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Amnesty International steht dank ihres Ukraine-Berichtes vor einer Zerreißprobe

Published On: 8. August 2022 13:00

Gegen den massiven Widerstand ihrer eigenen ukrainischen Sektion hat die internationale NGO Amnesty International am letzten Donnerstag einen Bericht zu ukrainischen Kriegsverbrechen publiziert. Die Reaktionen darauf kann man nur als pure Hysterie bezeichnen. Die Autorin des Berichts steht mittlerweile als Feindin der Ukraine auf einer schwarzen Liste, während die Chefin der ukrainischen AI-Sektion aus Protest ihren Rücktritt einreichte. Es kann offenbar nicht sein, was nicht sein darf. Der Ukraine-Krieg ist eine schwere Zerreißprobe für westlich orientierte NGOs. Von Jens Berger.

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Dass auch die ukrainische Seite Kriegsverbrechen begeht, mag für Menschen, die sich ausschließlich über westliche Medien informieren, vielleicht überraschend sein. Dabei gibt es sowohl von pro-russischer Seite als auch in den wenigen um Neutralität bemühten Medien – wie beispielsweise der Nachrichtenplattform Al Jazeera – immer wieder Meldungen über Kriegsverbrechen ukrainischer Militärs gegenüber russischen Kriegsgefangenen und auch die ukrainische Praxis, Krankenhäuser, Schulen und zivile Wohngebäude als Unterstand und Basis für aktive Kampfhandlungen zu benutzen, ist eigentlich gut dokumentiert. C’est la Guerre; so ist der Krieg. In der Praxis hat das Abschlachten von Menschen nun einmal nicht viel mit der regelbasierten Theorie zu tun. Und das gilt für alle Seiten.

Dies ist eigentlich eine Binse. Doch diese Binse passt nun einmal nicht in die westliche „Erzählung“ von einer als Bastion hoher westlicher Werte stilisierten Ukraine, die sich gegen die „barbarischen Horden Putins“ verteidigt. In dieser Erzählung bombardieren die Russen aus reiner Boshaftigkeit und Niedertracht Krankenhäuser, Schulen und Wohngebäude. Hier der barbarische Täter, dort das hochmoralische, integre Opfer. Diese Erzählung gerät jedoch ins Wanken, wenn ihr nun mit Amnesty International eine westliche NGO, die sonst als Kronzeuge für westliche Erzählungen gebucht ist, im Kern widerspricht. Denn wenn das ukrainische Militär Krankenhäuser, Schulen und zivile Wohngebäude entgegen dem Kriegsvölkerrecht als Stellungen für ihre Kampfhandlungen nutzt, provoziert man natürlich deren Beschuss durch die russische Seite. Und dies ist keine militärstrategische Frage, sondern Teil des Propaganda-Kriegs, der dazu dient, den Westen und seine Bevölkerung immer tiefer in diesen Krieg hineinzuziehen. So verging auch in den letzten Monaten keine Woche ohne eine Meldung in der Tagesschau, dass Russland ein bestimmtes Krankenhaus, eine Schule oder dieses oder jenes Wohngebiet völkerrechtswidrig unter Beschuss genommen habe. Für die Strategen des Westens ist es daher höchst gefährlich, wenn diese Erzählung kippt. Der böse Russe, der gute Ukrainer.

Nur so ist die blanke Hysterie zu verstehen, mit der vor allem ukrainische Offizielle auf den AI-Bericht reagiert haben. Präsident Selenskyj sprach von „Opfer-Täter-Umkehr“, sein Außenminister Kuleba von „russischer Desinformation“ und ein Berater des Präsidenten unterstellte AI gar, ein Propagandainstrument des Kremls zu sein. Auf einer Website, die von einem hochrangigen Mitarbeiter des ukrainischen Außenministeriums betrieben wird und die eine umfangreiche schwarze Liste mit vermeintlichen Kriegsverbrechern führt, ist nun auch der Name von Donatella Rovera aufgeführt, der AI-Mitarbeiterin, die den Ukraine-Bericht erstellt hat. Sie soll russische Propaganda verbreitet, das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung geleugnet und sich so an einem humanitären Verbrechen gegen die Ukraine beteiligt haben. Starker Tobak. Die Chefin der ukrainischen AI-Sektion, die zuvor schriftlich festgestellt hatte, ihre Sektion hätte „alles getan, um die Veröffentlichung dieses Berichts zu verhindern“, ist mittlerweile zurückgetreten. Das Einstehen für Menschenrechte ist offenbar nur dann integer, wenn es einseitig im Interesse des Westens geschieht.

Dabei ist es grotesk, ausgerechnet Amnesty International vorzuwerfen, man sei auf Seiten Russlands. Das Gegenteil ist der Fall. Dieser Bericht ist der erste, der ausnahmsweise auch einmal die Kriegsverbrechen der Ukraine behandelt. Zu den Tötungen und Folterungen russischer Kriegsgefangener hat sich AI beispielsweise bis heute nicht geäußert. Selbst Rovera gibt zu ihrer Verteidigung zu Protokoll, dass sie zuvor „dutzende Berichte über russische Kriegsverbrechen“ erstellt habe, und wundert sich nun über diesen „ziemlich außerordentlichen Akt von Selbst-Zensur“. Das ist freilich schon sehr naiv und zeigt, dass sie die Funktion von Amnesty International für die westliche Propaganda nicht wahrnehmen will oder nicht wahrnehmen kann.

NGOs wie Amnesty International leben von ihren Unterstützern und Spendern. Wer AI fördert, ist meist ein überzeugter Anhänger der Überlegenheit wertewestlicher Vorstellungen. Er will nichts über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen des Westens hören, sondern eine NGO unterstützen, die belegt, wie schlimm doch die Gegner des Wertewestens sind. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit leben NGOs wie Amnesty International davon, dass sie von den westlichen Medien als „neutral“ dargestellt werden können. Natürlich sind sie das nicht. Wenn nun eine als „neutral“ geltende NGO die westlichen Erzählungen untergräbt, ist dies ein GAU. Wenn interne Konflikte bei Amnesty International nahelegen, dass die Organisation sich selbst gar nicht als „neutral“ begreift und sich nur allzu bereitwillig vor den ukrainischen Propaganda-Karren spannen lässt, wäre dies sogar ein Super-GAU.

Im Westen wird man diese Posse daher mit großer Sorge betrachten. Ein abweichender AI-Bericht könnte immer noch verschwiegen, relativiert und im Zweifel als „Beleg“ für Amnesty Internationals „Neutralität“ ins Feld geführt werden. Der hysterische Feldzug der Ukraine gegen Amnesty erschwert dies jedoch. So wird es für den Westen immer schwerer, die eigene Propaganda in Einklang mit den schrillen Tönen aus Kiew zu bringen. Die Bastion hoher westlicher Werte geriete – für diejenigen, die diese Erzählung immer noch glauben – so langsam ins Wanken. Und das ist gut so.

Titelbild: Shawn Goldberg/shutterstock.com

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