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Sarrazin und Tellkamp gegen das ideologische Denken

Published On: 23. August 2022 15:33

Thilo Sarrazin präsentierte sein neues Buch „Die Vernunft und ihre Feinde. Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens.“ Uwe Tellkamp hielt die Laudatio. Und viele Journalisten zeigten sich überfordert.

Thilo Sarrazin präsentierte am Montag sein neues Buch „Die Vernunft und ihre Feinde. Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens“ im Haus der Bundespressekonferenz. Die Laudatio hielt Uwe Tellkamp – dieser erwies sich als gepfefferter Sidekick zum ruhig und unaufgeregt argumentierenden Sarrazin, sodass die Veranstaltung wohl die seit längerem lebendigste in den Hallen der Bundespressekonferenz gewesen sein dürfte. Besonders spannend war nicht zuletzt die Reaktion der recht zahlreich vertretenen Pressevertreter auf die Äußerungen von Autor und Laudator.

In seinem neuen Buch nimmt Sarrazin eine Analyse der aktuellen Diskurslage in Politik, Medien und Gesellschaft vor. Er stellt Logik und Empirie als Tugend der Aufklärung und als Rückgrat moderner westlicher Gesellschaften dem Aberglauben und Wunschdenken ideologischer Minderheiten gegenüber, deren Ausbreitung er seit einigen Jahren mit Sorge beobachtet. Ausgehend von der „Beschreibung seines persönlichen Denkstils aus seiner Biografie heraus“, unter Bezugnahme großer Denker wie Sokrates, Platon, Humes, Popper oder Hayek, unternimmt Sarrazin eine detaillierte Fallanalyse aktueller ideologischer Tendenzen in bis dato aufgeklärten Gesellschaften, auch unter Einbeziehung einer Betrachtung historischer Ideologien. Im letzten Kapitel untersucht er zudem die „ideologische Prägung der Ampel-Regierung“.

„Vorurteilsfreie, tabulose Sicht auf die Wirklichkeit“

In seiner „Laudatio auf einen Unbequemen“ beschreibt Tellkamp, dass das Lob Sarrazins aus Sicht einiger Journalisten als „Geistesverbrechen“ gälte. Seit Sarrazin in seinen Büchern aus Statistiken Schlüsse zöge, zum Beispiel in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, werde er als persona non grata betrachtet und mit ungewöhnlicher Intensität bekämpft. „Wenn die Feinde der Vernunft walten, kommt der Volkswitz zurück“, stellt Tellkamp fest. Und liefert im Folgenden ein sprachgewaltiges Beispiel für ebensolchen Wortwitz:

In der heutigen Lebenswirklichkeit des „Habeckens“ ginge es darum, den kommenden Winter ohne Strom, Gas und Heizung zu überstehen, und dies nicht nur als üblen Scherz, sondern als „Faesern“ – „als ernst gemeinten Akt unseres Staatsschauspiels zu begreifen, als den Augenblick, wo das Schauspiel in die Wirklichkeit überging, und also ‚merkelte‘ – vom Ende her gedacht und mit durchaus flach gehaltenen Bällen.“ „Baerbocken“ hingegen sei, „Kobolde im Netz zu sehen“ und „die Windräder dafür zu bestrafen, dass sie sich drehten, wann und wie sie wollten“ – und wer „lauterbachte“, definierte „Pandemie“ neu und konnte „denunzieren mit Lust und öffentlicher Anerkennung für’s Lumpentum“.

Tellkamp prangerte den „Winter ohne Wärme in Stadtwohnungen ohne Ofen“ an, „wenn das Licht ausging und weder Kühlschrank noch Toilettenspülung mehr funktionierten“, ebenso wenig wie vorhandene, aber defekte Notstromaggregate in Krankenhäusern. Die Welt des „Habeckens“ ist also eine Welt des „Kaufs von Wasserkanistern zur Trinkwasserspeicherung, Taschenlampen und der Frage, welche Axt man sich besorgt“. Der „Aufklärer“ Sarrazin frage in seinem Buch mit einer „vorurteilsfreien, tabulosen Sicht auf die Wirklichkeit“, wer all das möglich gemacht habe – Medien und Wähler, laute die Antwort.

Doch in der „Talkshowkratie“ fehle eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sarrazins Thesen – sodass ein „durch Blödheit, Blindheit, Herdentrieb, aufmerksamkeitsökonomischer Gier und Zwänge geschaffener grotesker Abstand zwischen öffentlichem und privatem Bild eines Menschen“ entstanden sei. Eine demokratische Gesellschaft brauche dringend kühle, unerschrockene, unbestechliche und ehrliche Debatten, fordert Tellkamp, „den Blick auf die Sache und nicht auf den Weihrauch gerichtet, der die Sinne vernebelt“.

Bereit, sich eines Besseres belehren zu lassen

„Jetzt hören Sie meinen Vortrag“, stellt Sarrazin nüchtern fest, nachdem Tellkamp geendet hat, „und wenn Sie beide Vorträge vergleichen, hören Sie den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk, jetzt kommt das Handwerk“. Wie definiert Sarrazin nun „ideologisches Denken“?

„Dazu wird eine Teilerkenntnis, die vielleicht aus der Wissenschaft kommt, und die möglicherweise richtig sein kann, oder ein Vorurteil, das sich als Wissenschaft tarnt, in seiner Bedeutung aufgeblasen und in seinen Wirkungen verabsolutiert. So entsteht eine axiomatische Behauptung über die Wirklichkeit, die als unwiderlegbar gilt und im Rahmen des jeweiligen ideologischen Konzepts nicht hinterfragt werden darf. Daraus werden dann Folgerungen für die Wirklichkeit und Forderungen an die Politik abgeleitet und gleichzeitig wird kräftig moralisiert.“

Die Laudatio von Uwe Tellkamp sei insofern passend, alsdass dieser in seinem Roman der „Turm“ die Intoleranz der Ideologie am Beispiel der DDR aufgezeigt habe. Ideologie sei in dem Maße wirkmächtig, unabhängig von ihrer Wahrheit, indem sie Einfluss auf das menschliche Bewusstsein nähme. Einfluss und Wahrheit einer Ideologie hätten miteinander nichts zu tun. Nicht zuletzt sei die Frage der Ideologie vom Entscheidungskriterium abhängig, ob das menschliche Erkenntnisinteresse mit offener Wissbegier auf die Wirklichkeit gerichtet sei und man gegebenenfalls auch bereit sei, sich eines Besseres belehren zu lassen – oder ob man sich lediglich eine bereits vorgefasste Meinung bestätigen lassen wolle.

Hatte der Journalist ihm überhaupt zugehört?

Nach dieser strukturierten und deutlichen Darlegung Sarrazins sprach die folgende Fragerunde und in diesem Zusammenhang der Auftritt einiger Vertreter großer Medienhäuser Bände.

Ein Vertreter der Augsburger Allgemeinen fragte: „Sie betonen die Gefahr von Ideologien. Kann man überhaupt ideologiefrei sein?“ Sarrazin entgegnete darauf, man könne nicht standpunktfrei sein, aber wohl ideologiefrei, was er im ersten Kapitel seines Buches erläutere. Der Standpunkt sei subjektiv, aber die Überprüfung desselben müsse objektiv sein. Als Zuhörer musste einem an dieser Stelle auffallen, dass Thilo Sarrazin in seinem Vortrag genau erklärt hatte, wie er Ideologie von Meinung unterscheidet und abgrenzt. Hatte der Journalist ihm überhaupt zugehört?

An Uwe Tellkamp gerichtet, fragte derselbe Medienvertreter: „Ihr Vortrag wirkte so zornig. Woher kommt dieser Zorn, den Sie offenbar an den gesellschaftlichen Verhältnissen hegen?“ Tellkamp entgegnet als Gegenfrage: „Sind Sie ruhig? Woher kommt Ihre Ruhe?“ Wie solle man angesichts der Aussicht, im Winter „habecken“, also frieren zu müssen, nicht zornig sein? Außerdem sei ihm die Erfahrung, dass ihm der Parteisekretär erkläre, dass er doch seine Meinung frei äußern könne, aus der DDR wohl bekannt – genauso wie die Tatsache, dass die geäußerte Meinung eben nicht von derer der Parteisekretäre abweichen darf, ohne dass man Konsequenzen fürchten müsse. Wenn die Beschreibung dieser Verhältnisse dann auch noch bestritten werde, könne man ja nur zornig werden.

Er akzeptiert nicht die von Linken postulierte Gleichheit

Ich frage Sarrazin, ob er Beispiele dafür nennen könnte, wie genau ideologisches Denken in eine Gesellschaft Einzug erhält: „Ich darf nicht auf der Gefühlsebene stehen bleiben. Ich kann meine Gefühle dafür nutzen, dass ich bestimmte Fragen stelle und dann schaue ich, wie die Welt wirklich zusammenhängt. Dieses evidenzbasierte Denken ist der geistige Kern der Aufklärung (…) In der Sinnsuche der Philosophie gibt es immer wieder die Neigung, ein als sinnhaft empfundenes Konzept der Welt überzustülpen.“

Ein Kollege vom Deutschlandfunk bescheinigt in seiner Wortmeldung Sarrazin ebenfalls, nicht ideologiefrei zu sein, da er einen gewissen Biologismus an den Tag lege und eine sozialdarwinistische Position verträte. Er akzeptiere nicht die von den Linken postulierte Gleichheit. Normatives Denken sei keine Ideologie. Dieser ebenfalls verräterische Kommentar veranlasst Uwe Tellkamp zur Feststellung:

„Sie vermengen die Beobachtung eines Sachverhalts eines Tatbestandes mit der Folgerung, der Wertung daraus. Festzustellen, dass Kulturen unterschiedlich sind, dass Menschen unterschiedliche Begabungen haben, ist das eine. Daraus eine Wertung abzuleiten, da beginnt das Problem. Das macht aber Herr Sarrazin überhaupt nicht. Ich würde Sie einfach mal bitten, als Journalist, diesen Unfug zu unterlassen.“

„Müssen wir uns in patriotische Kernkraftbefürworter verwandeln?“

Eine Nachfrage eines Vertreters vom Redaktions Netzwerk Deutschland, ob Sarrazin der Ansicht sei, dass die SPD noch ihrem Markenkern gerecht werde, veranlasst Tellkamp zu einer weiteren leidenschaftlichen Entgegnung, nachdem Sarrazin mit mäßiger Kritik an der SPD-Politik geantwortet hat. Tellkamp schmettert dem RND-Journalisten entgegen: „Wo ist die SPD als Partei des kleinen Mannes? Welche Interessen vertritt sie? Sie vertritt die Interessen eines woken, akademischen, Latte-Macchiato-süffelnden Prenzlauer-Berg-Prekariats.“ Außerdem wirft Tellkamp dem Vertreter des RND vor, dass Kollegen seines Blattes in Coronazeiten in Dresdner Straßenbahnen mit Polizei und Gesundheitsämtern kontrolliert hätten, ob die Maskenpflicht eingehalten werde: „Mit diesem Vorwurf müssen Sie leben.“ „Ich lebe damit“, lautet die lakonische Antwort des Journalisten.

Uwe Tellkamps leidenschaftliche Entrüstung scheint unter vielen meiner Kollegen für Befremdung zu sorgen, mehr noch als Sarrazins selbstsichere Ruhe beim Aussprechen unliebsamer Meinungen. Eine Vertreterin der WELT fragt Tellkamp, was er denn, nachdem er von „habecken“ und „scholzen“ gesprochen hätte, eigentlich unter „tellkampen“ verstünde. Die Frage scheint den Bestseller-Autor zu einem dramatischen Idioten abstempeln zu wollen. „Tellkampen ist, wenn der Inhalt der Sache mit der Lautstärke verwechselt wird. Das ist mein Problem, das weiß ich“, lautet die nachdenkliche Antwort.

Ein Vertreter der FAZ stellt fest:

„Ich habe jetzt nach anderthalb Stunden begriffen, worin Ihr gemeinsames Feindbild liegt. Das sind sozusagen die links-grünen Gerechtigkeits-Ideologen, die den Staat anscheinend gekapert haben und bei der letzten demokratischen Wahl an die Regierung gespült wurden (…) Sind wir (angesichts des Ukrainekrieges) als Linke, Grüne, Woke angegriffen, müssen wir unsere eigene Dekadenz sozusagen in Schutz nehmen oder müssen wir uns alle in patriotische, wehrhafte Kernkraftbefürworter verwandeln?“

Die Fronten scheinen verhärtet und die Gräben vertieft

Sarrazin bestreitet ein links-grünes Feindbild und bescheinigt den Grünen sogar, aktuell die fähigsten Politiker zu haben. Grüne Grundideen wie etwa der Pazifismus oder die Energiewende seien für die Gesellschaft jedoch rasend gefährlich.

Tellkamp ergänzt, dass er ein Problem damit habe, wenn man den Karren an die Wand fährt und anschließend fragt, was die Alternativen seien. Auch dies kenne er bereits aus seiner Jugend zu DDR-Zeiten. Sein Ideal sei ausgehend von der heutigen Situation die Rückkehr zu einem liberalen Staat. Das Misstrauen des Staates gegenüber dem Bürger kehre jedoch zurück. Vieles erinnere an die DDR, auch wenn das Ausmaß der Zustände nicht vergleichbar sei. Generell fehle es in der politischen Debatte an Zwischenstufen und er würde sich wünschen, dass diese wieder zurückkehren.

In der Tat scheint das ganze Schauspiel im Kleinformat wiederzugeben, was in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in diesem Land schiefläuft. Anspruchsvolle Denker, von deren teilweise gewagten Thesen man halten kann, was man will, die aber an einem ehrlichen Austausch interessiert zu sein scheinen, stoßen auf eine größtenteils vorurteilsbeladene Journalistenzunft, die mit Unverständnis, Hochmut und Ablehnung auf Thesen reagiert, die sie herausfordert. Viele der bei der Buchvorstellung gestellten Fragen scheinen den zuvor säuberlich von Sarrazin dargelegten Hang zur Ideologie von Politik und Medien zu bestätigen.

Und so ist es im Grunde ein Trauerspiel, zu beobachten, dass die Zunft des Journalismus buchstäblich im Elfenbeinturm festsitzt und für eine lebendige Debatte oder die ehrliche Entrüstung eines Uwe Tellkamp nicht mehr empfänglich ist, ob man letzteres nun für angemessen hält oder nicht. Er scheint recht zu haben, wenn er von einem gesellschaftlichen Klima des Misstrauens spricht, denn auch die im gängigen Journalismus geäußerten Ansichten triefen vor Misstrauen gegenüber all dem, was sich außerhalb des Meinungsspektrums bewegt. In der Coronazeit fragte ich mich oft, ob Kollegen, die auf geradezu herzlose Weise Ungeimpfte verhöhnten und angriffen, aus Bösartigkeit schrieben. Mittlerweile glaube ich, dass es sich eher um Borniertheit und Unverständnis handelte. Die Fronten scheinen verhärtet und die Gräben vertieft. Ob das Meinungsklima wieder gesunden kann?

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