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Ausgestoßene der Woche: Die Glaubwürdigkeit des Friedrich Merz

Published On: 5. August 2022 10:00

Friedrich Merz cancelt sich selbst. Er sagte seine Teilnahme an der Veranstaltung „Transatlantisches Forum“ ab – angeblich weil auch Achgut- und Meinungsfreiheits-Anwalt Joachim Steinhöfel eingeladen war. Doch der Schuss ging nach hinten los.

„Republicans buy sneakers too“, Republikaner kaufen auch Turnschuhe, soll der amerikanische Basketball-Superstar und Sammler eines umfangreich-lukrativen Product Endorsement Portfolios Michael Jordan einmal geantwortet haben, auf die Frage, warum er nie öffentlich zu politischen Angelegenheiten (zwischen den Zeilen: Im Sinne des kulturell tonangebenden Progressivismus) Position beziehe. 

An das Zitat musste ich diese Woche denken, als Friedrich Merz Bekanntschaft mit der Tatsache machte, dass man nicht nur eine selbsterklärt linksliberale Shitstormeria gegen sich aufbringen kann, sondern auch Konservative. Der CDU-Bundesvorsitzende hatte zunächst erklärt, trotz eines gewissen politischen Gegenwinds, unter anderem von Seiten der Grünen, an seiner zugesagten Teilnahme an einer Veranstaltung des (in linken Kreisen verpönten) konservativen deutschen Medienportals The Republic in der Baden-Württembergischen Landesvertretung festhalten zu wollen. Zum „Transatlantisches Forum“ genannten Abend am 31. August hat sich auch der republikanische US-Senator und Trump-Unterstützer Lindsey Graham angekündigt – ursprünglich war vorgesehen, dass er und Merz in einer Podiumsdiskussion aufeinandertreffen.

Wenig später kam dann doch die Absage, von einigen Journalisten, darunter der Zeit-Korrespondentin Mariam Lau, hochgejazzt als Abgrenzung des CDU-Vorsitzenden von „der AfD-Nähe einiger der sonstigen Veranstaltungsteilnehmer“, namentlich Achgut-Herausgeber Henryk M. Broder und Rechtsanwalt und Achgut-Autor Joachim Nikolaus Steinhöfel. In einem Bericht des RedaktionsNetzwerks Deutschland (rnd), der dem Lau-Framing folgte, wurde ersterer zum „umstrittenen Publizisten“, letzterer zum „AfD-Anwalt“, eine Formulierung, zu der das Medium inzwischen eine Korrektur veröffentlicht hat, da Steinhöfel die AfD nur bei einem Verfahren vertreten und das Mandat inzwischen niedergelegt hat, aus Gründen, die in diesem BILD-Artikel näher erläutert werden.

„Dann sind wir nicht anders als die Linken“

Tatsächlich war die Wahrheit wohl deutlich weniger spektakulär, als der atemlose Haltungs-Journalismus sie zunächst erscheinen ließ. Merz nimmt Steinhöfel offenbar übel, dass dieser in einem Parteiausschlussverfahren den ehemaligen Bundesvorsitzenden der Werteunion, Max Otte, vertreten hatte. Mit der Teilnahme Broders habe die Absage des CDU-Chefs nichts zu tun, schreibt die BILD unter Berufung auf Quellen in dessen Umfeld. Offenbar spielte auch Druck aus den eigenen Reihen eine wichtige Rolle bei Merz‘ Kehrtwende. „Inzwischen verdichten sich die Hinweise aus dem Umfeld von Merz, dass der Parteivorsitzende zu der Absage seiner Teilnahme ‚überredet‘ werden musste – von Angehörigen des Merkel-Flügels in der CDU-Fraktion“, schreibt Henryk M. Broder in einem lesenswerten Kommentar zu der Causa.

Als er The Republic öffentlichkeitswirksam absagte, stellte Friedrich Merz klar, dass er sich trotzdem privat mit Lindsey Graham treffen will, wenn dieser Ende August in Berlin ist. Aber der amerikanische Politiker möchte sich nun nicht mehr mit ihm treffen. „Bei Konservativen geht es um einen offenen, ehrlichen Dialog, in dem Standpunkte dargelegt werden und die Menschen zusammensitzen und einander zuhören“, sagte Graham in diesem Zusammenhang gegenüber BILD. Konservative würden sich „nicht gegenseitig canceln, bevor sie sprechen“. Das sei ein Markenzeichen demokratischer und konservativer Prinzipien. Folge man den Prinzipien nicht, „dann sind wir nicht anders als die Linken“.

Auch andere prominente Stimmen sind von Merz‘ Haltungsperformance wenig beeindruckt. „Schande über den feigen Merz“, twitterte etwa der Ex-US-Botschafter in Deutschland Richard Grenell. „Tut uns echt leid, Friedrich, aber nicht wir haben es vermasselt, sondern Du. Jetzt bist Du allein im Haus. Viele Grüße an Dein Umfeld“, schreibt Henryk M. Broder. Conservatives exist too. Manchmal sollen Konservative sogar christdemokratische Parteien wählen, habe ich gehört. Und wer von allen gemocht werden will, muss aufpassen, dass er am Ende nicht von niemandem so richtig gemocht wird.

„Das Ansehen der Landesvertretung beschädigen“

Postskriptum 1: Ich weiß, das wird an den Business Schools nicht mehr gelehrt, aber manchmal sollen Konservative sogar Autos kaufen oder an karitative Zwecke spenden. Kleiner Tipp an die werbetreibenden Organisationen, die die Achse des Guten jüngst mit nebulöser Begründung auf ihre sogenannten „Exklusionslisten“ gesetzt haben.

Postskriptum 2: The Republic wird sich für das „Transatlantische Forum“ wohl neue Räumlichkeiten suchen müssen. Die baden-württembergische Landesvertretung meint, die vorgelegte Referentenliste sei geeignet, „das Ansehen der Landesvertretung zu beschädigen“. Jedenfalls stand das in einem vom offiziellen Account der Vertretung abgesetzten Twitter-Thread, der inzwischen gelöscht worden ist.

Meinungsfreiheit heißt Meinungsfreiheit

Auf YouTube wurden letzte Woche sämtliche Kanäle des Berliner Medienunternehmens OVALmedia vollständig gelöscht. Das Unternehmen betrieb bis dato Kanäle mit Inhalten in deutscher, italienischer, französischer und englischer Sprache. OVALmedia ist für sogenannte „coronakritische“ Produktionen bekannt, darunter die Dokumentation „CORONA.film Prolog“ (2021). Das Unternehmen überträgt auch live die Sitzungen der „Stiftung Corona-Ausschuss“, wo auch seltsame Stimmen prominent zu Wort kommen, etwa der innerparteilich sehr umstrittene Co-Vorsitzende der Basis, Reiner Fuellmich, der meint, die etablierte Politik verfolge mit der Corona-Impfung eine „organisierte Massentötung“ schlimmer als der Holocaust. Trotzdem: Meinungsfreiheit heißt Meinungsfreiheit. Daher: #FreeOVALmedia!

Widerstand gegen „Ausbeutung“

Die Crowdfunding-Plattform Patreon hat letzte Woche den Account des Netzwerks Linker Widerstand gesperrt, das nach eigener Aussage linkslibertäre, kommunistische und anarchistische Akteure in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg zusammenbringt, um Widerstand gegen „Ausbeutung“ und den „Corona-Ausnahmezustand“ zu organisieren. Nach Angaben des Netzwerks waren die auf der eigenen Webseite veröffentlichten Artikel „Die Aufarbeitung der Corona-Vergangenheit und ihre Tabus“ und „‚Die Pandemie ist – nicht – zu Ende …‘ – Von der Post-Corona-Gesellschaft in den totalitären Reset?“ ausschlaggebend für die Sperre.

So kennt man sie, unsere Spezialdemokraten

Der ehemalige SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans hat diese Woche einen Zugbegleiter bei dessen Arbeitgeber Deutsche Bahn denunziert, weil dieser sich in einer Durchsage an die Fahrgäste despektierlich über die Gendersprache und seinen Parteifreund, den Bundesgesundheitsminister und Corona-Hardliner Karl Lauterbach, geäußert hatte. So kennt man sie, unsere Spezialdemokraten, stets zuverlässig auf der Seite der Arbeiterklasse. Mehr zum Thema lesen Sie im Achgut-Beitrag von Peter Grimm: „Im Zug mit Genosse Walter-Borjans“.

Das Fass zum Überlaufen gebracht

Im englischen Hampshire wurde diese Woche der Armee-Veteran Darren Brady vor laufender Kamera in der Einfahrt seines Privatanwesens festgenommen. Die Polizeibeamten in England dürfen das, wenn jemand drei oder mehr Dinge in den sozialen Medien gepostet hat, die von Mitgliedern der Öffentlichkeit als „angstauslösend“ gemeldet wurden. Konkret ging es nach Angaben des Magazins Spiked um einen Witz Bradys über die bekannte Leidenschaft des schwulen Wasserspringers Tom Daley fürs Stricken und das Teilen eines „Hitler im Bunker“-Memes. Das Teilen eines weiteren Memes, das vier sogenannte Progress Pride Flaggen in einer, nun ja, verstörenden Anordnung zeigt, habe schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht.

„Religiöse, kulturelle und familiäre Bedenken“

In  Australien hat das Rugby-League-Team Manly Sea Eagles letzte Woche sieben der eigenen Spieler von einer wichtigen Partie gegen die Sydney Roosters ausgeschlossen. Grund: Die Spieler wollten ein vom Club zur symbolpolitischen Unterstützung der LGBTQ-Community entworfenes Regenbogen-Trikot nicht tragen. Als Begründung gaben sie „religiöse, kulturelle und familiäre Bedenken“ an. Sogar der australische Premierminister Anthony Albanese (Labor Party) sah sich bemüßigt, sich in die aufgeregte Debatte einzubringen – er kritisierte, dass die Spieler sich gegen einen Sport stellten, der immer inklusiver werde. Der Trainer der Manly Sea Eagles, Des Hasler, findet die Pride-Trikots grundsätzlich begrüßenswert. Er äußerte allerdings auch ein gewisses Verständnis für die Spieler und monierte, dass diese vom Club in der Angelegenheit nicht im Voraus konsultiert worden waren. (Quelle: Welt)

„Schwarze, Latinx und indianische“ Studieninteressenten

In den USA hat indessen die staatliche University of California, San Diego, drei Tage „Tag der offenen Tür“ ausschließlich für „schwarze, latinx und indianische“ Studieninteressenten und deren Angehörige angekündigt. Solche rassensegregierten Veranstaltungen verstoßen, egal wie progressiv die Aufmachung, gegen amerikanisches Recht und sind unmoralisch, erklärt Sabrina Conza von der liberalen Bürgerrechtsorganisation Foundation for Individual Rights and Expression (FIRE) in einer Stellungnahme zu der Causa.

Ein Verweis auf Menschen mit spastischen Lähmungen

Nach der Rapperin Lizzo ist R&B Superstar Beyoncé die zweite amerikanische Künstlerin binnen weniger Wochen, die sich bemüßigt sieht, einen Song neu aufzunehmen, damit darin nicht mehr der Slang-Begriff „spazz“ auftaucht. Wie ich am 17. Juni 2022 in meiner Ausgestoßenen-Kolumne erklärt habe, hat das Wort „in den USA und im Vereinigten Königreich eine unterschiedliche Bedeutung. Jenseits des großen Teichs bedeutet es so etwas wie ‚alle Kontrolle verlieren‘, auf der Insel mit den Corgis und den ikonischen roten Briefkästen ist es eine verletzende Bezeichnung für Menschen, die an Spastik leiden.“ Auf ihrem jüngsten Album „Renaissance“ sang Beyoncé in der ursprünglichen Version des Songs „Heated„Spazzing on that ass / Spaz on that ass“. Ein Verweis auf Menschen mit spastischen Lähmungen? Ziemlich unwahrscheinlich.

Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!

Mehr vom Autor dieser wöchentlichen Kolumne Kolja Zydatiss zum Thema Meinungsfreiheit und Debattenkultur lesen Sie im Buch „Cancel Culture: Demokratie in Gefahr“ (Solibro Verlag, März 2021). Bestellbar hier. Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de.

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