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Geschichtslosigkeit als Prinzip: Eine französische Polemik gegen die Grünen

Published On: 14. August 2022 18:32

Frankreichs Grüne sind noch radikaler als die deutschen. Immerhin gibt es dort noch mehr öffentliche Kritik an grünen Positionen. Eine solche Kritik hat jetzt Bérénice Levet vorgelegt. Die Finkielkraut-Schülerin erkennt den Wunsch nach Geschichtslosigkeit als zentralen grünen Antrieb.

IMAGO / PanoramiC

Wahlkampfveranstaltung der französischen Grünen (EELV) mit deren Parteichef Yannick Jadot in Nantes, 07.04.2022

Deutschland ist ein Land, in dem die Grünen, obwohl sie selbst nach den neuesten Umfragen nicht mehr als maximal 25 Prozent der Wähler (und deutlich weniger als 20 Prozent der Wahlberechtigten) für sich mobilisieren können, die politischen und kulturellen Debatten fast hegemonial beherrschen. Die CDU hat sich bis heute nicht wirklich von Merkels Versuch, die CDU durch komplettes Wegschleifen ihres Profils kompatibel für eine Koalition mit den Grünen (die es dann im Bund nie gab) zu machen, erholt, und die SPD wird – obwohl sie offiziell noch den Kanzler stellt – zunehmend zum Juniorpartner der Grünen. Ohne Zweifel besitzt auch Habeck sehr viel mehr Strahlkraft als der glücklose Kanzler Scholz.

In Frankreich sieht das einstweilen noch ganz anders aus, hier sind die Grünen eine deutlich kleinere Bewegung, die sich auch viel weniger als in Deutschland auf einen kulturellen Konsens stützen kann. Ursprünglich – vor der letzten Wahl – eher mit Macron verbündet, sind sie jetzt Teil einer linkssozialistischen Opposition gegen die Regierung, und stehen meist im Schatten der alten Linken mir ihren Wurzeln im Marxismus, obwohl sie in der Provinz in nicht wenigen Großstädten den Bürgermeister stellen. Gerade deshalb, weil die Grünen auf nationaler Ebene einstweilen wenig Zugang zur Macht haben, sind sie radikaler als ihre politischen Geschwister in Deutschland. Aber dennoch gehören sie unverkennbar zum gleichen ideologischen Lager wie ihre deutschen Gesinnungsgenossen, nur dass es in Frankreich an grünen Positionen noch eine offene und scharfe Kritik gibt, die man in Deutschland allenfalls am Rand des politischen Spektrums findet, weil faktisch jede etablierte Partei jederzeit offen für eine Koalition mit den Grünen sein will.

Eine solche Kritik hat jetzt die französische Philosophin Bérénice Levet vorgelegt, eine Schülerin von Alain Finkielkraut. Ihr Buch „L’écologie ou l‘ îvresse de la table rase“ (Die Ökologie oder die Trunkenheit der Tabula Rasa, Paris 2022) mag stark polemisch zugespitzt sein, ist aber doch oft treffend, und vieles ist mit gewissen Abstrichen durchaus auf Deutschland und die deutschen Grünen übertragbar. 

Der entscheidende Punkt ist, dass die Grünen ihren Erfolg eben nicht einfach ihrem Kampf gegen den Klimawandel und für eine lebenswerte, artenreiche Umwelt verdanken, sondern ihrer Fähigkeit, auch andere Themen zu bedienen, die einer neuen postsozialistischen Linken und vor allem einem linksliberalen Bürgertum am Herzen liegen. Dazu gehört die Kritik an der gesamten Geschichte des Westens und seiner Kultur, das Eintreten für offene Grenzen und grenzenlose kulturelle Diversität, und der Kampf für die „Sichtbarkeit“ immer neuer und exotischer Minderheiten in der Gesellschaft.

Für Levet stellt die Ideologie der Grünen einen Angriff auf den Menschen selbst oder zumindest den Menschen als Kulturwesen dar. Für die Grünen sei der Mensch im Grunde genommen nicht mehr als ein Lebewesen („vivant“) neben anderen; kulturelle Wurzeln benötige er nicht und die ideale Lebensweise für ihn sei eine gänzlich geschichtslose. Deshalb auch der Angriff auf alle sichtbaren Spuren der Vergangenheit, wie Denkmäler oder sogar auf Kunstwerke und literarische Werke, die nicht mehr als politisch korrekt angesehen werden. Es geht nicht einfach nur um die Aufarbeitung – vermeintlicher – früherer Schuld, es geht um die Geschichtslosigkeit als Prinzip, schon deshalb, weil nur ein geschichtsloser Mensch reiner Weltbürger ohne die Bindung an eine Nation und eine konkrete politische Gemeinschaft sein kann. Und dazu, zu einem reinen Weltbürger, wollen viele Grüne den Menschen gern umerziehen, wohl auch in der Annahme, dass sich nur so globale Umweltprobleme lösen lassen. Die von den Grünen verherrlichte EU ist hier nur das Zwischenstadium auf dem Weg zu einer Art kosmopolitischem Weltstaat als Endziel. 

Am Vorabend des neuen Krisenjahrzehnts

Ihre besondere Kritik gilt dabei der gesamten Geschichte des Westens, angefangen beim Christentum über die Aufklärung bis hin zur kolonialen Expansion. Sie sind sich dabei allerdings wenig bewusst – so Levet – wie sehr ihre eigene Weltanschauung geprägt ist von spezifischen Elementen der westlichen Moderne. Die radikale Kritik an der Vergangenheit etwa war typisch für weite Teile der Aufklärung und der Versuch, die gesamte menschliche Lebenswelt umzugestalten und dadurch auf eine höhere Ebene zu heben, war eben auch charakteristisch für den Modernisierungsenthusiasmus der unmittelbaren Nachkriegszeit, der mit der Natur oft recht brutal umging und viele der ökologischen Probleme erst schuf, mit denen wir jetzt in der Tat konfrontiert sind. 

Auch in anderer Hinsicht ist die spezifische grüne Weltanschauung zumindest in ihren „woken“ Spielarten stärker ein Produkt der so sehr verachteten westlichen Kultur als ihren Vertretern – oder heißt es Vertretenden? – lieb sein könnte. Das gilt etwa für das Insistieren darauf, dass alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen und die exotischsten Minderheiten jederzeit ausreichend „sichtbar“ sein müssten und dies schon in der Sprache selbst seinen Ausdruck finden müsse, was dann zur Forderung nach „geschlechtergerechter“ Sprache führt. Levet erinnert zu Recht daran, dass die Idee der persönlichen Sichtbarkeit in der Antike eng mit der Idee des Ruhms verknüpft war; öffentlich sichtbar war der, der sich als heroischer Krieger, als Sportler, als Wohltäter der Polis oder als Inhaber eines öffentlichen Amtes auszeichnete. Mit dem späten 18. Jahrhundert – so kann man Levets Überlegungen ergänzen – trat dann die Idee der Berühmtheit an die Stelle des Ruhms. Berühmt, oder zumindest bekannt konnte – und sei es nur für einen kurzen Moment – fast jeder potentiell werden, wenn sein Leben auffällig genug war und er sich vielleicht auch exhibitionistisch selber öffentlich inszenierte, wie es schon Rousseau, einer der Väter der späten Aufklärung, aber auch der radikalen Zivilisations- und Fortschrittskritik und damit vielleicht ein früher Grüner, tat. An die Stelle des Helden und seines Ruhms trat die „celebrity“. Am Ende, in unserer Epoche, wurde dann aus dem subjektiven Anspruch auf diese Art von öffentlicher Anerkennung fast eine Art Menschenrecht auf „Sichtbarkeit“ für jede Gruppe, jede Minderheit, und im Namen dieses Anspruches wird dann auch die traditionelle Sprache politisch radikal umgestaltet (Tendenzen dieser Art gibt es mittlerweile auch in Frankreich, auch wenn staatliche Institutionen sich ihnen noch viel stärker widersetzen als in Deutschland). 

Freilich spielt hier, so Levet, auch eine Rolle, dass all diejenigen, die einen neuen Menschen schaffen wollen, schon fast genötigt sind, die überkommene Sprache zu zerstören, denn in ihr haben ältere Epochen ihre Spuren hinterlassen, sie ist ein Archiv von Tradition und historisch gewachsener Kultur, und soll gerade deshalb zertrümmert werden.  Zumindest die radikaleren Strömungen der grünen Bewegung wollen wohl in der Tat einen neuen Menschen schaffen, und betreiben auch zu diesem Zweck radikale Sprachpolitik. Levet stellt dieser problematischen Zukunftsvision vor allem die Forderung der Philosophin Simone Weil nach einer „Verwurzelung“ des Menschen entgegen. Weil, die während des II. Weltkrieges im Londoner Exil starb, war eine jüdische Denkerin und zugleich – obwohl nicht getauft – große christliche Mystikerin, die nicht zuletzt Albert Camus nach 1945 beeinflusste. Ihre „Verwurzelung“ ist nicht im Sinne einer Blut- und Boden-Ideologie gemeint – natürlich war Weil leidenschaftliche Gegnerin des Vichy-Regimes und der deutschen Besatzer – wohl aber als Forderung, dass der Mensch sich seiner Grenzen und Ursprünge – eben auch in einer überkommenen Kultur – und vor allem seiner Pflichten statt nur seiner individuellen Rechte bewusst sein müsse.

Der Widerspruch der Haltung vieler Grüner heute besteht darin, dass sie einerseits – durchaus zurecht – den Menschen zum Respekt vor der Natur aufrufen, andererseits aber doch darauf bestehen, dass er sich jederzeit selbst neu erfinden könne, ohne dass ihm die Natur – etwa mit Blick auf seine geschlechtliche Identität – oder die Geschichte irgendwelche Grenzen setzen könne. Dem Menschen der westlichen Moderne wird einerseits – nicht immer zu Unrecht – sein zerstörerischer Hochmut vorgeworfen, andererseits übernimmt man aus dieser westlichen Moderne den Gedanken, dass der Mensch sein eigener Schöpfer sei und keiner Wurzeln bedürfe, weder in der Kultur noch im biologischen Sinne. Diese Ideologie kann eigentlich nur in eine Sackgasse führen, hier ist Levet zuzustimmen, aber die Krise des Westens und Europas muss sich wohl noch einmal dramatisch zuspitzen, bevor eine breitere Öffentlichkeit dies erkennt. Zumindest gilt dies für Deutschland, wo es kritische Stimmen wie die von Bérénice Levet gar nicht gibt, oder wo sie zumindest kaum gehört werden.

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