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Lehrkräftemangel – die Gefahr der Entprofessionalisierung

Published On: 5. August 2022 9:20

Heinz Moser /  Besser eine unausgebildete Lehrperson als keine. Diese Überzeugung hilft wenig und schwächt das Bildungssystem zusätzlich.

Seit der Lehrpersonenmangel offensichtlich geworden ist, ächzen die Schulen unter dem Druck, im Herbst alle Lehrstellen besetzen zu müssen. So fehlten im Kanton Zürich vor den Sommerferien noch mehrere hundert Lehrpersonen. Und in anderen Kantonen sieht es kaum besser aus.

Lehrpersonenmangel
Information der Bildungsdirektion Zürich.

Die Gründe für den Lehrkräftemangel

Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) fasst wesentliche Ursachen des Lehrkräftemangels in «Bildung Schweiz» zusammen:

So steige die Anzahl der Schülerinnen und Schüler gerade zu einer Zeit, wo die Babyboomer unter den Lehrpersonen in Pension gehen. Der Höhepunkt der Pensionierungswelle sei laut Bundesamt für Statistik ausgerechnet das Jahr 2022. Dazu komme, dass viele Lehrerinnen und Lehrer nicht im Beruf bleiben: Die Austritte bewegten sich um 7 Prozent im Jahr. Zudem decke der prognostizierte Anstieg von Studierenden an Pädagogischen Hochschulen gerade die Hälfte des Bedarfs, wobei zwischen 5 und 23 Prozent der Absolvierenden nicht als Lehrpersonen tätig werde.

Schnellbleichen helfen nicht

Allerdings lassen sich jahrelange Versäumnisse nicht in wenigen Monaten beheben – auch wenn man versucht, mit Notmassnahmen das Gröbste zu verhindern: Pensionierte Lehrpersonen werden aktiviert, Studierende von Pädagogischen Hochschulen (PH’s) unterbrechen das Studium, um als Lehrkräfte eingesetzt zu werden. Im Kanton Zürich können nach den Sommerferien sogar Unausgebildete als Lehrkräfte in die Schulen geschickt werden, um Engpässe mit geeigneten Personen zu überbrücken. Gesucht werden Personen ohne Lehrdiplom, die danach das Studium zur Volksschullehrperson in einer Pädagogischen Hochschule in Angriff nehmen wollen. Diese Anstellungen sind auf ein Jahr befristet, wobei die Ausgewählten in Kurzkursen und Planungswochen in das Zürcher Schulwesen eingeführt werden, den Berufsauftrag von Lehrpersonen kennenlernen und Unterstützung bei der Vorbereitung und Planung ihres Unterrichts erhalten.

Mit Schnellbleichen die Probleme der Praxis zu entschärfen, ist allerdings keine gute Idee. Denn dadurch werden die Lehrberufe entwertet. Mindestens stellen sich viele Leute die Frage, ob es denn eine lange und teure Ausbildung an einer Hochschule überhaupt braucht, wenn das Unterrichten auch ohne geht. So kommt schnell die Frage auf, ob die aktuelle Krise vielleicht auch damit zusammenhängt, dass Lehrpersonen falsch ausgebildet werden – mit viel zu viel unnötiger Theorie. Nostalgisch verklärt man dabei die Praxis der früheren Lehrer/innenseminare.

Ein Lehrer formuliert die Kritik an der Lehrpersonenausbildung in der «NZZ» und schreibt. «Mein Lehrdiplom, mein Bachelor of Arts in Primary Education, beides sind nur Dokumente, die ich während meiner dreijährigen Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen erworben habe. Die Fähigkeit zu unterrichten, eine Klasse zu führen, zu lehren, zu trösten, zu schimpfen, zu loben, zu erziehen, all das habe ich dort nicht gelernt. Die 24 Schülerinnen und Schüler meines ersten Klassenzugs haben es mir beigebracht.»

Die PH Reform der schweizerischen Lehrerbildung

Mit dem Schritt von den Seminaren zu den Pädagogischen Hochschulen, wurde die Lehrpersonenbildung am Anfang dieses Jahrhunderts auf Hochschulebene neu konzipiert. Ziel war nicht einfach eine Akademisierung der Lehrendenberufe, vielmehr sollten die Lehrenden befähigt werden, als Fachleute für Bildung und Erziehung einen wissenschaftlich abgestützten Unterricht zu erteilen. Theorie sollte dabei helfen, die eigene Praxis zu reflektieren und im engen Bezug zu dieser stehen.

Der Lehrauftrag geht über die eigene Schulklasse hinaus

Als Fachleute für Bildung und Erziehung sollen die Lehrpersonen zudem einen weiten Blick erhalten, nicht allein die einzelnen Schülerinnen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn der verengte Blick auf die einzelnen Schüler/innen vergisst, dass individuelle Probleme sehr oft in Gruppen wie der Klasse, den Eltern oder den Mitschülerinnen und -schülern ihre Ursache haben. Auch die Empfehlung, dass man zur Steigerung der Attraktivität des Berufs die konstruierte Komplexität der schulischen Strukturen abbauen müsse, um wieder das Unterrichten ins Zentrum zu stellen, greift zu kurz. Denn hier vergisst man, dass Lehren heute viel stärker mit solchen übergreifenden Strukturen verbunden ist.

Jedenfalls reicht es nicht, den Schlüssel für «gute Lehrpersonen» allein in der Beziehung zum einzelnen Kind zu sehen. Vielmehr ist die gesamte Klasse und darüber hinaus das Klima im Schulhaus der Spiegel für den Lern- und Erziehungsprozess. Probleme wie Mobbing sind zum Beispiel nur dann zu lösen, wenn alle Beteiligten einbezogen sind.

So sind Lehrpersonen nicht nur für ihre Klasse, sondern auch für die Zusammenarbeit in ihrem Schulhaus verantwortlich. Sie brauchen Kenntnisse, um gemeinsame Schulhausprojekte zu gestalten. Und sie müssen geschult werden, mit psychologischen und logopädischen Fachleuten zusammenzuarbeiten, wenn sie schwierige Kinder in ihrer Klasse haben.

Das fruchtbare Zusammenarbeiten im Kollegium verlangt besondere Kompetenzen, die nicht damit abgedeckt sind, dass man mit den Kindern in der eigenen Klasse gut auskommt und sie emotional begleitet. So ist auch die Elternarbeit schwieriger geworden, da Eltern heute viel schneller finden, dass ihr Kind ungerecht behandelt wurde. An die vielen Elterngespräche und deren akribische Vorbereitung denkt nicht, wer nur das Zusammensein mit den Kindern im Auge hat.

Die Gefahr der Entprofessionalisierung

Um alle diese Anforderung bestehen zu können, braucht es nicht weniger, sondern mehr fachliches Wissen und Fähigkeiten zur Reflexion der eigenen Arbeit. Es ist deshalb klar, dass der Weg nicht zu einer Bonsai-Ausbildung mit dem Schwerpunkt einer Anleitung zum Unterrichten zurückgehen kann. Notwendig ist vielmehr ein starker Praxisbezug, der aber immer auch mit theoretischer Reflexion unterfüttert ist.

Angesichts eines solchen Lehrerprofils ist es kein Wunder, dass die Lehrpersonenausbildung des 21. Jahrhunderts auf die Fachhochschulebene gelegt wurde. Nur passen die aktuellen Notlösungen schlecht dazu: Zukünftige Lehrpersonen aus der Ausbildung zu nehmen und vorübergehend für den normalen Unterrichtseinsatz einzusetzen, Pensionierte fürs weitere Unterrichten zu ermutigen oder gar geeignete Laien als «Notgroschen» einzusetzen, verwischen letztlich das Berufsprofil. Die normal ausgebildeten Kollegen und Kolleginnen im Schulhaus wissen nie, was die neu Eingesetzten können oder nicht. Das Tohuwabohu von unklar gewordenen Anforderungen ist keine gute Startchance der Schule nach der Corona Krise.

Man stelle sich vor, bei der Ärzteausbildung ergäben sich ähnliche Mängelsituationen. Da wäre es völlig undenkbar auf «Gschtudierte» zu verzichten und interessierte Laien als Herzspezialisten oder Chirurgen anzustellen, die behaupten, fast alles schon zu können und bereit zu sein, anschliessend ins Medizinstudium einzusteigen. Der Türöffner in den Beruf ist hier nicht die Absicht, sondern die abgeschlossene Ausbildung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war bis 2013 Professor an der PH Zürich

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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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