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100 Jahre deutsche Nationalhymne

Published On: 11. August 2022 11:00

Heute vor 100 Jahren erhob Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) das Hoffmann-Haydn’sche „Lied der Deutschen“ von 1841 zur Nationalhymne. Die Geschichte des Deutschlandliedes ist kaum bekannt, der Text „Einigkeit und Recht und Freiheit“ aber aktueller denn je.

Kaum ein anderes deutsches Lied dürfte in der Bundesrepublik Deutschland so oft lächerlich gemacht, durch den Kakao gezogen und verunglimpft worden sein wie das „Lied der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Sehr zu Unrecht. Denn zum einen ist es eine durch und durch friedliche Nationalhymne – was, wie Georg Etscheit kürzlich mit Blick auf die Hymnen anderer Staaten herausstellte, nicht allzu häufig vorkommt – und zum anderen kann man das Lied nur schlechtreden, wenn man seine Entstehungsgeschichte nicht kennt oder bewusst ignoriert.

Wer die Geschichte kennt, dem würde nämlich schnell klar werden, dass auch die von Nationalsozialisten missbrauchte erste Strophe eben kein Beweis für nationalistische Überhebung sein kann. Im Gegenteil. Sie war ein Aufruf zur Einheit in Freiheit und an die damalige deutschsprachige Bevölkerung, ansässig „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“, „zu Schutz und Trutze brüderlich“ zusammenzuhalten. Von Säbelrasseln oder gar Mordgelüsten gegenüber anderen Völkern findet sich im Text dagegen weit und breit keine Spur. Übrigens ebensowenig in der zweiten Strophe, in der „deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang“ nach heutigen Maßstäben altmodisch besungen werden. Ja, und? Der Text entstand schließlich vor 181 Jahren!

Auch die wohlfeile Klage darüber, dass in dem Lied Einigkeit an erster Stelle stehe und nicht Freiheit, führt ins Leere: Wir müssen uns, ob als Nation, als Volk oder als Gemeinschaft von Staatsbürgern, schon einig sein, dass wir Recht und Freiheit wollen. Ohne diesen Konsens kommen wir weder zu Recht noch zu Freiheit. Und wir müssen uns klarmachen, was das Gegenteil bedeutet: Uneinigkeit, Unrecht, Unfreiheit. Das kann das Gros der Deutschen nicht wirklich wollen, schlüge dies doch voll auf uns selbst zurück.

Doch selbst wer aus Deutschland ein „buntes, vielfältiges, diverses Einwanderungsland“ machen will, wird letztlich nicht an der Erkenntnis vorbeikommen, dass der Staat dann erst recht ohne freiwillige Einigkeit in der Bevölkerung über grundlegende Dinge auf Dauer zum Scheitern verurteilt sein wird – Beispiele gibt es genug. Auch kann man dem Dichter Hoffmann von Fallersleben gerade nicht Duckmäusertum gegenüber der Obrigkeit vorwerfen, wie wir mit Blick auf die Geschichte noch sehen werden.

Weizsäcker: Wir dürfen uns zur Nation bekennen

Zunächst etwas anderes. Von Richard von Weizsäcker kann man halten, was man will. Er gehörte lange – ob zu Recht oder nicht – zu dem parteiübergreifend beliebtesten und geachtetsten Bundespräsidenten. Wie auch immer: In seiner Antrittsrede am 1. Juli 1984 hatte er jedenfalls sehr weise Worte gefunden – damals noch ganz im Zeichen des geteilten Deutschlands. Nichtsdestotrotz sind seine Aussagen weitestgehend hochaktuell geblieben, sodass ich sie an dieser Stelle zitieren möchte:

Gewiss, wir haben unsere besonderen Schwierigkeiten mit unserem Nationalgefühl. Unsere eigene Geschichte mit ihrem Licht und ihrem Schatten und unsere geographische Lage im Zentrum Europas haben dazu beigetragen. Aber wir sind nicht die einzigen auf der Welt, die ein schwieriges Vaterland haben. Das sollten wir nicht vergessen. Nirgends sind zwei Nationen einander gleich. Jedes Nationalgefühl hat seine besonderen Wurzeln, seine unverwechselbaren Probleme und seine eigene Wärme. Unsere Lage, die sich von der der meisten anderen Nationen unterscheidet, ist kein Anlass, uns ein Nationalgefühl zu versagen. Das wäre ungesund für uns selbst, und es wäre nur unheimlich für unsere Nachbarn. Wir müssen und wir dürfen uns in der Bundesrepublik Deutschland zu unserem nationalen Empfinden bekennen, zu unserer Geschichte, zur offenen deutschen Frage, zur Tatsache, dass wir überzeugte Bündnis- und Gemeinschaftspartner sein können und doch mit dem Herzen auch jenseits der Mauer leben.“

Dieses Zitat wurde in „Die Nationalhymne“ (Verlag Eberhard Schellhaus, Stuttgart 1987) mit einem Porträt und der Unterschrift des Bundespräsidenten quasi als Vorwort vorangestellt. Weizsäcker hatte damit also ausdrücklich die Nationalhymne in seine Überlegungen mit einbezogen. Das ist nur logisch, denn als erster Repräsentant des Staates hatte er auch für seine Symbole einzustehen.

Dritte Strophe verkörpert Prinzipien des Abendlandes

Die deutsche Geschichte ist vielfältig, und es ist – entgegen anders lautenden Aussagen – sehr wohl jenseits der deutschen Sprache eine äußerst vielfältige deutsche Kultur nachweisbar. Unsere Nationalhymne gehört dazu. Die Geschichte um ihre Entstehung aber ist bis heute nur den wenigsten vertraut. Am 18. Mai 2019 habe ich sie hier auf der Achse schon einmal geschildert. Anlass war eine Behauptung Bodo Ramelows, „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sollte durch einen anderen Text ersetzt werden, weil er im Zusammenhang mit diesem Text „das Bild der Naziaufmärsche von 1933 bis 1945 nicht ausblenden“ könne. Dies, so konterte ich damals, entbehrt jeder Grundlage, denn die dritte Strophe des Deutschlandliedes wurde gerade unter Hitler nicht gesungen.

Vielmehr steht das „Lied der Deutschen“, heute vor 100 Jahren zur Nationalhymne erhoben und 1990, nach dem Ende der Teilung Deutschlands, als Nationalhymne beibehalten, für Kontinuität und Tiefgang, verleiht dem Land die bei staatlichen Anlässen angemessene Würde. Es steht noch dazu für unsere Werte, wie der verstorbene estnische Staatspräsident Lennart Meri 1995 so schön herausstellte: „Unter den Nationalhymnen der westlichen Welt ist es eben das Deutschlandlied, wo jene Prinzipien des Abendlandes – Einigkeit und Recht und Freiheit – auf prägnante Art und Weise ihren Ausdruck gefunden haben.“

Auch gehört es musikalisch zu den anspruchsvollsten und schönsten Melodien, selbst der Text hat nichts an Aktualität verloren, wie der Hymnenexperte und Historiker Peter Mario Kreuter in diesem Interview treffend erläuterte.

Weil gegen die grassierende Geschichtsvergessenheit nur ein einziges Mittel wirkt, nämlich die Geschichte zu erzählen, die nicht erzählt wird, soll hier die Entstehungsgeschichte (1) unserer Nationalhymne kurz wiedergegeben werden, schrieb ich vor drei Jahren. Et la voilà:

Schon früh der Zensur zum Opfer gefallen

Am 29. August 1841 las August Heinrich Hoffmann von Fallersleben dem Verleger Julius Campe auf Helgoland sein erst drei Tage zuvor entstandenes Gedicht vor, das er das „Lied der Deutschen“ nannte. Zusammen mit dem Stuttgarter Buchhändler Paul Neff kam Campe zu Hoffmann auf die Insel, um das erste fertige Exemplar des zweiten Teils seiner „Unpolitischen Lieder“ zu übergeben. In Wahrheit waren es alles andere als unpolitische Lieder: Vielmehr prangerte Hoffmann in ihnen die damalige Fürstenwillkür und Kleinstaaterei mit spitzer Feder an.

Dass Hoffmann, der zuvor als Literaturprofessor in Breslau wirkte und sich selbst den Zusatznamen „von Fallersleben“ als Erinnerung an seine Heimat gab, seine Lieder nicht in Deutschland schrieb, sondern auf der Nordseeinsel Helgoland, die damals noch zu England gehörte, hatte einen triftigen Grund. Hier fühlte er sich frei. Der Dichter wurde wegen seines Kampfes für demokratische Freiheiten mehrmals des Landes verwiesen. Heute würde man ihn einen politisch Verfolgten nennen. In einem seiner Gedichte hieß es unmissverständlich: „Ganz Europa ist eine Kaserne, alles Dressur und Disziplin!“ Ein Dichter, der so über die Obrigkeit schrieb, der war dieser ein Dorn im Auge. Gleiches galt für das gerade neu entstandene Deutschlandlied.

Die gerne erhobene Behauptung, mit der ersten Strophe „Deutschland, Deutschland über alles“ habe sich Hoffmann über andere Nationen erheben oder gar einem Expansionswillen Ausdruck geben wollen, verfälscht die geschichtliche Wahrheit. Im August 1841 gab es keinen deutschen Nationalstaat, aber eine deutschsprachige Bevölkerung, die „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“ ansässig war. Sie lebte zersplittert in unzähligen Kleinstaaten. Hoffmanns Verse waren ein Aufruf zur Einheit in Freiheit, von dem die damals Herrschenden in Preußen und Österreich nichts wissen wollten. Das Lied fiel der Zensur zum Opfer.

Nationalhymne dank Friedrich Ebert

Das nach einer Melodie von Joseph Haydn („Gott erhalte Franz den Kaiser, unsren guten Kaiser Franz“) verfasste Lied erklang am 5. Oktober 1841 auf dem Hamburger Jungfernstieg. Gesungen wurde es zu Ehren des liberalen badischen Professors Carl Theodor Welcker, der als ein Vorkämpfer der deutschen Einheitsbewegung aus Baden fliehen musste. Wie Hoffmann verlor auch er deshalb sein Lehramt. So wurde das „Lied der Deutschen“ mehr und mehr zu einem Bekenntnislied eines sich nach „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sehnenden Volkes.

Und jetzt, aufgepasst! Zur Nationalhymne erhoben wurde es von niemand anderem als von Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) am 11. August 1922, dem Verfassungstag der Weimarer Republik. Vor dem versammelten Reichstag verkündete er damals:

Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; er soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten. Sein Lied, gesungen gegen Zwietracht und Willkür, soll nicht Missbrauch finden im Parteienkampf; es soll nicht der Kampfgesang derer werden, gegen die es gerichtet war; es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung. Aber so, wie einst der Dichter, so lieben wir heute Deutschland über alles!

Nach 1933 verschwanden nicht nur die schwarz-rot-goldenen Fahnen, auch vom Deutschlandlied wurde jetzt nur noch die erste Strophe gesungen – als Vorspann zum „Horst-Wessel-Lied“. Aus diesem Grunde wurde von den Alliierten das Deutschlandlied 1945 verboten. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 war es Bundeskanzler Konrad Adenauer, ein Gegner und Opfer des Nationalsozialismus, der sich vehement für die Wiedereinführung des Deutschlandliedes einsetzte. In seinem Schreiben an Bundespräsident Theodor Heuss ging er auf den Missbrauch des Liedes unter Hitler ein, erinnerte aber auch an die demokratische Herkunft des Liedes und daran, dass Reichspräsident Ebert es einst zur Nationalhymne erklärte. Er schloss mit der wiederholten Bitte der Bundesregierung, „das Hoffmann-Haydn’sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Anlässen soll die dritte Strophe gesungen werden.“

Unsere Hymne passt zu Deutschland wie keine andere

Die von Heuss angeregte „Hymne an Deutschland“ („Land des Glaubens, deutsches Land“), gedichtet von Rudolf Alexander Schröder, erklang das erste Mal in der Silvesternacht 1950/51 im Rundfunk – aber sie fand keinen Anklang. Die große Mehrheit der Deutschen war für das Lied von Haydn. Schließlich willigte Heuss ein, auch weil die Bundesrepublik aus außenpolitischen Gründen nicht länger ohne Hymne bleiben konnte. Heuss schrieb an Adenauer: „Wenn ich also der Bitte der Bundesregierung nachkomme, so geschieht dies in Anerkennung des Tatbestandes.“

Dieser schlichte Briefwechsel fand Eingang ins Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 6. Mai 1952. Seitdem galt das Deutschlandlied mit allen drei Strophen bis 1991 als Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker im August 1991 gilt die dritte Strophe als Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland (siehe „Die Nationalhymne“, Verlag Eberhard Schellhaus, Stuttgart 1987).

Fazit: Wer die Entstehungsgeschichte des Deutschlandliedes kennt, sollte unschwer erkennen können, dass diese Hymne zu Deutschland und seiner Geschichte passt wie kaum eine andere. Es ist zudem ein durch und durch gesamtdeutsches Lied, erklang im übrigen nicht nur zur Wiedervereinigung Deutschlands in der Nacht von 2. auf den 3. Oktober 1990 vor dem Reichstag in Berlin, sondern ebenso während des Volksaufstands am 17. Juni 1953 aus den Kehlen der Demonstranten gegen das SED-Regime und wurde am Abend des 9. November 1989 von Abgeordneten des Deutschen Bundestages stehend gesungen – viele von ihnen hatten dabei Tränen in den Augen.

Der Nation nicht die Seele rauben

Man mag mich pathetisch nennen, doch wer an bewegende Momente deutscher Geschichte nicht mehr erinnern will, raubt letztlich einer Nation seine Seele. Erst einmal seiner Seele beraubt, bleibt alles Menschliche auf der Strecke und am Ende nur eisige Kälte zurück. Darüber sollten jene mal nachdenken, die den Deutschen schon immer jedes Gefühl von Verbundenheit mit ihrer Heimat, ihrem Land, einschließlich einer positiven Assoziation mit seinen hoheitlichen Symbolen wie Hymne und Flagge, vermiesen wollten.

Ach ja, ehe ich es vergesse: Der Selbsthass, der darin zum Ausdruck kommt, ist auch eine Art von Hass, und der gehört, so werden wir dieser Tage unermüdlich belehrt, strikt geächtet. Wie wäre es da, wenn diese Leute mal bei sich selbst und ihrem Verhältnis zu ihrem Land, das da Deutschland heißt, anfangen würden? Alles weitere folgt daraus.

Weitere Quelle

(1) Eberhard Schellhaus: Die Nationalhymne. Eine Dokumentation zur Geschichte des Deutschlandliedes. Verlag Eberhard Schellhaus, Stuttgart 1987.

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