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Das russische Fernsehen über die Krisen und Skandale in Deutschland und der EU

Published On: 15. August 2022 2:53

Cum-ex, Trockenheit, Energiekrise, Risse in der vielbeschworenen Solidarität der innerhalb der EU – das russische Fernsehen kommt bei der Auflistung der Krisen in Deutschland und der EU kaum mehr nach.

Wie immer sind die Berichte der russischen Deutschland-Korrespondenten interessant, denn sie zeigen, wie von außen auf Deutschland und seine Politik geblickt wird. Auch an diesem Sonntag war der russische Korrespondentenbericht aus dem wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens wieder so interessant, dass ich ihn übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Großbritannien schweigt, Deutschland „stottert“

In der Alten Welt werden die Dinge irgendwie komplizierter. Und es gibt eine Menge wilder Russophobie. Nehmen wir nur das Beispiel von Karin Kneissl, der ehemaligen Außenministerin Österreichs. Erinnern Sie sich, wie der russische Präsident ihre Hochzeit besucht hat? Putin tanzte mit der Braut. Das führte zu regelrechtem Mobbing. Karin Kneissl war gezwungen, Österreich zu verlassen und sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. In Frankreich, wo Karin sich niederzulassen hoffte, wurde ihr nicht einmal ein Bankkonto eröffnet. Schließlich fand sie Zuflucht im Libanon.

In einem Interview sagte sie:

„Man nannte mich ein russisches Schwein, eine russische Hure, ich konnte in Österreich nicht mehr arbeiten. Die französischen Medien haben sich mit den Eigentümern meines Hauses in Verbindung gesetzt, sie interviewt und ihnen wortwörtlich gesagt: „Lasst sie nicht in die Tür!“ Aber seltsamerweise hat sich niemand bei mir persönlich gemeldet. Schon damals stand mein Name auf einer schwarzen Liste, und das war vor der Entschließung des Europäischen Parlaments im Mai, als Sanktionen gegen mich verhängt wurden. Offensichtlich stehe ich auf einigen Listen, von denen ich nichts weiß. Für mich ist das ein Verstoß gegen alle Rechtsnormen und die Rechtsstaatlichkeit. In Österreich gab es Schlagzeilen wie „Hurra, das Vermögen von Karin Kneissl wird beschlagnahmt!“ Welche Reichtümer wollten sie konfiszieren? Das Haus für 120.000 Euro. Das Haus, das ich mir in 12 Jahren selbst erarbeitet habe, lange bevor ich anfing, mit irgendjemandem zusammenzuarbeiten, der irgendwas mit Russland zu tun hatte. Ich erhielt in Österreich – und nicht nur da – eine Reihe von Morddrohungen. Die Drohungen kamen aus Österreich und Deutschland. Ich habe keine Möglichkeit, meine Ehre vor Gericht zu verteidigen. Und niemand in Österreich hat den Mut, öffentlich für mich einzutreten und zu sagen, es reicht!“

Ein Bericht unseres Korrespondenten aus Deutschland.

Die deutsch-polnische Grenze, der Fluss Oder. Entlang der Ufer stinkt es und es gibt viele grüne Fliegen. Der Fluss ist jetzt nicht mehr als anderthalb Meter tief. Das Wasser ist weg. Plötzlich fühlt sich die Wettervorhersage in Deutschland schon wie eine wirtschaftliche und sogar politische Nachricht an. Und das deutlich vor Beginn der Heizperiode. Die Hitze ist schrecklich. Die Fische sterben. Im Radio wurde allerdings gesagt, dass die Polen irgendwelchen Dreck in den Fluss geleitet haben. Das wird noch geklärt, aber die Trockenheit fordert ihren Tribut. Der Wasserstand ist um etwa 50 Zentimeter gesunken, und das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Oder nie eine echte Verkehrsader war. Der Rhein ist etwas anderes. Wenn Sie den Ring des Nibelungen am Grund des Flusses suchen wollen, ist jetzt der beste Zeitpunkt dafür.

Die Schifffahrtsroute, die ganz Westdeutschland mit Europas größtem Hafen, Rotterdam, verbindet, steht kurz vor der vollständigen Einstellung der Schifffahrt. In dieser Woche trat das Embargo für russische Kohlelieferungen in Kraft, aber auch die im Ruhrgebiet geförderte deutsche Kohle ist nur schwer an ihren Bestimmungsort zu bringen, so dass es große Probleme gibt, die Kohlekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen – fast leere Lastkähne kratzen bereits über den Grund. Christian Lorenz, ein Transportunternehmer, erzählt:

„Das Salz aus Heilbronn zum Beispiel geht über den Neckar auf den Rhein. Normalerweise transportieren sie 220 Tonnen, jetzt fahren sie mit 60 Tonnen.“

Weiter westlich und südlich ist die Lage noch schlimmer. Die landwirtschaftlichen Regionen Italiens und Spaniens sind völlig ausgetrocknet. Die französischen Landwirte melden einen Verlust von 12,5 Prozent ihrer Weizenernte und von 20 Prozent ihrer Maisernte. Ein Bauer erzählt:

„Wir können die Felder nicht bewässern. Ohne Wasser geht die Ernte ein. Dann sind wir pleite.“

Die Enttäuschung der Woche ist natürlich Norwegen, das immer als Garant für Energiesicherheit angepriesen wurde und von dem es hieß, es werde seine Freunde nie im Stich lassen. Tut es aber. Die Norweger erwägen aufgrund der sinkenden Stromerzeugung aus Wasserkraft ein Verbot von Stromexporten. Das bedeutet, dass es zum Beispiel für Großbritannien noch viel schlimmer kommen könnte als in der jüngsten Prognose von Bloomberg:

„Das Vereinigte Königreich muss möglicherweise Notmaßnahmen ergreifen, um Gas zu sparen, das bedeutet einen viertägigen Stromausfall. Gleichzeitig könnte die durchschnittliche jährliche Stromrechnung im Winter 4.200 Pfund übersteigen.“

Die in der EU ursprünglich auf freiwilliger Basis vereinbarten Energieeinsparungen von 15 Prozent sind nicht länger ein Wunsch, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Tatsächlich geht die Bundesnetzagentur in ihren Berechnungen, wie man den Winter mit minimalen Verlusten überstehen kann, davon aus, dass 20 Prozent des Verbrauchs gekürzt werden müssen. Das wird auf Kosten der Bevölkerung geschehen, aber das Unangenehme ist, dass auch die Deutschen mehr zahlen müssen, das zwei- bis zweieinhalbfache. Das Flüssiggas, auf das sie setzen, ist sowieso schon teurer als Pipelinegas, und die Tatsache, dass man mehr Geld dafür bieten muss, als seine traditionellen Verbrauchern zahlen, erhöht den Preis zusätzlich.

Schon jetzt versetzt Europa die Volkswirtschaften von Entwicklungsländern – Bangladesch, Sri Lanka, Pakistan – in einen Schockzustand. Und im Winter? Ungarn und Polen spüren etwas. Anna Moskwa, die polnische Ministerin für Umwelt und Klima, erklärte:

„Die Infrastruktur und die Gaspipelines, das erworbene Gas, ist das Eigentum unseres Landes. Nur wir können entscheiden, wie wir es verwenden, für welche Bedürfnisse und an wen wir es liefern, niemand wird polnisches Gas beschlagnahmen. Ich betone, dass die Europäische Kommission uns zu nichts zwingen kann.“

Überhaupt geht es ohne die Europäische Kommission sogar sehr gut. Neulich sind Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei geradewegs in die Sanktionen der EU gelaufen: die Ukraine hat – wie üblich ohne Vorwarnung – den Transport von russischem Öl durch die Druschba-Pipeline gestoppt, weil Transneft nicht für den Transit bezahlt hat.

Es ist schon interessant, wie das sofort die Köpfe freigemacht hat. Der slowakische Premierminister Robert Fico sagte:

„Das hat mit den EU-Sanktionen zu tun. Die Sanktionen funktionieren nicht. Sie schaden vor allem Ländern wie der Slowakei. Der Westen hat völlig den Verstand verloren“,

Doch es blieb nicht bei nützlicher Selbstkritik: Die Leidtragenden sprangen sofort ein und bezahlten die Schulden des russischen Lieferanten bei dem Transitunternehmen. Das Öl fließt wieder, das Problem wurde schnell und effizient behoben. Vor diesem Hintergrund sieht die Situation, in der sich auch Deutschland aufgrund der Sanktionen befindet, ziemlich festgefahren aus. Es geht wieder um die Turbine von Nord Stream 1, die auf ihrem Weg von Kanada nach Russland bei den Deutschen festsitzt.

Letzte Woche war der Bundeskanzler in voller Größe bei Siemens, um zu sehen, wie die Turbine dort verstaubt. Olaf Scholz sagte dabei:

„Damit das klar ist, habe ich dafür gesorgt, dass jeder sehen konnte, dass sie bereit ist. Es wäre gut, mit den Pseudo-Argumenten aufzuhören und zu sagen, dass ihr sie nicht abholen wollt. Nehmt sie, hier ist sie“

Das Problem ist, dass Gazprom die Turbine laut Vertrag aus Kanada und nicht aus Deutschland holen muss, und der Partner ist nicht Siemens Energy, sondern dessen Tochtergesellschaft Industrial Turbine Company (UK) Limited. Großbritannien hat Sanktionen gegen den russischen Energiesektor verhängt und Gazprom braucht volle Klarheit, bevor es die Turbine zurücknimmt und weiß, was mit den anderen drei stillgelegten und reparaturbedürftigen Anlagen geschehen wird. (Anm. d. Übers.: Das sind keine Formalitäten, Abweichungen von den vertraglich vereinbarten Prozeduren können zum Beispiel dazu führen, dass der Versicherungsschutz für die Pipeline erlischt. Von strafrechtlichen Folgen für Gazprom-Mitarbeiter wegen Verstößen gegen Sanktionen gar nicht zu reden. Diese „Formalien“ sind in der Realität sehr wichtig und keineswegs Vorwände)

Großbritannien schweigt. Britische Zeitungen schreiben, dass die deutsche Wirtschaft „stottert“:

„Deutschland erlebt eine Welle von Turbulenzen, die seine wirtschaftlichen Aussichten trüben. Neben der explodierenden Inflation belasten anhaltende Probleme der Lieferketten und die schwächelnde globale Nachfrage die deutsche Industrie. Berlin, die treibende Kraft der Europäischen Union, ist zu ihrem schwächsten Glied geworden.“

Im Wettbewerb, wer am heftigsten an die Wand fährt, hat Deutschland tatsächlich alle Chancen, den ersten Platz zu belegen – es kann aus großer Höhe tief fallen. Im Jahr 2011 fragte Putin die Deutschen: „Wollt Ihr etwa mit Holz heizen?“ (Anm. d. Übers.: Diese Aussage Putins von damals ist in Russland sehr bekannt, in Deutschland hingegen nicht)

Sie lachten damals, weil sie dachten, er mache Witze. Aber jetzt gehen die Deutschen ins Internet: Die häufigsten Suchanfragen lauten, wie viel Brennholz kostet und wo man einen Kamin kaufen kann. Kaminbauer haben volle Auftragsbücher und ein Hinweis auf der Website eines großen Holzlieferanten in Hamburg lautet: Aufgrund der hohen Nachfrage kann das Unternehmen die Auslieferung von Aufträgen an Neukunden bis zum Jahresende nicht garantieren.

Das ist einer der wenigen Wirtschaftsbereiche, der in einer Zeit, in der die meisten Einzelhandels- und Online-Umsätze zurückgehen, ein explosives Wachstum verzeichnet. Die Menschen beginnen bereits jetzt, Geld zu sparen, um im Dezember ihre Rechnungen zahlen zu können. Gleichzeitig ziehen Aktivisten der Grünen durch die Straßen und fordern, dass die Kohlekraftwerke nicht in Betrieb genommen werden und Rechte stellen eine Puppe von Habeck an den Pranger oder inszenieren seine Entführung. Der Minister wurde in dem Video natürlich von einem Schauspieler gespielt.

Einen Minister darf man nicht bedrohen – die Polizei sucht nach den Urhebern des Videos, das heute eine Inszenierung war, aber was ist morgen…?

Habecks Partei- und Regierungskollegin Annalena Baerbock schließt eine echte Revolte nicht aus. Wären die Aussichten lebensfroher, wäre Olaf Scholz vielleicht nicht so sehr mit Fragen zur Cum-Ex-Affäre bedrängt worden. Diese Geschichte begann schon, bevor er Kanzler wurde. Cum-ex ist ein illegales System zur Steuerrückerstattung für Börsengeschäfte, das es ermöglicht, den Staat zu „melken“, indem man sich das Zwei- oder Dreifache der eigentlich geschuldeten Steuergutschrift erstatten lässt. Es besteht der Verdacht – oder besser gesagt, nur ein Schatten davon – dass Scholz, als er Bürgermeister von Hamburg war, einer Bank geholfen hat, den Staat um 90 Millionen Euro zu betrügen. Scholz erlebt gerade – die Geschichte ist alt, aber er kann ihr nicht entkommen – eine Welle des öffentlichen Interesses. Scholz sagte dazu:

„Dieses Problem besteht schon seit zweieinhalb Jahren. Unglaublich viele Menschen wurden bereits befragt, ebenso viel Material wurde durchgearbeitet. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Es gibt keine Beweise für politische Einflussnahme“

Allerdings sind keine Beweise auch kein Beweis für das Fehlen politischer Einflussnahme. Das könnte die Umfragewerte des Kanzlers, die bei nur 18 Prozent liegen, verbessern. Bei den Grünen ist alles in Ordnung, ihre Wähler bekommen von ihnen, was sie wollten, aber von Scholz hat man anscheinend etwas anderes erwartet, als das geradlinige Festhalten an der Sanktionspolitik, die die deutsche Wirtschaft ins Grab treiben könnte. Von Scholz wollten sie wahrscheinlich ein bisschen mehr Merkel.

Das war von Anfang an schwierig. Wäre die jetzige Regierung jedoch in der Lage gewesen, diese Art von Kontinuität aufrechtzuerhalten, befände sich Deutschland – und damit auch Europa – nicht in dieser extremen Situation des Wartens und Nachholens. Der Winter steht vor der Tür und die Vorräte sind knapp.

Ende der Übersetzung