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Besuch im von der Ukraine bombardierten Gefängnis Jelenovka

Published On: 10. August 2022 11:26

Am 9. August habe ich mit einer Delegation das von der ukrainischen Armee mit Raketen beschossene Gefängnis in Jelenovka zu besucht.

Am 29. Juli gegen 23.00 Uhr hat die ukrainische Armee das Gefängnis in Jelenovka mit aus den USA gelieferten HIMARS-Raketen beschossen. Dabei sind über 50 Gefangene getötet und über 150 verletzt worden. Kiew behauptet, Russland habe die Baracke gesprengt, um Beweise für Folter zu vernichten und die westlichen Medien stoßen in das gleiche Horn.

Ich habe bereits berichtet, dass die russische Seite und die Regierung von Donezk sofortige Inspektionen von UNO und Internationalem Rotem Kreuz gefordert haben, dass beide Organisationen jedoch bisher zu keiner Inspektionsreise bereit sind. In meinem Artikel darüber habe ich aus eigenem Erleben berichtet, dass Russland daher in aller Eile viele Delegationen zusammengestellt hat, die das Gefängnis besuchen und festhalten sollen, was sie dort sehen, und darüber berichten sollen.

Auch mir wurde die Teilnahme an mehreren solcher Reisen angeboten, was ich aber abgelehnt habe. Der Grund war, dass ich Donezk genau zu dem Zeitpunkt verlassen hatte und keine Lust hatte, die Reise erneut auf mich zu nehmen. Weil der Luftraum über Südrussland immer noch gesperrt ist, dauert eine Reise von Moskau nach Donezk mit Auto oder Zug in der Regel zwei Tage und ich hatte, gerade aus Donezk abgereist, beim besten Willen keine Lust, den gleichen Weg sofort wieder zurück zu machen.

Ich habe in meinem Artikel aber auch berichtet, dass ich ein Angebot für einen Besuch von Jelenovka bekommen habe, über das ich nachgedacht habe. Ich habe das Angebot schließlich angenommen und so war ich am 9. August wieder in Donezk und vor allem auch in Jelenovka. Und darüber will ich nun berichten.

Die Einladung

Ich bekam am 5. August eine weitere Einladung, Jelenovka zu besuchen, und habe auch die mit den Worten, ich sei derzeit nicht bereit, wieder die tagelange Reise auf mich zu nehmen, abgelehnt. Die Antwort war, dass diese Gruppe mit dem Flugzeug anreisen würde, woraufhin ich zugesagt habe. Danach lief alles aus Sicherheitsgründen geheim ab, weshalb ich nicht einmal engen Freunden vorher davon erzählt habe. Ich selbst erfuhr zunächst nur, in welchem Hotel sich die Gruppe am 8. August treffen würde und dass die Reise am 9. August stattfinden sollte.

Am 8. August fand abends ein Meeting statt, bei dem wir informiert wurden. Die Reise wurde von Leonid Slutsuky, dem Parteichef der russischen Partei LDPR, zusammen mit dem russischen Außen- und Verteidigungsministerium organisiert. Wir waren etwa 20 Teilnehmer, die von dem Parteichef begrüßt und informiert wurden. Dabei sollten wir uns alle kurz vorstellen. Die Gruppe bestand aus Journalisten aus Frankreich, Italien, Serbien, Rumänien und mir als Deutschem. Außerdem waren Diplomaten aus mehreren ausländischen Botschaften dabei, unter anderem Militärattachés.

Wir erfuhren auch auf diesem Treffen nicht viele Details und sollten aus Sicherheitsgründen weiterhin Stillschweigen über die Reise bewahren. Die Anreise aus dem Hotel war für 4.45 Uhr am nächsten Morgen geplant.

Die Anreise

Wir wurden am nächsten Morgen um 4.45 Uhr mit Kleinbussen am Hotel abgeholt und zum Regierungsterminal eines Moskauer Flughafens gebracht. Ich hatte erwartet, dass wir wieder mit einer Maschine des Verteidigungsministeriums fliegen würden, wie es bei früheren Journalistenreisen schon erlebt hatte. Das sind normale Passagierflugzeuge, mit denen normalerweise Soldaten oder Beamte des Ministerium geflogen werden.

Stattdessen wurden wir dieses Mal mit einer Maschine der russischen Regierung geflogen. Offensichtlich war den Russen die Delegation mit einem Partei- und Fraktionschef und wichtigen ausländischen Diplomaten zu wichtig, als dass man sie in einem „normalen“ Flugzeug transportieren wollte. Ein Regierungsflieger bietet höchsten Komfort mit großen und bequemen Sesseln und auch gutem Essen. Die Maschine war ausgestattet, wie ein Privatjet.

Wir landeten auf dem Militärflughafen in Rostov am Don, wo wir auf drei Mi8-Militärhubschrauber verteilt wurden, die von zwei hochmodernen Ka-52 Alligator Kampfhubschraubern eskortiert wurden. So flogen wir mit 240 Stundenkilometern in nur fünf Metern Höhe, um nicht von ukrainischer Flugabwehr abgeschossen zu werden, von Rostov nach Donezk. Das war, das muss ich sagen, ein wirklich unvergessliches Erlebnis und wir alle waren tiefbeeindruckt von dem Können der Piloten, denn sie hielten die Maschinen dabei, obwohl sie immer wieder über Dörfer, Baumreihen und Stromleitungen „hüpfen“ mussten, so ruhig, dass wir entspannt sitzen und sogar Wasser trinken konnten, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.

Wir landeten in der Nähe von Donezk, wo uns – wie ich es schon von früheren Journalistenreisen kenne – ein Bus und gepanzerte Begleitfahrzeuge des russischen Militärs zu unserem Schutz erwarteten.

Jelenovka

Etwa eine halbe Stunde später waren wir vor dem Gefängnis von Jelenovka. Da das Gefängnis in Medienberichten – auch von mir – immer wieder fälschlicherweise als Kriegsgefangenenlager bezeichnet wurde, will ich das hier richtig stellen. Bei dem Gefängnis handelt es sich um ein Untersuchungsgefängnis und die dort inhaftierten ukrainischen Soldaten sind fast alle Kämpfer des berüchtigten Nazi-Regiments Asow, die sich im Asow-Stahlwerk in Mariupol ergeben haben. Ihnen werden Kriegsverbrechen vorgeworfen, weshalb sie nicht in regulären Kriegsgefangenenlagern, sondern in einem Untersuchungsgefängnis festgehalten werden.

Vor dem Gefängnis erhielten wir die üblichen Instruktionen, die besagen, dass man keine Gesichter von Soldaten und Gefängnispersonal filmen darf, ansonsten gab es – wie üblich – keinerlei Einschränkungen. Dann wurden wir auf das Gelände und zu der zerbombten Baracke geführt.

Man muss kein Fachmann sein, um zu erkennen dass die ukrainische Version der Ereignisse nicht stimmen kann. Die Baracke hatte ein recht dünnes Metalldach, in dem ein großes Loch zu sehen ist, dass die Rakete geschlagen hat. Sie ist dann in der Baracke detoniert, wobei sie keinen klassischen Sprengkopf hatte, sondern einen Schrapnellsprengkopf. Die Schrapnelle haben die meisten Menschen in der Baracke in Stücke gerissen, außerdem ist bei dem Einschlag große Hitze entstanden. In der Baracke ist alles verbrannt, es sind nur noch die metallenen Bettgestelle übrig. Die Leichen waren – das zeigen Fotos von dem Tag und das wurde uns auch erzählt – bis auf die Knochen verbrannt.

Die Kiewer Version einer Sprengung durch die Russen ist unmöglich, denn bei einer großen Explosion in der Baracke wäre das Dach nach oben weggeflogen, stattdessen hat das Dach jedoch nur ein großes Loch und die abgerissenen Teile des Daches liegen entweder verbrannt in der Baracke, oder hängen vom Dachgerüst herunter. Das wurde auch nicht nachträglich manipuliert, denn alles sieht noch genauso aus, wie auf den Fotos, die unmittelbar nach der Tragödie veröffentlicht wurden, zu sehen ist. Es wurde – außer dass die verbrannten Leichen geborgen wurden – nichts verändert.

Die improvisierte Pressekonferenz

Uns standen der Leiter des Gefängnisses und die Außenministerin der Volksrepublik Donezk Rede und Antwort und sie haben sich so lange Zeit gelassen, bis wir keine Fragen mehr hatten. Ich habe die Außenministerin konkret nach den Besuchen von UNO, genauer gesagt UNHCR, und Internationalem Rotem Kreuz gefragt.

Sie sagte, dass das UNHCR derzeit keine Anrufe aus Donezk beantwortet und ihr war anzusehen, dass sie deswegen sehr aufgebracht war. Das UNHCR geht einfach nicht ans Telefon. Beim Roten Kreuz ist es ähnlich, wobei die Vertreter des Roten Kreuzes in Donezk zwar mit der Donezker Regierung reden, aber für einen Besuch in dem Gefängnis Bedingungen zu anderen, damit nicht zusammenhängenden, Themen stellen, anstatt sich ins Auto zu setzen, die halbe Stunde aus Donezk nach Jelenovka auf sich zu nehmen und das Gefängnis zu begutachten.

Außerdem erzählte sie, dass es Vereinbarungen mit Kiew gäbe. Es finden immer wieder Gefangenenaustausche statt, es gibt also hinter den Kulissen durchaus Kontakte, was den Umgang mit Kriegsgefangenen angeht. Und eine der Einigungen, die bei diesen Gesprächen getroffen wurden, war, dass Kiew die Unterbringung derer, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen wird, in eben diesem Untersuchungsgefängnis in Jelenovka gefordert hat. Aus diesem Grund sind sie dort untergebracht. Kiew wusste also genau, wo die sind und wusste auch, worauf es die HIMARS-Raketen abgefeuert hat.

Als Grund dafür, dieses Gefängnis zu beschießen, gibt Donezk an, dass die Asow-Soldaten angefangen haben, auszusagen. Sie haben detaillierte Angaben über Befehlsketten und Befehle gemacht. Das kann für Kiew mehr als peinlich werden, wenn die Soldaten aussagen, dass und vom wem sie konkrete Befehle zum Beschuss ziviler Ziele, den Umgang mit gefangenen Russen, die nicht mit Menschenrechten, Völkerrecht oder internationalen Konventionen vereinbar sind, und so weiter bekommen haben.

Nach dieser Version wollte Kiew Zeugen aus dem Weg schaffen und Terror und Angst unter denen verbreiten, die ebenfalls darüber nachdenken, auszusagen. Als Ergebnis des Angriffs wurden 47 Menschen sofort getötet, weitere vier sind ihren Verletzungen im Krankenhaus erlegen. 70 Schwerverletzte werden noch in Krankenhäusern behandelt und 72 Leichtverletzte werden im Gefängnis medizinisch versorgt.

Die Gefangenen

Anschließend wurden uns vier Gefangene präsentiert, die bereit waren, unsere Fragen zu beantworten. Das haben sie freiwillig getan, wobei eine ihrer Motivationen darin bestanden haben dürfte, dass sie mit öffentlichen Auftritten ihre Angehörigen wissen lassen können, dass sie am Leben sind und dass es ihnen gut geht. Das ging auf die Antwort auf meine Frage hervor, als ich sie fragte, ob sie Kontakt zu ihren Angehörigen haben. Sie haben das verneint, aber gesagt, dass sie auch schon andere Fernsehinterviews gegeben haben, damit ihre Angehörigen erfahren, dass sie in Ordnung sind.

Zunächst wurde jeder von ihnen gebeten, zu erzählen, wie er den Angriff erlebt hat. Ihre Versionen geben ein klares Bild. Es gab drei Raketen, von denen zwei in der Nähe eingeschlagen sind (ein Gefangener berichtete, er habe deren Schrapnelle umherfliegen hören) und eine dann durch das Metalldach in der Baracke eingeschlagen ist. Einer sagte, er habe gegessen, sei dann schlafen gegangen und kurz darauf „in der Hölle“ aufgewacht. Sie berichteten weiter, dass sie dann, weil sie weitgehend unverletzt geblieben waren, bei der Rettung der Verletzten geholfen haben.

Auf meine Bitte, die Version Kiews zu kommentieren, Russland habe die Baracke von innen gesprengt, haben alle gesagt, dass das vollkommen ausgeschlossen sei. Danach wurden sie von anderen Journalisten gefragt, was sie darüber denken, dass Kiew auf seine eigenen Leute – also sie – schießt, woraufhin ihre Antworten sehr ausweichend waren. Dann begannen die Journalisten danach zu fragen, wie sie zum Asow-Regiment gekommen sind und wie sie zu dessen politischer Ausrichtung und den Verboten der russischen Sprache in der Ukraine stehen.

Die Gefangenen wurden dabei immer ausweichender und Gott sei dank ist Parteichef Slutsky dann eingeschritten. Er hat den Journalisten gesagt, dass sie den Soldaten keine solchen Fragen stellen und auch nicht nach politischen Themen fragen sollten. „Die Jungs“ – so nannte er sie – wollen schließlich wieder nach Hause, das solle man bei ihren Antworten auf solche Fragen bedenken. Er sprach es nicht aus, aber für die Soldaten besteht bei kritischen Äußerungen in Richtung Kiew die Gefahr, nach ihrer Rückkehr bestraft zu werden. Die Journalisten sollten sich bitte auf Fragen zu dem Gefängnis und dem Angriff beschränken.

Dann wurde noch nach den Haftbedingungen gefragt und ich habe danach gefragt, wie sie direkt nach ihrer Gefangennahme von den russischen Soldaten behandelt wurden und wie mit der Versorgung von Verwundeten aussieht. Sie erzählten, die Behandlung sei korrekt, es gab von Beginn an drei warme Mahlzeiten am Tag, sie könnten sich duschen, sie hätten Bücher auf Russisch und Ukrainisch und auch Brettspiele wie Schach und das in Russland und der Ukraine beliebte Spiel Narde, eine Variante von Backgammon.

Der russische Umgang mit allem Ukrainischen

Dass sie auch Bücher auf Ukrainisch bekommen, fanden einige ausländische Journalisten, so interessant, dass sie mehrmals nachfragten. Mich hat das nicht gewundert, denn Russland führt, egal, was westliche Medien derzeit für einen Unsinn verbreiten – keinen „Krieg gegen alles Ukrainische“ – darum geht es nicht. Russland kämpft gegen das Nazi-Regime in Kiew, nicht gegen die Ukraine oder die Ukrainer.

Das hat man schon 2014 auf der Krim gesehen, denn das erste Dekret nach der Wiedervereinigung der Krim mit Russland besagte, dass Ukrainisch und Krimtatarisch Amtssprachen werden und dass die Uni wieder eine Fakultät für Krimtatarisch eröffnet, die Kiew zuvor hatte schließen lassen.

Auch bei meinen Reisen im Donbass habe ich viele Beispiele gesehen. So wurde das große, aus Beton gefertigte Ortsschild der Stadt Severodenezk zwar umgehend vom ukrainischen gelb-blau in die russischen Nationalfarben weiß-blau-rot umgestrichen, aber das Metallschild mit dem Stadtwappen, das die ukrainischen Farben trägt, wurde nicht entfernt. Auf dem Foto ist es rechts über der roten Fahne deutlich zu sehen.

In den Gebieten, die Russland nun kontrolliert, bleibt Ukrainisch auch Amtssprache. Es geht Russland nicht um den Kampf gegen alles Ukrainische, sondern um den Kampf gegen das Kiewer Regime. Das ist auch der Grund, warum man in Russland darauf wert legt, dass es sich bei den Kampfhandlungen nicht um einen Krieg, sondern um eine Militäroperation handelt. Man sieht sich nicht im Krieg mit der Ukraine oder den Ukrainern, sondern mit ihrem Nazi-Regime.

Der Umgang mit ukrainischen Gefangenen

Auf die Frage, wie die Soldaten bei ihrer Gefangennahme behandelt wurde, hatten sie nichts zu beklagen. Einer der Soldaten war verwundet, er trug noch einen Gips, und erzählte, er sei sofort medizinisch behandelt worden und eine Zeitlang in einem Krankenhaus in Donezk verpflegt und behandelt worden. Dabei sei sein verwundetes Bein gesund geworden und die Donezker Ärzte hätten ihm wohl den Arm, der noch in Gips war, gerettet.

Da habe ich nachgehakt, denn in Donezk, das weiß ich aus eigenem Erleben, ist man auf Asow-Kämpfer wegen deren Kriegsverbrechen seit 2014 extrem schlecht zu sprechen. Aber er hat als Antwort noch einmal betont, er sei von den Donezker Ärzten nicht nur gut behandelt worden, er habe auch keinerlei negative Erfahrungen mit den Ärzten und Schwestern gemacht.

Donezk

Nach dem Besuch in Jelenovka sind wir nach Donezk gefahren und haben das Hotel besucht, das am 4. August von der Ukraine beschossen wurde, wobei sechs Zivilisten umgekommen sind. Vor dem Hotel sieht man einen kleinen Krater und ein Teil der Fassade und die Fenster sind zerstört.

In dem Hotel haben wir Mittag gegessen und ich habe mit einer Journalistin einen kleinen Spaziergang durch das Zentrum von Donezk gemacht, weil sie noch nie in der Stadt gewesen ist. Das war für mich eine schöne Erfahrung, weil ich bei der Gelegenheit einige meiner neuen Donezker Freunde getroffen habe, die ziemlich überrascht waren, dass ich wieder in der Stadt bin.

Auf der Rückfahrt hatten wir noch einen kurzen Pressetermin mit Denis Puschilin, dem Chef der Donezker Republik, und sind dann zurück zu unseren Hubschraubern gefahren. Der Rückweg mit den Hubschraubern nach Rostov war genauso spektakulär, wie der Hinflug. In Rostov sind wir wieder in unser Flugzeug gestiegen und gegen 20.30 Uhr sind wir wieder in Moskau gelandet.


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