann wurde er konkret und kriegerisch wie in Nordsyrien, wo die türkische Armee immer mehr Landstriche unter ihre Kontrolle bringt, um von der jahrzehntelangen Besetzung Nord-Zyperns zu schweigen.

Insofern ist Vorsicht angebracht, wenn regierungsnahe türkische Experten immer wieder von einer „Blauen Heimat“ in der Ägäis fabulieren, bei der die griechischen Inseln keine Rolle zu spielen scheinen. Realistisch scheint das nicht, eher gleicht es Forderungen im Bazar-Stil, durch die Ankara sich als Mittelmacht profilieren will. Aber das bedeutet nicht, dass diese Methode ohne Risiken für den Frieden in der Region wäre. 2020 kam es über den Territorialansprüchen zu mehreren Mobilmachungen in Griechenland. Baerbocks Aufgabe war es nun, die griechisch-türkischen Konflikte so gut wie möglich mit der eigenen grünen Agenda zu verbinden. Gar nicht so einfach.

Rettung von Migranten soll wieder zur staatlichen Aufgabe werden

In Athen wollte Baerbock nun hören, „was wir als Europäische Union dafür tun müssen, dass unsere gemeinsame Außengrenze sicher ist – auch für die Menschen, die unter Lebensgefahr bei uns Zuflucht suchen“. Baerbock sprach zwar von Sicherheit, aber in Wahrheit dominiert hier das Migrationsmotiv. Sie sprach zwar von Grenzen, meinte damit aber etwas ganz anderes als ihre konservativen Gesprächspartner in Athen. Zuletzt sprach sie von Menschen in Lebensgefahr, aber nicht von den Ursachen dieser Gefahr. Keine Rede vom sicheren Drittland Türkei. Auch dass türkische Sicherheitskräfte diese Bootsfahrten ja erst zulassen, erwähnte die sicher gut informierte Ministerin nicht. Auch nicht in Istanbul und Ankara.

Stattdessen ermahnte Baerbock die Griechen, an der europäischen Außengrenze müssten „die Menschenrechte rund um die Uhr eingehalten werden“. Ganz so, als ob es heute unterschiedliche Vorgehensweisen um neun Uhr früh oder elf Uhr abends gäbe. Es ist auch nicht wahr (und doch wird es von Baerbock behauptet), dass Hilfsorganisationen derzeit die Seenotrettung in der Ägäis übernommen hätten. Diese Aufgabe liegt vollständig bei der griechischen Küstenwache, worauf die Athener Regierenden inzwischen gesteigerten Wert legen. Den früher aktiven NGOs – etwa dem Berliner Verein Mare Liberum – hat man die „Lizenz“ zum Schleusen mit Hilfe staatsanwaltlicher Ermittlungen entzogen. Es bleibt bei (im Vergleich mit früher) geringen Zuströmen von einigen hundert ankommenden Migranten im Monat, wenn man der noch tätigen, eher beobachtenden NGO „Aegean Boat Report“ glauben mag. Aber auch sie haben die griechischen Staatsanwälte auf dem Kieker.

Insofern fällt Baerbock etwas aus Zeit und Raum, wenn sie das NGO-Modell aus den internationalen Gewässern des zentralen Mittelmeers nach Griechenland kopiert und fordert, dass die Rettung von Migranten vor dem Ertrinken „mittelfristig wieder zu einer staatlichen Aufgabe werden“ müsse. Diese Bemerkungen sind am ehesten ein Abschied von den eigenen, grünen Idealen, die im Herumschippern und „Helfen“ eine Lebensaufgabe der deutschen Jugend erkannten. Von diesem Ideal muss die Außenministerin nun Abschied nehmen. Nebenbei entzieht Baerbock den grünen Migrations-NGOs im Mittelmeer so das Mandat. Damit dürfte sie auch innerparteilich einen Drahtseilakt beginnen.

Pflock in Ankaras Herz

Denn Baerbock muss als EU-Außenpolitikerin natürlich für sichere Grenzen sein. Anders geht Realpolitik nicht. Am Freitagmorgen rammte Baerbock in Athen einen Pflock ein, der das deutsch-türkische Verhältnis mittelfristig verändern könnte: Griechische Inseln wie Lesbos, Rhodos usw. seien griechisches Territorium und sollten das auch bleiben. Niemand habe das Recht, das zu bezweifeln.

Das sind so weit Selbstverständlichkeiten. Doch die Ministerin ging weiter, lobte die griechische Regierung für ihre Umsicht und forderte Gleiches von allen Beteiligten. Dann eine noch deutlichere Spitze gegen die Türkei im alten kritischen Oppositionsstil: „Es ist wichtig, dass wir wahrnehmen und sehen, was sich in den vergangenen Jahren verändert hat und was das für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei bedeutet.“ Baerbock will dabei auch stärker als „europäische Familie“ handeln.

Außenminister Cavusoglu reagierte mittelstark empört. Er beklagte die Aufgabe der bis dahin „ausgewogenen Haltung“ der Bundesregierung. Außerdem trug er vor, dass Griechenland die Verträge von Lausanne (1923) und Paris (1947) verletze, indem es die Inseln der Nordägäis und der Dodekanes um Rhodos militarisiert habe. Allerdings lässt der Lausanner Vertrag militärische Truppen auf den Inseln der Nordägäis zu, solange sie vor Ort ausgebildet werden können. Auch der Folgevertrag von Paris lässt sich so interpretieren. Daneben fühlt sich Athen von der türkischen Expansionsagenda bedroht. Die griechische Marine hilft auch beim Aufspüren illegal kreuzender Boote. Außenminister Nikos Dendias forderte erneut, die deutschen U-Boot-Lieferungen an Ankara zu überdenken.

Baerbock: Deutschland kein Opfer von Propaganda

Tatsächlich waren die Grünen in der Opposition stets die Falken in der deutschen Türkei-Politik. Mit Cem Özdemir an der Spitze kritisierten sie Erdogan, wo es nur ging. Übertroffen wurden sie dabei nur von der Linken Sevim Dagdelen, die ebenfalls eine überaus kritische Meinung zum Herkunftsland ihrer Vorfahren hat. Erdogan ist für die Grünen ein Demokratieverächter, ein Menschen- und Frauenrechtsverletzer, der aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen gegen Gewalt austrat.

In Istanbul nannte Baerbock den türkischen Außenminister Cavusoglu – in Heiko-Maas-Gedächtnis-Diktion – „meinen Freund Mevlüt“. Aber die gemeinsame Pressekonferenz verlief angespannt mit den Störfeldern Ägäis, Menschenrechte und Syrien. Denn Cavusoglu warf Baerbock vor, die Partei Griechenlands zu ergreifen, weil es Mitglied der EU sei, und das „obwohl es einen Fehler macht“. Von Deutschland forderte er Neutralität, dritte Länder dürften sich nicht auf „Provokationen und Propaganda“ aus Griechenland und Zypern einlassen.

Baerbock gab eine ihrer tollkühnen Antworten: „Ich weiß nicht, ob die Übersetzung falsch war, aber Deutschland ist sicher kein Opfer von Propaganda. Als EU-Mitglied und als größtes Land Europas interessieren wir uns für unsere Grenzen und für die Grenzen der EU. In Griechenland habe ich mich sehr klar zu diesem Thema geäußert.“ Doch Cavusoglu blieb bei seiner Behauptung.

Dann forderte Baerbock noch die Freilassung des oppositionellen Unternehmers Osman Kavala, die auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) gefordert habe. Kavala soll Proteste gegen die Regierung Erdogan 2013 unterstützt haben. Cavusoglu erwiderte, auch Griechenland, Frankreich, Norwegen und Deutschland hielten sich nicht an die Urteile des EGMR. „Warum erwähnen Sie Kavala? Weil Sie ihn benutzen“, so zeigte auch Cavusoglu seine Verwegenheit.

Es wird ihm nicht viel nützen, die Grünen werden auch weiterhin auf der Menschenrechtsagenda beharren. Aber dass sie damit im Ankara der AKP Gehör finden, erscheint ebenfalls unwahrscheinlich. Am Samstag traf sich Baerbock schließlich mit der türkischen Opposition, darunter auch der kurdisch-freundlichen HDP. Das ist noch so eine Erinnerung an eigene Oppositionszeiten. Man wird ja noch träumen dürfen Aber zwischendurch muss die Ministerin aufwachen und die Box-Handschuhe für die harte Realpolitik schnüren.

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